Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung eines Ausführungsbescheides im anhängigen Verfahren auf richtige Rentenberechnung
Orientierungssatz
Erhebt ein Rentenbewerber Klage gegen einen ergangenen Ablehnungsbescheid und erkennt der Versicherungsträger den Anspruch vor Gericht teilweise an, so ist ein aufgrund des Teilanerkenntnisurteils erlassener Ausführungsbescheid vor Gericht mit zu überprüfen, wenn wegen des nicht anerkannten Teils der Rechtsstreit weitergeführt wird. Eine eingelegte Berufung betrifft dann auch nicht mehr nur abgelaufene Zeiträume und kann also auch nicht wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen werden.
Normenkette
SGG § 96 Fassung: 1953-09-03, § 146 Fassung: 1958-06-25
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 01.02.1978; Aktenzeichen L 3 J 1856/77) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 28.09.1977; Aktenzeichen S 3 J 1057/76) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Februar 1978 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin hat im November 1975 bei der Beklagten die Gewährung einer Versichertenrente beantragt und - nach Ablehnung des Antrages - gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. April 1976 Klage erhoben. Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat die Beklagte für die Zeit ab Juni 1976 einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anerkannt; die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen. Das SG hat der Klägerin darüber hinaus auch für den Monat Mai 1976 die Rente zugesprochen, im übrigen aber die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. September 1977). Nachdem die Klägerin Berufung mit dem Ziel einer Vorverlegung des Rentenbeginns auf Dezember 1975 eingelegt hatte, erteilte die Beklagte aufgrund ihres Anerkenntnisses und des Urteils des SG den Ausführungsbescheid vom 28. November 1977 über die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente ab Mai 1976.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sie nur Rente für abgelaufene Zeiträume betreffe. Den Ausführungsbescheid der Beklagten hat das LSG nicht für mitangefochten gehalten, da er den ursprünglichen Ablehnungsbescheid weder aufgehoben noch ersetzt habe (Urteil vom 1. Februar 1978).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Ihrer Ansicht nach hätte das LSG den Ausführungsbescheid in das Verfahren einbeziehen und daraufhin überprüfen müssen, ob die Höhe der Rente richtig berechnet worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Februar 1978 aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das LSG hätte, wie die Klägerin zutreffend gerügt hat, den Ausführungsbescheid der Beklagten vom 28. November 1977 daraufhin überprüfen müssen, ob die Höhe der Rente richtig berechnet worden ist; denn dieser Bescheid hat den früheren Ablehnungsbescheid insoweit ersetzt, als er der Klägerin Rente für die Zeit ab Mai 1976 gewährt hat (§§ 96, 153 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Nachdem die Beklagte den von ihr ursprünglich abgelehnten Rentenanspruch vor dem SG teilweise (für die Zeit ab Juni 1976) anerkannt, die Klägerin dieses Teilanerkenntnis angenommen (§ 101 Abs 2 SGG) und das SG der Klägerin außerdem Rente für einen weiteren Monat (Mai 1976) zugesprochen hatte, war in die Berufungsinstanz zunächst nur ein Streit über den Rentenbeginn, nämlich über die Vorverlegung der Rente auf Dezember 1975, gelangt. Zu diesem Streit, der allein Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betraf und deshalb als solcher nicht berufungsfähig war (§ 146 SGG), kam jedoch nach Erteilung des Ausführungsbescheides vom 28. November 1977 ein Streit über die richtige Berechnung der mit diesem Bescheid gewährten Rente. Daß der Ausführungsbescheid insoweit eine selbständige Regelung enthielt, als er die Höhe der gewährten Rente feststellte, hat auch das LSG angenommen (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG § 96 Randziffer - Rz - 10 für "Ausführungsbescheide", die aufgrund eines Urteils oder eines Vergleichs ergehen, wenn sie selbständige Verwaltungsakte sind, zB die im Urteil nicht bezifferten Leistungen festsetzen).
Wäre der Ausführungsbescheid noch während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangen, so hätte ihn das SG hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 96 SGG überprüfen müssen, es sei denn, die Klägerin hätte die Rentenberechnung als richtig anerkannt und damit zu erkennen gegeben, daß sie den - kraft Gesetzes auf die Frage der Rentenhöhe erstreckten - Rechtsstreit nicht weiterführen, die Klage insoweit also zurücknehmen wolle (was hier nicht geschehen ist; die Klägerin hat vielmehr den Ausführungsbescheid zur Rentenhöhe ausdrücklich beanstandet, vgl LSG-Akte Bl 36 Rs). Gegen die Einbeziehung des Ausführungsbescheides in das sozialgerichtliche Verfahren kann in einem solchen Fall nicht eingewendet werden, daß die Entscheidung über die richtige Berechnung der Rente im Ausführungsbescheid die Entscheidung über den noch im Streit verbliebenen Teil des Rentenanspruchs - hier: Vorverlegung des Rentenbeginns auf Dezember 1975 - nicht beeinflußt hätte, sofern sich das SG auf ein Grundurteil über den restlichen Rentenanspruch beschränkt, die Feststellung der Rentenhöhe mithin zunächst der Beklagten überlassen hätte (vgl dazu Meyer-Ladewig aaO Rz 5). Das SG hätte nämlich im Falle eines zusprechenden Urteils für diesen Teil des Rentenanspruchs zugleich die Frage der richtigen Rentenberechnung klären können und hätte dazu nach Erteilung eines - die Klägerin hinsichtlich der Rentenhöhe nicht befriedigenden - Ausführungsbescheides auch Anlaß gehabt. Die Entscheidung des SG über die Rentenberechnung im Ausführungsbescheid hätte dann auch Bedeutung für die Frage der Rentenhöhe im übrigen, dh für die vom Ausführungsbescheid nicht erfaßten Rentenzeiten, gehabt.
Wäre hiernach ein noch während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangener Ausführungsbescheid nach § 96 SGG Gegenstand dieses Verfahrens geworden, so kann nichts anderes gelten, wenn der Ausführungsbescheid - aus mehr oder weniger zufälligen Gründen - erst während des Berufungsverfahrens erlassen wird. War die auf Vorverlegung des Rentenbeginns gerichtete Berufung hier trotz § 146 SGG zulässig, weil sie vom SG zugelassen war oder ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG gerügt war (§ 150 Nr 1 oder Nr 2 SGG), so gelten die gleichen Erwägungen wie in dem Falle, daß der Ausführungsbescheid noch während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangen ist. Stellt sich die Berufung dagegen nachträglich als unzulässig heraus, so ist zu berücksichtigen, daß der Versicherungsträger schon bei Erteilung des Ausführungsbescheides eine Rechtsmittelbelehrung geben muß, und zwar entweder in dem Sinne, daß der Bescheid kraft Gesetzes in das anhängige Gerichtsverfahren einbezogen wird, oder dahin, daß der Empfänger gegen ihn den Klageweg beschreiten kann. Da die Frage, in welchem Sinne die Belehrung zu erteilen ist, für den Versicherungsträger nicht bis zur Entscheidung des LSG über die Zulässigkeit der Berufung offenbleiben kann, muß er auch mit der Möglichkeit einer positiven Zulässigkeitsentscheidung rechnen, was wiederum zur Folge hat, daß die Entscheidung des LSG über die Rentenberechnung im Ausführungsbescheid zugleich Bedeutung für die Höhe des mit der Berufung verfolgten restlichen Rentenanspruchs haben kann.
Auch im Falle der Klägerin ersetzte somit der Ausführungsbescheid der Beklagten vom 28. November 1977 für die Zeit ab Mai 1976 den früheren Ablehnungsbescheid. Er wurde deshalb nach §§ 96, 153 SGG Gegenstand des anhängigen Gerichtsverfahrens, über den das LSG - insoweit als Gericht 1. Instanz (vgl Meyer-Ladewig aaO Rz 7) - mitzuentscheiden hatte. Daß hier die Berufung hinsichtlich des ebenfalls streitigen Rentenbeginns unzulässig war, hinderte die Einbeziehung des Ausführungsbescheides in das anhängige Gerichtsverfahren nicht (vgl Meyer-Ladewig aaO mit weiteren Nachweisen). Ob ein Abhilfebescheid, der den Kläger klaglos stellt, Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden (verneinend Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Oktober 1978, 7 RAr 65/77). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin durch den Bescheid der Beklagten vom 28. November 1977 nicht klaglos gestellt worden.
Da das Urteil des LSG somit auf einem von der Klägerin zutreffend gerügten Verfahrensmangel beruht, hat der Senat das angefochtene Urteil aufgehoben und, weil er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Fundstellen