Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 06.06.1968) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten verpflichtet ist, für die Jahre 1959 bis 1962 Beiträge zu entrichten. Die Klägerin verneint ihre Beitragspflicht, weil im Unternehmen keine versicherten Personen tätig seien.
Von dem Stammkapital der GmbH von 20.000,– DM hält die Geschäftsführerin, Frau Margarete S. (S.), welche alle anfallenden Arbeiten leistete Geschäftsanteile in Höhe von 19.500,– DM. Der andere Gesellschafter, ihr Bruder, betätigt sich nicht im Unternehmen.
Im Zuge der Feststellung der berufsgenossenschaftlicher Zugehörigkeit übersandte die Beklagte der Klägerin am 19. Juni 1962 einen Fragebogen mit dem Hinweis, daß der Geschäftsführer einer GmbH, der zugleich ihr Gesellschafter sei, nicht als Unternehmer im Sinne des 3. Buchs der Reichsversicherungsordnung (RVO), sondern als Angestellter der GmbH angesehen werde und eine Ausnahme nur bestehe, wenn ein solcher Gesellschafter mit mehr als 50 v.H. am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt sei; in diesem Fall sei eine freiwillige Versicherung möglich. Am 25. September 1962 sandte die Beklagte der Klägerin den Aufnahmebescheid zu und wies darauf hin, daß Geschäftsführer von GmbHen ausnahmslos zu den versicherten Personen zählten, der Hinweis im Schreiben vom 19. Juni 1962 somit überholt sei.
Die Beklagte erteilte der Klägerin am 21. Dezember 1962 Heberollenauszüge über die von ihr für die Jahre 1959 bis 1961 zu leistenden Beiträge sowie einen Beitragsvorschuß für das Jahr 1962; dem jeweiligen Mindestbeitrag legte sie zugrunde, daß die Geschäftsführerin im Unternehmen als Versicherte tätig sei.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25. November 1963 mit der Begründung zurück, daß Unternehmer allein die GmbH sei und Frau S. als Geschäftsführerin, obwohl sie Gesellschafterin der GmbH sei, zu dieser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis nach § 537 Nr. 1 RVO a.F stehe.
Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit der Begründung Klage erhoben, daß ihre Geschäftsführerin auf die Geschicke der Gesellschaft einen ausschlaggebenden Einfluß ausübe und deshalb nicht abhängig beschäftigt sei.
Das SG hat durch Urteil vom 15. Dezember 1965 die angefochtenen Bescheide aufgehoben, weil Frau S. sich angesichts der Höhe ihrer Geschäftsanteile nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin befinde.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 6. Juni 1968 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Frau S. gehöre nicht zum Kreis der nach den §§ 537 ff., 732 RVO aF gegen Entgelt beschäftigten versicherten Personen. Deshalb seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Ein abhängiges Dienstverhältnis im Sinne von § 537 Nr. 1 RVO aF liege nicht vor; weil Frau S. aufgrund ihrer Geschäftsanteile von 97,5 v.H. am Stammkapital der Klägerin und ihrer Tätigkeit als alleinige Geschäftsführerin einen entscheidenden Einfluß auf das Unternehmen habe und jede ihr genehme Entscheidung gegenüber dem Mitgesellschafter durchsetzen könne. Frau S. werde auch nicht wie eine Versicherte nach der Nr. 10 iVm der Nr. 1 des § 537 RVO aF in Unternehmen tätig. Allein der Umstand, daß Frau S. eine Tätigkeit verrichte, die auch ein abhängig Beschäftigter leisten könne, erfülle nicht schon die Voraussetzungen dieser Vorschrift. Wie ein Versicherter tätig werden bedeute nämlich auch, daß das Unternehmen bestimme, ob überhaupt eine versicherte Tätigkeit geleistet werde. Ob Frau S. dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens entsprechend tätig werde, bestimme indessen nicht das Unternehmen, sondern sie selbst aufgrund ihrer überragenden Gesellschafterstellung. Daran ändere nichts, daß nicht Frau S., sondern die GmbH der Unternehmer im Sinne des 3. Buchs der RVO sei. Die Frage, ob jemand nach § 537 RVO aF versichert sei, beurteile sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nach den tatsächlichen Verhältnissen. Für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO aF iVm der Nr. 1 sei es erforderlich, daß für die jeweilige Tätigkeit Weisungen von einem anderen überhaupt gegeben werden könnten. Das sei aber bei der Geschäftsführerin der Klägerin gerade nicht der Fall gewesen, weil sie selbst rechtlich allein weisungsberechtigt gewesen sei und tatsächlich auch keine Weisungen empfangen habe. Frau S. sei in ihrer Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführerin wie eine Unternehmerin und nicht wie eine Arbeitnehmerin anzusehen und zu behandeln. Sie könne zwar weder als Unternehmerin noch als Beschäftigte noch wie eine Beschäftigte versichert sein. Dies sei indessen die Folge der von ihr gewählten Unternehmensform.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Sowohl der Unfallversicherungsschutz (UV-Schutz) als auch die Beitragspflicht der Gesellschafter-Geschäftsführer von GmbHen müßten nach denselben versicherungsrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Sehe man diesen Personenkreis nach § 537 RVO aF als versichert an, müsse man das ihnen gezahlte Entgelt in den Jahreslohnnachweis des Unternehmens aufnehmen. Um angesichts der gerade bei GmbHen äußerst unterschiedlichen Verhältnisse zu für die Verwaltungspraxis brauchbaren Maßstäbe zu gelangen, sei im Interesse der Klarheit und Vereinfachung abweichend von der Regel, daß die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend seien, auf die formale Rechtskonstruktion der GmbH und des Rechtsverhältnisses ihrer Geschäftsführer und Gesellschafter abzustellen. Unternehmer sei allein die Gesellschaft, möge auch – wie hier – dem Gesellschafter-Geschäftsführer die Gesellschaft, wirtschaftlich betrachtet, gehören. Rechtlich handele dieser in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer für die Gesellschaft nicht aufgrund seiner Stellung als maßgebender oder vielleicht gar einziger Gesellschafter, sondern lediglich aufgrund des besonderen Vertragsverhältnisses, welches hinsichtlich seiner Bestellung und seiner Tätigkeit als Geschäftsführer zwischen der Gesellschaft und ihm als deren Geschäftsführer bestehe. Beitragsrechtlich sei ein solcher Gesellschafter-Geschäftsführer sonach als abhängig Beschäftigter im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF zu behandeln und dementsprechend beim Jahreslohnnachweis und der Beitragverpflichtung der Gesellschaft zu berücksichtigen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Dem angefochtenen Urteil wird, wenn auch nicht in seiner gesamten Begründung, zugestimmt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 23, 83 mit Nachweisen), von der auch die Beklagte bei der Erteilung der strittigen Beitragsbescheide ausgegangen ist, ist die GmbH – Klägerin – die Unternehmerin und als solche Mitglied der Beklagten (§§ 633, 649 RVO in der vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes geltenden Fassung – RVO aF –, § 658 RVO nF). Ihre Beitragspflicht (§ 731 Abs. 1 RVO aF, § 723 RVO nF) hängt davon ab, daß sie wenigstens eine versicherte Person gegen Entgelt beschäftigt (§ 732 RVO aF, § 725 RVO nF). Wie des Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, gehört die Geschäftsführerin der Klägerin – die einzige im Unternehmen tätige Person – nicht zum Kreis der Versicherten, insoweit sind die §§ 537 RVO aF, 539 RVO nF ff, maßgebend. Für die Frage des nach diesen Vorschriften zu beurteilenden Rechtsverhältnisses der Geschäftsführerin zur Klägerin kommt es wobei zwischen der gesellschaftsrechtlich begründet. Organstellung des Geschäftsführers und seinem Anstellungsverhältnis zur Gesellschaft zu unterscheiden ist (BSG 16, 73; 23, 83) nicht allein auf die rechtliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses, sondern auch auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Von dieser ständigen Rechtsprechung abzuweichen, besteht – entgegen Schieke (BG 1966, 191 ff.) – auch in Fällen wie dem vorliegenden kein überzeugender Grund.
Eine versicherte Tätigkeit im Sinne von § 537 Nr. 1 RVO aF, § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nF übt die Geschäftsführerin der Klägerin nicht aus. Es fehlt, wie das LSG zutreffend abgeführt hat, angesichts der Höhe ihrer Geschäftsanteile von 97,5 v.H. des Stammkapitals an dem rechtlichen Erfordernder persönlichen Abhängigkeit. Dem Berufungsgericht wird auch insoweit – allerdings nur im Ergebnis – zugestimmt, daß Frau S. nicht wie eine Versicherte (§ 537 Nr. 10 RVO aF, § 539 Abs. 2 RVO nF) im unternehmen tätig ist. Es kommt entgegen der Ansicht des LSG für die Auslegung dieser Vorschriften nicht darauf an, daß das Unternehmen bestimmt ob überhaupt eine versicherte Tätigkeit geleistet wird, und des ist auch nicht erforderlich, daß für die jeweilige Tätigkeit von einem anderen überhaupt Weisungen gegeben werden könnten. Diese mit der ständigen Recht8sprechung des erkennenden Senats in Widerspruch stehende Auslegung würde, wie der Senat schon in der Entscheidung in Bd. 5 S. 168, 171 ff. näher dargelegt hat, mit dem Sinn der Vorschriften im Widerspruch stehen. Mit dem Hinweis auf den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers soll eine Abgrenzung vor allem zu den Fällen vorgenommen werden, in denen ein Versicherungsschutz entfällt, weil die Tätigkeit als den Interessen des Unternehmens offensichtlich zuwiderlaufend oder als unsinnig anzusehen ist (BSG aaO S. 172). Wohl aber ist es wesentlich, ob der Tätigwerdende nach der Art seiner Tätigkeit noch eine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt hat oder wie ein Unternehmer tätig gewesen ist. Eine in der letztgenannten Art wirkende Person übt ebensowenig wie jemand, der als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig ist, eine nach § 537 Nr. 10 RVO aF, § 539 Abs. 2 RVO nF versicherte Tätigkeit aus (BSG aaO S. 174). Um eine solche Tätigkeit hat es sich nach dem festgestellten Sachverhalt gehandelt. Insofern unterscheidet sich dieser Fall von dem, über den der erkennende Senat im Urteil vom 25. Mai 1965 (BSG 23, 83) entschieden hat. Zur Geschäftsführerin, deren Bestellung angesichts der Verhältnisse der GmbH lediglich wegen § 6 Abs. 1 des GmbH-Gesetzes geboten war, wurde Frau S. zwar durch die GmbH bestellt; dies hing jedoch von ihrem alleinigen, auf ihrer überragenden Gesellschafterstellung fußenden Willen ab. In ihrer für eine Willensbildung des Mitgesellschafters auf die Geschicke der Gesellschaft keinen Raum lassenden beherrschenden Stellung war sie vielmehr wie eine Unternehmerin tätig. Außer ihr war keine weitere Person im Unternehmen tätig. Hiernach bedurfte es keiner Entscheidung, ob für eine unter § 537 Nr. 10 RVO aF oder § 539 Abs. 2 RVO nF fallende, nicht nur vorübergehende Tätigkeit Beiträge zu erheben sind. Wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat, ergibt sich das Fehlen des Versicherungsschutzes aus der gewählten Unternehmensform einer Kapitalgesellschaft als einer eigenen juristischen Person und der Ausgestaltung der Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführerin. Die Klägerin beschäftigt somit keine Versicherten im Sinne der §§ 732 RVO aF, 725 RVO nF. Die strittigen Beitragsbescheide sind daher rechtswidrig.
Deshalb war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Dr. Krasney, Friedrich
Fundstellen