Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage des Berufungsausschlusses nach SGG § 146.

 

Normenkette

SGG § 146 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. August 1969 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Kläger, der sowohl Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung als auch zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet hat und seit dem 1. Oktober 1958 Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) bezog, beantragte bei der Beklagten am 2. März 1965 die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit und am 29. März 1965 die Knappschaftsausgleichsleistung. Die Beklagte lehnte den Antrag vom 2. März 1965 mit Bescheid vom 10. August 1965 ab. weil der Kläger nach den eingeholten Gutachten weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig sei. Sie gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 20. August 1965 die Knappschaftsausgleichsleistung vom 1. April 1965 an. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er die Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. März 1965 an begehrt hatte, wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten am 18. Februar 1966 zurückgewiesen.

Die auf Verurteilung zur Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 14. Dezember 1967 abgewiesen, weil der Kläger nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht berufsunfähig sei.

Nachdem die Beklagte dem Kläger am 18. Februar 1969 das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG vom 1. November 1968 an gewährt hatte, begehrte der Kläger mit der bereits am 21. Februar 1968 eingelegten Berufung die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 1965 bis zum 31. Oktober 1968. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. August 1969 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, die Berufung sei unstatthaft, weil sie nur Rente für abgelaufene Zeiträume betreffe. Nach § 98 a Abs. 3 RKG werde neben der Knappschaftsausgleichsleistung eine knappschaftliche Rente nicht gewährt. Somit könne der Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nur für den Monat März 1965 Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens sein. Die Vorschrift des § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) könne nicht dahin verstanden werden, daß es im Belieben des Klägers stehen solle, sich durch eine entsprechend weite Erstreckung des Berufungsantrags eine Instanz zu eröffnen, die ihm nach dem Sinn der Berufungsausschlußvorschrift verschlossen sei. Der ohne Berücksichtigung der Knappschaftsausgleichsleistung und der Bestimmung des § 98 a Abs. 3 RKG gestellte Berufungsantrag des Klägers sei daher nicht geeignet, die Zulässigkeit der Berufung entgegen § 146 SGG zu begründen. Die vom SG nicht zugelassene Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft, denn die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor.

Mit der vom LSG nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel, das LSG habe zu Unrecht eine Sachentscheidung unterlassen. Die Berufung sei nicht nach § 146 SGG ausgeschlossen, denn sie betreffe nicht Rente für einen abgelaufenen, sondern für einen in das Berufungsverfahren hineinreichenden Zeitraum. Daran ändere die Gewährung der Knappschaftsausgleichsleistung nichts. Gegenüber dieser Leistung sei die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit der weitergehende Anspruch, weil der Kläger außer den Beiträgen zur knappschaftlichen Rentenversicherung auch Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet habe. Diese Rechtslage habe das LSG verkannt.

Der Kläger beantragt,

die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auch sie ist der Ansicht, die Revision sei nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil der Kläger zutreffend einen wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens gerügt habe. Das LSG habe zu Unrecht die Berufung als unstatthaft angesehen. Die Berufung betreffe die Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 1965 bis 31. Oktober 1968. § 98 a Abs. 3 RKG wolle nur die Gewährung einer Doppelleistung, nicht dagegen die Gewährung der jeweils höheren Leistung ausschließen. Mit der Knappschaftsausgleichsleistung solle nämlich den Versicherten geholfen werden, die bei der Entlassung aus dem knappschaftlichen Betrieb noch nicht zumindest berufsunfähig seien. Wenn der Kläger vom 1. März 1965 an einen Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit habe, so bestehe dieser auch über den 31. März 1965 hinaus fort, zumal bei der Berechnung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit auch die in der Arbeiterrentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt würden, die in der Regel eine höhere Leistung als die Knappschaftsausgleichsleistung auslösten. Im übrigen sei das Vorliegen von Berufsunfähigkeit darüber hinaus auch für die Zeit nach dem 1. November 1968 bedeutsam, obwohl der Kläger das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG beziehe. In der Praxis werde nämlich eine im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene kombinierte Leistung von Knappschaftsruhegeld und Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gewährt.

II

Die vom LSG nicht zugelassene Revision des Klägers ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; denn der Kläger hat zutreffend einen wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens gerügt. Dieser Mangel liegt darin, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen (vgl. BSG Bd. 1 S. 284 und SozR Nr. 21 zu § 162 SGG).

Die Berufung ist nicht nach § 146 SGG ausgeschlossen; denn sie betrifft nicht Rente für abgelaufene Zeiträume. Nach dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag begehrte der Kläger Rente für eine in das Berufungsverfahren hineinreichende Zeit. Um Rente für abgelaufene Zeiträume im Sinne des § 146 SGG handelt es sich aber nur dann, wenn der letzte Tag, für den mit dem Berufungsantrag Rente begehrt wird, vor dem Tage der Einlegung der Berufung liegt (vgl. SozR Nr. 21 zu § 146 SGG). Die Frage, ob für die gesamte geltend gemachte Zeit materiell ein Rentenanspruch besteht, betrifft nicht die Statthaftigkeit der Berufung, sondern nur ihre Begründetheit.

Zwar mag eine Berufung auch dann nach § 146 SGG als unstatthaft anzusehen sein, wenn der Berufungskläger eine an sich gebotene zeitliche Einschränkung des Berufungsgegenstandes nur unterläßt, um die Folgen des § 146 SGG zu vermeiden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger hatte durchaus ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung über die Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit bis zum 31. Oktober 1968. Zwar wird nach § 98 a Abs. 3 RKG neben einer Knappschaftsausgleichsleistung eine knappschaftliche Rente nicht gewährt. Es ist aber nicht völlig zweifelsfrei, ob diese Vorschrift die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit auch dann ausschließt, wenn diese entweder früher beginnt als die Knappschaftsausgleichsleistung oder aber etwa deshalb höher ist als diese, weil bei der Rente wegen Berufsunfähigkeit im Gegensatz zur Knappschaftsausgleichsleistung auch die in einem anderen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind. Wie stark diese Zweifel sind, zeigt die Praxis der Beklagten, die in solchen Fällen die Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 46 RKG vorliegen. Die von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts abweichende Praxis der Beklagten gab dem Kläger hinreichenden Anlass, seinen Antrag nicht weiter als geschehen einzuschränken und eine Sachentscheidung über seinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit auch für die Zeit nach dem 31. März 1965 zu begehren.

Die danach statthafte und auch sonst zulässige Revision ist begründet, denn das angefochtene Urteil beruht auf dem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmangel und ist auch nicht aus anderen Gründen richtig. Mangels entsprechender Feststellungen des LSG kann das Revisionsgericht über den erhobenen Anspruch nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669862

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