Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der am 14. April 1909 geborenen Klägerin ab 1. April 1974 Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes Peter H … (Versicherter) zu zahlen. Dabei geht es vor allem darum, ob die in § 1265 Satz 2 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) genannte Voraussetzung der Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes im Zeitpunkt der Scheidung erfüllt war.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 6. August 1951 auf die Klage des früheren Ehemannes ohne Schuldausspruch nach § 48 Ehegesetz (EheG) geschieden. Eine Unterhaltsregelung wurde nicht getroffen. Der Versicherte starb am 16. Februar 1972. Er hinterließ keine Witwe. Aus der Ehe ist der am 28. November 1934 geborene Sohn P… hervorgegangen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war dieser von September 1949 bis Januar 1955 in D…, P…-Straße 25, gemeldet, lebte damals aber in einem Internat (Klosterschule). Die Klägerin selbst wohnte in D…, Herbststraße 3.
Mit Bescheid vom 18. September 1974 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab, weil § 1265 Satz 2 RVO nicht anwendbar sei, wenn ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau nur auf § 60 oder § 61 Abs. 2 EheG gestützt werden könne. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Köln mit Urteil vom 20. Juni 1975 abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG für das Land-Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 18. Juni 1976 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Klägerin habe im Zeitpunkt der Scheidung weder ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen noch habe sie das 45. Lebensjahr vollendet gehabt.
Der Sohn P… wäre zwar waisenrentenberechtigt gewesen, falls der geschiedene Ehemann im Zeitpunkt der Scheidung gestorben wäre, jedoch sei das Merkmal der Kindererziehung nicht gegeben gewesen. Die in § 1265 Satz 2 Nr. 2 RVO getroffene Regelung beruhe u.a. auf dem Gedanken, nur denjenigen früheren Ehefrauen die Versicherung des geschiedenen Mannes zugute kommen zu lassen, denen im Interesse der Erziehung eines Kindes eine Erwerbstätigkeit im Zeitpunkt der Scheidung nicht habe zugemutet werden können und die deshalb nicht in der Lage gewesen seien, bereits in diesem Zeitpunkt die Grundlage für eine ausreichende eigene Versorgung zu schaffen. Unter Berücksichtigung dieser Zielsetzung sei der Begriff der Erziehung i.S. dieser Vorschrift dahin auszulegen, daß darunter nur eine solche persönliche Einflußnahme zur Entwicklung der Anlagen des Kindes zu verstehen sei, für die ein erhebliches Maß an Kraft und Zeit aufgewendet werden müsse. Es könne dahinstehen; ob die räumliche Trennung von Mutter und Kind infolge auswärtiger Unterbringung des Kindes im allgemeinen einer Erziehung durch die Mütter nicht entgegenstehe, denn eine Erziehung i.S. des § 1265 Satz 2 Nr. 2 RVO durch die Mutter liege jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn "das Kind in einer Klosterschule internatsmäßig untergebracht sei. In einem solchen Falle obliege die Einflußnahme zur körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung des Kindes sowie die der Erziehung zuzurechnende Betreuung und die tatsächliche Fürsorge im wesentlichen der kirchlichen Einrichtung.
Gegen das Urteil hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 23. November 1970 die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision trägt die Klägerin vor, ihr Sohn habe sich zur Zeit der Scheidung nicht mehr in der Klosterschule befunden; das sei nur in der Zeit von September 1946 bis Dezember 1947 der Fall gewesen. Selbst wenn aber im Zeitpunkt der Scheidung der Sohn in einer Klosterschule gewesen wäre, dann hätte sie dennoch ihren Sohn zu erziehen gehabt.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des SG Köln vom 20. Juni 1975 und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1976 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. September 1974 zu verurteilen, der Klägerin ab 1. April 1974 Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des am 16. Februar 1972 verstorbenen Peter H… zu zahlen,hilfsweise,das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Die Beklagte hält es für erforderlich, in diesem Falle höchstrichterlich zu entscheiden, ob die Klägerin ihren Sohn P… am 6. August 1951 i.S. des § 1265 Satz 2 RVO erzogen hat.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die zugelassene Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG erfolgt ist. Wie bereits durch den rechtsverbindlichen Bescheid der Beklagten vom 18. September 1972 festgestellt worden ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO. Nach § 61 Abs. 2 EheG hatte der Versicherte zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt zu gewähren, weil die Klägerin zu dieser Zeit wegen eines Einkommens aus ihrer Erwerbstätigkeit nicht unterhaltsbedürftig war. Wenn aber wie im vorliegenden Fall aus der Versicherung des geschiedenen Ehemannes keine Witwenrente zu gewähren ist, findet nach § 1265 Satz 2 RVO in der ab 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Fassung der Satz 1 dieser Vorschrift auch dann Anwendung,
1) wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und
2) |
wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und |
3) solange sie berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.
