Leitsatz (amtlich)

Ruhegehälter nach beamtenrechtlichen Vorschriften zählen nicht zum Arbeitsentgelt iS von § 14 Abs 1 SGB 4; das gilt auch bei Anwendung von § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG.

 

Normenkette

KVLG § 2 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1980-07-09; SGB 4 § 14 Abs 1 Fassung: 1976-12-23

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen L 4 KrLw 92/81)

SG Landshut (Entscheidung vom 11.08.1981; Aktenzeichen S 4 KrLw 8/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers nach § 2 Abs 1 Nr 2 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG).

Der Kläger ist Ruhestandsbeamter. Sein Ruhegehalt betrug im Jahre 1980 brutto 28.438,72 DM, ab Januar 1981 bezog er monatlich brutto 2.307,41 DM. Er bewirtschaftet als Unternehmer einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 5,5883 ha landwirtschaftlicher und 1,43 ha forstwirtschaftlicher Nutzfläche; die bewirtschaftete Fläche erreicht 96,71 vH der nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) festgesetzten Mindesthöhe.

Die Beklagte nahm den Kläger ab 1. Juli 1980 als Mitglied in Anspruch und erhob von ihm Beiträge in Höhe von monatlich 81,- DM. Die nach Zurückweisung des Widerspruchs dagegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG idF des 2. Agrar- sozialen-Ergänzungsgesetzes (2. ASEG) seien nicht erfüllt, weil der Kläger in Gestalt seines Ruhegehaltes ein Arbeitsentgelt beziehe, dessen Höhe die Hälfte der Bezugsgrößen für 1980 und 1981 überschritten habe. Der Begriff "Arbeitsentgelt" sei in § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) definiert. Dort habe der Gesetzgeber im Grundsatz zwar einen eigenen sozialversicherungsrechtlichen Begriff geschaffen, der die im Beitragsrecht frühere automatische Koppelung an den steuerrechtlichen Entgeltbegriff ablösen sollte. Nach der Gesetzesbegründung sei dennoch eine inhaltliche Übereinstimmung mit dem steuerrechtlichen Begriff angestrebt und ein Kontinuitätsbruch nicht beabsichtigt gewesen. Demzufolge seien Ruhegehälter dem Arbeitsentgelt zuzuschlagen, so wie nach § 19 Abs 1 Nr 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehörten. Die gegenteilige Meinung, die zum Arbeitsentgelt nur Bezüge aus einer bestehenden Beschäftigung zähle, berücksichtige nicht den besonderen Charakter der beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge, die eine Gegenleistung des Dienstherrn für die frühere Dienstleistung darstellten. Der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG sei kein Anhalt dafür zu entnehmen, daß der Gesetzgeber bei der Neufassung im 2. ASEG den Begriff des Arbeitsentgelts in einem anderen Sinne habe verwenden wollen; er habe die Versicherungspflicht nur vom Rentenbezug, nicht aber auch von Versorgungsbezügen unabhängig machen wollen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, das Ruhegehalt eines Ruhestandsbeamten zähle nicht zu den laufenden Einnahmen aus einer Beschäftigung. Die Ansicht des LSG widerspreche ferner dem Zweck des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG; ihre Neufassung habe insbesondere auf eine Differenzierung zwischen Einkünften aus aktiver Erwerbstätigkeit und Rente abgezielt. Für das Ruhegehalt könne hierbei nichts anderes als für die Rente gelten, zumal das Rentenanpassungsgesetz 1982 (RAG 1982) in den §§ 67a KVLG, 180 der Reichsversicherungsordnung (RVO) klargestellt habe, daß Ruhegehalt bzw Versorgungsbezüge "der Rente vergleichbare Einkommen" seien.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG durch das 2. ASEG versicherungspflichtig.

Nach § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG in der Fassung des 2. ASEG sind in der Krankenversicherung der Landwirte Personen versichert, die als landwirtschaftliche Unternehmer tätig sind, wenn ihr Unternehmen zwar keine Existenzgrundlage iS des § 1 GAL bildet, es jedoch (Buchst a) die Mindesthöhe der Existenzgrundlage um nicht mehr als die Hälfte unterschreitet, und (Buchst b) wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, das sie neben dem Einkommen aus dem landwirtschaftlichen Unternehmen haben, im Kalenderjahr die Hälfte der jährlichen Bezugsgröße nicht übersteigt. Da nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG erfüllt sind, hängt die Entscheidung allein davon ab, ob das Ruhegehalt des Klägers, das dem Betrage nach weit über den Hälften der jeweiligen Bezugsgrößen (§ 18 SGB IV) liegt, Arbeitsentgelt ist. Diese Frage hat das LSG zu Unrecht bejaht.

Was Arbeitsentgelt ist, ergibt sich aus § 14 Abs 1 SGB IV. Danach sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob auf sie ein Rechtsanspruch besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Eine Auslegung dieser Vorschrift dahin, daß sie auch Ruhegehälter nach beamtenrechtlichen Vorschriften erfassen würde, findet weder im klaren Gesetzeswortlaut noch in der Entstehungsgeschichte eine sie rechtfertigende Grundlage.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits in seinem Urteil vom 24. Januar 1963 (BSGE 18, 204ff) näher ausgeführt, daß Pensionen, Ruhegelder und ähnliche Einkünfte aus früheren, bereits beendeten öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnissen nicht als Arbeitsentgelt angesehen werden können; als Arbeitsentgelt seien vielmehr nur solche Leistungen zu bewerten, die von einem Arbeitgeber zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch zu bewirken sind. In diesem Zusammenhang hat sich der 4. Senat auch mit der vom LSG angestellten Erwägung auseinandergesetzt, daß die Versorgung des Ruhestandsbeamten in demselben Beamtenverhältnis wurzele wie die Besoldung des aktiven Beamten; er hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Ruhestandsbeamte, worauf im Sozialrecht abzuheben sei, sein verbliebenes Leistungsvermögen nicht dem Dienstherrn zu widmen braucht, er vielmehr die Versorgungsbezüge erhält, ohne noch arbeitspflichtig zu sein.

Dafür, daß der Gesetzgeber des SGB IV für Ruhegehälter und vergleichbare Bezüge eine andere Rechtslage schaffen wollte, fehlt es an jedem Anhalt; es sollte vielmehr, worauf auch das LSG zutreffend hingewiesen hat, gerade ein Kontinuitätsbruch zwischen dem alten und dem neuen Recht vermieden werden. Eine Ausdehnung des Begriffs des Arbeitsentgelts auf Einkünfte wie die hier gegebenen läßt sich auch nicht mit dem Hinweis auf die Absicht des Gesetzgebers begründen, die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Steuerrecht zu wahren. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks 7/4132 S 32 zu § 14) wollte der Gesetzgeber "eine einheitliche und automationsgerechte Definition des Arbeitsentgelts, die darüber hinaus eine Übereinstimmung mit der entsprechenden Begriffsbestimmung des Steuerrechts anstrebt, um den Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen in den Betrieben zu erleichtern". Daraus kann nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe künftig als Arbeitsentgelt alle "Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit" iS von § 2 Abs 1 Nr 4 EStG ansehen wollen. Nach der Definition des § 19 Abs 1 Satz 1 EStG gehören zu letzteren 1. Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die "für eine Beschäftigung" im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden und 2. Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile "aus früheren Dienstleistungen". Gegenüber diesen beiden Einkunftsgruppen konnte sich die angestrebte Übereinstimmung nur auf die erste Gruppe (Nr 1) beziehen. Denn daß durch den Bezug von Einkünften aus früheren Dienstleistungen iS der Nr 2 eine Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung begründet worden sei, war nach der Rechtslage vor dem SGB IV, dh auch unter der Herrschaft des Gemeinsamen Erlasses vom 10. September 1944 (AN 281) niemals angenommen worden. Gerade der Vergleich mit dem Wortlaut von § 19 Abs 1 Satz 1 EStG läßt darum erkennen, daß § 14 SGB IV - ähnlich wie § 19 Abs 1 Satz 1 Nr1 EStG - unter "Einnahmen aus einer Beschäftigung" nur solche aus einer gegenwärtigen Beschäftigung meinen kann - was nicht ausschließt, daß diese erst nach Ablauf der Beschäftigung dann zufließen -; ein anderer Sprachgebrauch wäre mit der Zielsetzung des § 14 SGB IV nicht zu vereinbaren. Wie Einnahmen aus einer früheren und aus einer gegenwärtigen Beschäftigung voneinander abzugrenzen sind, mag im einzelnen zweifelhaft sein; Ruhegehälter und ähnliche Bezüge sind jedenfalls stets Einnahmen aus einer früheren Beschäftigung und somit nicht Arbeitsentgelt iS des § 14 SGB IV.

Ob diese Auslegung in den Änderungen der §§ 67a KVLG, 180 RVO durch das RAG 1982 eine weitere Stütze finden könnte, läßt der Senat dahingestellt. Als sie bekräftigender vergleichsweiser Beleg bietet sich indessen § 9a GAL an. Die dort geregelte Übergangshilfe für Witwen und Witwer landwirtschaftlicher Unternehmer setzt voraus, daß deren Einkünfte bestimmte Höhen nicht überschreiten; dabei betrifft Abs 1 Buchst d "das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen" und Buchst e - ua - "Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ... oder Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen"; diese Differenzierung wäre so nicht möglich, wenn die "Versorgungsbezüge" schon zum "Arbeitsentgelt" zählen würden. Hinzuweisen ist ferner auf die Behandlung des ausgeschiedenen Arbeitnehmern gewährten Vorruhestandsgeldes. Dieses mußte in § 165 Abs 2 Satz 3 RVO idF des Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand vom 13. April 1984 (BGBl 601) dem Arbeitsentgelt "gleichgestellt" werden, weil es kein Arbeitsentgelt mehr ist; deswegen mußte gleichzeitig die hier streitige Vorschrift des § 2 Abs 1 Nr 2 Buchst b um die Worte erweitert werden: "sowie das in § 165 Abs 2 S 2 RVO genannte Vorruhestandsgeld", was bei einer Einordnung als Arbeitsentgelt unnötig gewesen wäre.

Sinn und Zweck des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG rechtfertigen keine abweichende Auslegung. Die Neufassung dieser Vorschrift sollte das mit der früheren Fassung verbundene unbillige Ergebnis beseitigen, daß "Kleinrentner" als Kleinlandwirte nach dem KVLG beitragspflichtig wurden, die Bezieher höherer Renten, obwohl ebenfalls Kleinlandwirte, dagegen in der Krankenversicherung der Rentner beitragsfrei versichert waren; die Kleinlandwirte sollten deshalb bei einer Mindestgröße ihrer Unternehmen unabhängig davon der Versicherungspflicht nach dem KVLG unterstellt werden, ob sie Rente beziehen oder nicht. Damit wollte der Gesetzgeber aber zugleich dem Grundsatz Rechnung tragen, daß bei der Begründung der Versicherungspflicht "die aktive Tätigkeit" Vorrang, dort: vor der Rentnerkrankenversicherung, hat (BT-Drucks 8/2844 S 22). Von daher liegt es nahe, dann alle Einkünfte unberücksichtigt zu lassen, die nicht aus einer aktiven Tätigkeit erzielt werden, also nicht nur Renten, sondern ebenso Ruhegehälter und sonstige Versorgungsbezüge, wie es dem Gesetz gewordenen Wortlaut des § 2 Abs 1 Nr 2 KVLG nF entspricht.

Nach alledem war mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge in der Sache zu entscheiden (§ 170 Abs 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660240

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