Orientierungssatz
Beitragserstattung in der Angestelltenversicherung - Berufungsausschluß bei einmaliger Leistung iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG:
Die Berufung gegen ein sozialgerichtliches Urteil ist ausgeschlossen, wenn sie eine einmalige Leistung iS von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, wie sie die Geltendmachung eines Beitragserstattungsanspruchs in der Angestelltenversicherung darstellt, betrifft und wenn außerdem weder die Zulassung der Berufung im Urteil erkennbar ausgedrückt (§ 150 Nr 1 SGG) noch ein wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird (§ 150 Nr 2 SGG).
Normenkette
AVG § 82 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 5 Fassung: 1957-02-23; AVG § 10 Fassung: 1957-02-23; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1, § 150 Nrn. 1-2; RVO § 1303 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1233 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 25.09.1959) |
SG Berlin (Entscheidung vom 04.03.1958) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. September 1959 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 1958 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt nach § 82 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Beklagten die Erstattung der 47 Monatsbeiträge, die sie im Land Berlin in der Zeit bis Juni 1957 zur Rentenversicherung der Angestellten (AnV) entrichtet hat. Die Beklagte lehnte den hierauf gerichteten Antrag ab: Die Beitragserstattung nach der genannten Vorschrift setze voraus, daß die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfalle, ohne daß ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung bestehe; die Klägerin habe aber in der Zeit von Mai 1956 bis Januar 1957 freiwillige Beiträge zur AnV geleistet und sei deshalb nach Art. 2 § 5 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt (Bescheid vom 28.10.1957). Das Sozialgericht Berlin wies die Klage mit Urteil vom 4. März 1958 ab; in der Rechtsmittelbelehrung ist gesagt, gegen das Urteil sei das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Auf die Berufung der Klägerin änderte das Landessozialgericht Berlin - unter Zulassung der Revision - das Urteil des Sozialgerichts dahin ab, daß der Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt wurde, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Erstattung der Hälfte der für die Zeit nach den 24. Juni 1948 entrichteten Beiträge zu erteilen (Urteil vom 25.9.1959).
Die Beklagte legte gegen das Urteil des Landessozialgerichts Revision ein mit dem Antrag,
unter Aufhebung dieses Urteils die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Sie begründete die Revision, indem sie eine Verletzung der Vorschriften in §§ 10, 82 Abs. 1 AVG und Art. 2 § 5 AnVNG rügte. Nach ihrer Auffassung schließt das in Art. 2 § 5 AnVNG gegebene Recht zur freiwilligen Weiterversicherung die Beitragserstattung nach § 82 Abs. 1 AVG aus.
Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Revision.
Sie wurde im Verlauf des Revisionsverfahrens auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei Streit über Beitragserstattungen sowie auf das Urteil vom 16. Februar 1961 (BSG 14, 33) hingewiesen, in dem der 3. Senat des Bundessozialgerichts entschieden hat, ein Anspruch auf Beitragserstattung nach § 1303 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (= § 82 Abs. 1 AVG) bestehe auch dann nicht, wenn die Versicherung nach Art. 2 § 4 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - (= Art. 2 § 5 AnVNG) fortgesetzt werden kann.
Der Senat konnte über die Revision der Beklagten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil sich beide Beteiligte mit dieser Art der Urteilsfindung einverstanden erklärt haben.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Ergebnis auch begründet. Das Landessozialgericht hat die Voraussetzungen für sein Tätigwerden nicht richtig gesehen und zu Unrecht eine Sachentscheidung über die von der Klägerin eingelegte Berufung getroffen.
Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Hierzu gehört auch die Zulässigkeit der Berufung (BSG 2, 225 und 245; 3, 124, 126). Das Landessozialgericht ist in seinem Urteil davon ausgegangen, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts sei zulässig. Dieser Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden. Das Verlangen der Klägerin nach Erstattung der Beitragsanteile gemäß § 82 Abs. 1 AVG betrifft eine einmalige Leistung im Sinne, von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG; auf solche Ansprüche findet § 149 SGG keine Anwendung. In diesem Sinne hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts wiederholt entschieden (BSG 10, 186; 14, 33), der erkennende Senat tritt dieser Auffassung nach eigener Prüfung der Rechtslage bei. Zwar hat er in einem früheren Urteil bei Ansprüchen auf Erstattung der Beiträge nach § 74 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes (GG) eine andere Auffassung vertreten (BSG 5, 204); er hat diese Auffassung aber nicht aufrechterhalten und sich der Ansicht angeschlossen, daß Ansprüche auf Erstattung zu Recht geleisteter Beiträge unter § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG fallen (vgl. SozR § 74 G 131 Bl. Aa 4 Nr. 9 und Urteil vom 15.9.1960 - 1 RA 147/58-). An dieser Rechtsauffassung ist auch im vorliegenden Streitfall, der die als Regelleistung bezeichnete (§ 12 Nr. 4 AVG) Beitragserstattung nach § 82 Abs. 1 AVG betrifft, festzuhalten. In einem derartigen Streit ist die Berufung - wenn nicht die Voraussetzungen des § 150 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegen - ausgeschlossen. Dies hat sowohl das Sozialgericht, wie die Rechtsmittelbelehrung seines Urteils besagt, als auch das Landessozialgericht bei der Entscheidung über die Berufung der Klägerin übersehen.
Die nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossene Berufung war auch nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zulässig. Die Zulassung der Berufung muß im Urteil erkennbar ausgedrückt sein. Einen solchen Ausspruch enthält das Urteil des Sozialgerichts nicht. In der irrigen Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei zulässig, ist eine Zulassung nicht zu erblicken. Die Rechtsmittelbelehrung eröffnet keine Anfechtungsmöglichkeit gemäß ihrem unrichtigen Inhalt (BSG 2, 121). An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, daß das Sozialgericht möglicherweise auf Grund der früheren Rechtsprechung des Senats zu § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG davon ausgegangen ist, die Berufung sei bei Ansprüchen auf Beitragserstattungen allgemein zulässig. Abgesehen davon, daß der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch eine andere Rechtsgrundlage hat, muß der Senat die Wirksamkeit der Verfahrenshandlung der Klägerin nach dem Stand seiner jetzigen Erkenntnis und nicht nach seiner früheren, von der wirklichen Rechtslage abweichenden Auffassung beurteilen.
Die Berufung war schließlich auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne dieser Vorschrift kann zwar dann vorliegen, wenn eine nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung irrtümlich als zulässig bezeichnet wird (BSG SozR zu § 150 SGG Bl. Da 14 Nr. 31). Einen solchen Mangel hätte die Klägerin jedoch - um die Berufung statthaft zu machen - im Verfahren vor dem Landessozialgericht ausdrücklich rügen müssen. Dies ist nicht geschehen. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren weder den in der Nichtzulassung der Berufung liegenden noch einen sonstigen Mangel des sozialgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht. Ihre Ausführungen in der Berufungsinstanz beziehen sich ausschließlich auf die materiell-rechtliche Seite des Streits. Das Landessozialgericht durfte unter diesen Umständen ihre Berufung nicht als statthaft ansehen und nicht über den Erstattungsanspruch sachlich entscheiden; es hätte vielmehr die Berufung als unzulässig behandeln, d.h. verwerfen müssen. Da dies nicht geschehen ist, unterliegt das Urteil des Landessozialgerichts der Aufhebung. Gleichzeitig muß - weil der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist - die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen