Entscheidungsstichwort (Thema)

Meldepflicht nach dem AFG. Mitnahme des Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Bescheinigung zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit (E 303). Familienheimfahrt nach Beendigung der Meldepflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines arbeitslosen Italieners, der unter Mitnahme seines in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Art 69 EWGV 1408/71) auf dem Weg nach der in Italien gelegenen Familienwohnung tödlich verunglückt ist.

 

Orientierungssatz

1. Wer den Anspruch auf Arbeitslosengeld aus der Bundesrepublik Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat mitnimmt, unterliegt nicht mehr der Meldepflicht nach dem AFG. Unerheblich ist, daß bei einem Aufenthalt des Arbeitslosen in Italien weiterhin nach deutschem Recht zu beurteilen gewesen wäre, ob und ggf in welchem Umfang sein Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit besteht.

2. Der Unfallversicherungsschutz muß für Arbeitslose innerhalb des durch die für sie geltenden besonderen Vorschriften gesteckten Rahmens in dem Umfang anerkannt werden, der sich sonst beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ergeben würde. Daher besteht für einen Arbeitslosen Versicherungsschutz auf dem Weg von seiner Familienwohnung zum Sitz des für ihn zuständigen Arbeitsamts zur Erfüllung seiner Meldepflicht (vgl BSG 1965-05-25 2 RU 111/63 = SozR Nr 1 zu § 543a RVO aF).

3. Innerhalb des durch § 539 Abs 1 Nr 4 RVO gesteckten Rahmens erfordert die Gleichstellung des Unfallversicherungsschutzes für Arbeitslose mit dem für Beschäftigte, Versicherungsschutz auch für den Fall anzuerkennen, daß der Arbeitslose nach der letztmaligen Erfüllung seiner Meldepflicht nach den Vorschriften des AFG in seine Familienwohnung zurückkehrt.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 3 Fassung: 1974-04-01; EWGV 1408/71 Art. 69; EWGV 574/72 Art. 83; AFG § 132

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 07.04.1982; Aktenzeichen L 8 U 36/81)

SG München (Entscheidung vom 10.09.1980; Aktenzeichen S 22 U 425/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe des am 10. Mai 1975 gestorbenen italienischen Staatsangehörigen G. D. (D.), der seit 1969 mit Unterbrechungen bei einem Bauunternehmen in M. beschäftigt war. Am 25. November 1974 hatte er sein Arbeitsverhältnis zum 11. Dezember 1974 gekündigt und fuhr danach in seine Heimat nach C. S. (Prov. P.). Anfang April 1975 kehrte D. nach M. zurück und bemühte sich erfolglos um einen Arbeitsplatz. Am 9. April 1975 meldete er sich beim Arbeitsamt M. arbeitslos und bezog von diesem Tag an Arbeitslosengeld (Alg). Als Wohnung hatte er M. , B. S., angegeben. Am 6. Mai 1975 beantragte er beim Arbeitsamt die Ausstellung einer Bescheinigung zur Aufrechterhaltung seines Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit, um sich zwecks Arbeitsuche nach Italien zu begeben (Bescheinigung E 303). Als künftige Anschrift gab er C. S., V. L., an. Diese Bescheinigung wurde D. am 7. Mai 1975 vom Arbeitsamt M. ausgestellt. In ihr ist ua ausgeführt: "Der Arbeitslose hat unter der Voraussetzung des Art 69 Abs 1 Buchst b der Verordnung 1408/71 Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Der Arbeitslose kann ab 9. Mai 1975 Leistungen beziehen, wenn er sich bis zum 15. Mai 1975 bei der Arbeitsvermittlung des Landes der Arbeitssuche gemeldet hat." Auf der Fahrt von M. nach P. stürzte D. am 10. Mai 1975 in Italien aus dem Eisenbahnzug und erlag an der Unfallstelle seinen durch den Sturz erlittenen Verletzungen. Einen Anspruch der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 18. Januar 1977 ab, weil D. die Fahrt nach Italien aus eigener Initiative und nicht auf Veranlassung der Arbeitsverwaltung unternommen habe. Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe daher nicht bestanden.

Nachdem die Klägerin dagegen beim Sozialgericht (SG) München Klage erhoben hatte, schlossen die Beteiligten vor dem SG am 13. Februar 1979 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, erneut sachlich zu prüfen, ob D. bei seinem Unfall gemäß § 539 Abs 1 Nr 4 RVO unter Versicherungsschutz gestanden habe und darüber einen Bescheid zu erteilen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt.

Durch Bescheid vom 1. Juni 1979 lehnte die Beklagte erneut einen Entschädigungsanspruch der Klägerin ab. Ein ausländischer Arbeitnehmer, der in seinen Heimatstaat zurückkehre, unterliege nicht der Meldepflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die Bescheinigung E 303 diene lediglich dazu, gegenüber der ausländischen (hier italienischen) Arbeitsverwaltung die Ansprüche auf Arbeitslosenleistungen geltend zu machen. Im übrigen habe die Fahrt des D. nicht dem Zweck gedient, sich bei der italienischen Arbeitsverwaltung zu melden. Vielmehr sei es Zweck der Fahrt gewesen, seinen Heimatort aufzusuchen.

Auf die dagegen beim SG München erhobene Klage hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juni 1979 verurteilt, den tödlichen Unfall des D. vom 10. Mai 1975 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die ihr in diesem Zusammenhang zustehenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 10. September 1980). Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, soweit die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente und zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten verurteilt wurde, und die Klage auf Gewährung von Witwenrente abgewiesen (Urteil vom 7. April 1982). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: D. habe sich am 10. Mai 1975 nicht auf einem Weg zur Erfüllung der Meldepflicht nach § 132 AFG in Verbindung mit der Meldeanordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 14. Dezember 1972 (ANBA 1973, 367) befunden. Der Tatbestand des § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst a RVO sei daher nicht gegeben. Außerdem habe D. sich in Italien als Arbeitsuchender melden wollen. Auf dem Wege zur Arbeitsuche bestehe aber ohnehin kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst a RVO. Dieser sei auch nicht nach § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b RVO gegeben gewesen. D. sei weder nach AFG noch aufgrund der Bescheinigung E 303 verpflichtet gewesen, sich bei der Arbeitsvermittlung in C. S. zu melden. Dies sei vielmehr seinem eigenen freien Entschluß überlassen gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin trägt vor, daß ihr Ehemann auf der Fahrt von M. nach C. S. nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Diese Fahrt habe dazu gedient, sich gemäß Art 69 Abs 1 Buchst b der Verordnung Nr 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 14. Juni 1971 (EWGV 1408/71) bei der Arbeitsverwaltung seines Heimatortes zu melden. Ihr Ehemann habe nicht nur seinen Anspruch auf Alg von der Bundesrepublik Deutschland nach Italien mitgenommen, sondern auch den damit zusammenhängenden Unfallversicherungsschutz. Die italienische Arbeitsverwaltungsbehörde müsse gewissermaßen als Zweigstelle der Beklagten aufgefaßt werden. Auch nach deutschem Recht hätte ihr Ehemann während seines Aufenthalts in Italien noch der deutschen Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Er hätte in die Bundesrepublik Deutschland zurückgerufen werden können, wenn hier ein konkretes Arbeitsangebot für ihn vorgelegen haben würde und die Arbeitsuche in Italien aussichtslos gewesen wäre. Der Versicherungsschutz werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß er nach C. S. auch zu seiner dort wohnenden Familie fuhr. Denn die Fahrt nach dort diente wesentlich auch der Meldung bei der dortigen Arbeitsverwaltung. Ihr Anspruch auf Witwenrente gründe sich zudem auch darauf, daß die Beklagte in ihrem Merkblatt zur Bescheinigung E 303 nicht darauf aufmerksam gemacht habe, daß Arbeitslose, die sich im Rahmen des Verfahrens nach Art 69 EWGV 1408/71 in einen anderen Mitgliedstaat begeben, nicht unter Versicherungsschutz stehen. Schließlich sei der Unfallversicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt der Familienheimfahrt zu bejahen. Die Familienwohnung ihres Ehemannes habe sich stets in C. S. befunden, wo sie wohne. Während der Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland habe ihr Ehemann in einem Wohnheim seines letzten Arbeitgebers und in den letzten vierzig Tagen vor seinem Tod bei einem Bekannten in M. gewohnt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen LSG vom 7. April 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 10. September 1980 zurückzuweisen, hilfsweise, die Rechtssache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art 177 EWG-Vertrag der Frage vorzulegen, ob der Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO auch für einen arbeitslosen Wanderarbeitnehmer auf der Fahrt von seinem bisherigen Beschäftigungsland innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in einen anderen Mitgliedstaat zwecks Arbeitsuche gilt, wenn zuvor mit dem zuständigen Arbeitsamt des Beschäftigungslandes das Verfahren nach Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Der Ehemann der Klägerin habe die Reise nach C. S. nicht in Erfüllung einer ihm vom Arbeitsamt auferlegten Meldepflicht angetreten. Die Bescheinigung E 303 weise lediglich auf die Leistungsvoraussetzungen hin, die Art 69 EWGV 1408/71 an die Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer in ihr Heimatland knüpfe.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 28. Juni 1982, 10. August 1982, 21. Dezember 1982, 5. Mai 1983, 28. Juli 1983 und 1. Februar 1984 sowie der Beklagten vom 21. September 1982 und 7. Januar 1983 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. Juni 1976 verurteilt, den tödlichen Unfall des D. vom 10. Mai 1975 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die ihr in diesem Zusammenhang zustehenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Da nach § 589 Abs 1 RVO bei Tod durch Arbeitsunfall ein Sterbegeld, die Kosten für die Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung, eine Rente an den Hinterbliebenen und eine Überbrückungshilfe zu gewähren sind, betraf das Urteil des SG alle vier Leistungen. Von der Beklagten angefochten wurde das Urteil des SG - vermutlich mit Rücksicht auf § 144 Abs 1 Nrn 1 und 2 des SGG - jedoch nur hinsichtlich der Hinterbliebenenrente (Witwenrente), wie aus dem in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 7. April 1982 gestellten Antrag hervorgeht. Die Berufung der Beklagten betraf daher nur diesen Anspruch, und das LSG hat das erstinstanzliche Urteil auch nur insoweit aufgehoben, wie die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente verurteilt worden war. Gegen die Versagung der Witwenrente wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Dieser Anspruch ist begründet.

Bei Tod durch Arbeitsunfall erhält die Witwe nach § 589 Abs 1 Nr 3 iVm § 590 RVO eine Witwenrente bis zu ihrem Tod oder ihrer Wiederverheiratung. Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Sowohl das SG als auch das LSG haben geprüft, ob der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war. Hiernach sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die ua nach den Vorschriften des AFG der Meldepflicht unterliegen, wenn sie a) zur Erfüllung ihrer Meldepflicht die hierfür bestimmte Stelle aufsuchen oder b) auf Aufforderung einer Dienststelle der BA diese oder eine andere Stelle aufsuchen.

Der Senat ist der Auffassung, daß D. im Zeitpunkt des Unfalls am 10. Mai 1975 keiner Meldepflicht nach den Vorschriften des AFG unterlag. Der arbeitslose D. hatte von der ihm durch Art 69 EWGV 1408/71 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich von der Bundesrepublik Deutschland zwecks Arbeitsuche nach Italien zu begeben. Nach dieser Vorschrift behält ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer den in einem Mitgliedstaat erworbenen Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit auch, wenn er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen. Er muß aber vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Zudem muß er sich bei der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaates, in den er sich begibt, als Arbeitsuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterziehen. Für den Zeitraum vor der Anmeldung gilt diese Bedingung als erfüllt, wenn die Anmeldung innerhalb von sieben Tagen nach dem Zeitpunkt erfolgt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung steht. Der Leistungsanspruch wird während höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an aufrechterhalten, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. D. hätte aufgrund dieser Vorschrift gegenüber einem arbeitslosen Arbeitnehmer, der im zuständigen Staat (hier: Bundesrepublik Deutschland) verbleibt, den Vorteil gehabt, während eines Zeitraumes von drei Monaten von der Verpflichtung befreit zu sein, sich zur Verfügung der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zu halten und sich ihrer Kontrolle zu unterwerfen, gleichwohl aber in dem anderen Staat (hier: Italien) Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu beziehen - Mitnahme des Leistungsanspruchs (vgl EuGH SozR 6050 Art 69 Nrn 3 und 6; BSG SozR 6050 Art 69 Nr 4). Mit der Ausstellung der hierfür nach Art 83 der Verordnung Nr 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern vom 21. März 1972 (EWGV 574/72) vorgesehenen Bescheinigung E 303 durch das Arbeitsamt M. verzichtete die BA zugleich auf die inländische Verfügbarkeit des D. als eine Voraussetzung für die Entstehung seines mitzunehmenden Anspruchs (so jetzt ausdrücklich Abschn 5 der Dienstanweisung der BA zur Durchführung der EWGVen 1408/71 und 574/72 über soziale Sicherheit der Arbeitnehmer; - Erteilung von Bescheinigungen nach Vordruck E 303 gemäß Art 69 EWGV 1408/71 - vom 8. Februar 1977, DBl A, 265). Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich der Verzicht auf die inländische Verfügbarkeit nicht aus Art 69 EWGV 1408/71. Denn grundsätzlich besteht ein Vorrang des deutschen Arbeitsmarktes. Nur wenn der Vorrang unter bestimmten Voraussetzungen außer Betracht bleiben kann (vgl Abschn 4 Buchst a und b der Dienstanweisung aaO), schließt dies den Verzicht der deutschen Arbeitsverwaltung auf die inländische Verfügbarkeit als einer Voraussetzung der Entstehung seines mitzunehmenden Anspruchs ein (vgl Abschn 5 der Dienstanweisung aaO). Der Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit wäre für D. erst wieder mit seiner Verfügbarkeit in Italien entstanden, und zwar durch die Anmeldung bei der italienischen Arbeitsverwaltung innerhalb von sieben Tagen nach dem Zeitpunkt, von dem ab D. der deutschen Arbeitsverwaltung nicht mehr zur Verfügung stand, auch für den Zeitraum seit dem Ende der Verfügbarkeit bei der deutschen Arbeitsverwaltung. Spätestens im Laufe des 9. Mai 1975, dem Tag der Abreise von M. nach Italien, stand D. der deutschen Arbeitsverwaltung nicht mehr zur Verfügung. Mangels dieser Verfügbarkeit fehlte es in der Bundesrepublik Deutschland damit nicht nur an einer Voraussetzung für den Anspruch auf Alg (§ 100 AFG), sondern auch an einem Grund für eine Meldepflicht. Wer den Anspruch auf Alg aus der Bundesrepublik Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat mitnimmt, unterliegt nicht mehr der Meldepflicht nach dem AFG. Eine Anmeldung des D. bei der italienischen Arbeitsverwaltung gemäß Art 69 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 würde dazu gedient haben, die für die Entstehung des Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit erforderliche Verfügbarkeit in Italien herzustellen. D. hätte damit keine Meldepflicht nach dem AFG erfüllt. Unerheblich ist, daß bei einem Aufenthalt des D. in Italien weiterhin nach deutschem Recht zu beurteilen gewesen wäre, ob und ggf in welchem Umfang sein Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit besteht (vgl Nr 5.1. bis 5.9. der Bescheinigung E 303). Denn dies besagt nichts über eine Meldepflicht nach dem AFG. Das Verfahren der Kontrolle des Arbeitslosen in Italien (zB regelmäßige Meldungen) hätte sich nach italienischem Recht bestimmt (Art 83 Abs 3 EWGV 574/72); lediglich die Rechtsfolgen einer etwaigen Nichtverfügbarkeit in Italien wären aus § 120 AFG herzuleiten gewesen. Die zuständigen Stellen der italienischen Arbeitsverwaltung sind bei der Inanspruchnahme der Rechte nach Art 69 EWGV 1408/71 durch einen aus der Bundesrepublik Deutschland kommenden Arbeitslosen nicht wie Zweigstellen der deutschen Arbeitsverwaltung und als deren ausführende Organe anzusehen. Auch befand sich D. bei der Zurücklegung des Weges in Italien nicht in der Lage eines in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandten Arbeitnehmers (Art 14 Abs 1 Buchst a EWGV 1408/71; § 4 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - -SGB IV-), der weiterhin den deutschen Rechtsvorschriften auch hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes unterstanden haben würde. Denn das Arbeitsamt M. ist kein Unternehmen, das D. nach Italien hätte entsenden können.

Läßt sich somit der Versicherungsschutz des D. im Zeitpunkt des Unfalls am 10. Mai 1975 nicht damit begründen, daß D. mit der von ihm beabsichtigten Anmeldung bei der für ihn zuständigen italienischen Arbeitsverwaltung gemäß Art 69 Abs 1 Buchst b EWGV 1408/71 eine Meldepflicht iS des § 539 Abs 1 Nr 4 RVO erfüllt hätte, bejaht aber der Senat den Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt einer Familienheimfahrt.

Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit den in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, schließt nach § 550 Abs 3 RVO die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht aus. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, steht es dem Arbeitslosen frei, seine außerhalb des Arbeitsamtsbezirks gelegene ständige Familienwohnung aufzusuchen, in der sich auch während der Arbeitslosigkeit der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet, sofern er dabei nicht seiner Pflicht zur Meldung beim Arbeitsamt zuwiderhandelt. Denn der Unfallversicherungsschutz muß für Arbeitslose innerhalb des durch die für sie geltenden besonderen Vorschriften gesteckten Rahmens in dem Umfang anerkannt werden, der sich sonst beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ergeben würde. Daher besteht für Arbeitslose Versicherungsschutz auf dem Weg von seiner Familienwohnung zum Sitz des für ihn zuständigen Arbeitsamts zur Erfüllung seiner Meldepflicht (BSG SozR Nr 1 zu § 543a RVO aF). Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ist zwar zu § 543a RVO in der vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) am 1. Juli 1963 (Art 4 § 10 Abs 1 UVNG) geltenden Fassung ergangen, jedoch hat der Senat darin bereits erwähnt, daß die Neuregelung des Unfallversicherungsschutzes für Arbeitslose in den §§ 539 Abs 1 Nr 4, 550 RVO nicht zu einer anderen Beurteilung zwinge. Der Versicherungsschutz besteht selbstverständlich auch auf dem mit der Erfüllung der Meldepflicht zusammenhängenden Weg vom Arbeitsamt zurück zur Familienwohnung. Bei Beschäftigten, die nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert sind, endet der Versicherungsschutz nicht schon mit dem Ende des den Versicherungsschutz vermittelnden Beschäftigungsverhältnisses. Auch der letzte Heimweg nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses hängt noch mit der versicherten Tätigkeit zusammen, so daß auch auf diesem Weg zurück zur Familienwohnung Versicherungsschutz besteht (BSG Urteil vom 25. Mai 1972 - 5 RKnU 28/68 - Praxis 1972, 376). Innerhalb des durch § 539 Abs 1 Nr 4 RVO gesteckten Rahmens erfordert die Gleichstellung des Unfallversicherungsschutzes für Arbeitslose mit dem für Beschäftigte, Versicherungsschutz auch für den Fall anzuerkennen, daß der Arbeitslose nach der letztmaligen Erfüllung seiner Meldepflicht nach den Vorschriften des AFG in seine Familienwohnung zurückkehrt (ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 485 t; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 550 Anm 23 Buchst g; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl Kennzahl 101 S 11). Dies war bei dem Ehemann der Klägerin am 10. Mai 1975 der Fall.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte D. seine ständige Familienwohnung in C. S.. Er fuhr nach dort zu seiner Ehefrau als er aufgrund eigener Kündigung am 11. Dezember 1978 bei seinem früheren Arbeitgeber in M. ausgeschieden war. In seinem Antrag vom 6. Mai 1979 auf Ausstellung der Bescheinigung E 303 beim Arbeitsamt M. gab er als künftige Anschrift die seiner Ehefrau in C. S. an. Während der Zeit der Arbeitslosigkeit ab 9. April 1975 bis zu seiner Abreise nach Italien hatte D. lediglich eine Unterkunft in M., B. S.. Dies ergibt sich zum einen aus seinem Antrag auf Alg und zum anderen aus dem Bearbeitungsbogen des Arbeitsamts M. für die Ausstellung der Bescheinigung E 303.

Während der Zeit, in der D. Anspruch auf Alg in der Bundesrepublik Deutschland erhob, unterlag er nach § 132 Abs 1 AFG der Meldepflicht beim Arbeitsamt, wenn dieses ihn dazu aufforderte. Nach der aufgrund der Ermächtigung des § 132 Abs 2 AFG ergangenen Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die Meldepflicht - Meldeanordnung - vom 14. Dezember 1972 (ANBA 1973 367) ist Meldepflichtiger iS der Meldeanordnung derjenige, der nach § 132 Abs 1 AFG oder kraft entsprechender Anwendung dieser Bestimmung der Pflicht zur Meldung unterliegt (§ 1 Meldeanordnung). Der Meldepflichtige kann nur zum Zwecke der Vermittlung in berufliche Ausbildungsstellen oder Arbeit, der Vorbereitung von Maßnahmen der beruflichen Bildung oder von Entscheidungen im Leistungsverfahren aufgefordert werden, sich zu melden (§ 2 Meldeanordnung). Nach der dazu ergangenen Durchführungsanweisung (DA) kommt als Meldezweck ua die Information über Vermittlungsaussichten in Betracht (DA 2.01 Nr 2). Als D. am 6. Mai 1975 beim Arbeitsamt M. die Ausstellung der Bescheinigung E 303 beantragte, hatte das Arbeitsamt zu prüfen, ob der Vorrang des deutschen Arbeitsmarktes außer Betracht bleiben und ggf auf die inländische Verfügbarkeit des D. verzichtet werden könnte. Den Vorrang des deutschen Arbeitsmarktes hat das Arbeitsamt M. verneint, weil in absehbarer Zeit für D. keine Vermittlungsmöglichkeit bestand. Da die nicht vorhandene Vermittlungsmöglichkeit in der Bundesrepublik Deutschland ua Voraussetzung für den Verzicht der deutschen Arbeitsverwaltung auf die inländische Verfügbarkeit des D. und die Ausstellung der Bescheinigung E 303 war, betraf der Antrag des D. vom 6. Mai 1975 einen Gegenstand, der das Arbeitsamt M. berechtigt hätte, D. zur Meldung aufzufordern, um ihn über seine Vermittlungsaussichten zu unterrichten. Dadurch, daß D. persönlich beim Arbeitsamt vorsprach und den Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung E 303 stellte, ist die Vorsprache als Meldung aufgrund der Meldepflicht anzuerkennen (DA 2.03). D. war damit zugleich nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO gegen Arbeitsunfall versichert.

Dieser Versicherungsschutz endete nicht schon mit dem Ende der Tätigkeit des D. beim Arbeitsamt M., sondern dauerte auch auf dem Heimweg des D. nach C. S. fort, den er am 9. Mai 1975 von M. aus angetreten hatte, nachdem ihm die Bescheinigung E 303 am 7. Mai 1975 erteilt worden war. Für den ursächlichen Zusammenhang der Zurücklegung des Weges mit der versicherten Tätigkeit ist es ohne Bedeutung, daß D. seine Reise erst am zweiten Tage nach Ausstellung der Bescheinigung E 303 angetreten hat. Für Fahrten zur Familienwohnung hat der Gesetzgeber einen Versicherungsschutz geschaffen, der über den Versicherungsschutz bei der Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit (§ 550 Abs 1 RVO) hinausgeht und es ermöglicht, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnenden Beweggründe für die Fahrt weitgehend unberücksichtigt zu lassen (vgl BSGE 1, 171, 173; BSG SozR 2200 § 550 Nr 6). Sinn und Zweck dieser Sonderregelung gestatten es nicht, strenge Anforderungen hinsichtlich des Beginns der Fahrt zur Familienwohnung zu stellen (BSG SozR aaO; Brackmann, aaO S 486b II). Eine für alle Familienheimfahrten einheitliche Zeitbegrenzung für den Antritt des Weges nach der Familienwohnung, wie dies durch die Rechtsprechung für Wege von dem Ort der Tätigkeit mit zwei Stunden seit dem Ende der versicherten Tätigkeit geschehen ist, hat der Senat als nicht praktikabel abgelehnt (BSG Urteil vom 28. Juli 1983 - 2 RU 51/82 -). Soweit aus einem großen zeitlichen Abstand zwischen dem Ende der versicherten Tätigkeit und dem Beginn der Fahrt zur Familienwohnung im Einzelfall geschlossen werden kann, daß der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gelöst ist (vgl BSG Urteil vom 9. März 1978 - 2 RU 25/76 -: 18 Tage), scheidet dies im vorliegenden Fall aus. Im Hinblick darauf, daß D. die Bundesrepublik Deutschland für voraussichtlich drei Monate (Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71) - wenn nicht sogar endgültig - verlassen wollte und für die Reise nach C. S. Vorbereitungen erforderlich waren, ist durch den Antritt der Fahrt am zweiten Tag nach der Ausstellung der Bescheinigung E 303 der ursächliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (§ 539 Abs 1 Nr 4 Buchst a RVO) gegeben gewesen.

D. hat somit am 10. Mai 1975 einen Arbeitsunfall (§ 550 Abs 3 RVO) erlitten, der den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente (§§ 589 Abs 1 Nr 3 iVm 550 RVO) rechtfertigt. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG mußte daher die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG, das der Klägerin Witwenrente zugesprochen hatte, zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1663866

BSGE, 244

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