Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe der auf eine grundsätzlich wiederaufgelebte Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnende Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau gegen ihren früheren 2. Ehemann besteht, bleibt die wiederaufgelebte Witwenrente unberücksichtigt. Dies gilt, falls der geschiedenen Frau neben der wiederaufgelebten Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch noch eine grundsätzlich wiederaufgelebte Witwenrente nach dem BVG zusteht, auch für diese letztere Rente.

Allerdings ist der unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes berechnete Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau gegen ihren früheren 2. Ehemann nur auf eine dieser wiederaufgelebten Witwenrenten anzurechnen.

 

Normenkette

RKG § 83 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1972-10-16; RRG Art. 6 § 8 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; BVG § 38 Fassung: 1966-12-28, § 44 Abs. 5; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1975 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Klägerin, Kriegerwitwe nach dem Versicherten Karl V (V.), wurde von der Süddeutschen Knappschaft - Rechtsvorgängerin der Beklagten - für die Zeit ab 1. November 1950 Witwenrente gewährt. Außerdem erhielt sie eine Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung. Am 9. Juni 1951 verehelichte sich die Klägerin mit Robert J (J.). Im Januar 1968 ist die zweite Ehe, aus der ein Sohn hervorgegangen ist, aus dem beiderseitigen Verschulden der Ehegatten rechtskräftig geschieden worden. Beide hatten wechselseitig auf Unterhalt verzichtet (Vereinbarung vom 18. Oktober 1967).

Das Versorgungsamt F bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 14. März 1968 die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung nach Karl V. Maßgebend war für das Versorgungsamt, daß die Klägerin bei der hohen Belastung des geschiedenen Mannes einen eventuellen Unterhaltsanspruch nicht hätte verwirklichen können.

Mit Bescheid vom 14. Februar 1969 lehnte die Beklagte die von der Klägerin im Februar 1968 beantragte Wiedergewährung der Witwenrente aus der Knappschaftsversicherung nach Karl V. ab: Auf die wiederaufgelebte Rente von 124,40 DM sei ein Unterhaltsanspruch gegen J. von 175,- DM anzurechnen.

Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.

Dagegen ist die Klägerin mit ihrem Anspruch in den Vorinstanzen durchgedrungen. In der Entscheidung vom 28. Oktober 1975 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 22. Dezember 1970 zurückgewiesen. Das SG habe zu Recht entschieden, daß bei der Prüfung des Unterhaltsanspruchs nach § 60 des Ehegesetzes (EheG) auch die Hinterbliebenenbezüge der Klägerin nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu berücksichtigen seien. Diese Bezüge in Höhe zwischen 365,- und 560,- DM monatlich in den Jahren von 1968 bis 1973 stünden der Klägerin nach bindender Entscheidung zu und seien daher als eigenes Einkommen anzusehen, das einen Anspruch auf Unterhalt nach § 60 EheG gegen den geschiedenen Mann ausschließe. Damit fehle es an einem Unterhaltsbeitrag, der auf die wiederaufgeklebte knappschaftliche Witwenrente anzurechnen wäre.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision und führt aus: Die Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente gegen den Unterhaltsanspruch aus der aufgelösten zweiten Ehe entfalle nicht dadurch, daß ein anderer öffentlicher Träger - die Versorgungsverwaltung - eine gleichfalls subsidiäre Leistung wieder bewilligt habe. Vielmehr müsse diese ebenfalls subsidiäre Leistung außer Betracht bleiben.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Freiburg vom 22. Dezember 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das Urteil des LSG Stuttgart vom 28. Oktober 1975 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat den Antrag gestellt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und insofern begründet, als die Sache an das LSG zurückverwiesen worden ist.

Nach § 83 Abs. 3 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - (= § 1291 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) in der hier anzuwendenden Fassung vor dem Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG) lebt der Anspruch auf Witwenrente dann, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst worden ist, vom Ablauf des Monats der Eheauflösung wieder auf, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung der Ehe gestellt worden ist; ein von der Witwe infolge Auflösung der Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch ist auf die Witwenrente anzurechnen. Da die zweite Ehe der Klägerin mit Robert J. ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Klägerin aufgelöst worden ist und sie innerhalb der im Gesetz vorgesehenen 12 Monate einen entsprechenden Antrag gestellt hat, ist der Anspruch auf die Witwenrente nach dem ersten Ehemann Karl V. grundsätzlich wiederaufgelebt. Unter den Beteiligten ist streitig, ob und inwieweit ein infolge der Auflösung der zweiten Ehe erworbener neuer Versorgungsanspruch auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen ist.

Zutreffend hat das LSG erkannt, daß die Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung, die aufgrund der dem § 83 Abs. 3 Satz 1 RKG entsprechenden Vorschrift des § 44 Abs. 2 BVG wiederaufgelebt und vom zuständigen Versorgungsamt auch wieder bewilligt worden ist, kein "neuer" Versorgungsanspruch im Sinne des Gesetzes ist; er ist vielmehr mit dem Witwenrentenanspruch nach § 38 BVG identisch, der der Klägerin aufgrund des Kriegstodes ihres ersten Ehemannes bereits bewilligt gewesen war. Er ist also durch die Auflösung der zweiten Ehe nicht neu erworben.

Zutreffend gehen die Vorinstanzen auch davon aus, daß ein von der Klägerin nach Auflösung der zweiten Ehe gegen den geschiedenen Mann neu erworbener Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach § 60 EheG (vgl. BSGE 30, 45 = SozR Nr. 29 zu § 1291 RVO) auf den wiederaufgelebten Hinterbliebenenrentenanspruch anzurechnen ist. Nach gesicherter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgt aus § 83 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 RKG, daß der wiederaufgelebte Witwenrentenanspruch gegenüber dem in der zweiten Ehe erworbenen Unterhalts- oder sonstigen Versorgungsanspruch subsidiär ist; die wiederaufgelebte Witwenrente schließt allein die nach Auflösung der zweiten Ehe fortbestehende Versorgungslücke (BSGE 19, 153 = SozR Nr. 7 zu § 1291 RVO; BSGE 21, 279 = SozR Nr. 9 zu § 1291 RVO; BSGE 33, 109 = SozR Nr. 1 zu § 4 GAL 1965; BSGE 34, 221 = SozR Nr. 33 zu § 1291 RVO; BSG SozR 2200 § 1291 Nr. 8). Hierzu gilt die Ausnahme, daß die von der Witwe selbst durch Unterhaltsverzicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten geschaffene Versorgungslücke außer Betracht zu bleiben hat; die Witwe darf die Rangfolge der für ihre Versorgung heranzuziehenden Ansprüche nicht nach Belieben verändern; § 83 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 RKG erfordert nach seinem Sinn und Zweck auch die Anrechnung von Versorgungsansprüchen, die nur wegen des Verzichts der Witwe nicht erworben worden sind (BSGE 21, 279; BSGE 24, 293 = SozR Nr. 13 zu § 1291 RVO; SozR Nr. 16 aaO; BSGE 34, 221; SozR Nr. 34 zu § 1291 RVO). Zu Recht hat daher das LSG außer acht gelassen, daß die Klägerin im Zuge des Scheidungsverfahrens mit ihrem zweiten Ehemann für den Fall der Scheidung einen gegenseitigen Unterhaltsverzicht erklärt hat.

Mit dem LSG ist weiter davon auszugehen, daß § 60 EheG einen Unterhaltsanspruch der Frau gegen den geschiedenen Mann von den Bedürfnissen und den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der geschiedenen Ehegatten abhängig macht; soweit das eigene Vermögen oder Einkommen der geschiedenen Frau reicht, besteht kein Unterhaltsanspruch nach dieser Vorschrift. Bei der Prüfung der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau im Rahmen der Entscheidung, ob ihr ein Unterhaltsanspruch gegen den zweiten Ehemann zusteht, hat die Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung auch dann unberücksichtigt zu bleiben, wenn sie bereits bindend festgestellt sein sollte; sie ist mit anderen Worten im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch nach ständiger Rechtsprechung des BSG subsidiär (BSG 19, 153; 30, 220 (222)). Dasselbe gilt nach § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG auch für die nach der Ehescheidung wiederaufgelebte Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung. In dem zu entscheidenden besonders gelagerten Fall, in welchem grundsätzlich eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Hinterbliebenenrente aus der Kriegsopferversorgung wiederaufleben, müssen nach Auffassung des erkennenden Senats bei der Entscheidung der Frage, ob der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau gegen ihren zweiten Ehemann besteht, für beide Witwenrenten diese Grundsätze gelten, weil auch in diesem Falle nur die durch die Auflösung der zweiten Ehe eintretende Versorgungslücke durch öffentlich-rechtliche Leistungen gefüllt werden soll. Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau gegen ihren zweiten Ehemann besteht, müssen also sowohl die Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch die Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung unberücksichtigt bleiben.

Eine andere Frage ist allerdings, ob in diesen Fällen der auf diese Weise berechnete Unterhaltsanspruch auf beide öffentlich-rechtliche Leistungen, also zweimal, anzurechnen ist. Dies ist zu verneinen. Der nur einmal entstehende Unterhaltsanspruch ist vielmehr nur auf eine der beiden öffentlich-rechtlichen Leistungen, also auch nur einmal, anzurechnen. Hinsichtlich der Versorgungsrente ist dies ausdrücklich in § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG vorgeschrieben. Dies kann aber, obwohl es in § 83 RKG und § 1291 RVO nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, wegen gleicher Interessenlage für die Rentenversicherung nicht anders sein.

Da die Versorgungsverwaltung auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Kriegsopferversorgung den Unterhaltsanspruch nicht angerechnet hat, hat die Beklagte diesen zu Recht auf die - noch nicht bindend festgestellte - knappschaftliche Witwenrente angerechnet.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben.

Der Senat konnte in der Sache selbst nicht entscheiden, weil es an weiteren Tatsachenfeststellungen mangelt, die für die zu treffende Entscheidung erforderlich sind. Das LSG wird unter Beachtung der obigen Grundsätze die für die Entscheidung, ob die Klägerin einen Anspruch auf Unterhalt gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann nach § 60 EheG hat, noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen und zu entscheiden haben, ob ein solcher Unterhaltsanspruch besteht.

Die Sache mußte daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 110

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