Leitsatz (amtlich)
Das für die Zeit vor Beginn der Wiederherstellungsmaßnahmen zu zahlende Übergangsgeld (RVO § 1241 Abs 1 S 2) hat der für die Rentenleistung zuständige Versicherungsträger - hier: die Verbindungsstelle nach dem Abk Österreich SozSich vom 1966-12-22 idF vom 1969-04-10 zu gewähren (Anschluß an BSG 1970-04-22 12 RJ 36/65 = SozR Nr 19 zu § 1241 RVO).
Normenkette
RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten zu 1. gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 1971 wird zurückgewiesen.
Die Anschlußrevision der Beklagten zu 2. wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagten zu 1. und 2. haben dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Es ist darüber zu befinden, ob dem Kläger das sogenannte vorgezogene Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) von der Landesversicherungsanstalt (LVA) O oder von der LVA B zu zahlen ist.
Die LVA O hatte zunächst die Bewilligung der - im Januar 1965 beantragten - Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt (Bescheid vom 21. Juni 1965) und die LVA B veranlaßt, dem Kläger ein Heilverfahren zu gewähren. Dieses wurde vom 17. Mai bis 21. Juni 1966 durchgeführt. Für diese Zeit erhielt der Kläger Übergangsgeld. Später erkannte die LVA O den Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit an (Bescheid vom 24. April 1967). Ihre Zuständigkeit hierzu bejahte sie als Verbindungsstelle nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit (Art. 42 Abs. 3 und 4) in der Fassung (idF) des Zusatzabkommens vom 10. April 1969 (BGBl II 1969, 1235, 1261). Für den Kläger waren sowohl zur österreichischen Rentenversicherung als auch zur deutschen Arbeiterrentenversicherung Beiträge entrichtet worden. Den Eintritt der Berufsunfähigkeit datierte die LVA O auf den 1. Dezember 1964 zurück, setzte den Beginn der Rente jedoch auf den 22. Juni 1966, also auf den Tag nach dem Ende des Heilverfahrens fest. - Inzwischen erhält der Versicherte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. - Nach Ansicht der LVA O steht dem Kläger für die Zeit vor der Heilbehandlung nicht die Rente sondern das Übergangsgeld zu. Diese Leistung habe, so meint sie, die LVA B zu erbringen, weil diese die Gesundheitsmaßnahmen durchgeführt habe.
Die LVA Baden verneinte ihre Verpflichtung (Bescheid vom 29. August 1967). Ihres Erachtens ist bei einer erfolglos durchgeführten Heilmaßnahme ein "vorgezogenes" Übergangsgeld überhaupt nicht zu zahlen. Es sei der Zweck dieses Übergangsgeldes, im Falle von Rehabilitationsmaßnahmen einen Anspruch auf Rente erst gar nicht entstehen zu lassen; sonst müßte die Rente nach erfolgreichem Abschluß der Maßnahmen wieder entzogen werden. Dieser Zweck könne aber nicht erfüllt werden, wenn die Maßnahmen das erwartete Resultat nicht gehabt hätten.
Das Sozialgericht (SG) hat die LVA Baden zur Zahlung des Übergangsgeldes vom 1. Dezember 1964 bis zum 16. Mai 1966 verurteilt (Urteil des SG Freiburg vom 13. Februar 1968); das zweitinstanzliche Gericht hat der Berufung der LVA B stattgegeben und die LVA O verpflichtet, dem Kläger über die Übergangsgeldgewährung für die streitige Zeit einen neuen Bescheid zu erteilen (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 25. Februar 1971). Das Berufungsgericht stellt es für die Frage, ob Rente oder Wiederherstellungsmaßnahmen mit Übergangsgeld zu bewirken sind, auf die Zeit vor Beginn der Maßnahmen ab. Der von dem Versicherungsträger zu dieser Zeit gefaßte Entschluß könne nicht nachträglich rückgängig gemacht werden. Leistungsverpflichtet sei die LVA O, weil von ihr auch die Rente zu erbringen gewesen wäre (BSG SozR Nr. 19 zu RVO § 1241).
Die LVA O hat Revision eingelegt; sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die LVA B zur Leistung zu verurteilen. Sie hält das angefochtene Urteil und damit die gleichgerichtete Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. April 1970 (SozR Nr. 19 zu RVO § 1241) für unvereinbar mit § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO und dem Satzungsrecht der Rentenversicherungsträger. Satz 2 des § 1241 Abs. 1 RVO liest sie im Zusammenhang mit dem Satz 1 aaO. Danach habe der Versicherungsträger, der die Wiederherstellungsmaßnahmen durchführe, auch das Übergangsgeld zu gewähren. Hieran knüpfe Satz 2 der angeführten Vorschrift für "das" Übergangsgeld, also auch für das vorgezogene Übergangsgeld an. Dieses habe somit der für die Maßnahmen verantwortliche Versicherungsträger aufzuwenden. Diese Auffassung habe in den Richtlinien vom 14. Mai 1962 (früher: Stuttgarter Abkommen) ihren Niederschlag gefunden (§ 5 Abs. 4 iVm Abs. 3 des vorbezeichneten Abkommens). Auf diese Richtlinien hätten sich die Rentenversicherungsträger geeinigt; sie seien in das Satzungsrecht der LVA O eingegangen.
Die LVA B hat Anschlußrevision eingelegt; sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben, die Revision zurückzuweisen und die LVA O zu verurteilen, für die streitige Zeit Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Der Kläger ist im gegenwärtigen Rechtszuge nicht vertreten.
Die Revision ist unbegründet. Die LVA O ist verpflichtet, dem Kläger das vorgezogene Übergangsgeld gemäß § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO zu leisten. Dies folgt daraus, daß ihr die Feststellung und Gewährung der Rente obläge, wenn an deren Stelle nicht Übergangsgeld zu zahlen wäre. Die Rentenverpflichtung der LVA O ergibt sich aus ihrer Aufgabe als Verbindungsstelle nach Art. 42 Abs. 4 des deutschösterreichischen Abkommens über Soziale Sicherheit.
Dieses Abkommen begründet allerdings die Zuständigkeit der Verbindungsstelle ausdrücklich nur für die Rentenverpflichtungen und für Beitragserstattungen. Darüber hinaus sind indessen durch die zwischenstaatliche Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens (BGBl 1969 II, 1258, 1269) der Verbindungsstelle auch "alle sonstigen Verwaltungsmaßnahmen" übertragen. Ob sich der Begriff der Verwaltungsmaßnahmen auf andere als die im Abkommen selbst angeführten Regelleistungen bezieht oder ob er enger zu verstehen ist, kann auf sich beruhen. Die Regelung deutet jedenfalls auf die Absicht hin, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und dem Versicherten die Rechtsverfolgung dadurch zu erleichtern, daß alle von einem Versicherungsträger wahrzunehmenden Funktionen bei einer Stelle konzentriert sind. Für eine Aufspaltung der Verantwortlichkeiten innerhalb der jeweils betroffenen Staaten bietet sich kein Anhalt. Im Gegenteil, die Verbindungsstelle, die über die Rentenberechtigung zu befinden hat, muß natürlicherweise auch zu dem Entschluß befugt sein, daß statt einer - an sich zustehenden - Rente Wiederherstellungsmaßnahmen geleistet werden. Daß dann die von ihrer Entschließung abhängigen Heilbehandlungen und Berufsförderungen nicht in einen fremden Dienstbereich fallen, sondern ebenfalls von ihr durchgeführt werden, erscheint naheliegend und sinnvoll. Auf diese Weise werden Doppelzuständigkeiten vermieden und das Ziel erreicht, daß ein Lebenssachverhalt möglichst durch eine Dienststelle bearbeitet wird. Von dem Gedanken des Sachzusammenhangs und der Zweckmäßigkeit her ist in der Regel die Zuordnung einer Verwaltungsangelegenheit an diesen oder jenen Träger zu bestimmen, sofern nicht das Gesetz eine abweichende Regelung trifft. Ist von dieser Leitlinie in Bezug auf den gesetzlichen Auftrag der Verbindungsstelle auszugehen, weil insoweit eine positive Kompetenzzuweisung für Rehabilitationsmaßnahmen fehlt, so vermögen Absprachen der Versicherungsträger daran nichts zu ändern. Die Aufgabenverteilung muß unabhängig vom Fortbestand eines freiwilligen Einvernehmens der Selbstverwaltungskörperschaften gelten, damit Kompetenzüberschneidungen oder Zuständigkeitslücken vermieden werden. Deshalb ist es freilich nicht ausgeschlossen, daß sich die Verbindungsstelle beim konkreten Verwaltungsvollzug der Hilfe derjenigen Versicherungsanstalt bedient, die ihr Arbeitsfeld in dem Bezirk hat, in dem der Versicherte wohnt, sich aufhält oder beschäftigt ist. Dadurch verlagert sich der der Verbindungsstelle einheitlich und originär zugewiesene Wirkungskreis nicht.
Ob bereits aus diesen Überlegungen heraus die Verbindungsstelle die Last trifft, dem Kläger das Übergangsgeld für die streitige Zeit zu zahlen, braucht in diesem Rechtsstreit nicht abschließend beantwortet zu werden. Die Entscheidung kann bereits auf eine weniger weitgreifende Erwägung gestützt werden. Der 12. Senat des BSG hat in dem in SozR Nr. 19 zu RVO § 1241 veröffentlichten Urteil ausgeführt, daß zwischen den in § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO näher bezeichneten Rentenarten und dem vorgezogenen Übergangsgeld eine enge Verknüpfung bestehe; die eine Leistung trete an die Stelle der anderen. Weil das Übergangsgeld die Rente ersetze und den Rentenanspruch verdränge, könnte die Pflicht zur Leistung des einen oder des anderen nur einheitlich beurteilt werden. Daraus ergebe sich, daß derjenige Rentenversicherungsträger, der eine der aufgeführten Renten hätte zahlen müssen, auch das vorgezogene Übergangsgeld zu erbringen habe. Dies gelte selbst dann, wenn - wie hier - ein anderer Rentenversicherungsträger die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten durchführe. - Diesem Gedankengang schließt sich der erkennende Senat an. Er sieht darin einen Anwendungsfall der allgemeineren - oben angestellten - Überlegung über die aus dem Sachzusammenhang folgende Zuständigkeit (Bedenken gegen die Entscheidung des 12. Senats äußert Zimmer in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1970, 420).
Die von der Revision gegen die Rechtsauffassung des 12. Senats vorgetragenen Bedenken setzen beim Wortlaut des Gesetzes an. Daraus wird entnommen, daß "das" Übergangsgeld, von dem in § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO die Rede ist, die gleiche, zeitlich nur vorverlegte Leistung sei wie diejenige, über die Satz 1 der Vorschrift handelt. Damit ist jedoch die kontinuierliche Identität der Personen des Leistungsschuldners nicht zwingend vorgeschrieben; die gleiche Schuld kann für aufeinanderfolgende Zeitabschnitte von unterschiedlichen Schuldnern erfüllt werden. Im übrigen ergibt sich die Identität des Verpflichteten zwanglos, wenn man von der eingangs beschriebenen umfassenden Zuständigkeit der Verbindungsstelle ausgeht. Dies ist im vorliegenden Fall die LVA O.
Diese hat, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, für die vor Beginn des Heilverfahrens liegende Zeit der Rentenberechtigung Übergangsgeld und nicht Rente zu gewähren. Für dieses Ergebnis ist unerheblich, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die ihm gewährte Kur nicht wiederhergestellt werden konnte. § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO stellt es darauf ab, ob der Betreute "vor Beginn der Maßnahmen" Antrag auf Rente gestellt hat. Bejahendenfalls ist das Übergangsgeld bereits vor dem Anfang der Wiederherstellungsleistungen von dem Termin an zu zahlen, von dem an der Berechtigte sonst Rente bezogen hätte. Der für die Beurteilung des Sachverhalts maßgebliche Zeitpunkt liegt also "vor Beginn der Maßnahmen" (vgl. dazu auch Abs. 2 Satz 1 des § 1241 RVO). Dies entspricht der Absicht des Gesetzes, dessen Anwendung von einer Prognose abhängt, nämlich davon, daß der Rehabilitationsversuch eine Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten verspricht (§ 1236 Abs. 1 RVO). Für die Erreichung dieses Zieles sieht es der Gesetzgeber als wesentlich an, "daß der Betreute während der Dauer der Maßnahmen von wirtschaftlichen Sorgen unbelastet bleibt" (Begründung zu § 1246 des Entwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes, Bundestagsdrucksache II 2437). Deshalb sind "im Zusammenhang mit" den Maßnahmen Geldleistungen in Form eines "Übergangs"geldes zu bewirken, "das nicht nach Art einer Rente gestaltet" ist, damit der Betreute sich von vornherein nicht auf Rentenbezug einstellt. Für den Gesetzesinhalt sind sonach die ihm innewohnende Blickrichtung einer Vorausschau, ferner das Ziel einer sogleich zu verwirklichenden wirtschaftlichen Sicherstellung des Betreuten und schließlich der Charakter des "Übergangs"geldes als einer vorübergehenden finanziellen Hilfe kennzeichnend. Diese Kriterien lassen es als nicht gerechtfertigt erscheinen, daß der Versicherungsträger die Entscheidung über den Anspruch auf Übergangsgeld hinausschiebt, bis der Ausgang der Wiederherstellungsbemühungen feststeht. Ist bei einem Mißlingen aus der Rückschau heraus der Zweck des Gesetzes - die Rentengewährung zu vermeiden - auch nicht mehr zu verwirklichen, so kann doch dies an dem vom Gesetz Gewollten nichts ändern. Eine solche rückblickende Betrachtungsweise entspricht nicht der Vorstellung des Gesetzgebers; sie ist durch ein abwartendes Verhalten des Versicherungsträgers veranlaßt, der dem Berechtigten die ihm zur gegebenen Zeit zustehende Leistung ohne rechtfertigenden Grund vorenthalten hat. Das Gesetzesziel war zwar - wie sich hinterher und objektiv gesehen herausgestellt hat - niemals zu erfüllen. Mit der Ungewißheit der Zweckerfüllung ist indessen jede Vorhersage über eine künftige Entwicklung belastet. Davon ist stets auszugehen, wenn sich der Versicherungsträger zur Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens entschließt. Diesen Entschluß darf er nur fassen, wenn er mit der Abwendung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und sonach mit der Möglichkeit rechnet, die Rentenverpflichtung werde entfallen. Auf diese Möglichkeit und nicht auf den tatsächlichen Erfolg oder Nichterfolg der Heilbehandlung ist abzuheben. Daß diese Möglichkeit von Anfang an nicht bestanden habe, ist nach dem festgestellten Sachverhalt nicht anzunehmen. Infolgedessen ist die Forderung auf Zahlung des Übergangsgeldes begründet.
Das LSG hat richtig entschieden.
Die Anschlußrevision der LVA B ist nicht rechtzeitig angebracht worden. Der Schriftsatz, der die Anschließungsanträge und die Begründung hierzu enthält, ist am 6. August 1971 bei dem Bundessozialgericht eingegangen. Zu dieser Zeit war die maßgebliche Frist verstrichen. Diese Frist endete am 2. Juni 1971. Sie fiel zusammen mit der Frist zur Begründung der Revision. Bis zu deren Ablauf war die Anschließung vorzunehmen (§§ 556 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung, 202 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; BSG 8, 24, 29; 19, 112, 114). Gründe, welche eine Wiedereinsetzung der Anschlußrevisionsklägerin in den vorigen Stand rechtfertigen könnten (§ 67 SGG), sind nicht dargetan worden oder ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen