Leitsatz (amtlich)
Der für die Feststellung der Leistung nach SVAnG SL § 28 vorzunehmenden Vergleichsberechnung ist die für das Kalenderjahr des jeweiligen Versicherungsfalls maßgebende allgemeine Bemessungsgrundlage zugrunde zu legen.
Normenkette
RKG § 54 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; SVSaarAnglG § 28 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-06-15
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Juli 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei Berechnung der Leistung nach § 28 Abs. 1 des Sozialversicherungs- Angleichungsgesetzes Saar (SVAG-Saar) vom 15. Juni 1963 (BGBl I, 402) von den für den Zeitpunkt des jeweiligen Versicherungsfalles oder - wie die Beklagte meint - von den für den Zeitpunkt der Verkündung des SVAG (27. Juni 1963) geltenden Bezugsgrößen auszugehen ist. Die Beklagte gewährte dem Kläger, der während seines Arbeitslebens deutsche und als Grenzgänger im lothringischen Bergbau ausländische Versicherungszeiten zurückgelegt hat, vom 1. Dezember 1964 an die Knappschaftsrente (Gesamtleistung) wegen Berufsunfähigkeit sowie eine Leistung nach § 28 SVAG-Saar unter entsprechender Berücksichtigung der bis zur Verkündung dieses Gesetzes zurückgelegten Versicherungszeiten. Während sie die Höhe der Knappschaftsrente nach der für das Jahr 1964 geltenden allgemeinen Bemessungsgrundlage ermittelte, ging sie bei der Berechnung der Leistung nach § 28 SVAG-Saar von der für das Jahr 1963 maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage aus. Der nur wegen der letztgenannten Leistung erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit der Begründung zurückgewiesen, diese Berechnung entspreche sowohl dem Wortlaut wie auch dem Sinn und Zweck der in § 28 SVAG getroffenen Besitzstandsregelung.
Entsprechend dem Antrag des Klägers hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, bei der Berechnung der Leistung nach § 28 SVAG von der Bemessungsgrundlage des Jahres 1964 auszugehen. Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat unter Zulassung der Revision die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Die Leistung nach § 28 Abs. 1 SVAG-Saar sei, so führt es aus, nach den im Zeitpunkt des jeweiligen Versicherungsfalles geltenden Bezugsgrößen, im vorliegenden Fall also nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1964, zu ermitteln. Nur diese von dem zuständigen saarländischen Minister, früher auch von der Beklagten selbst vertretene und von der Landesversicherungsanstalt für das Saarland praktizierte Auslegung werde dem Sinn des Gesetzes gerecht. Das SVAG-Saar wolle einerseits das Sozialversicherungsrecht im Saarland an das im übrigen Bundesgebiet geltende Recht angleichen, andererseits - wie sich aus der Übergangsregelung der §§ 27, 28 ergebe - die mit einer solchen Angleichung verbundenen Härten im Wege der Besitzstandswahrung und der Aufrechterhaltung bereits erworbener Anwartschaften möglichst vermeiden oder doch abschwächen. Das folge aus den Ausführungen in der Begründung zu § 28 SVAG-Saar, wonach diese Vorschrift sicher stelle, daß auch die nach dem saarländischen Gesetz Nr. 345 (G 345) bis zur Verkündung des SVAG-Saar erworbenen Anwartschaften erhalten bleiben und bei Eintritt des Versicherungsfalles durch eine zusätzliche Leistung berücksichtigt werden sollten; bei Eintritt des Versicherungsfalles könne aber eindeutig nur auf die zu diesem Zeitpunkt geltende Bezugsgröße abgestellt werden. Hierdurch werde auch die eigentliche Tendenz, die saarländischen Sonderleistungen abzubauen, zwar gehemmt, aber nicht völlig beseitigt, da für die nach § 28 SVAG-Saar zu gewährende Leistung nur die bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien. Es würde daher eine dem Sinn des Gesetzes zuwiderlaufende weitere Leistungskürzung eintreten, wolle man die Leistung nach dem SVAG-Saar nur nach den im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes geltenden Bezugsgrößen ermitteln. Hätte der Gesetzgeber die von den saarländischen Grenzgängern nach dem G 345 erworbenen Rentenanwartschaften nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach auf dem Stand im Zeitpunkt der Verkündung des SVAG-Saar einfrieren wollen, so würde er das unmißverständlich im Gesetz zum Ausdruck gebracht haben. Das G 345 habe diese Grenzgänger durch eine besondere Fürsorgeleistung nach Abschluß ihres Arbeitslebens finanziell so stellen wollen, wie sie stehen würden, wenn alle Versicherungszeiten im Saarland zurückgelegt worden wären. Zu den Grundsätzen des bei Verkündung des SVAG im Saarland geltenden Rechts gehöre aber auch die jährliche Anpassung der Renten einschließlich der Fürsorgeleistungen nach dem G 345 und die Berücksichtigung der jeweils im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bemessungsgrundlage bei erstmaliger Feststellung der Leistung. Daß nur eine solche Regelung gewollt sein könne, sei weiterhin daraus zu schließen, daß nach den ergangenen Rentenanpassungsgesetzen die Leistungen nach den §§ 27, 28 SVAG auch an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben sollen; hätte der Gesetzgeber die Leistungen auf dem Stand vom 27. Juni 1963 einfrieren lassen wollen, so wäre ihre Berücksichtigung bei den Rentenanpassungen unverständlich.
Mit der Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG. Die Entscheidung der Vorinstanzen, daß bei Berechnung der hiernach zu gewährenden Leistung die allgemeine Rentenbemessungsgrundlage für 1964 zugrunde zu legen sei, verkenne Sinn und Zweck dieser Vorschrift.
Gemäß § 28 SVAG sollten die nach dem G 345 erworbenen Anwartschaften im Wege des Besitzstandes auch für den Fall aufrecht erhalten werden, daß der Versicherungsfall erst nach der Verkündung des SVAG eintrete; Besitzstand könne aber nur das sein, auf das bis zur Rechtsänderung Anspruch bestanden hätte. Die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG stelle eine Ausnahme von der Regel dar, daß für die Rentenberechnung stets die Vorschriften maßgebend sind, die im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles gelten. Der Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG lasse es nicht zu, Berechnungsgrundlagen zu verwenden, die erst nach dem 27. Juni 1963 geschaffen worden seien. Demnach könne die 7. Bezugsgrößenänderungs-Verordnung vom 21. Dezember 1963 nicht für die Berechnung einer Leistung nach § 28 SVAG herangezogen und folglich die allgemeine Bemessungsgrundlage für 1964 nicht berücksichtigt werden. Auf diese Konsequenz sei auch bereits im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durch die vom Bundestagsausschuß für Sozialpolitik gehörten Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Landesbezirk Saar) und der Saarknappschaft hingewiesen worden; es sei aber bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung verblieben. Schließlich könne auch die Berücksichtigung der jeweils für das Jahr des Versicherungsfalls maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage nicht damit begründet werden, daß nach den jeweiligen §§ 7 Abs. 2 des 8., 9. und 10. Rentenanpassungsgesetzes die Leistungen nach § 28 SVAG anzupassen sind. Es sei vielmehr zu unterscheiden zwischen der in § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG geregelten erstmaligen Berechnung der Leistung und den späteren Anpassungen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig und macht geltend, daß nach der Praxis der Gegenseite bei späteren Versicherungsfällen von den erworbenen und zu sichernden Anwartschaften kaum noch etwas übrig bleiben würde.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vordergerichte haben zutreffend erkannt, daß bei der Berechnung der dem Kläger zustehenden Leistung aus § 28 SVAG von der allgemeinen Bemessungsgrundlage des Jahres 1964, dem Jahr des Eintritts des Versicherungsfalles, auszugehen ist.
Durch das SVAG-Saar wurde das im übrigen Bundesgebiet geltende Fremd- und Auslandsrentenrecht im Saarland eingeführt und zugleich das bis dahin geltende "Gesetz Nr. 345 über eine besondere Fürsorge für Versicherte im Zusammenhang mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung außerhalb des Saarlandes in der Fassung des Gesetzes Nr. 397 vom 10. Juli 1953" (ABl 1953 S. 520) außer Kraft gesetzt. Nach diesem Gesetz, das vor allem die Situation der im lothringischen Bergbau tätigen saarländischen Grenzgänger berücksichtigte, wurde den Berechtigten, die aus der saarländischen und der nichtsaarländischen Rentenversicherung insgesamt eine geringere Rente bezogen, als sie nach saarländischem Recht für alle Versicherungszeiten erhalten hätten, der Unterschiedsbetrag als Fürsorgeleistung gewährt. Für den hierdurch bisher begünstigten Personenkreis wurde in den §§ 27, 28 SVAG-Saar eine Übergangsregelung getroffen. Während § 27 die Weitergewährung von Leistungen nach dem G 345 anordnet, auf die im Zeitpunkt der Verkündung des SVAG-Saar bereits ein Anspruch bestand, stellt § 28, wie es in der Begründung zum Entwurf (BT-Drucksache IV/474) heißt, sicher, daß auch die nach dem G 345 bis zur Verkündung erworbenen "Rentenanwartschaften", auf die das Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) keine Anwendung findet, erhalten bleiben und bei Eintritt des Versicherungsfalles durch eine zusätzliche Leistung berücksichtigt werden. Gemäß § 28 SVAG-Saar gewährt bei Versicherungsfällen nach Verkündung des Gesetzes der deutsche Versicherungsträger eine Leistung, soweit nach dem G 345 ausländische Versicherungszeiten zu berücksichtigen gewesen wären, die vor Verkündung des SVAG-Saar zurückgelegt worden sind. Die Leistung ist "der Betrag, der nach dem im Zeitpunkt der Verkündung im Saarland geltenden Recht für diese Versicherungszeiten zu gewähren wäre". Die Berechnung dieses Betrages erfordert, wenn man von der hier nicht interessierenden ausländischen Rente absieht, einen Vergleich zwischen der nach saarländischem Recht festgestellten Rente aus allen (auch ausländischen) Versicherungszeiten und der in gleicher Weise nur aus saarländischen Zeiten berechneten Rente. Im vorliegenden Fall ist allein streitig, ob hierbei stets die allgemeine Bemessungsgrundlage für das Kalenderjahr 1963, das Jahr der Verkündung des SVAG-Saar, oder jeweils die für das Jahr des Versicherungsfalls, hier also für das Kalenderjahr 1964, geltende allgemeine Bemessungsgrundlage zugrunde zu legen ist.
Schon der Wortlaut der Vorschrift, wonach die Berechnung der Leistung nach dem im Zeitpunkt der Verkündung im Saarland geltenden "Recht" zu erfolgen hat, spricht für die Anwendung der jeweils für das Jahr des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgrößen. Denn dieses Recht sieht in den §§ 54, 55 RKG für die Rentenberechnung einen veränderlichen Faktor, die allgemeine Bemessungsgrundlage, vor, die wiederum auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles bezogen ist. Inhaltlich verweist also bereits das im Zeitpunkt der Verkündung des SVAG-Saar im Saarland geltende Recht auf die im Zeitpunkt des späteren Versicherungsfalles maßgebende Bemessungsgrundlage. Der Auffassung der Beklagten, die zeitliche Begrenzung der anzuwendenden Rechtsnormen auf den Zeitpunkt der Verkündung des SVAG-Saar gebiete auch die Anwendung der damals maßgebenden Bezugsgrößen, widerspricht auch der Wortlaut der - damals letzten - 6. Bezugsgrößenänderungs-VO vom 6. Dezember 1962. Dort heißt es - wie entsprechend in den voraufgegangenen 5 Verordnungen - in den §§ 2 und 5, daß die allgemeine Bemessungsgrundlage "für Versicherungsfälle, die im Jahre 1963 eintreten", ... DM beträgt; eine Anwendung auf spätere eintretende Versicherungsfälle ist also nicht möglich. Würde man daher der Auffassung der Beklagten folgen, daß die nach dem Zeitpunkt der Verkündung des SVAG-Saar erlassenen Verordnungen über die Änderung von Bezugsgrößen bei der Berechnung von Leistungen für spätere Versicherungsfälle nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, so fehlte es überhaupt an einer Bestimmung der maßgebenden Bemessungsgrundlage für solche Fälle, so daß eine Berechnung dieser Leistung nicht möglich wäre. Dies spricht für die Annahme, daß die für das Jahr des Eintritts des Versicherungsfalles maßgebende Bezugsgrößenverordnung anzuwenden ist, weil nur so eine Berechnung dieser Leistung überhaupt durchführbar ist. Zu bedenken ist auch, daß die Bestimmung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für ein bestimmtes Kalenderjahr inhaltlich keine Änderung oder sonstige Neuregelung des bis dahin geltenden Rechts bewirkt, ihr vielmehr nur die Bedeutung der laufenden Ergänzung einer Tabelle um einen neuen Jahreswert zukommt. Die Berücksichtigung dieses Wertes hält sich also im Rahmen des bereits am 27. Juni 1963 geltenden § 54 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG).
Führt somit eine wörtliche Auslegung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG-Saar zur Anwendung der für das Kalenderjahr des jeweiligen Versicherungsfalles bestimmten allgemeinen Bemessungsgrundlage, so bedürfte es schon sehr gewichtiger Gründe für die Annahme, der Gesetzgeber habe in dieser Vorschrift zum Ausdruck bringen wollen, daß - entgegen der grundsätzlichen Regelung in § 54 Abs. 2 RKG - bei Berechnung der hiernach zu gewährenden Leistung stets die für Versicherungsfälle des Jahres 1963 bestimmte Bemessungsgrundlage anzuwenden sei. Hinreichende gewichtige Gründe für eine solche Annahme liegen aber nicht vor. Insbesondere folgt aus dem Charakter der Vorschrift als Besitzstandsregelung nicht notwendig, daß die Leistung berechnungsmäßig auf einen bestimmten Stand begrenzt wird; vielmehr würde ein "Einfrieren" der Anwartschaften auf die Bezugsgrößen für 1963 praktisch sogar zu einer Schmälerung des wirklichen Besitzstandes führen, da diese Anwartschaften bereits die Aussicht auf laufende Rentenanpassungen nach Gewährung der Rente zum Inhalt haben. Bestätigt wird die Auffassung des Senats auch durch den Umstand, daß die nach den §§ 27, 28 SVAG-Saar gewährten Leistungen - hierüber war man sich bei den Beratungen im Bundestagsausschuß für Sozialpolitik grundsätzlich einig (vgl. BT-Drucksache IV/1243 S. 6) - der wirtschaftlichen Entwicklung jeweils angepaßt werden sollten (vgl. auch § 7 Abs. 2 des 7. - 10. Rentenanpassungsgesetzes). Das paßt nicht zu einem Einfrieren des Besitzstandes des Jahres 1963. Hätte der Gesetzgeber den Besitzstand für die Anwartschaften auf den Zahlbetrag für 1963 einfrieren wollen, so hätte es zudem nahegelegen, in § 28 Abs. 1 Satz 2 SVAG-Saar zu sagen: "Die Leistung ist der Betrag, der im Zeitpunkt der Verkündung ... hätte gewährt werden müssen". Das ist jedoch nicht geschehen. Schließlich läßt auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht erkennen, daß der Gesetzgeber etwa ein Einfrieren der Anwartschaften auf die Bezugsgrößen des Jahres 1963 gewollt hätte. Aus den Gesetzesmaterialien ist ein solcher Wille des Gesetzgebers nicht ersichtlich. Bei den Äußerungen von Vertretern der Saarknappschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes vor dem sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages (3. Wahlperiode 1957, Prot. Nr. 114), auf die die Beklagte zur Unterstützung ihrer Auffassung hinweist, handelt es sich - abgesehen davon, daß sie einen früheren, nicht mehr zum Zuge gekommenen Gesetzentwurf betrafen - nicht um Ausführungen, die einen Schluß auf den Willen des Gesetzgebers zulassen.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen