Leitsatz (amtlich)
1. Ob die Beitragsforderung einer KK zu den Forderungen gehört, die im Konkurs des Beitragsschuldners das Vorrecht der RVO §§ 28 Abs 3, KO 61 Nr 1 genießen, haben im Streitfall die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden (vergleiche BSG 1961-02-22 7 RKg 33/58 = BSG E 14, 40 und BSG 1966-10-28 2 RU 183/62 = BSGE 25, 235).
2. Das Konkursvorrecht der RVO §§ 28 Abs 3, KO 61 Nr 1 gilt auch für Beitragsrückstände aus einer freiwilligen Krankenversicherung.
Orientierungssatz
Zum Begriff "Rückstände" in RVO § 28.
Normenkette
RVO § 28 Abs. 3 Fassung: 1911-07-19; SGG § 51 Fassung: 1953-09-03; KO § 61 Nr. 1, § 146
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. März 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die klagende Krankenkasse beansprucht für Beitragsrückstände aus der freiwilligen Krankenversicherung eines Mitglieds, über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, das Konkursvorrecht nach § 28 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 61 Nr. 1 der Konkursordnung (KO).
Die Klägerin hat von dem Kaufmann G. B in B noch freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. Juni bis 4. Juli 1965 in Höhe von 41,33 DM zu fordern. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens am 13. August 1965 wurde der Beklagte als Konkursverwalter bestellt; er bestritt das von der Klägerin beanspruchte Vorrecht.
Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben für die Klage auf Feststellung des Vorrechts den zu ihnen beschrittenen Rechtsweg für zulässig gehalten und auch in der Sache zugunsten der Klägerin entschieden (Urteil des SG Berlin vom 23. Juni 1966 und des LSG Berlin vom 1. März 1967). Nach Ansicht des LSG erfaßt das streitige Konkursvorrecht im Interesse der Versichertengemeinschaft Beitragsrückstände aller Art im Sinne des § 28 Abs. 1 RVO; es gelte deshalb auch für Beitragsforderungen aus einer freiwilligen Krankenversicherung; die Verweisung in § 28 Abs. 3 RVO auf § 61 Nr. 1 KO bedeute nicht, daß die Beitragsforderung "Teil einer Lohnforderung gegen den Gemeinschuldner" sein, d. h. auf einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beruhen müsse.
Der beklagte Konkursverwalter hat die zugelassene Revision eingelegt und gerügt, das LSG habe zu Unrecht den Sozialrechtsweg für zulässig gehalten. Auch erstrecke sich das Konkursvorrecht nach § 28 Abs. 3 RVO nicht auf Beitragsforderungen aus einer freiwilligen Versicherung. Zwischen einer solchen und einer privaten Krankenversicherung, für deren Beitragsansprüche kein Konkursvorrecht gelte, bestehe materiell kein Unterschied. Die Klägerin habe auch nach ihrer Satzung - nicht anders als ein privates Versicherungsunternehmen - das Recht zur Zurückweisung von Beitrittswilligen, werde insoweit also "wie eine private Krankenversicherung" tätig. Eine konkursrechtliche Privilegierung der Klägerin würde den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verletzen. Der Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Der Senat hat nach Einlegung der zugelassenen Revision vorab geprüft, ob für den vorliegenden Rechtsstreit der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist. Er hat dies im Beschluß vom 28. August 1970 in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 14, 40 und 25, 235) bejaht, die Frage jedoch wegen einer abweichenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 34, 293) dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorgelegt (§ 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968). Darauf hat der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 22. Januar 1971 (vgl. DOK 1971, 204) seine frühere Rechtsprechung aufgegeben. Der Senat ist deshalb nicht mehr durch eine abweichende Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts gehindert, den von der Klägerin zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beschrittenen Rechtsweg für zulässig zu erklären. Er hat nach nochmaliger Prüfung an der im Beschluß vom 28. August 1970 vertretenen Auffassung festgehalten.