Wenn die Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten und die Erträgnisse der Klägerin aus ihrer Erwerbstätigkeit unberücksichtigt bleiben, dann hätte ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes nach § 61 Abs. 2 EheG einen nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten zur Zeit der Ehe angemessenen Unterhalt zu gewähren gehabt. Die Beschränkung auf die Angemessenheit ergibt sich daraus, daß bei einem Unterhaltsanspruch nach § 61 Abs. 2 EheG nicht mehr zugesprochen werden kann, als ein schuldig geschiedener Ehegatte nach § 58 EheG zu zahlen gehabt hätte. Insoweit hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, daß als Unterhaltsverpflichtung i.S. von § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO auch eine solche nach § 61 Abs. 2 Satz 1 EheG in Betracht kommt (vgl. BSG Urteile vom 25.5.1976 - SozR 2200 § 1265 Nr. 17 und 2.6.1976 - 1 RA 123/75 -). Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten das 60. Lebensjahr vollendet. Damit ist eine der - alternativen - Voraussetzungen der Nr. 3 des § 1265 Satz 2 RVO erfüllt. Im Zeitpunkt der Scheidung war sie allerdings noch nicht 45 Jahre alt, so daß die Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 Nr. 2 RVO nur erfüllt wären, wenn sie im Zeitpunkt der Scheidung ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen hatte.
Der Sohn P… war zur Zeit der Scheidung etwa 16 Jahre und 8 Monate alt. Wie das BSG des weiteren entschieden hat (SozR 2200 § 1265 Nr. 22), ist ein Kind waisenrentenberechtigt i.S. dieser Vorschrift, wenn es im Zeitpunkt der Scheidung der Ehe zum Personenkreis der waisenrentenberechtigten Kinder gehört hat. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Waisenrentenanspruchs brauchen dagegen im Zeitpunkt der Eheauflösung nicht erfüllt zu sein. Sonst würde auch gerade das gemeinsame Kind des Versicherten und der geschiedenen Ehefrau die Voraussetzungen der "Waisenrentenberechtigung" niemals erfüllen, weil der Versicherungsfall des Todes eines Elternteils bei der Scheidung noch nicht eingetreten gewesen sein kann. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit nur noch von der Frage ab, ob die Klägerin den Sohn damals zu erziehen hatte.
Nach den von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG lebte der Sohn damals im Internat einer Klosterschule. Die vom LSG offengelassene Frage, ob eine räumliche Trennung von Mutter und Kind infolge auswärtiger Unterbringung des Kindes im allgemeinen einer Erziehung durch die Mutter entgegensteht, ist vom BSG im Urteil vom 30. August 1967 (SozR Nr. 9 zu § 1268 RVO) bereits für den Anspruch auf erhöhte Witwenrente infolge Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes i.S. des § 1268 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RVO mit dem Hinweis verneint worden, daß entgegen den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers die endgültige Gesetzesfassung nicht die Erziehung des Kindes im eigenen Haushalt der Mutter verlangt. Damit im Einklang hat das BSG in einer weiteren Entscheidung vom 26. November 1970 (SozR Nr. 18 zu § 1268 RVO) darauf hingewiesen, daß der Begriff der Erziehung im Rentenversicherungsrecht von Anfang an im tatsächlichen Sinne verstanden worden ist und dabei stets eine weite Auslegung erfahren hat. Es hat in diesem Zusammenhang betont, daß auch im Falle einer gegenwärtigen internatsmäßigen Unterbringung des Kindes konkrete Erziehungsmaßnahmen der Mutter - insbesondere durch persönliche Einwirkung auf das Kind, durch Einflußnahme auf die Anstaltsleitung oder durch Beendigung des auswärtigen Aufenthaltes - möglich sind. Diese zu § 1268 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RVO erfolgte Interpretation des Erziehungsbegriffs i.S. einer faktischen Einwirkungsmöglichkeit macht sich der erkennende Senat auch für die in § 1265 Satz 2 Nr. 2 RVO genannte Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes zu eigen, weil Gründe für eine unterschiedliche Auslegung des in beiden Vorschriften inhaltsgleich verwendeten Begriffs nicht erkennbar sind.
Da es somit für die Frage, ob die Klägerin ihren Sohn im Zeitpunkt der Scheidung zu erziehen hatte, auf die vom LSG noch nicht geklärten Verhältnisse des Einzelfalles ankommt, konnte der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit mußte deshalb an das LSG zurückverwiesen werden, damit die hierfür notwendigen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können. Dabei wird das LSG auch zu prüfen haben, ob der Sohn - entsprechend dem nunmehrigen Vorbringen der Klägerin - im Zeitpunkt der Scheidung das Internat der Klosterschule bereits wieder verlassen hatte und ob bejahendenfalls konkrete Erziehungsmaßnahmen durch die Klägerin festzustellen sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen