Leitsatz (amtlich)
1. lehnt die Knappschaft einen Antrag auf Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres ( RKG § 45 Abs 1 Nr 2 ) ab und verlangt der Kläger im Verlaufe des Verfahrens unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Begehrens hilfsweise Knappschaftssold (NV KnRV 1942 § 9 vom 1942-10-04), so ist vor der Entscheidung des Gerichts über den Hilfsantrag ein Vorverfahren erforderlich ( SGG § 80 Nr 1 ).
Normenkette
SGG § 80 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-05-21; KnRVNV 1942 § 9 Fassung: 1942-10-04; KnRVNV § 9 Fassung: 1942-10-04
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. September 1962 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der 1905 geborene Kläger war vom 22. Januar 1920 bis zum 3. Mai 1958 im oberschlesischen Bergbau tätig. Im Mai 1958 siedelte er in die Bundesrepublik über und beantragte im März 1959 Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres, nachdem er sich schon im Juli 1958 mit der Bitte um Erläuterung seiner Angelegenheiten an die Beklagte gewandt hatte. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die von dem Kläger verrichteten Arbeiten keine Hauer- oder diesen gleichgestellte Arbeiten gewesen seien. Sein Widerspruch wurde zurückgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und beantragte, ihm die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres, hilfsweise Knappschaftssold ab 1. Juli 1958 zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) wies den Hauptantrag ab und gab dem Hilfsantrag statt. Auf Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte es aus, es sei zweifelhaft, ob der Kläger 180 Monate bergmännische Arbeiten verrichtet habe. Diese Frage brauche aber nicht entschieden zu werden. Denn seit 1. Januar 1957 gebe es keinen Knappschaftssold mehr. Nach den Übergangsvorschriften könne der Knappschaftssold nur noch in den Fällen gewährt werden, für die das ausdrücklich vorgesehen sei. Nach Art. 2 § 31 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) sei der Knappschaftssold nach dem 31. Dezember 1956 nur zu gewähren, wenn die Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 1957 nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht erfüllt seien. Zu den Voraussetzungen des Knappschaftssolds gehöre aber der Antrag. Diesen habe der Kläger jedoch frühestens im Juli 1958 gestellt. Auch abgesehen von der Antragstellung seien für den Kläger, der zu dieser Zeit noch in Oberschlesien gewohnt habe und tätig gewesen sei, die Voraussetzungen für den Knappschaftssold nicht erfüllt gewesen; denn die erforderlichen 300 Beitragsmonate ergäben sich für ihn nur aus der Summierung seiner Beitragszeit bei der früheren oberschlesischen Knappschaft und seiner Beschäftigungszeit unter polnischer Verwaltung von 1945 bis 1958, nachdem er von 1938 bis 1945 in der Angestelltenversicherung (AV) versichert gewesen sei. Die Zeiten seien also für ihn nur anrechenbar unter den Voraussetzungen des alten Fremdrentenrechts. Nach § 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) sei aber hierfür außer der Antragstellung auch erforderlich gewesen, daß der Berechtigte sich ständig im Bundesgebiet oder im Lande Berlin aufgehalten habe. Revision wurde zugelassen.
Der Kläger legte gegen das Urteil Revision ein und trägt vor, das LSG habe ihm den Knappschaftssold zu Unrecht verweigert; denn er habe bis zum 31. Dezember 1957 die erforderlichen Voraussetzungen (Vollendung des 50. Lebensjahres und mehr als 180 Monate wesentlich bergmännische Arbeiten) erfüllt. Der Umstand, daß der Antrag erst nach dem 31. Dezember 1957 gestellt worden sei, müsse rechtlich unerheblich bleiben, weil der Antrag keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs, sondern nur ein formales Erfordernis für die Auszahlung des Knappschaftssoldes sei. Er müsse auch unter Anwendung des Fremdrentengesetzes so gestellt werden, als habe er die Beitragszeiten im Bundesgebiet zurückgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. September 1962 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 4. Juli 1960 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Beide Beteiligten sind mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig und begründet. Die Vordergerichte haben nicht beachtet, daß das gemäß § 80 Nr. 1 SGG erforderliche Vorverfahren fehlt. Zwar hat vor Klageerhebung ein Vorverfahren stattgefunden, aber das betraf nur die damals beantragte Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres, nicht jedoch den erst im sozialgerichtlichen Verfahren geforderten Knappschaftssold. Beide Ansprüche sind nicht nur verschieden bezeichnet, sondern auch ihrer Art nach unterschiedlich. Die Höhe der Bergmannsrente staffelt sich nach Zahl und Wert der Beiträge, während der Knappschaftssold in einem der Höhe nach festen Betrag gewährt wird. Da aber immerhin die Voraussetzungen beider Renten im Grundsatz übereinstimmen, könnte daran gedacht werden, aus prozeßökonomischen Gründen auf ein Vorverfahren zu verzichten. Doch handelt es sich im vorliegenden Falle bei dem Anspruch auf Knappschaftssold um einen solchen, der auf Art. 2 § 31 Abs. 2 KnVNG beruht. Bei ihm wird über die allgemeinen Voraussetzungen für Knappschaftssold hinaus verlangt, daß diese bereits vor dem 1. Januar 1957 vorgelegen haben. Hinsichtlich dieses Punktes sind also die Voraussetzungen für Bergmannsrente und Knappschaftssold in derartigen Übergangsfällen nicht gleich. Über diese zusätzliche Voraussetzung aber hat die Widerspruchsstelle noch nicht befunden. Daß sie diese Entscheidung noch trifft, ist nicht nur formell, sondern ist auch deshalb bedeutsam, weil sie davon abhängt, ob beim Knappschaftssold der Rentenantrag materiell-rechtliche oder nur formale Bedeutung hat und diese Frage nicht zweifelsfrei ist.
Das Fehlen des Vorverfahrens ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (BSG 3, 293). Das Urteil des LSG muß deshalb aufgehoben werden. Der Senat hat aber gemäß seiner ständigen Rechtsprechung (BSG 8, 3) davon abgesehen, die Klage als unzulässig abzuweisen, sondern von der in § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, damit im Laufe des landessozialgerichtlichen Verfahrens das Vorverfahren nachgeholt und dann sachlich der noch anhängige Anspruch auf Knappschaftssold beurteilt werden kann.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen