Leitsatz (redaktionell)
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit schließt den Versicherungsschutz bei einem Wegeunfall aus.
Normenkette
RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des in Duisburg wohnhaft und bei einer Gartenbaufirma in Mülheim (Ruhr) beschäftigt gewesenen Gärtnermeisters Erich H (H.). H. leitete im August 1955 eine Baustelle seiner Firma in der Siedlung am Buchenberg in Mülheim; den etwa 12 km langen Weg nach und von der Arbeitsstätte legte er mit seinem Fahrrad zurück. Wegen eines im Januar 1955 erlittenen rechtsseitigen Unterschenkelbruchs war er noch gehbehindert und benutzte einen Gehstock. Am 19. August 1955 verließ H. nach neunstündiger Arbeitsschicht gegen 16.30 Uhr die Baustelle und begab sich mit seinem Kollegen W in die einige Minuten entfernte Gaststätte "Zum K.". Dort trank H. zwei Glas Bier. Zu W, der die Gaststätte um 17 Uhr verließ, erklärte H., er werde nun auch nach Hause fahren. Um 18.10 Uhr bog H. - die abschüssige B.-straße hinunterradelnd - durch eine unübersichtliche Linkskurve in die Mühlenstraße ein. Ausgangs der Kurve stieß er mit dem entgegenkommenden Radfahrer K zusammen. Während K und sein hinter ihm auf einem Tretroller fahrender kleiner Sohn leicht verletzt wurden, erlitt H. beim Sturz auf die Fahrbahn einen Schädelbruch mit Hirnquetschung und starb daran nach einigen Stunden, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen. Die Unfallstelle befand sich auf dem üblichen Heimweg des H., etwa 1 km von der Baustelle bzw. der Gaststätte "Zum K." entfernt. Die um 19.15 Uhr bei H. entnommene Blutprobe wurde vom Hygieneinstitut des Ruhrgebiets in Gelsenkirchen nach der Widmark-Methode untersucht; nach dem Bericht des Abteilungsleiters bei diesem Institut, Dr. P, ergab die dreifach vorgenommene Bestimmung einen Blutalkoholgehalt von 1,85 0 / 00 , woraus für die Unfallzeit auf einen Blutalkoholspiegel von 2 0 / 00 zu schließen sei; zweifellos sei H. infolge sehr erheblicher Alkoholbeeinflussung absolut fahruntüchtig gewesen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen K ein, weil diesem ein strafbares Verkehrsverhalten nicht nachzuweisen sei; die Schuld am Unfall dürfte allein den H. treffen, der im alkoholbeeinflußten Zustand ohne ersichtlichen Grund von der rechten auf die linke Straßenseite gefahren sei. Durch Bescheid vom 28. November 1955 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit habe sich H. von der Betriebstätigkeit gelöst, mithin sei der Versicherungsschutz entfallen.
Im Klageverfahren machte die Klägerin geltend, die Blutalkoholbestimmung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Dieser Behauptung traten die gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. B, Düsseldorf (Gutachten vom 27. März 1956), und Prof. Dr. W, Mainz (Gutachten vom 31. Dezember 1956) entgegen; beide Sachverständigen meinten, H. sei im Unfallzeitpunkt nicht mehr in der Lage gewesen, sich im Straßenverkehr als Radfahrer mit der erforderlichen Sicherheit zu bewegen. Für den Unfallzeitpunkt nahm Prof. Dr. B bei H. einen Blutalkoholspiegel von 1,85 0 / 00 , Prof. Dr. W einen solchen von 1,6 bis 1,65 0 / 00 an. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Zeugen W und E vernommen, von der Inhaberin der Gaststätte "Zum K." eine schriftliche Auskunft eingeholt und durch Urteil vom 9. Mai 1958 die Klage abgewiesen: H. sei bei dem Blutalkoholgehalt von 1,6 bis 1,65 0 / 00 , an dessen Vorliegen auch aufgrund der Zeugenaussagen nicht zu zweifeln sei, absolut fahruntüchtig gewesen und habe somit auf dem Heimweg den Zusammenhang mit dem Betrieb gelöst. Es komme nicht darauf an, ob die nachgewiesene absolute Fahruntüchtigkeit den Unfall verursacht habe (BSG 3, 116 ff).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin das Gutachten des Gerichtsmediziners Prof. Dr. S, Münster, vom 16. Januar 1960 vorgelegt. Prof. Dr. S hat ausgeführt, wegen der bei der Widmark-Methode gelegentlich vorkommenden Fehler müßte noch die ADH-Methode bei der Blutalkoholbestimmung angewandt werden. Sollte H. - wie die Klägerin jetzt vortrage - erst kürzere Zeit vor dem Unfall sehr schnell eine größere Alkoholmenge zu sich genommen haben, so hätte der Blutalkoholgehalt im Unfallzeitpunkt 1,4 0 / 00 betragen; aus diesem rechnerischen Abzug ergebe sich aber nicht etwa eine entsprechend günstigere Beurteilung der Fahrtüchtigkeit. Der vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen gehörte Sachverständige Prof. Dr. P, Münster, ist in seinem Gutachten vom 16. Dezember 1960 zu dem Ergebnis gelangt, H. sei im Unfallzeitpunkt bei einem Blutalkoholgehalt von 1,65 0 / 00 infolge Trunkenheit außerstande gewesen, sein Fahrrad sicher im Straßenverkehr zu lenken; es sei unwahrscheinlich, daß ein nicht unter Alkoholeinfluß stehender Versicherter bei gleicher Sachlage ebenso verunglückt wäre. In seinem ergänzenden Gutachten vom 17. Mai 1962 hat Prof. Dr. P zu der Frage Stellung genommen, ob die Trunkenheit des H. die alleinige Ursache für den Verkehrsunfall gewesen ist. Er hat diese Frage bejaht unter eingehender Abwägung von Faktoren, die sonst noch zum Unfallgeschehen beitragen konnten (insbesondere Gefälle der Straße und Beschaffenheit ihrer Oberfläche, Schneiden der unübersichtlichen Kurve, körperliche Behinderung des H. durch Folgen der Beinverletzung, Verhalten des Kube). Der Gerichtsmediziner Prof. Dr. M, Düsseldorf, dessen Gutachten vom 12. Oktober 1961 die Beklagte vorgelegt hat, ist zu dem Ergebnis gelangt, es finde sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Widmark-Methode hier zur Annahme eines zu hohen Blutalkoholgehalts geführt habe. Der Blutalkoholgehalt habe keinesfalls unter 1,6 0 / 00 gelegen. An der Verkehrsunsicherheit des H. könne kein Zweifel bestehen.
Im Berufungstermin am 16. Oktober 1962 hat der vom LSG zum Sachverständigen bestellte Prof. Dr. M ein Gutachten erstattet und im Anschluß an die Vorgutachter W und P einen Blutalkoholgehalt von 1,6 0 / 00 für den Unfallzeitpunkt angenommen. Eine ADH-Bestimmung sei 1955 noch nicht üblich und im vorliegenden Fall auch nicht erforderlich gewesen; nach der Unfallsituation und dem Ergebnis der Blutalkoholbestimmung bestehe kein Zweifel, daß der Alkohol die alleinige Unfallursache gewesen sei. Das LSG hat durch Urteil vom 16. Oktober 1962 die Berufung zurückgewiesen: Durch seine über 1 1 / 2 Stunden währende eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Mülheim nach Arbeitsschluß habe H. den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit in einer Weise unterbrochen, daß die innere ursächliche Beziehung seines Heimwegs zur Betriebstätigkeit als endgültig gelöst anzusehen sei. Wo H. sich in der Zeit von 17 bis 18 Uhr in Mülheim aufgehalten habe, könne nicht geklärt werden. Für die Angabe der Arbeitgeberfirma, er habe sich von der Gaststätte "Zum K." nochmals zur Baustelle begeben, um dort eine Kontrolle durchzuführen, hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Wahrscheinlich sei vielmehr, daß H. sich in der Zeit von 17 bis 18 Uhr in anderen Gastwirtschaften aufgehalten und dort erhebliche Mengen Alkohol genossen habe. Zwischen 17 und 18 Uhr habe er jedenfalls keine betriebliche Tätigkeit verrichtet, sondern sich eigenwirtschaftlich betätigt. Damit sei ausreichend wahrscheinlich, daß er sich von 16.30 bis 18 Uhr in Gastwirtschaften aufgehalten und Alkohol genossen, sich also rein persönlich betätigt habe. Durch Art und Dauer dieser eigenwirtschaftlichen Unterbrechung habe er zu erkennen gegeben, daß er sich von der versicherten Beschäftigung endgültig lösen wollte. Er sei demnach von einem rein persönlichen Gasthausbesuch nach Hause gefahren.
Selbst wenn unterstellt werde, daß H. vor Antritt des Heimwegs sich nicht durch eigenwirtschaftliche Betätigung von der versicherten Beschäftigung gelöst habe, entfalle der Versicherungsschutz nach § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, weil der Unfall allein wesentlich auf die durch Trunkenheit hervorgerufene Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sei. Die Einwände der Klägerin gegen die Zuverlässigkeit der Blutalkoholbestimmung seien durch die Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. M in seinem schriftlichen Gutachten vom 12. Oktober 1961 und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG eindeutig widerlegt worden. Bei einem Blutalkoholspiegel von 1,6 0 / 00 sei ein Radfahrer nicht imstande, sich im Verkehr sicher zu bewegen. Ob H. im Unfallzeitpunkt absolut fahruntüchtig gewesen sei, könne dahinstehen; denn die Einzelheiten des Unfallhergangs bewiesen, daß nur die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Unfall wesentlich verursacht habe. Alle anderen Ursachen schieden als für das Unfallgeschehen unwesentlich aus. Einem nicht unter Alkoholeinfluß stehenden Verkehrsteilnehmer wäre bei der gegebenen Sachlage der Unfall wahrscheinlich nicht zugestoßen. Das Verschulden eines Dritten scheide aus. Es habe sich weder um eine schwierige Verkehrssituation gehandelt noch finde die übermäßig schnelle Fahrt des H. darin ihren vornehmlichen Grund, daß er eine abschüssige Straße befahren habe; der Zustand der mit losem Splitt bestreuten Fahrbahn habe sich auf das Unfallgeschehen in keiner Weise ausgewirkt. Die körperliche Behinderung des H. am rechten Bein habe keinen wesentlichen Anteil am Unfallablauf gehabt; denn wenn H. nicht mit dem geschwächten rechten Bein das Fahrrad auf der abschüssigen Straße hätte bremsen können, hätte er es doch mit dem gesunden linken Bein wirksam tun können. Schließlich seien dem H. die Verkehrsverhältnisse an der Unglücksstelle von seinen täglichen Fahrten her genau bekannt gewesen. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 19. Dezember 1962 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. Januar 1963 Revision eingelegt und sie am 1. Februar 1963 folgendermaßen begründet: Ein Verstoß gegen § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liege darin, daß die Vorinstanzen nur über den Anspruch der Witwe, dagegen nicht über die von der Beklagten gleichfalls abgelehnten Ansprüche der Waisen entschieden hätten. Während im Klage- und Berufungsverfahren stets unterstellt worden sei, daß H. nach dem Aufbruch des Zeugen W. sich noch einige Zeit in der Gaststätte "Zum K." aufgehalten und diese erst gegen 17.20 bis 17.30 Uhr verlassen habe, gehe das LSG im angefochtenen Urteil irrtümlich davon aus, H. sei schon um 17 Uhr aufgebrochen; die Annahme des LSG, H. habe zwischen 17 und 18 Uhr eine ganze Stunde lang Gelegenheit zum Aufsuchen weiterer Gaststätten und erneutem Alkoholgenuß gehabt, beruhe auf einer unrichtigen Voraussetzung. Tatsächlich habe H. hierzu nur zwischen 17.30 und 18 Uhr Gelegenheit gehabt; die Schlußfolgerungen des LSG auf eigenwirtschaftliche Betätigung des H. durch längeren Gasthausaufenthalt und hiermit bewirkte Lösung vom Betriebe verstießen gegen die Denkgesetze, insbesondere weil dabei der aktenkundige Umstand völlig übersehen worden sei, daß es sich bei dem Gaststättenaufenthalt keinesfalls um ein Trinkgelage nach Feierabend, sondern um die dringend erforderliche Erfrischung nach neunstündiger Arbeit an einem heißen Augusttage und vor Antritt der etwa 1 1 / 2 Stunden dauernden Heimfahrt gehandelt habe. Auch die Annahme des LSG, H. sei alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen und dies sei als die allein wesentliche Unfallursache anzusehen, sei verfahrensrechtlich fehlerhaft zustande gekommen. Das LSG habe die Ungenauigkeit der Widmark-Methode nicht ausreichend gewürdigt, zu Unrecht statt der von Prof. Dr. S geschätzten 1,4 0 / 00 einen Blutalkoholspiegel von 1,6 0 / 00 angenommen und seine Entscheidung auf das Termingutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M gestützt, der wegen seiner früheren Gutachtertätigkeit für die Beklagte als befangen gelten müsse. Bei der Abwägung der verschiedenen zum Unfall führenden Umstände habe das LSG einseitig die Alkoholbeeinflussung in den Vordergrund gerückt; hierbei habe es insbesondere zu wenig berücksichtigt die Straßenbeschaffenheit, die körperliche Behinderung des H. sowie die Behinderung durch den am Fahrrad befestigten Gehstock und die Tatsache, daß H. bis zum Unfall über eine besonders schlechte Wegstrecke etwa 15 Minuten lang unfallfrei gefahren sei. Schließlich hätte eine ausreichende Sachaufklärung einen Ortstermin, die Heranziehung eines Verkehrssachverständigen sowie die Einholung von Auskünften über die Folgeerscheinungen der Beinverletzung vom Januar 1955 geboten.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zur Gewährung der Hinterbliebenenentschädigung zu verurteilen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist mangels Zulassung nur statthaft, wenn eine der mit ihr erhobenen Verfahrensrügen zutrifft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150).
Das ist nicht der Fall hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen § 123 SGG. Zwar hat die Klägerin mit Schreiben vom 29. August 1955 bei der Beklagten für sich Witwenrente und für ihre beiden Töchter Waisenrenten beantragt. Der Bescheid der Beklagten vom 28. November 1955, der nur an die Klägerin persönlich - ohne Bezugnahme auf ihre Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin ihrer beiden Töchter - gerichtet war, ließ jedoch nicht eindeutig erkennen, daß die Beklagte damit auch über die Entschädigungsansprüche der Waisen entschieden hat; sofern es die Beklagte hierbei unterlassen haben sollte, über gegen sie erhobene Entschädigungsansprüche einen Bescheid zu erteilen, würde dies einen Mangel im Verwaltungsverfahren bedeuten, der nicht unter § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG fällt. In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. Mai 1958 hat die Klägerin schließlich den Antrag gestellt, "unter Aufhebung des Bescheids vom 28. November 1955 die Beklagte zu verurteilen, ihr Sterbegeld und Hinterbliebenenrente zu gewähren". Aufgrund dieses Antrags, den der - allerdings weniger genau formulierte - Berufungsantrag im Schriftsatz vom 27. Juli 1962 jedenfalls nicht durchgreifend geändert hat, durften die Vorinstanzen davon ausgehen, daß in diesem Rechtsstreit nur über den von der Klägerin als Witwe des H. erhobenen Entschädigungsanspruch zu entscheiden war.
Als zutreffend erweist sich dagegen das Revisionsvorbringen soweit es sich gegen die vom LSG im ersten Teil der Entscheidungsgründe vertretene Auffassung wendet, H. habe am Unfalltag vor Antritt seiner Heimfahrt durch eigenwirtschaftliche Betätigung den Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung gelöst. Die Gründe, die das LSG für diese Auffassung gibt, lassen erkennen, daß es bei seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat. Das LSG sieht es als wahrscheinlich an, daß H. nach Ende seiner betrieblichen Tätigkeit gegen 16.30 Uhr sich bis etwa 18 Uhr in Gastwirtschaften aufgehalten und Alkohol getrunken hat. Dieser Ausgangspunkt ist noch verfahrensrechtlich bedenkenfrei, da ein nochmaliger Besuch des H. auf der Baustelle nach dem Aufenthalt in der Gaststätte "Zum K." nicht nachweisbar ist. Dagegen steht der vom LSG hieraus gezogene tatsächliche Schluß, H. habe sich also von der Beendigung seiner Arbeit um 16.30 bis zur Abfahrt um 18 Uhr etwa 1 1 / 2 Stunden lang rein persönlich betätigt und durch Art und Dauer dieser eigenwirtschaftlichen Unterbrechung zu erkennen gegeben, daß er sich von der versicherten Beschäftigung lösen wollte, in Widerspruch zu tatsächlichen Umständen, die das LSG teils selbst festgestellt, teils in nicht ausreichender Würdigung der Beweisunterlagen übersehen hat: Der mit dem Fahrrad zurückzulegende Heimweg des H. von Mülheim nach Duisburg-Meiderich war 12 km lang und erforderte eine Fahrzeit von mehr als einer Stunde. Der Unternehmer hatte bereits in dem am 24. August 1955 ausgefüllten Fragebogen als Zweck des Gaststättenaufenthalts angegeben: "Erfrischung, da neun Stunden in der Sonne gearbeitet (ca. 27 °)." Angesichts dieser Umstände den Gaststättenbesuch des H. nicht als eine notwendige Ruhe- und Erfrischungspause vor Antritt des ausgedehnten Heimwegs, sondern als betriebsfremde Betätigung zu betrachten, hieße den Dingen Gewalt antun; solche Erwägungen sind auch im Verfahren des ersten Rechtszuges weder von den Beteiligten noch vom SG ernstlich angestellt worden. Im übrigen macht die Revision mit Recht geltend, daß das LSG den Zeitraum, in dem H. sich ganz allein und unbeobachtet noch in Mülheim aufhielt, nicht auf eine volle Stunde, nämlich von 17 bis 18 Uhr, veranschlagen durfte. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verließ H. die Gaststätte "Zum K." nicht gleichzeitig mit seinem Kollegen W, sondern blieb nach dessen Weggang noch eine Weile dort sitzen. Sofern also das LSG - wie den Entscheidungsgründen entnommen werden könnte - in der Betätigung des H. nach seinem Aufbruch aus der Gaststätte "Zum K." ein besonders deutliches Anzeichen für betriebsfremde Motive erblicken wollte, läßt sich seine Annahme, diese Betätigung habe von 17 bis 18 Uhr gedauert, nicht halten; dabei kommt es - angesichts der an sich schon verhältnismäßig kurzen Zeitdauer - nicht entscheidend darauf an, ob nun an einer vollen Stunde 10 Minuten oder 20 Minuten gefehlt haben.
Die Revision hat hiernach zutreffend gerügt, daß der Teil der Gründe des angefochtenen Urteils, der sich nach dem Aufbau des Urteils als Hauptbegründung darstellt, auf wesentlichen Mängeln des Verfahrens beruht. Die Revision ist damit statthaft. Sie ist jedoch unbegründet, da die gegen die Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils gerichteten Revisionsrügen nicht durchgreifen.
Die Frage, ob der in diesem Fall allein - ohne Kontrolle nach dem ADH-Verfahren - angewandten Widmark-Methode ein hinreichender Beweiswert für die Blutalkoholbestimmung zukommt, durfte das LSG aufgrund der ihm vorliegenden gutachtlichen Äußerungen bejahen, zumal da Anhaltspunkte für ein Stoffwechselleiden des H., welches einen höheren Alkoholgehalt hätte vortäuschen können (BSG 18, 179, 181), hier nicht ersichtlich sind. Die Revision hat auch keine konkreten Umstände vorgetragen, welche die Richtigkeit der ausschließlich nach der Widmark-Methode durchgeführten Blutalkoholbestimmung in Frage stellen könnten. Soweit sich das LSG bei der Beurteilung dieser Frage auf das Termingutachten des Prof. Dr. M gestützt hat, kann die Revisionsrüge, mit der Bestellung dieses Sachverständigen habe das LSG einen Verfahrensverstoß begangen, keinen Erfolg haben; denn die Klägerin hat von ihrem Recht, den Sachverständigen Prof. Dr. M wegen Befangenheit abzulehnen, in der Berufungsverhandlung keinen Gebrauch gemacht (vgl. SozR ZPO § 42 Nrn. 1 und 4). Die Hinweise der Revision auf den in solchen Fällen angebrachten Abzug von 0,1 0 / 00 (vgl. auch BSG 18, 182) sowie den Umstand, daß der Sachverständige Prof. Dr. S für den Unfallzeitpunkt den Blutalkoholgehalt auf nur 1,4 0 / 00 geschätzt hat, sind nicht geeignet, einen Denkfehler des LSG bei der Beurteilung der Fahruntüchtigkeit des H. darzutun; Prof. Dr. S hat nämlich abschließend ausgeführt, aus seiner Berechnung eines geringeren Promillesatzes ergebe sich keine entsprechend günstigere Beurteilung der Fahruntüchtigkeit, außerdem hat das LSG es dahingestellt gelassen, ob H. im Unfallzeitpunkt absolut oder nur relativ fahruntüchtig gewesen sei; es hat seine Entscheidung auf die - auch bei relativer Fahruntüchtigkeit zulässige - Annahme gestützt, in Anbetracht der Einzelheiten des Unfallhergangs habe nur die durch die Trunkenheit des Verunglückten hervorgerufene Fahruntüchtigkeit den Unfall wesentlich verursacht, einem nicht unter Alkoholeinfluß stehenden Verkehrsteilnehmer wäre bei der gegebenen Sachlage der Unfall wahrscheinlich nicht zugestoßen.
Gegen diese Annahme wendet sich die Revision mit mehreren Rügen, welche indessen wesentliche Mängel des Berufungsverfahrens nicht nachzuweisen vermögen. Hinsichtlich der Rüge unzureichender Sachaufklärung infolge Nichthinzuziehung eines Verkehrssachverständigen und unterbliebener Anberaumung eines Ortstermins geht aus dem Revisionsvorbringen nicht hervor, zu welchen - den vom LSG getroffenen Feststellungen widersprechenden - Ergebnissen diese Beweiserhebungen geführt haben würden. Als unzureichende Erforschung des Sachverhalts bezeichnet es die Revision ferner, daß das LSG über das Ausmaß der am 19. August 1955 noch bestehenden Folgen der Beinverletzung des H. vom Januar 1955 nicht durch Einholung von ärztlichen Auskünften und Beiziehung von Krankenpapieren Beweis erhoben habe; aus diesen Beweismitteln hätte sich ergeben, daß das rechte Bein des H. am 19. August 1955 noch sehr stark gebrauchsbehindert gewesen sei. Das LSG mußte sich indessen zur Anstellung dieser Ermittlungen nicht gedrängt fühlen, denn es hat unterstellt, daß H. bei der Heimfahrt am 19. August 1955 wegen seiner Behinderung am rechten Bein mit diesem nicht zu bremsen vermochte; es hat jedoch angenommen, daß er eine zu starke Beschleunigung auf der Gefällstrecke jedenfalls durch Abbremsen mit dem gesunden linken Bein hätte verhindern können; hiergegen sind aufgrund des Revisionsvorbringens Bedenken nicht erkennbar.
Zu Unrecht bemängelt schließlich die Revision die Beweiswürdigung des LSG insofern, als sie geltend macht, das LSG habe die alkoholische Beeinflussung des H. einseitig in den Vordergrund gerückt und die sonstigen zum Unfallgeschehen beitragenden Gegebenheiten - Gefällstrecke, scharfe unübersichtliche Kurven, rutschiger Straßenbelag - vernachlässigt. Mit all diesen Punkten hat sich das LSG, gestützt auf die Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. P in dessen Gutachten vom 17. Mai 1962, unter eingehender Abwägung der verschiedenen als ursächlich in Betracht kommenden Faktoren auseinandergesetzt; die Gründe des angefochtenen Urteils lassen hierbei eine Überschreitung der Grenzen des richterlichen Beweiswürdigungsrechts nicht erkennen. Die von der Revision im übrigen noch vorgetragenen Gesichtspunkte - H. habe sich am Unfalltag wegen verspäteter Abfahrt möglicherweise besonders beeilt, und er habe bis zum Zusammenstoß bereits eine beachtliche Strecke zurückgelegt gehabt - sind schon wegen ihrer Unbestimmtheit nicht geeignet, eine gesetzlich einwandfreie Beweiswürdigung in Frage zu stellen.
Die Revision muß hiernach als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen