Entscheidungsstichwort (Thema)
Halswirbelsäulenschleudertrauma. Sachaufklärung. Anhörung des behandelnden Arztes. psychiatrische und psychologische Begutachtung. Rechtmäßigkeit der Berufung der ehrenamtlichen Richter am BSG. psychische Reaktionen als Unfallfolge. mangelnde Sachaufklärung
Leitsatz (redaktionell)
1. Behauptet der Verletzte, bei ihm sei aufgrund des Arbeitsunfalls mit Halswirbelsäulenschleudertrauma eine Wesensänderung eingetreten und macht er geltend, daß dies sein behandelnder Arzt bestätigen könne, so muß dieser gehört werden. Dies gilt umso mehr, wenn auch vom Gericht gehörte Sachverständige neurotische Entwicklungen mit Fehlverarbeitung des Unfallereignisses nicht ausgeschlossen haben.
2. Erst nach der Anhörung des behandelnden Arztes über seine fachlichen Beobachtungen beim Verletzten ist eventuell gutachtlich (psychiatrisch und psychologisch) zu klären, ob seelische Veränderungen Krankheitswert besitzen und durch den Unfall verursacht wurden.
Orientierungssatz
1. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat über die Berufung der ehrenamtlichen Richter eine eigenverantwortliche Entscheidung getroffen. Zwar hat sich der BMA in aller Regel an die von den Verbänden vorgelegten Vorschlagslisten gehalten. Er hat damit aber nicht die Vorschläge lediglich vollzogen, sondern nach seinem Ermessen gehandelt.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung können auch psychische Reaktionen Unfallfolgen im Rechtssinne sein, es sei denn, sie beruhen im wesentlichen auf wunschbedingten Vorstellungen (vgl BSG 18.12.1962 2 RU 189/59 = BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr 61 zu § 542 RVO aF).
3. Zur Frage mangelnder Sachaufklärung bei der Deutung psychischer Veränderungen als neurotische Fehlhaltung, die als unfallunabhängige bewußtseinsnahe psychogene Wunsch- und Zweckreaktion nicht entschädigungspflichtig ist.
Normenkette
SGG § 14 Abs. 1, § 45 Abs. 2; GG Art. 92, 101 Abs. 1 S. 2; RVO § 548; SGG § 103 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 04.01.1984; Aktenzeichen L 3 U 184/82) |
SG Mainz (Entscheidung vom 05.10.1982; Aktenzeichen S 7 U 168/81) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt in den mit Beschluß des Senats vom 21. März 1985 verbundenen Streitsachen die Weitergewährung von Übergangsgeld bzw Verletztengeld (2 RU 61/84) sowie die Zuerkennung von Verletztenrente (9b RU 56/84).
Er erlitt am 6. Oktober 1980 in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Bezirksleiter im Außendienst für die Firma Q. einen Arbeitsunfall. Wegen der Unfallfolgen (Halswirbelsäulen-schleudertrauma sowie leichte Zerrung und Prellung in der Lendenmuskulatur) zahlte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) vom 1. Dezember 1980 bis 6. Januar 1981 Übergangsgeld (nunmehr Verletztengeld: § 560 Reichsversicherungsordnung -RVO-) mit der Begründung, die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe vom Tage des Arbeitsunfalles an drei Monate angedauert. Demgegenüber lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Unfallfolgen über die 13. Woche hinaus nicht um mindestens 1/5 gemindert sei; die geklagten Beschwerden seien Ausdruck eines unfallunabhängigen myalgieformen Halswirbelsyndroms. Den Verwaltungsentscheidungen (Bescheide der BG vom 8. Juli 1981, Widerspruchsbescheid vom 17. November 1981 und Bescheid vom 14. August 1981) lagen mehrere Arztgutachten und Befundberichte (chirurgisch - orthopädisch - neurologisch - psychiatrisch - röntgenologisch) zugrunde.
Das Sozialgericht (SG) hat auf Antrag des Klägers ein nervenärztliches Gutachten von Prof. Dr. S. eingeholt und danach die Klagen abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Nach den übereinstimmenden ärztlichen Darlegungen habe die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht über den 6. Januar 1981 angedauert. Knöcherne Verletzungen und neurologische Ausfallerscheinungen seien zu keiner Zeit festgestellt worden. Die gesamte Wirbelsäule weise Veränderungen in Form einer Lendenlordose und Spondylose deformans auf, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien. Durch das Schleudertrauma sei es zu einer vorübergehenden Intensivierung der Beschwerden mit Schmerzausstrahlungen gekommen. Die gegenteilige Meinung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie M. (Gutachten vom 11. Juni 1981), wonach ein Kausalzusammenhang mit dem Unfall durchaus möglich erscheine, überzeuge nicht. Ebensowenig sei der Schlußfolgerung von Prof. Dr. H., daß Schäden an der Wirbelsäule unfallbedingter Art nicht auszuschließen seien, nicht zu folgen. Dieser Arzt habe in seinem Gutachten auf dem Unfall beruhende Dauerschäden lediglich vermutet, selbst aber weder röntgenologisch noch klinisch Unfallfolgen diagnostiziert. Sein Vorschlag, "in dubio pro reo" zu entscheiden, sei nicht zulässig. Auch habe keiner der Gutachter die vom Kläger behauptete Wesensänderung unmittelbar oder mittelbar auf den Unfall zurückgeführt. Lediglich der Hausarzt Dr. B habe bestätigt, daß die Wesensumwandlung auf den Unfall zu beziehen sei und daß sie letztlich zur Berufsaufgabe geführt habe. Dieser Arzt habe keine Erklärung für diese seine Mutmaßungen gegeben; das Gericht könne sie nicht nachvollziehen. Nachdem der Kläger keinen schweren Unfall erlitten habe - eine Hirnschädigung sowie eine knöcherne Beteiligung der Wirbelsäule und des Rückenmarks seien röntgenologisch, klinisch und neurologisch nicht objektiviert worden -, müßten die Unfallfolgen längst abgeklungen sein. Die nunmehr vorhandene neurotische Fehlhaltung habe in eine subjektive Leistungsinsuffizienz eingemündet. Sie sei als bewußtseinsnahe psychogene Wunsch- und Zweckreaktion nicht entschädigungspflichtig. Dem Hilfsantrag des Klägers, nochmals Dr. B. und Prof. Dr. H. oder einen anderen Sachverständigen zu hören, sei nicht zu folgen gewesen. Der Kläger habe nicht angegeben, daß diese Ärzte neue objektive Befunde über die Unfallfolgen beibringen könnten. Auch sonst bestehe zu einer weiteren Sachaufklärung von Amts wegen kein Anlaß.
Mit den - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revisionen macht der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) geltend. Dr. B. habe die bleibenden Schmerzen über die nach ärztlicher Erfahrung übliche Zeit von drei Monaten dem Schleudertrauma angelastet und auch die Ursache der Wesensumwandlung in dem Unfall gesehen. Wenn das LSG hierzu bemerkt habe, dieser Arzt habe keine Erklärung für diese Mutmaßungen angegeben, dann habe es dessen Äußerung als unvollständig und unschlüssig angesehen. Es hätte sich dann entsprechend dem Beweisantrag aufdrängen müssen, den Sachverhalt dahingehend weiter aufzuklären, worauf sich die fragliche Wesensveränderung gründet. Ebenso hätte nach der sprachlich nicht eindeutigen Aussage des Prof. Dr. H. noch geklärt werden müssen, ob dieser lediglich den Kausalzusammenhang vermutet oder aufgrund seiner jahrelangen ärztlichen Erfahrung von einer begründeten und gesicherten Diagnose ausgegangen werden könne. Auch hätten die benannten Zeugen gehört werden müssen, die eine fortlaufende psychische Veränderung nach dem Unfallereignis hätten bestätigen können. Im gegenwärtigen Fall sei nicht auszuschließen, daß der chronische Beschwerdekomplex auf den Unfall ursächlich zu beziehen sei. Zudem habe der Antrag, einen weiteren Sachverständigen zu hören, sich auf die beim Kläger bestehende Wesensveränderung bezogen. Keiner der Behördengutachter habe zu der Frage des Kausalzusammenhanges Stellung genommen. Andeutungsweise hätten Prof. Dr. S. sowie der Arztbrief der Landesnervenklinik A. vom 25. August 1982 die beim Kläger bestehende psychische Komponente erwähnt. Ohne eine eingehende Analyse der Persönlichkeitsstruktur des Klägers sei die Frage der Entschädigungspflicht der Rentenneurose nicht zu beantworten. Das Berufungsgericht habe im übrigen nicht seine Befähigung dargelegt, sich sachverständig dahingehend äußern zu können, daß die neurotische Fehlhaltung auf gewissen bewußtseinsnahen psychogenen Wunsch- und Zweckreaktionen beruhe. Bei weiterer Sachaufklärung könnte sich ergeben, daß eine Wesensveränderung mit Krankheitswert als rechtlich wesentliche Ursache des Unfalls anzuerkennen sei.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts sowie des Sozialgerichts aufzuheben und unter Abänderung der Verwaltungsbescheide die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 6. Januar 1981 hinaus Übergangsgeld zu zahlen sowie wegen des am 6. Oktober 1980 erlittenen Arbeitsunfalles Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH zu gewähren; hilfsweise, die Streitsachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Sie hält eine weitere Sachaufklärung nicht für geboten.
Entscheidungsgründe
Der Senat ist mit seinen ehrenamtlichen Richtern der gesetzliche Richter (Art 101 Abs 1 Satz 1 Grundgesetz -GG-). Etwaige Zweifel daran, ob der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), wie es das Gesetz (§ 45 ff SGG) vorsieht und das GG (Art 92) voraussetzt (BVerfG SozR Nr 4 zu Art 101 GG), über die Berufung der ehrenamtlichen Richter eine eigenverantwortliche Entscheidung getroffen hat, greifen nicht durch. Zwar hat sich der BMA in aller Regel an die von den Verbänden vorgelegten Vorschlagslisten gehalten. Er hat damit aber nicht die Vorschläge lediglich vollzogen, sondern nach seinem Ermessen gehandelt. Das hat der 1. Senat des BSG in seinem Beschluß vom 26. September 1985 - 1 S 12/85 - (SozR 1500 § 22 Nr 1), der alle ehrenamtlichen Richter des BSG betrifft, festgestellt. Der für die Kriegsopferversorgung zuständige 9a Senat hat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVs 5/84 - offengelassen, ob er an diese Feststellung gebunden ist. Er hat aber nach eigener Prüfung festgestellt, daß der BMA jedenfalls bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter der Senate der Kriegsopferversorgung gesetzmäßig vorgegangen ist und sein Ermessen ausgeübt hat. Diese Feststellung beruhte darauf, daß sich keiner der für die Kriegsopfersenate vorschlagsberechtigten Verbände auf den Standpunkt gestellt hatte, sein Vorschlag sei für den BMA verbindlich.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der eine Liste der ehrenamtlichen Richter auch für den erkennenden 9b Senat aufgestellt hatte, die durch den BMA unverändert übernommen worden ist, scheint indessen anderer Meinung zu sein. Er meint offenbar, der BMA habe bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter kein Ermessen; seine "Auswahl" sei darauf beschränkt, die als ehrenamtliche Richter ungeeignet vorgeschlagenen Personen nicht zu ernennen und in solchen Fällen, die begründet werden müßten, eine Ergänzung der Liste zu verlangen (vgl Faupel in der vom DGB herausgegebenen "Soziale Sicherheit" 1985, 375, 376). Aber auch diese Meinung veranlaßt angesichts verschiedener Äußerungen des amtierenden Ministers den Senat nicht, ernstlich daran zu zweifeln, daß der BMA nach seinem ihm gesetzlich zustehenden Ermessen gehandelt hat. Der Senat ist damit in Übereinstimmung mit den übrigen Senaten des BSG, die dazu allerdings nicht ausdrücklich Stellung genommen haben. Dies steht im Ergebnis auch nicht dem Beschluß des Dreierausschusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Dezember 1985 (1 BvR 853/85, 1043/85, 1118/85) entgegen. Wenn das BVerfG allerdings in seinem Beschluß ausführt, der Staat habe bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter mindestens in der Form der Bestätigung mitzuwirken und dieses von der Rechtsprechung für Standes- und Berufsgerichte aufgestellte Erfordernis (BVerfGE 18, 241, 253 f; 48, 300, 315) könne im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit jedenfalls nicht strenger sein, hält dies der erkennende Senat für nicht richtig. Die Sozialgerichte sind staatliche Gerichte. Die Unabhängigkeit der ehrenamtlichen Richter ist dadurch gewährleistet, daß sie von staatlichen Stellen "berufen" werden. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG geht offensichtlich davon aus (BVerfGE 26, 186, 195 f; 27, 312, 320 f). Dem wird eine "Bestätigung", wie das BVerfG nunmehr meint, nicht gerecht. Dies kann nur für Gerichte nach Art 100 Abs 2 GG gelten, nicht aber für die in Art 95 Abs 1 GG genannten Gerichtszweige.
Die Revisionen des Klägers haben insoweit Erfolg, als die Urteile des LSG aufzuheben und die Streitsachen an dieses Gericht zurückzuverweisen sind. Die Berufungsurteile beruhen auf den vom Kläger formgerecht gerügten Verfahrensmängeln der mangelnden Sachaufklärung (§ 162 iVm §§ 103, 164 Abs 2 SGG).
Die begehrte Weitergewährung des Übergangsgeldes ist davon abhängig, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalles auch nach dem 6. Januar 1981 noch arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung war (§ 580 Abs 1 Satz 1 RVO). Außerdem setzt die streitige Verletztenrente voraus, daß die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall andauert (§ 581 Abs 1 Nr 2 iVm § 580 Abs 1 RVO). Das LSG hat dies im wesentlichen mit der Begründung verneint, der Beschwerdekomplex im Bereich der Wirbelsäule sei auf anlagebedingte Wirbelsäulenveränderungen zurückzuführen; außerdem sei die Wesensumwandlung auf eine unfallunabhängige neurotische Fehlhaltung zu beziehen. Mit den Beweisanträgen, denen das LSG nicht gefolgt ist, möchte der Kläger bei nach seiner Meinung noch nicht aufgeklärtem Sachverhalt geklärt wissen, ob die chronischen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule sowie die psychischen Veränderungen durch den Unfall verursacht sind.
Das Klagebegehren könnte schon dann erfolgreich sein, wenn die vom Kläger behauptete psychische Fehlhaltung mit Krankheitswert, die nach seiner Darlegung zur Berufsaufgabe geführt hatte, mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall ursächlich zu beziehen wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung können auch psychische Reaktionen Unfallfolgen im Rechtssinne sein, es sei denn, sie beruhen im wesentlichen auf wunschbedingten Vorstellungen (BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr 61 zu § 542 RVO aF). Einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang hat das Berufungsgericht verneint, weil keiner der gehörten Sachverständigen die angegebenen Wesensmerkmale unmittelbar oder mittelbar auf den Unfall zurückgeführt habe. Gerade diese Feststellung greift die Revision zu Recht mit dem Hinweis an, keiner der Sachverständigen sei zu dieser Frage bisher gehört worden. Der Beweisantrag des Klägers, den Hausarzt Dr. B. als sachverständigen Zeugen sowie mehrere Berufskollegen als Zeugen einzuvernehmen und einen Sachverständigen gutachtlich zu hören, diente dazu, diesen bisher unerörtert gebliebenen Fragenkomplex abzuklären. Dazu hätte sich das LSG veranlaßt sehen müssen, zumal nach dem zutreffenden Vorbringen der Revision beim Kläger deutliche Anhaltspunkte für einen psychischen Versagungszustand bestehen. Immerhin hatte der Sachverständige Prof. Dr. S. vermerkt, der Kläger habe das Bild eines psycho-vegetativen Versagungszustandes geboten, am ehesten im Rahmen einer neurotischen Entwicklung mit Fehlverarbeitung des Unfallereignisses. Zudem hatten Ärzte der Landesnervenklinik A. den Eindruck einer zusätzlichen psychischen Komponente gewonnen. Selbst das LSG geht von psychischen Veränderungen aus. Es deutet sie jedoch als eine neurotische Fehlhaltung, die unfallunabhängig in eine subjekte Leistungsinsuffizienz eingemündet sei; sie sei als bewußtseinsnahe psychogene Wunsch- und Zweckreaktion nicht entschädigungspflichtig. Die Revision rügt zu Recht, dem Berufungsgericht habe zu dieser Würdigung medizinischer Sachverhalte die Befugnis gefehlt. Aus dem Urteil ergeben sich keine Hinweise, daß dem Berufungsgericht Richter angehört hätten, die über die erforderliche medizinische Sachkunde verfügten oder welche anderen Gründe es gerechtfertigt hätten, die ungeklärten medizinischen Fachfragen selbst sachverständig zu beantworten (BSG SozR Nr 33 zu § 103 SGG; Nr 64 zu § 128 SGG). Infolgedessen wird das Berufungsgericht eine eingehende psychiatrische Begutachtung hinsichtlich Art und Umfang des seelischen Versagungszustandes sowie der ursächlichen Bedeutung des erlittenen Arbeitsunfalles im Sinne der Wahrscheinlichkeit nachzuholen haben (vgl hierzu: Empfehlung des Verbands der Rentenversicherungsträger für die sozialmedizinische Beurteilung von psychisch Kranken und Behinderten, DRV 1985, 207, 227 f, 230 f; Möllhoff, "Neurosen" als Behinderung - Beurteilung der MdE, MedSach 1985, 139 f). Ob hierzu die Befragungen des als sachverständigen Zeugen benannten Dr. B. sowie weiterer Zeugen notwendig sind, muß dem noch anzuhörenden Sachverständigen überlassen bleiben. Bejahendenfalls dürfte es geboten sein, deren Einvernahme im Beisein des Sachverständigen durchzuführen, um dadurch eine sachdienliche Fragestellung zu gewährleisten.
Im übrigen wird zu beachten sein, daß bei psychischen Reaktionen äußere Einflüsse nicht deshalb als wesentliche Bedingung für den Erfolg ausgeschlossen werden dürfen, weil bei dem Verletzten gegebenenfalls eine abnorme seelische Bereitschaft vorliegt (BSGE 19, 275, 278 = SozR Nr 174 zu § 162 SGG; vgl hierzu auch Grömig, Medizinisches und Rechtliches zum Problem der Neurose, SozVers 1978, 255). Bei der rechtlichen Wertung ist allerdings - wie ausgeführt - darauf abzustellen, daß wunschbedingte Vorstellungen oder Begehrensvorstellungen außer Betracht zu bleiben haben (BSGE 20, 241, 243 = SozR Nr 23 zu § 35 RKG aF). Davon ist die Unfallrechtsprechung schon bisher ausgegangen (BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr 61 zu § 542 aF RVO).
Rechtfertigt dies allein schon die Aufhebung der Berufungsurteile und Zurückverweisung der Streitsachen an das Berufungsgericht, so ist auch in bezug auf das behauptete Weiterbestehen eines unfallbedingten Wirbelsäulenleidens ein Verfahrensverstoß gegeben. Der Hinweis der Beklagten, allein das Nichtstattgeben eines Beweisantrages sei nicht als Verfahrensfehler zu werten (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5), ist zwar für die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend. Indessen liegt hier ein Verfahrensverstoß deshalb vor, weil die geforderte Beweiserhebung sich dem Berufungsgericht bei dem gegebenen Sachstand aufdrängen mußte (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5).
Der Kläger hatte sich zur Stützung seines Sachvortrags auf die Ausführungen des Prof. Dr. H. bezogen, der den chronischen Beschwerdekomplex an der Wirbelsäule letztlich auf den Unfall bezieht. Er hatte dargetan, daß die praktisch schmerzfreie, altersbedingt veränderte Wirbelsäule durch den Unfall in einen schmerzhaften Zustand hinübergeführt worden sei. Allein daraus durfte das Berufungsgericht nicht folgern, Prof. Dr. H. habe sich lediglich auf Vermutungen gestützt. Zwar mögen andere Formulierungen in seinen ärztlichen Äußerungen und insbesondere die Abschlußbeurteilung "in dubio pro reo" dafür gewisse Anhaltspunkte bieten. Eine eindeutige Aussage läßt sich daraus keinesfalls ableiten. Diese Zweifel konnten nur durch Anhörung des Prof. Dr. H. ausgeräumt werden. Aufgrund dessen hätte Anlaß bestanden, ihn entsprechend zu befragen. Danach hätte es sich gegebenenfalls angeboten, erneut einen orthopädischen oder chirurgischen Sachverständigen von Amts wegen zu hören. In diesem Zusammenhang wird zu beachten sein, daß die Ausführungen des Prof. Dr. H. nicht als Sachverständigengutachten zu werten sind, was insoweit das LSG unerörtert ließ. Die Einholung eines Gutachtens ist insoweit nicht gerichtlich angeordnet (§ 118 Abs 1 SGG iVm § 411 ZPO), vielmehr vom Kläger privat veranlaßt worden. Die ärztlichen Darlegungen, auf die sich der Kläger stützt, sind als Beteiligtenvortrag einzuordnen (BSG SozR Nr 68 zu § 128 SGG; Nr 3 zu § 118 SGG). Dieser Sachvortrag des Klägers darf allerdings aufgrund seines Rechts auf Gehör (Art 103 GG, § 62 SGG), da er rechtserheblich ist, nicht außer acht bleiben (BVerfGE 50, 32, 35; 51, 126, 129); ihm ist im Rahmen der beantragten Sachaufklärung nachzugehen.
Nach alledem waren die Berufungsurteile aufzuheben und die Streitsachen an das LSG zurückzuverweisen, um diesem Gericht Gelegenheit zu der gebotenen weiteren Sachaufklärung zu geben.
Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen