Leitsatz (amtlich)

Ein ehrenamtlich tätiger Vorsitzender eines Ortsverbandes des VdK ist jedenfalls insoweit nicht nach RVO § 537 Nr 10 iVm RVO § 537 Nr 1 gegen Arbeitsunfall versichert, als er bei einer Kreisarbeitstagung seines Verbandes Aufgaben erfüllt, die ihm als Repräsentant des Vorstandes des Ortsverbandes obliegen.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09, Nr. 10 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Am 25. Januar 1953 nahm der Kläger in seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender des Ortsverbandes P des Verbandes der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e. V. (VdK) - Landesverband Bayern e. V. - an einer Kreisarbeitstagung des Verbandes in B teil. Auf dem Wege zum Bahnhof P glitt er aus und zog sich einen Knöchelbruch am rechten Sprunggelenk zu. Weil die Schmerzen zunahmen, mußte er um 13 Uhr die Tagung verlassen. Bis zum 6. April 1953 war er arbeitsunfähig. Sein Amt als Vorsitzender des Ortsverbandes übte der Kläger ehrenamtlich aus. Im übrigen stand er in einem Arbeitsverhältnis bei der Firma E in N.

Den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. September 1953 mit folgender Begründung ab: Als ehrenamtlicher Vorsitzender des Ortsverbandes des VdK habe der Kläger nicht in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis (§ 537 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) zu dem VdK gestanden. Auch nach § 537 Nr. 10 RVO habe kein Versicherungsschutz bestanden, weil es an einem wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeitsverhältnis gefehlt habe. Der Unfall sei daher kein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes.

Diesen Bescheid hat der Kläger binnen Monatsfrist mit der Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA) L angefochten. Mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist das Verfahren auf das Sozialgericht (SG) Regensburg übergegangen (§ 215 Abs. 2 SGG).

Das SG hat durch Urteil vom 27. Januar 1955 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 537 Nr. 10 RVO seien nicht erfüllt. Zwar sei nach der Verfügung des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 16. November 1942 - I 1107 a 3/42-798 - den ehrenamtlich Tätigen Versicherungsschutz zuzubilligen, wenn sie eine Beschäftigung ausübten, wie sie sonst nur von Gefolgschaftsmitgliedern des Unternehmens gegen Entgelt verrichtet zu werden pflege. Hierin sei aber die Tätigkeit eines 1. Vorsitzenden nicht einzuordnen, weil nach der Satzung des VdK, Landesverband Bayern e. V., vom Jahre 1952 der 1. Vorsitzende des Vorstandes des Ortsverbandes Organ des Verbandes sei. Ein Organ einer juristischen Person könne aber bei Verrichtung seiner Obliegenheiten nicht wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Die angeführte Verfügung des RVA betreffe nur ehrenamtliche Betätigungen, die sich nicht gleichzeitig als Ausübung einer Organfunktion darstellten.

Die hiergegen fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 7. Oktober 1958 zurückgewiesen worden. Das LSG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: In den Fällen des § 537 Nr. 10 RVO müsse es sich um Tätigkeiten handeln, die an sich ihrem Wesen und ihrer Art nach unter § 537 Nr. 1 bis 9 RVO fielen. Der Kläger könne allenfalls wie ein nach § 537 Nr. 1 RVO Versicherter tätig geworden sein. Dies treffe jedoch nicht zu. Er habe am Unfalltage eine Tätigkeit ausgeübt, die den organisatorischen Zwecken des VdK gedient habe und ihrem Wesen nach als reine Organisations- und Vereinstätigkeit aufzufassen sei. Eine solche Tätigkeit, ausgeübt von einem ehrenamtlichen Organ, sei ihrem Wesen nach keine Tätigkeit eines "Beschäftigten" im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO. Da der Versicherungsschutz der Nr. 10 nicht weiter gehen könne als der Grundtatbestand (hier: Nr. 1), bestehe für den Kläger kein Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 10 RVO, ebensowenig nach anderen Vorschriften.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das ihm am 18. Dezember 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Dezember 1958 Revision eingelegt. Am 6. Januar 1959 hat er das Rechtsmittel mit folgenden Ausführungen begründet: Die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO seien gegeben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe er zur Unfallzeit eine Tätigkeit ausgeübt, die den organisatorischen Zwecken, also dem Aufbau und Ausbau des VdK gedient habe. Diese Tätigkeit werde auch in der Regel von hauptamtlichen Arbeitskräften des VdK geleistet. Jedenfalls bestimme die Satzung nicht, daß die den ersten Vorsitzenden der Ortsverbände übertragenen Arbeiten nur ehrenamtlich verrichtet werden dürften. Könne demnach die Tätigkeit eines ersten Ortsverbandsvorsitzenden auch von hauptamtlichen Kräften ausgeübt werden, so müsse es grundsätzlich auch möglich sein, daß die von ihm nur ehrenamtlich geleistete Tätigkeit wie die eines nach § 537 Nr. 1 RVO Versicherten bewertet werde. Dies ergebe sich auch daraus, daß die von dem Kläger zu verrichtende Tätigkeit bei einem anderen Aufbau des VdK von Arbeitnehmern hätte verrichtet werden müssen, die zum VdK in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis ständen. Bei anderen Organisationen und Verbänden, die über größere finanzielle Mittel verfügten, würden derartige mit erheblicher Verantwortung verbundene Tätigkeiten in der Regel nicht ehrenamtlich, sondern durch hauptamtliche Kräfte ausgeübt. Ohne Zweifel würde der VdK bei entsprechender wirtschaftlicher Stellung ebenso verfahren.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den am 25. Januar 1953 erlittenen Unfall dem Grunde nach als Arbeitsunfall anzuerkennen und eine vorläufige Leistung in Höhe von 100,- DM zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung des angefochtenen Urteils.

Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Befugnis, in dieser Weise zu verfahren (§ 124 Abs. 2 SGG) Gebrauch gemacht.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig; sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem Vorbringen beider Beteiligten angenommen, der Kläger sei als ehrenamtlicher erster Vorsitzender des Ortsverbandes P nicht auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt und somit nicht nach § 537 Nr. 1 RVO versichert gewesen. Diese Auffassung läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen.

Das LSG hat auch mit Recht ein Versicherungsverhältnis zu der Beklagten auf Grund der Nr. 10 in Verbindung mit den Nummern 1 bis 9 des § 537 RVO verneint. Dabei konnte es sich, da ein Tätigwerden "wie das eines nach den Nummern 2 bis 9 Versicherten" von vornherein nicht in Betracht kam, auf die Prüfung der Voraussetzungen der Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 beschränken. Der Annahme eines Versicherungsschutzes auf Grund dieser Vorschrift würde nicht entgegenstehen, daß der Kläger aus rein ideellen Beweggründen für den VdK tätig geworden ist und zu ihm in keinem persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden hat (vgl. BSG 5, 168, 172 ff). Der Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 setzt jedoch eine Tätigkeit voraus, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die zu dem Unternehmer in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen (BSG 5, 174 und BSG in SozR RVO § 537 Bl. Aa 15 Nr. 16). An dieser Voraussetzung fehlt es bei dem Kläger. Als erster Vorsitzender des Vorstandes des Ortsverbandes P war er Repräsentant eines Organs (§ 7 der Satzung) des Landesverbandes Bayern e. V. Diese Repräsentantentätigkeit konnte nur von einer Person ausgeübt werden, die von den Mitgliedern des Ortsverbandes in den Ortsverbandsvorstand gewählt worden war (§ 9 Abs. 1 der Satzung), nicht aber von einer hauptamtlich angestellten Person auf Grund eines dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnisses. Hauptamtliche Anstellungen kennt die Satzung des Landesverbandes Bayern nur auf der Ebene der Bezirksgeschäftsstelle (§ 12) und des Landesverbandes (§ 13), dies aber auch nur für Geschäftsführer, nicht dagegen für Vorsitzende. Da die Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Vorsitzender des Ortsverbandes ihrer Natur nach einer Beschäftigung auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses nicht zugänglich war, konnte der Kläger als Repräsentant des Ortsverbandes auch nicht "wie" ein auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses Beschäftigter (§ 537 Nr. 1 RVO) tätig werden. Dem steht nicht entgegen, daß seine Repräsentantentätigkeit jedenfalls zum Teil letzten Endes denselben Zwecken - nämlich dem Aufbau und Ausbau des VdK - diente wie die Tätigkeit der hauptamtlichen Geschäftsführer auf höheren Ebenen des Verbandes.

Es bedurfte nicht der Prüfung, ob der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte, wenn er auf der Kreisarbeitstagung in B besondere, dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliche Tätigkeiten zu verrichten gehabt hätte (vgl. BSG in SozR RVO § 537 Bl. Aa 26 Nr. 26). Denn dahingehende Feststellungen hat das LSG nicht getroffen, und es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dem Kläger Aufgaben gestellt gewesen seien, die sich nicht aus seiner Repräsentantentätigkeit ergeben hätten. Die Revision hat jedenfalls in dieser Hinsicht nichts vorgetragen, vielmehr nur auf die Feststellung des LSG hingewiesen, daß der Kläger auf der Kreisarbeitstagung eine Tätigkeit ausgeübt habe, die den organisatorischen Zwecken, also dem Aufbau und Ausbau des VdK gedient habe.

Die vom Senat in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung der Instanzgerichte (vgl. Bayer. LSG in Breithaupt 1955, 698 und LSG Bremen in Breithaupt 1955, 941) vertretene Auffassung wird dadurch gestützt, daß § 539 Abs. 1 Nr. 13 des Entwurfs des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes zwar eine Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes für ehrenamtlich Tätige einer Körperschaft Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vorsieht, diese Regelung aber nicht auf Organisationen des Privatrechts ausdehnt (Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucks. IV/120).

Hiernach ist die Revision des Klägers unbegründet und mußte zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht in Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926324

BSGE, 73

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge