Orientierungssatz
Zur Frage des Umfanges und der Art der wiederholten Prüfung behaupteter Versicherungszeiten durch das LSG.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03, § 162 Fassung: 1974-07-30; RVO § 1300 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. August 1977 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die im Jahr 1902 geborene Klägerin beantragte erstmals im Jahr 1965 Rente. Dabei gab sie ua an, sie sei von 1916 bis 1923 als Angestellte bei dem Lebensmittelamt der Stadt S beschäftigt gewesen, ab September 1918 seien für sie Beiträge zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) entrichtet worden. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. März 1966 den Rentenantrag ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei; für die Zeit bis 1923 sei keine Beitragsentrichtung nachgewiesen. Ein weiterer Rentenantrag wurde mit Bescheid vom 10. Dezember 1968 abgelehnt. Beide Bescheide sind bindend geworden. Im Jahr 1975 beantragte die Klägerin erneut Rente. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. September 1975 auch diesen Antrag ab, da die Klägerin nur von 1945 bis 1947 insgesamt 27 Monate Versicherungszeit zurückgelegt habe. Dem Widerspruch der Klägerin wurde nicht entsprochen. Im Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1976 ist ausgeführt, die Beschäftigungszeit von 1918 bis 1923 könne nicht als Beitragszeit angerechnet werden; auf die Entscheidungsgründe der sozialgerichtlichen Urteile, mit denen die Klagen der Klägerin gegen die früheren Bescheide abgewiesen worden waren, werde verwiesen.
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat mit Urteil vom 13. Januar 1977 die Klage der Klägerin abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, für die Zeit von 1918 bis 1923 sei rechtskräftig festgestellt, daß keine Beiträge zur früheren Reichsversicherung für Angestellte entrichtet worden seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 29. August 1977 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Weder mit praktischer Sicherheit noch wenigstens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit könne festgestellt werden, daß die Klägerin über die unstreitigen Versicherungsmonate hinaus weitere Beitragszeiten zurückgelegt habe. Dabei sei nicht ausschlaggebend, ob die Klägerin so behandelt werde, wie wenn zum erstenmal über ihren Rentenantrag entschieden werde, oder ob es zunächst darum gehe, daß sich die Beklagte erneut mit dem Rentenantrag befassen und ihre bisherige Ablehnung nunmehr revidieren müsse. Denn die gewünschten Feststellungen könnten selbst dann nicht getroffen werden, "wenn sich nicht infolge der Verbindlichkeit früherer Entscheidungen die Beweislast zu Ungunsten der Klägerin umgekehrt hätte". Das LSG hat die Revision zur Klärung der Fragen zugelassen, "ob und welche Ablehnungsbescheide ... ihre Bindungswirkung verloren haben, so daß ohne Beweislaständerung eine völlige Neubeurteilung des Sachverhalts hat vorgenommen werden müssen, und ob dazu sämtliches, im Laufe der Jahre zur Begründung des Rentenantrages Vorgebrachte oder nur das jüngste Vorbringen hat berücksichtigt werden dürfen".
Mit der Revision rügt die Klägerin ua eine Verletzung der §§ 77, 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie des § 1300 Reichsversicherungsordnung (RVO). Auf den Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 17. November 1977 wird Bezug genommen. Sie beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. August 1977 und des Sozialgerichts Speyer vom 13. Januar 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. September 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Mai 1965 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren und dabei zusätzlich eine Pflichtbeitragszeit von September 1918 bis März 1923 und eine Ersatzzeit von 20 Monaten 1943/44 zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Auf ihren Schriftsatz vom 4. Januar 1978 wird verwiesen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist infolge der Zulassung, an die der Senat gebunden ist (§ 160 Abs 3 SGG), zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 1975 in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist, wie in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen festzustellen ist, rechtmäßig. Was die Klägerin gegen das angefochtene Urteil vorbringt, greift nicht durch.
Die Klägerin rügt, das LSG habe die Rechtslage verkannt, indem es lediglich eine Überprüfung dahin für erforderlich halte, ob die Beklagte sich von der Unrichtigkeit ihrer früheren Rentenablehnungen zu überzeugen brauche, und indem es annehme, wegen der Verbindlichkeit früherer Entscheidungen habe sich die Beweislast zu ihren, der Klägerin, Ungunsten umgekehrt. Ob das Berufungsgericht diese Rechtsansicht hat und ob seine Meinung richtig ist, kann jedoch auf sich beruhen. Denn die "Rechtsverletzung", die die Klägerin beanstandet, ist für das angefochtene Urteil nicht ursächlich.
Nach § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil "auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts beruht". Das ist dann der Fall, wenn die richtige Rechtsanwendung zu einem anderen Ergebnis führt (Meyer-Ladewig, SGG, Anm 9 zu § 162).
Trifft die Rechtsansicht zu, daß die Beklagte den im Jahr 1975 erhobenen Rechtsanspruch nur daraufhin zu überprüfen hatte, ob sie, die Beklagte, sich bei erneuter Prüfung von der Unrichtigkeit der früheren Ablehnung überzeugt hat, so ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Anspruch begründet, was auch die Klägerin nicht bestreitet (§ 1300 RVO; vgl im übrigen zu den Ausführungen des LSG auch Bundessozialgericht - BSG - vom 22. September 1977 in SozR 3900 § 40 Nr 9 und Anmerkung in Die SGb 1978, 317).
Ist die Rechtslage anders, so daß also die Beklagte das Begehren der Klägerin wie einen erstmals erhobenen Rentenanspruch zu prüfen hatte, so ergeben die weiterhin getroffenen Feststellungen des LSG, daß auch bei dieser rechtlichen Beurteilung der Rentenantrag abgelehnt werden muß. Denn das Berufungsgericht hat festgestellt, daß weitere Versicherungszeiten weder erwiesen noch wahrscheinlich sind. Es hat das im einzelnen begründet. Gegen die Feststellungen sind keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht worden, weshalb der Senat an diese Feststellungen gebunden ist (§ 163 SGG). Zwar beanstandet die Revision in allgemeinen Wendungen, das LSG habe sich der Verpflichtung zur Prüfung des bisherigen Vorbringens und zur Würdigung des gesamten Akteninhalts nicht unterzogen, auch beruhe die Entscheidung nicht auf dem Beweisergebnis des gesamten Verfahrens. Das genügt jedoch nicht. Das Vorbringen hätte als Rüge von Verfahrensmängeln unter Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben, nach der Vorschrift des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG eingeführt werden müssen (vgl zu der umfangreichen Rechtsprechung zur Rüge von Verfahrensmängeln Meyer-Ladewig, aaO, Anm 12 zu § 164 SGG).
Die für den Senat maßgebenden Feststellungen des Berufungsgerichts besagen, daß die tatsächliche Behauptung der Klägerin über zusätzliche Versicherungszeiten nicht erwiesen und damit nicht "wahr" ist. Damit ist aber der Rentenantrag unabhängig von der Beurteilung als eines Antrages nach § 1300 RVO oder eines Neuantrages unbegründet, weil die Wartezeit nicht erfüllt ist.
Die Revision der Klägerin war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen