Leitsatz (amtlich)

Eine Witwe, die während einer an sich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung wegen des Bezugs einer Witwenrente in der Rentenversicherung versicherungsfrei war, hat insoweit keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit iS von AVG § 25 Abs 3 S 1 (= RVO § 1248 Abs 3 S 1 )ausgeübt (Anschluß BSG 1962-03-29 1 RA 24/60 = BSGE 16, 284).

 

Normenkette

BVG § 1248 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 25 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 31. August 1961 und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Februar 1961 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin erstrebt die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegelds für weibliche Versicherte nach § 25 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in den letzten 20 Jahren überwiegend eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne dieser Vorschrift ausgeübt hat.

Die Klägerin war in dem in Frage kommenden Zeitabschnitt überwiegend, d. h. mehr als 120 Monate hindurch als Angestellte tätig. Ihr Gehalt lag ständig unter der für die Rentenversicherung der Angestellten geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze. Sie hat während dieser Zeit jedoch nur für 99 Monate Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet; in der übrigen Zeit war sie wegen des Bezugs einer Witwenrente aus der Rentenversicherung versicherungsfrei. Sie ist der Meinung, zur Erfüllung der Voraussetzung in § 25 Abs. 3 AVG müsse es genügen, daß sie in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte, das rentenversicherungspflichtig gewesen wäre, wenn sie keine Witwenrente bezogen hätte. Die Beklagte lehnte den Antrag auf das Ruhegeld ab. Dagegen verpflichteten beide Vorinstanzen die Beklagte, das Ruhegeld zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) ließ die Revision zu.

Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen; sie rügte eine Verletzung des § 25 Abs. 3 AVG durch das Berufungsgericht.

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 165, 153, 124 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist zulässig und begründet.

Eine Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, kann Altersruhegeld erhalten, wenn sie eine Wartezeit von 180 Kalendermonaten erfüllt, in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt (§ 25 Abs. 3 AVG). Zu dieser Vorschrift hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, daß eine Versicherte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in diesem Sinne nur dann ausgeübt hat, wenn die Beschäftigung oder Tätigkeit mit einer Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zur Rentenversicherung verbunden war. Die bloße Ausübung einer an sich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit - ohne Berücksichtigung einer persönlichen Beitragsfreiheit - genügt nicht (BSG 16, 284; 17, 110). Das BSG erkennt in diesem Zusammenhang als rentenversicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten nur solche an, aus denen konkrete Verbindungen zur Rentenversicherung hergestellt werden, aus denen also - sofort oder später - Pflichten zur Entrichtung von Beiträgen erwachsen. Die Vergünstigung in § 25 Abs. 3 AVG soll nicht allen weiblichen Versicherten, die über 60 Jahre alt und irgendwie berufstätig gewesen sind, zugute kommen, sondern solchen, die dazu eine qualifizierte Beitragsleistung aufweisen. Beitragsfreie Beschäftigungen, auch wenn sie im übrigen das Gepräge von versicherungspflichtigen Beschäftigungen tragen, können deshalb im Rahmen des § 25 Abs. 3 AVG nicht angerechnet werden. An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung der Rechtslage fest. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich - wie in dem früher entschiedenen Fall (BSG 16, 284) - um Beschäftigungen im Rahmen des Notdienstes gehandelt hat oder - wie im vorliegenden Rechtsstreit - um Beschäftigungen, die wegen Rentenbezugs versicherungsfrei waren. Der Senat teilt nicht die gegen seine Meinung geäußerten Bedenken (vgl. Tannen, Deutsche Rentenversicherung 1962 S. 284; mit Tannen ist der Senat der Ansicht, daß der Begriff "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit", der in § 25 Abs. 3 Satz 1 AVG zweimal verwendet wird, in beiden Fällen im gleichen Sinn ausgelegt werden sollte; entgegen Tannen ist er aber der Meinung, daß die sich daraus ergebenden - zwar möglichen, jedoch sehr abseits liegenden - Folgerungen nicht so unbefriedigend sind, daß sie zu einer anderen Lösung der Streitfrage zwingen; unbefriedigender und dem Versicherungsgedanken abträglicher wäre es, wenn einer Gruppe von Versicherten Vergünstigungen ohne jeden Ausgleich auf der Beitragsseite gewährt würden). Die Zeit, in der die Klägerin zwar berufstätig, aber wegen Bezugs einer Witwenrente aus der Rentenversicherung versicherungsfrei war, darf daher nicht als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung gewertet werden. Die Klägerin kann deshalb das erstrebte vorzeitige Altersruhegeld nicht erhalten.

Der im Ergebnis richtige Bescheid der Beklagten war durch Abweisung der Klage wiederherzustellen (§§ 170 Abs. 2, 193 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324216

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge