Leitsatz (redaktionell)

Die Schutzfunktion des RVO § 1278 Abs 4 versagt in den Fällen, in denen zunächst die Rente aus der UV gezahlt wird und erst später eine Rentenleistung aus der gesetzlichen RV einsetzt.

 

Normenkette

RVO § 1278 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Unter den Beteiligten ist in Streit, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) die dem Kläger wegen Erwerbsunfähigkeit gewährte Versichertenrente wegen Zusammentreffens mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung teilweise zum Ruhen bringen durfte.

Der 1935 geborene Kläger erlitt am 16. April 1969 einen schweren Arbeitsunfall u. a. mit Verlust der rechten Hand. Nachdem die Beklagte der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) angekündigt hatte, daß sie dem Kläger auf Zeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewähren werde, bewilligte die BG dem Kläger durch Bescheid vom 3. Juli 1970 rückwirkend vom Beginn der 27. Woche nach dem Unfall bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit, also vom 16. Oktober 1969 bis 8. Februar 1970 unter Anrechnung des zunächst gezahlten Verletztengeldes die Verletztenvollrente. Mit einem weiteren Bescheid gewährte die BG anschließend eine Verletztenteilrente.

Die Beklagte nahm vorübergehende Erwerbsunfähigkeit des Klägers (§§ 1247 Abs. 2, 1276 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) vom Arbeitsunfall bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit sowie dauernde Berufsunfähigkeit (§ 1246 Abs. 2 RVO) an und bewilligte ihm durch den Bescheid I vom 17. Juli 1970 vom 16. Oktober 1969 bis 28. Februar 1970 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit sowie durch den Bescheid II vom gleichen Tage Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. August 1969 (Antragstellung) bis zum 15. Oktober 1969 sowie zeitlich unbegrenzt ab 1. März 1970. Im Bescheid I brachte sie dabei die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers wegen Zusammentreffens mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung teilweise zum Ruhen (§ 1278 RVO).

Mit der gegen das in diesem Bescheid angeordnete Ruhen erhobenen, auf § 1278 Abs. 4 RVO gestützten Klage hatte der Kläger zwar vor dem Sozialgericht (SG), nicht aber in der Berufungsinstanz vor dem Landessozialgericht (LSG) Erfolg. Mit dem angefochtenen Urteil vom 3. Oktober 1972 hat das LSG die die Auffassung des Klägers billigende Entscheidung des SG vom 13. Mai 1971 abgeändert und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es: Der Auszahlung von Verletztengeld seitens der Berufsgenossenschaft stehe im Sinne des § 1278 Abs. 4 RVO, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden habe, der Zahlung von Verletztenrente gleich. Überdies habe der Kläger vor Rentenbewilligung durch die beklagte LVA bereits von der BG auch schon Verletztenrente gewährt erhalten. Daher habe die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers zutreffend nach § 1278 RVO zum Ruhen gebracht.

Gegen dieses Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Der Kläger hat die Revision eingelegt. Er trägt vor:

Die Zahlung des Verletztengeldes stelle eine ganz andere Leistung dar als die Gewährung von Verletztenrente. Die "wirtschaftliche Betrachtungsweise" des LSG vermenge Tatbestände, die eine Gleichsetzung nicht zuließen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 13. Mai 1971 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, nach mehreren Entscheidungen des erkennenden Senats werde ein Fall der vorliegenden Art, in dem zu einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung die Rente aus der Rentenversicherung später hinzutrete, von der den Versicherten begünstigenden Vorschrift des § 1278 Abs. 4 RVO nicht erfaßt. Da der erkennende Senat für solche Fälle auch die Anwendung des § 1294 RVO abgelehnt habe, bedürfe es der vom LSG angestellten Überlegungen nicht, um die Ruhensvorschrift des § 1278 RVO auf die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers Anwendung finden zu lassen.

II.

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Zu Recht haben es die Beklagte und die Vorinstanz abgelehnt, die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers gemäß § 1278 Abs. 4 RVO vom Ruhen wegen des Zusammentreffens mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung frei zu lassen.

Nach der genannten Vorschrift wird u. a. die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unverkürzt bis zum Ende des Monats gewährt, in dem die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum ersten Mal ausgezahlt wird. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 25. November 1971 (BSG 33, 234, 237 = SozR Nr. 5 zu § 1279; vgl. auch die weiteren Urteile des Senats vom 15. Dezember 1971 - 5 RKn 6/70 - und vom 28. Januar 1972 - 5 RKn 33/70 -) entschieden, daß diese den Rentenberechtigten schützende Vorschrift entsprechend ihrer Schutzfunktion nur die Fälle erfaßt, in denen zwar schon die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt ist und gezahlt wird, Zahlungen aus einer Rente der gesetzlichen Unfallversicherung dagegen noch nicht laufen: Nur in diesem Fall bedürfe der Berechtigte zur Sicherstellung seines Lebensunterhalts zunächst noch der vollen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, da ihm ja Zahlungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung noch nicht zur Verfügung stehen. Wird dagegen als erstes die Rente aus der Unfallversicherung und später erst die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, versagt die Schutzfunktion des § 1278 Abs. 4 RVO, weil der Berechtigte im Augenblick der Feststellung und Zahlung der Rente aus der Rentenversicherung bereits über beide Renten verfügt. So liegt auch der konkrete Fall: Mit Bescheid vom 3. Juli 1970 hat die zuständige BG dem Kläger rückwirkend vom 16. Oktober 1969 an die Verletztenvollrente gewährt, wogegen die Beklagte erst durch die Bescheide I und II vom 17. Juli 1970 Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewilligt und in der Folge ausgezahlt hat.

Im übrigen ist der Zahlung von Verletztenrente die Zahlung des Verletztengeldes im Rahmen des § 1278 Abs. 4 RVO gleichzustellen, wenn die BG rückwirkend - wie dies vorliegend geschehen ist - die Verletztenvollrente unter Anrechnung des für die gleiche Zeit gezahlten Verletztengeldes gewährt (Urteil des erkennenden Senats vom 15. 12. 1971, SozR Nr. 21 zu § 1278 RVO).

Die Beklagte weist weiter zu Recht darauf hin, daß sich an diesem Ergebnis auch nichts durch § 1294 RVO ändert. Nach dieser Bestimmung wird für den Monat, in dem das Ruhen der Rente eintritt, die Rente für den ganzen Monat gezahlt. Der erkennende Senat hat am 25. Mai 1972 (SozR Nr. 4 zu § 1294 RVO) entschieden, daß § 1294 RVO nur die Fälle erfaßt, in denen das Ruhen der Rente eintritt, nachdem die Rente schon begonnen hat. Ruht dagegen die Rente schon bei ihrem Beginn, so ist sie auch für den ersten Monat nicht unverkürzt zu zahlen. Da vorliegend die dem Kläger von der Beklagten bewilligte Rente von allem Anfang an ruht, liegt ein Anwendungsfall des § 1294 RVO nicht vor.

Die Beklagte hat nach allem die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers richtig zum teilweisen Ruhen gebracht. Die Revision des Klägers gegen das zutreffende Urteil des LSG war daher als unbegründet zurückzuweisen und zu entscheiden, daß Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653807

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge