Leitsatz (amtlich)

Die Verpflichtung des Trägers der Rentenversicherung zur Zahlung von Übergangsgeld nach RVO § 1244a Abs 6 Buchst b endet auch dann spätestens nach insgesamt zwei Jahren der ambulanten Heilbehandlung oder Krankenpflege, wenn wegen derselben Erkrankung zwischenzeitlich stationäre Heilbehandlung gewährt wurde.

 

Normenkette

RVO § 1244a Abs. 6 Buchst. b Fassung: 1959-07-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. September 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der - bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) versicherte - Beigeladene wurde in der Zeit von 1960 bis August 1968 wegen einer Lungentuberkulose ärztlich behandelt. In dieser Zeit wechselten stationäre und ambulante Behandlungen miteinander ab. Während der stationären Heilbehandlungen erhielt er von der beklagten LVA Übergangsgeld.

Diese Leistung erbrachte die Beklagte auch während der ambulanten Behandlungen, aber nur für die Dauer von insgesamt zwei Jahren. In der Folgezeit wurde der Beigeladene von dem zuständigen Sozialhilfeträger des Klägers unterstützt.

Der Kläger ist der Auffassung, daß dem Beigeladenen auch während der ambulanten Heilbehandlung in der Zeit nach dem 3. Dezember 1966 - bis zu diesem Tag hatte die Beklagte die Leistung erbracht - ein Anspruch auf Übergangsgeld zugestanden habe. Die Zweijahresfrist des § 1244 a Abs. 6 Buchst. b der Reichsversicherungsordnung (RVO) beginne nämlich nach jeder stationären Heilbehandlung neu. Nur eine ununterbrochene ambulante Behandlung von zwei Jahren berechtige den Träger der Rentenversicherung, die Zahlung des Übergangsgeldes einzustellen. - Den vorbezeichneten Anspruch hat der Kläger nach § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf sich übergeleitet.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts - SG - Hannover vom 21. März 1969 und des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 16. September 1970). In den Gründen seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem Beigeladenen habe für die Zeit der ambulanten Heilbehandlung nach dem 3. Dezember 1966 kein Anspruch auf Übergangsgeld zugestanden. Die Zweijahresfrist des § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO beginne nicht nach jeder stationären Tuberkuloseheilbehandlung neu. Vielmehr sei Übergangsgeld nur für die Höchstdauer von insgesamt zwei Jahren der ambulanten Behandlung zu zahlen, wenn - wie hier - die Behandlung ein und dieselbe Erkrankung betreffe. Diese Auslegung sei in erster Linie dem Sinn der Vorschrift zu entnehmen; sonst werde den Trägern der Rentenversicherung eine unzumutbare Belastung auferlegt. Die von der Beklagten getroffene Entscheidung sei nicht zu beanstanden.

Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe die Vorschrift des § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO unrichtig ausgelegt. Er beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm das Übergangsgeld aus der Versicherung des Beigeladenen für die Zeit vom 4. Dezember 1966 bis 3. August 1968 zu zahlen, soweit er diesem Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt habe.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zu Recht dahin entschieden, daß dem Beigeladenen über den 3. Dezember 1966 hinaus für die Zeit der ambulanten Heilbehandlung oder Krankenpflege (vgl. § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO) kein Anspruch auf Übergangsgeld zustand. Der Kläger konnte einen solchen Anspruch daher nicht auf sich überleiten.

Die vom Träger der Rentenversicherung im Falle der Erkrankung eines Versicherten an einer aktiven behandlungsbedürftigen Tuberkulose zu erbringenden Leistungen sind in § 1244 a RVO aufgeführt. Neben Sachleistungen gehört dazu die Gewährung von Übergangsgeld. Diese Leistung ist bei stationärer Heilbehandlung nach § 1244 a Abs. 3 RVO praktisch ohne zeitliche Begrenzung zu erbringen (§ 1244 a Abs. 6 Buchst. a RVO). Anders ist es bei ambulanter Heilbehandlung und Krankenpflege. In diesen Fällen ist die Zahlungsverpflichtung des Trägers der Rentenversicherung an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft und außerdem schreibt das Gesetz eine zeitliche Begrenzung vor. In § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO ist bestimmt, daß Übergangsgeld zu zahlen ist für die Dauer der ambulanten Heilbehandlung nach Absatz 3 oder für die Dauer der Krankenpflege nach vorausgegangener stationärer Heilbehandlung nach Absatz 3, jedoch nur bei Arbeitsunfähigkeit im Sinne der sozialen Krankenversicherung, längstens für zwei Jahre. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat die Beklagte während einer Zeitspanne von insgesamt 2 Jahren ambulanter Behandlungen wegen der Tuberkuloseerkrankung des Versicherten Übergangsgeld gezahlt. Eine weitergehende Verpflichtung der Beklagten könnte nur bestehen, wenn die - durch stationäre Behandlungen unterbrochenen -- Zeiten der ambulanten Behandlungen nicht zusammengerechnet werden dürften. Der Auffassung des Klägers, die Zweijahresfrist beginne jeweils nach Durchführung einer stationären Heilbehandlung neu zu laufen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Im Gesetz findet sich für diese Meinung kein hinreichender Anhalt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die stationäre und die ambulante Behandlung wegen derselben Erkrankung durchgeführt werden und die einzelnen Behandlungsabschnitte einander ohne nennenswerten Zeitabstand folgen. Zwar ist in § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO die vorausgegangene stationäre Heilbehandlung erwähnt. Sie steht jedoch schon dem Wortlaut nach allein im Zusammenhang mit der Krankenpflege ("für die Dauer ihrer ambulanten Heilbehandlung nach Absatz 3 oder für die Dauer ihrer Krankenpflege nach vorausgegangener stationärer Heilbehandlung nach Absatz 3").

Dieser Gesetzesfassung kommt nach der Auffassung des Senats Bedeutung zu. "Heilbehandlung" ist die Behandlung, die vom Träger der Rentenversicherung veranlaßt wird (vgl. § 1237 RVO), dagegen wird "Krankenpflege" vom Träger der Krankenversicherung gewährt (vgl. § 182 RVO). Dies macht deutlich, daß im Rahmen der - vom Träger der Rentenversicherung gewährten - ambulanten Heilbehandlung eine von ihm veranlaßte stationäre Behandlung in Bezug auf das Übergangsgeld keine Rolle spielen kann. In einem solchen Fall hat der Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld zu zahlen, weil er zugleich die im Rahmen der Behandlung erforderliche Sachleistung erbringt, nicht etwa deshalb, weil zuvor von ihm eine Sachleistung - die stationäre Heilbehandlung - erbracht worden ist. Die zeitliche Begrenzung der Leistung auf längstens zwei Jahre trägt auch dem Sinngehalt des Gesetzes Rechnung. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß die Maßnahmen des § 1244 a RVO - jedenfalls auch - der Tuberkulosebekämpfung im Sinne einer Seuchenbekämpfung dienen (vgl. BSG in SozR Nr. 18 - 20 zu § 1244 a RVO). Die Träger der Rentenversicherung gehören zu den Stellen, die zur Tuberkulosebekämpfung berufen sind (vgl. § 132 BSHG). Ihnen sind aus diesem Grunde Verpflichtungen auferlegt worden, die sonst nicht in ihr Aufgabengebiet fallen. Ziel der Tuberkulosebekämpfung ist es, die Heilung des Erkrankten zu fördern und zu sichern sowie seine Umgebung gegen die Übertragung der Tuberkulose zu schützen (§ 48 BSHG). Die Aufbürdung so weitgehender Verpflichtungen rechtfertigt auf der anderen Seite die in § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO festgelegte zeitliche Begrenzung hinsichtlich der Erbringung von Barleistungen. Gäbe es sie nicht, so könnte dies im Einzelfall bedeuten, daß der Träger der Rentenversicherung eine rentenähnliche Leistung auf unbestimmte Dauer auch dann erbringen müßte, wenn die Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt sind und auch nicht mehr erfüllt werden können. Dies ist nicht Aufgabe der Rentenversicherung. Der hieraus resultierenden wortgetreuen Auslegung des Gesetzes - "längstens für 2 Jahre" - kann nicht entgegengehalten werden, daß die zeitliche Begrenzung des Übergangsgeldes nach § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO auf dem Gebiete der Rentenversicherung eine Ausnahme darstelle und deshalb eine Interpretation in dem Sinne geboten sei, daß die Zweijahresfrist nach jeder stationären Heilbehandlung neu beginne (vgl. Luber "Tuberkulosehilfe" Anh. B, § 1244 a RVO, Anm. 21 c). Auch bei Durchführung von eigentlichen Rehabilitationsmaßnahmen (§§ 1236 ff RVO) wird Übergangsgeld nicht zeitlich unbegrenzt gewährt. Die Zahlungsverpflichtung endet, wenn der Zweck der Maßnahme - Erhaltung, Besserung, Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit - erreicht ist, oder wenn feststeht, daß er nicht erreicht werden kann. Eine länger als 2 Jahre dauernde Zahlungsverpflichtung des Trägers der Rentenversicherung wird sich nur in Ausnahmefällen ergeben können.

In dem vorliegenden Fall lassen die Feststellungen des LSG nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, ob es sich bei den ambulanten Behandlungen um Heilbehandlung oder um Krankenpflege gehandelt hat. Dies kann jedoch offen bleiben. Auch für den Fall der - vom Träger der Krankenversicherung erbrachten - Krankenpflege vermag sich der Senat der Meinung des Klägers nicht anzuschließen. Die Verpflichtung des Trägers der Rentenversicherung, im Falle der Tuberkulosebehandlung auch Barleistungen zu erbringen, ist in der Regel deshalb begründet, weil er selbst durch die Gewährung der Heilbehandlung unmittelbaren Einfluß auf die Erkrankung ausüben und deshalb deren Dauer beeinflussen kann. Eine Ausnahme macht die Vorschrift des § 1244 a Abs. 6 Buchst. b RVO, die den Rentenversicherungsträger verpflichtet, Barleistungen auch dann zu erbringen, wenn die ambulante Behandlung vom Träger der Krankenversicherung durchgeführt wird. Gleichwohl ist auch hier die Möglichkeit des Trägers der Rentenversicherung, den Verlauf der Erkrankung zu beeinflussen, nicht ohne Bedeutung geblieben. Nur dann, wenn er zuvor stationäre Heilbehandlung gewährt hat, soll ihn für die anschließende Zeit eine Zahlungsverpflichtung treffen. Er hat Übergangsgeld zu zahlen, weil er die stationäre Behandlung durchgeführt und hierdurch die Art der Behandlung richtungweisend bestimmt hat. Hieraus ergibt sich zwar eine Ausstrahlung auf die folgende ambulante Behandlung, sie verliert jedoch mit der Zeit immer mehr an Intensität. An einer unmittelbaren Einflußnahme durch den Träger der Rentenversicherung fehlt es in dieser Zeit. Diese Betrachtungsweise verbietet eine ausweitende Gesetzesinterpretation. Sie rechtfertigt es, bei ambulanter Krankenpflege die Zeit, in der Übergangsgeld zu zahlen ist, auch dann auf längstens 2 Jahre zu beschränken, wenn zwischenzeitlich stationäre Heilbehandlung gewährt wurde.

Die Revision des Klägers ist hiernach zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669405

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