Orientierungssatz
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Belastung eines Versicherten durch die Arbeit als Slipmeister bei der Vorbereitung eines Stapellaufs eine rechtlich wesentliche Teilursache für dessen Herztod ist.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 23. März 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts Wegen.
Gründe
I
Der ... 1899 geborene Ehemann der Klägerin, A Sch..., war zuletzt als Slipmeister auf einer Werft in. T... beschäftigt. Am 6. November 1954, 5,45 Uhr, brach er bei den Vorbereitungsarbeiten für einen Stapellauf auf der Arbeitsstelle tot zusammen. Die Beklagte ließ durch das Ordnungsamt der Stadt L... Arbeitskameraden als Zeugen vernehmen und zog vom Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität K..., das eine Leichenöffnung vorgenommen hatte, ein Gutachten vom 14. April 1955 bei (Prof. Dr. H... Dozent Dr. I...).
Durch Bescheid vom 28. Juli 1955 lehnte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente mit der Begründung ab, es handele sich um einen Tod infolge unfallfremder Erkrankung, eine wesentliche Verschlimmerung dieser Erkrankung durch die dem Tod vorausgegangene Betriebsarbeit könne nicht wahrscheinlich gemacht werden.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Lübeck Klage erhoben.
Das SG hat eine gutachtliche Äußerung von Prof. Dr. C... (Städtisches Krankenhaus L...) vom 22. September 1955 beigezogen und im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 1955 den als Oberarzt am Krankenhaus L... tätigen Facharzt für Chirurgie Dr. J... als Sachverständigen gehört. Es hat durch Urteil vom 20. Oktober 1955 die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Schleswig Berufung eingelegt. Das LSG hat in der mündlichen Verhandlung den Facharzt für innere Medizin, Prof. Dr. A..., als Sachverständigen gehört und durch Urteil vom 23. März 1956 die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.
Die Revision ist vom LSG zugelassen worden.
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der Begriff des Arbeitsanfalls setze Einwirkungen höchstens innerhalb einer Arbeitsschicht voraus. Hier handele es sich aber um getrennte Arbeitsschichten an zwei Arbeitstagen, zwischen denen immerhin eine Ruhepause von sechs Stunden gewesen sei. Am Todestage habe der Ehemann der Klägerin erst eine Arbeitszeit von etwa 45 Minuten hinter sich gehabt. Die in dieser Zeit verrichtete Arbeit habe wohl besondere Kraftanstrengungen erfordert, sei jedoch nicht über das betriebsübliche Maß hinausgegangen. Der Senat habe keine Bedenken gehabt, den Aussagen der Arbeitskollegen Glauben zu schenken, wenn auch die Zeugen nur vom Ordnungsamt und nicht von einer richterlichen Instanz gehört worden seien. Aber selbst bei Unterstellung eines tödlichen Arbeitsunfalls seien Entschädigungsansprüche nicht begründet. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden. Der Tod sei durch Herzkammerflimmern bei akuter Coronarthrombose und ganz frischem Infarkt, schwerer Coronarsklerose und Herzmuskelverschiebung eingetreten. Ein frischer Thrombus sei der unmittelbare Anlaß zum akuten. Herzversagen gewesen. Auch ohne diesen Befund sei der plötzliche Herztod durch die hochgradigen Veränderungen des Herzmuskels und der Herzkranzgefäße zu erklären. Bluthochdruck und stärkere Füllung des Magens hätten die Versagensbereitschaft des schwer geschädigten Herzens erhöht. Der Tod sei deshalb infolge einer schicksalsmäßigen Erkrankung des Herzens eingetreten, die auch jederzeit ohne äußere und innere Belastung hätte zum Tod führen können. Die Arbeit sei keine wesentliche Bedingung für den Eintritt des Todes, sondern nur Gelegenheitsursache. Es sei nicht ausreichend wahrscheinlich, daß die Arbeitsleistung einen um mindestens ein Jahr verfrühten Todeseintritt herbeigeführt hätte. Die betriebliche Tätigkeit sei somit keine wesentliche Teilursache für den Tod des Ehemanns der Klägerin. Die Revision sei zugelassen worden, weil Zweifel darüber bestehen könnten, ob nicht doch, entsprechend der Auffassung der Klägerin, die den Arbeitsablauf eines Stapellaufs umfassende Zeitspanne, auch wenn sie sich über mehr als eine Arbeitsschicht erstrecke, noch als ausreichend kurzer Zeitraum angesehen werden könne, um die Annahme einer zeitlich begrenzten Einwirkung zu rechtfertigen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil, das ihr am 19. Juni 1956 zugestellt worden ist, am 13. Juli 1956 Revision eingelegt und sie am 18. August 1956 begründet.
Sie beantragt,
die Urteile des SG und des LSG sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Hilfsweise beantragt sie,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
Sie ist auch durch Zulassung statthaft. Der Ausspruch der Zulassung im Tenor des Urteils enthält keine Einschränkung. Der vorletzte Absatz des Urteils gibt lediglich die Gründe wieder, die das LSG zur Zulassung der Revision veranlaßt haben, enthält jedoch keine Ausführungen, aus denen zu entnehmen ist, daß das LSG die Revision auf die Nachprüfung dieser Frage beschränken wollte. Es handelt sich also nicht um eine nur auf eine Rechtsfrage beschränkte Revisionszulassung (vgl. hierzu BSG 3, 135, 138). Die Revision ist somit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Die Revision rügt als Verfahrensmangel, das LSG habe es unterlassen, die vom Ordnungsamt der Stadt L... vernommenen Zeugen selbst zu vernehmen. Das in der Revisionsbegründungsschrift enthaltene Vorbringen, das LSG habe unzulässigerweise die Polizei mit dieser Vernehmung beauftragt, beruht offensichtlich auf einem Irrtum; denn die Vernehmung in T... am 6. Dezember 1954 war während des Verwaltungsverfahrens der Beklagten von dieser entsprechend §§ 1559 ff. RVO veranlaßt worden. Das. LSG hat auch nicht gegen verfahrensrechtliche Vorschriften verstoßen, indem es seine Feststellungen über die Vorgänge am Tage des Todes des Ehemannes der Klägerin ausschließlich auf die - sehr ausführliche - Niederschrift über die Zeugenvernehmung durch das Ordnungsamt gestützt und davon abgesehen hat, die Zeugen selbst nochmals zu vernehmen. Die Klägerin hat weder vor dem SG noch vor dem LSG die Richtigkeit der Aussagen bezweifelt oder Tatsachen vorgetragen, aus denen sich Zweifel hinsichtlich der Vollständigkeit oder Richtigkeit der Vernehmungsniederschrift ergeben könnten. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern das LSG eine weitere Sachaufklärung durch nochmalige Vernehmung der Zeugen hätte für erforderlich halten müssen.
Auch die Rüge der Revision ist nicht begründet, das LSG habe verkannt, daß zwischen den Auffassungen der Sachverständigen Prof. Dr. H..., Prof. Dr. C... und Oberarzt Dr. J... "erhebliche Differenzen" bestünden, und habe das Gutachten des Oberarztes Dr. J..." nicht zutreffend gewürdigt".
Das LSG hat seine Feststellungen mit ausführlicher Begründung auf das vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität K... (Prof. Dr. H..., Dozent Dr. I...Ch...) erstattete Gutachten vom 14. April 1955 und auf das in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erstattete Gutachten des Prof. Dr. A... gestützt. Es hat das Gutachten des Oberarztes Dr. J... ausführlich wiedergegeben und dabei hervorgehoben, daß Dr. J... die schwere Arbeit i.V.m. der seelischen Belastung durch die Verantwortung als Slipmeister als eine Teilursache des Todes angesehen hat. Die Revision hat nicht dargelegt, inwiefern das LSG die Grenzen des Rechts der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 128 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) dadurch überschritten hat, daß es den Auffassungen des Sachverständigen Prof. Dr. C... und Oberarzt Dr. J... nicht gefolgt ist.
Die tatsächlichen Feststellungen, auf denen das Urteil des LSG beruht, sind somit für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Das LSG ist auf Grund der Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H... und Prof. Dr. A... zu folgenden tatsächlichen Feststellungen gelangt; Der Tod des Ehemannes der Klägerin sei durch Herzkammerflimmern bei akuter Coronarthrombose und ganz frischem Infarkt, schwerer Coronarsklerose und Herzmuskelverschiebung eingetreten; es habe ein kleiner frischer Thrombus bestanden, der unmittelbar Anlaß zum akuten Herzversagen gewesen sei. Auch ohne diesen Befund sei aber ein plötzlicher Herztod allein auf Grund der hochgradigen Veränderungen des Herzmuskels und der Herzkranzgefäße zu erklären. In der Hinterwand der linken Herzkammer seien Veränderungen festgestellt worden, die auf einen frischen, in der Bildung befindlichen Infarkt hindeuten. Es habe ein Bluthochdruck bestanden, und der Magen habe eine stärkere Füllung aufgewiesen. Beides habe die Versagensbereitschaft des schwer geschädigten Herzens erhöht. Die Erkrankung des Ehemannes der Klägerin hätte jederzeit auch ohne äußere oder innere Belastungen zum Tode führen können, und es sei nicht ausreichend wahrscheinlich, daß die Arbeitsleistung einen um mindestens ein Jahr verfrühten Todeseintritt herbeigeführt habe.
Das LSG hat zwar das Bestehen von Entschädigungsansprüchen in erster Linie verneint, weil es der Auffassung ist, daß die Arbeit am Todestag für sich allein keine wesentliche Ursache für den Eintritt des Todes sein könne, die Belastung durch die Arbeit am Vortage aber aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt werden dürfe.
Für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche ist das jedoch ohne Bedeutung; denn das LSG hat bei seinen weiteren Ausführungen die Gesamtbelastung durch die Vorbereitung des Stapellaufs berücksichtigt und ist auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß auch dann die Belastung durch die Arbeit neben der schweren Erkrankung des Ehemannes der Klägerin nicht als rechtlich wesentliche Teilursache des Todes anerkannt werden kann.
Die Revision ist somit unbegründet und war zurückzuweisen (§ 170 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Fundstellen