Wie in diesem Beschluß näher ausgeführt, ist das Konkursvorrecht einer Forderung als eine ihr innewohnende Eigenschaft und nicht als ein besonderes, neben ihr bestehendes Recht anzusehen (BSG 25, 237; näher begründet bei Jaeger/Weber, Konkursordnung, 8. Aufl, § 146 Anm. 13 und 20; vgl. auch BGHZ 13, 73, 77 und 34, 293, 298). Schon daraus folgt, daß Vorrechtsstreitigkeiten grundsätzlich vor dieselben Gerichte gehören wie Streitigkeiten über Grund und Höhe der Forderung.
Eine andere Lösung wäre auch unvereinbar mit § 146 KO, der die Feststellung bestrittener Konkursforderungen - einschließlich der Feststellung eines bestrittenen Vorrechts - den Amts- und Landgerichten nur insoweit überträgt, als für die Forderungen nicht ein "besonderes Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht zuständig ist" (Abs. 5). Eine Sonderzuständigkeit, wie sie § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit begründet, schließt mithin die Generalkompetenz der ordentlichen Gerichte für das Feststellungsverfahren nach § 146 KO aus, mag der Widerspruch sich gegen den Bestand der Forderung oder zugleich oder allein gegen das für sie beanspruchte Vorrecht richten (vgl. BAG 19, 355, 358, im Anschluß an Weber, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 61 KO, Ziff. 4 b; vgl. auch dessen Anm. zu AP Nr. 5 zu § 61 KO, Ziff. 2 a). Im Rahmen des § 146 KO zwischen einem Bestands- und einem Vorrechtsstreit zu unterscheiden und nur jenen der Sondergerichtsbarkeit zuzuweisen, diesen dagegen der Zivilgerichtsbarkeit vorzubehalten, wäre "systemwidrig" (Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 7. Aufl., S. 294 Mitte; ebenso für das geltende Recht Jahr, ZZP 79. Band, 1966, S. 347, 381 f).
Eine Trennung der Gerichtswege für Bestands- und Vorrechtsstreitigkeiten ist auch nicht damit zu rechtfertigen, daß der Vorrechtsstreit nur ein Streit über ein - im Konkursrecht wurzelndes - Befriedigungsprivileg ist, der allein das Verhältnis der Konkursgläubiger zueinander, nicht die Beziehungen zwischen dem Forderungsberechtigten und dem Schuldner betrifft (vgl. dazu Weber aaO). Um das Recht auf "Befriedigung aus der Konkursmasse" (§ 12 KO), d. h. um das Verhältnis zu den anderen Konkursgläubigern, geht es auch bei einem Streit um das Bestehen einer Konkursforderung; deren rechtskräftige Feststellung wirkt in erster Linie gegenüber den Konkursgläubigern (§ 147 KO; vgl. auch §§ 144 Abs. 2, 164 Abs. 2 KO). Daß dabei ein Gläubiger mit einer "Bestandsklage" nur um seine - gleichberechtigte - Mitbefriedigung aus der Konkursmasse kämpft, während er in einem Vorrechtsprozeß seine bevorzugte Befriedigung verlangt, stellt nur einen graduellen, keinen prinzipiellen Unterschied dar und ändert nichts daran, daß in beiden Fällen eine Konkurrenz der Konkursgläubiger untereinander vorliegt.
In bestimmten Fällen einer Kollision widerstreitender Gläubigerinteressen sind allerdings die ordentlichen Gerichte ausschließlich zuständig, wenn nämlich ein bestimmter, zur Konkursmasse gezogener Gegenstand nach §§ 43 ff KO ausgesondert, aus einem solchen Gegenstand nach §§ 47 ff KO abgesonderte Befriedigung beansprucht, einer Einzelvollstreckung unter Berufung auf ein die Veräußerung hinderndes Recht widersprochen (§ 771 ZPO) oder aus dem Vollstreckungsgegenstand vorzugsweise Befriedigung verlangt wird (§ 805 ZPO). Daß in diesen Fällen die Zivilgerichte auch zu entscheiden haben, wenn ein öffentlich-rechtlicher Gläubiger mit einer Steuer- oder Beitragsforderung beteiligt ist (vgl. für das Steuerrecht §§ 328, 346 der Reichsabgabenordnung), hat indessen seinen besonderen Grund darin, daß hier der Befriedigungsrang der Gläubiger allein von ihrer - besseren oder schlechteren - materiellen Berechtigung an dem jeweiligen Befriedigungsobjekt abhängt, die Beurteilung dieser (in der Regel privatrechtlichen) Rangfragen aber zum "natürlichen" Kompetenzbereich der Zivilgerichte gehört. Der in den genannten Vorschriften des Abgabenrechts enthaltenen Zuständigkeitsregelung kann somit nicht der allgemeine Rechtsgrundsatz entnommen werden, daß über den Rang oder die Reihenfolge der Befriedigung bei der Einzelvollstreckung und im Konkurs stets die Zivilgerichte zu entscheiden hätten, abgesehen davon, daß ein solcher - ungeschriebene - Grundsatz hinter der positiven Rechtswegnorm des § 146 Abs. 5 KO zurücktreten müßte (Pohle, MDR 1966, 181 rechte Spalte Mitte). Sofern und soweit die Zivilgerichte für Rangstreitigkeiten im Rahmen des Vollstreckungsrechts zuständig sind, ist es vielmehr der - übergeordnete - Gedanke der Sachnähe, der ihre Entscheidungskompetenz begründet.
Eben dieser Gedanke spricht nun aber in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um die Auslegung des Begriffs der Rückstände im Sinne des § 28 RVO geht, nach Ansicht des Senats entscheidend für die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. auch Pohle aaO). Der Begriff der "Rückstände", den § 28 Abs. 3 RVO verwendet, ist der gleiche wie im ersten Absatz des § 28, an den der dritte Absatz anknüpft. Für beide Absätze muß der Begriff einheitlich ausgelegt werden. Welche Gesichtspunkte dabei zu berücksichtigen sind, ergibt sich vornehmlich aus dem Sozialversicherungsrecht und sollte deshalb von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beurteilt werden.
Schließlich sprechen auch Überlegungen der Prozeßökonomie dafür, die Entscheidung über das Bestehen und das Vorrecht einer Konkursforderung nicht in die Hand verschiedener Gerichte zu legen. Das würde in den nicht seltenen Fällen, in denen sowohl das Bestehen der Forderung wie ihr Vorrecht bestritten ist (vgl. die Fälle BSG 14, 40 und BAG 19, 355), zu einer unnötigen Verdoppelung der Prozesse führen, was für die Beteiligten mit einem zusätzlichen Kosten- und vor allem Zeitaufwand verbunden wäre, der ihnen kaum verständlich gemacht werden könnte (vgl. RAG 4, 284, 287 unten). Die Vorinstanzen haben mithin zu Recht über das von der Klägerin beanspruchte Konkursvorrecht entschieden. Zutreffend haben sie die Klage auch für begründet gehalten. Rückstände, die nach § 28 Abs. 3 RVO das Konkursvorrecht des § 61 Nr. 1 KO genießen, sind auch Beitragsrückstände aus einer freiwilligen Krankenversicherung.
Rückstände im Sinne des § 28 RVO sind Geldbeträge, die den Versicherungsträgern geschuldet werden, bei Fälligkeit aber nicht gezahlt worden sind, in erster Linie also rückständige Beiträge (vgl. Spohr-Gunkel, Das Recht der Zwangsvollstreckung in der Sozialversicherung, 3. Aufl., S. 20). Zu ihnen gehören begrifflich auch Beiträge, die auf Grund einer freiwilligen Versicherung zu entrichten sind.
Der Begriff der "Rückstände" kann im übrigen, wie schon ausgeführt, in den Absätzen 1 und 3 des § 28 RVO nicht verschieden ausgelegt werden. Nach § 28 Abs. 1 werden Rückstände wie Gemeindeabgaben beigetrieben, brauchen vom Versicherungsträger mithin nicht eingeklagt zu werden; nach § 28 Abs. 3 haben sie das dort genannte Konkursprivileg. Beide Bestimmungen verwenden dasselbe Wort ("Rückstände"), sind systematisch in einem Paragraphen zusammengefaßt und dienen insofern einem vergleichbaren Zweck, als der Versicherungsträger bei Säumigkeit des Beitragsschuldners möglichst schnell und ungehindert, im Konkursfall möglichst vollständig wegen seiner Forderungen befriedigt werden soll. Da zu den Rückständen im Sinne des § 28 Abs. 1 RVO, wie allgemein anerkannt ist und nach Gesetzeswortlaut und -zweck nicht zweifelhaft sein kann, auch freiwillige Beiträge gehören, muß das gleiche wegen des engen Zusammenhangs beider Vorschriften für § 28 Abs. 3 RVO gelten (im Ergebnis ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 194 v; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 28 RVO Anm. 2 c, Anm. 3; Spohr-Gunkel, aaO, S. 153 i. V. m. S. 21; Kleff, Die Beiträge 1964, 43, 44; Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Band 2, S. 605 f; vgl. auch Allinger, Die Arbeiterversorgung 1960, S. 59, 60).
Der Einbeziehung von freiwilligen Beiträgen in das Konkursprivileg des § 28 Abs. 3 RVO steht nicht entgegen, daß die genannte Vorschrift auf § 61 Nr. 1 KO verweist, der seinerseits nur bestimmte Lohnforderungen gegen den Gemeinschuldner erfaßt. Diese Verweisung nötigt nicht dazu, auch § 28 Abs. 3 RVO auf solche Beitragsrückstände zu beschränken, die, wie etwa Pflichtbeiträge, wegen ihrer inneren Verwandtschaft mit Lohnforderungen diesen gleichgestellt werden können (vgl. BGHZ 34, 293, 295, aber auch Bescheid des Bundesministers für Arbeit vom 29. August 1955, DOK 1955, 534). Mit der Verweisung auf § 61 Nr. 1 KO sollte lediglich den Beitragsrückständen im Konkurs der gleiche Rang wie jenen Lohnforderungen gegeben werden. Ob dabei die Erwägung mitgesprochen hat, daß die Arbeitgeber bestimmte Beitragsanteile ihrer Arbeitnehmer vom Lohn einzubehalten und wie Lohnteile an die Krankenkasse abzuführen haben (§§ 393 ff RVO), ist den Gesetzesmaterialien (vgl. RGZ 102, 70, 72 f) nicht sicher zu entnehmen. Jedenfalls haben solche oder ähnliche Erwägungen keinen Eingang in den Tatbestand der gesetzlichen Regelung gefunden und können deshalb für ihre Auslegung nicht entscheidend sein.
Das LSG hat schließlich mit zutreffender Begründung den Einwand des Beklagten zurückgewiesen, der Gleichheitssatz des Grundgesetzes verbiete eine unterschiedliche konkursrechtliche Behandlung von Beitragsforderungen eines Sozialversicherungsträgers und solchen eines privaten Versicherungsunternehmens, soweit es sich um eine freiwillige Versicherung handelt. Auch wenn eine Krankenkasse nach Gesetz oder Satzung nicht jeden Beitrittswilligen als Mitglied aufzunehmen braucht - insoweit mögen gewisse Parallelen zu einer privaten Krankenversicherung bestehen -, unterscheidet sich ihre Stellung im Gesamtgefüge der öffentlichen Institutionen so grundlegend von den Einrichtungen der Privatversicherung, daß es nicht sachwidrig oder gar willkürlich erscheint, wenn ihre Beitragsforderungen im Konkurs besser behandelt werden als die eines privaten Versicherungsunternehmens. An der Befriedigung von dessen Beitragsforderungen besteht kein oder jedenfalls nicht ein so erhebliches öffentliches Interesse wie an der Erfüllung von Beitragsansprüchen eines Sozialversicherungsträgers.
Da die von der Klägerin angemeldeten Beitragsrückstände auf das letzte Jahr vor der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Versicherten entfallen (vgl. BSG 25, 235, 241 ff), haben die Vorinstanzen der Klägerin mit Recht das beanspruchte Konkursvorrecht zuerkannt. Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen