Orientierungssatz

Zur Frage des zuständigen Unfallversicherungsträgers für Hausbesorger.

 

Normenkette

RVO § 646

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. Juli 1963 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Durch Verfügung vom 24. April 1953 nahm die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (BG) mit Wirkung vom 1. Januar 1951 an Hausbesorgungen, die in mehreren der W.-Grundstücks GmbH gehörenden Miethäusern betrieben wurden, in ihr Betriebsverzeichnis auf, so auch u. a. die Hausbesorgung im Grundstück Berlin ..., Fasanenstraße .... Die Bezeichnung des Grundstückeigentümers wurde im März 1960 in "W.-W. GmbH, Grundstücksverwaltung" berichtigt. Die von der Verwaltungs-BG angeforderten Beiträge wurden jahrelang entrichtet, auch nachdem die Firma W.-W. GmbH im Oktober 1954 erfolglos die Verwaltungs-BG darum ersucht hatte, für die Unfallversicherung (UV) der Hausbesorger die Zuständigkeit der BG für den Einzelhandel anzuerkennen. Schließlich erhob die W.-W. GmbH gegen den Beitragsbescheid vom 3. Juli 1961 Widerspruch, den sie damit begründete, ihr Unternehmen erhalte sein Gepräge durch die Warenhausbetriebe, deren über 1500 Angestellte einheitlich bei der BG für den Einzelhandel versichert seien. Eine Überweisung der Hausbesorgungen an die BG für den Einzelhandel sei geboten, zumal da die betreffenden Grundstücke erworben worden seien, um mittelbar oder unmittelbar Warenhauszwecken zu dienen. Die Widerspruchsstelle der Verwaltung-BG wies durch Bescheid vom 23. Oktober 1961 den Widerspruch zurück; sie führte aus, die Firma W.-W. GmbH habe nicht nachgewiesen, daß die Voraussetzungen für eine Mitversicherung der Hausbesorger bei der BG für den Einzelhandel erfüllt seien; hierfür bezog sich die Widerspruchsstelle auf Nr. 3 des Erlasses des Reichsarbeitsministeriums (RAM) vom 16. März 1942 betreffend Zuständigkeit der BGen (AN 1942, 201) sowie die Bestimmungen des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 18. November 1942 (AN 1942, 596).

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die W.-W. GmbH beantragt, unter Aufhebung des Beitragsbescheides und des Widerspruchsbescheides die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich der Hausbesorger für das Grundstück F.-straße in ihrem Verzeichnis zu löschen. Hierfür hat die Klägerin auf § 631 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF Bezug genommen und geltend gemacht, die hier in Rede stehenden, nicht unmittelbar dem Warenhausbetrieb dienenden Wohnhäuser gehörten zum Betriebsvermögen; die Klägerin habe diese Grundstücke nicht zwecks Erzielung von Mieteinnahmen erworben, sondern um zu gegebener Zeit im Kurfürstendamm-Viertel einen Warenhausneubau zu errichten. Die Verwaltung und Betreuung dieses Grundbesitzes seien daher ein wesentlicher Bestandteil des Hauptbetriebs. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 31. Januar 1963 die Klage abgewiesen: Die Voraussetzungen des § 631 RVO aF lägen nicht vor; der Warenhausbetrieb und das Mietshaus seien auch nicht als einheitliches Unternehmen anzusehen, vielmehr sei das Miethaus für sich wirtschaftlich selbständig; es sei für die Klägerin zur Zeit nur eine Kapitalanlage. Es komme auch nicht darauf an, daß die Klägerin das Haus nur erworben habe, um auf dem Grundstück später ein neues Warenhaus zu errichten. Die Beklagte sei somit zuständig für die UV der Hausbesorgungen der Mietgrundstücke.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. Juli 1961 und des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 1961 verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Hausbesorger für das Grundstück F.-straße ... in ihrem Verzeichnis zu löschen (Urteil vom 5. Juli 1963): Wie in dem gleichgelagerten Beitragsstreit der Warenhausfirma H GmbH (Urteil vom 12. Juli 1962) sei auch hier die Ansicht gerechtfertigt, daß die in den Mietgrundstücken der Klägerin beschäftigten Hausbesorger - ebenso wie sämtliche andere Beschäftigten ihres Unternehmens - bei der BG für den Einzelhandel zu versichern seien. Der von der Beklagten angeführte RAM-Erlaß vom 16. März 1942 sei zur Durchführung des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der UV vom 9. März 1942 ergangen, welches den Schutz der UV auf alle Beschäftigten ausgedehnt habe. Hieraus habe sich die Notwendigkeit ergeben, bisher nicht versicherte Personengruppen bei einer BG unterzubringen, so auch die Hausbesorger, vor allem die Mehrzahl unter ihnen, die von privaten Hauseigentümern beschäftigt würden und insofern keinem anderweit versicherten Unternehmen zuzurechnen seien. Auch die anderen in Nr. 3 des RAM-Erlasses aufgeführten Personen würden ausdrücklich nur insoweit der Verwaltungs-BG zugeteilt, als sie nicht zu einem anderweit versicherten Unternehmen gehörten. In den Bestimmungen vom 18. November 1942 habe das RVA sogar solche Hausbesorger, die nur zur Betreuung privaten Grundeigentums eingesetzt seien, aus der Versicherung bei der Verwaltungs-BG herausgenommen, wenn sie mehr als nur gelegentlich auch in einem anderen der UV unterliegenden Unternehmen beschäftigt wurden. Mit § 631 RVO aF stehe das Ergebnis ebenfalls in Einklang. Der Warenhausbetrieb und der Grundbesitz der Klägerin könnten nicht verschiedenen Gewerbszweigen zugerechnet werden. Es handele sich vielmehr um ein einheitliches Unternehmen, denn die Klägerin habe ihre Wohnhäuser nicht als Kapitalanlage oder zu Vermietungszwecken erworben, sondern entweder zwecks Erweiterung des Warenhausgebäudekomplexes oder zum Schutz vor der Ausbreitung eines Konkurrenzunternehmens in ihrem Interessenbereich. Bei dem hiernach gegebenen inneren Zusammenhang der Miethäuser mit dem Warenhausbetrieb sei es nicht vertretbar, die Hausbesorger einer anderen BG als das sonstige Personal der Klägerin zuzuteilen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 3. August 1963 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. und 22. August 1963 Revision eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Berlin vom 31. Januar 1963 zurückzuweisen. Am 3. Oktober 1963 hat die Beklagte ihre Revision wie folgt begründet: Das LSG habe verkannt, daß die Klägerin zunächst einen Beitragsstreit angestrengt habe, aus dem sie dann etwas ganz anderes erzielen wollte, was gar nicht in ein Beitragsstreitverfahren gehöre, nämlich die Löschung ihrer seit Jahren bindend gewordenen Aufnahme in das Kataster der Beklagten. Aus diesem Grunde hätte schon das SG die Klage ohne sachliche Prüfung als unzulässig abweisen müssen. Die Klägerin hätte vielmehr nur gemäß §§ 666, 669 RVO aF das Verfahren auf Überweisung der Hausbesorger an die BG für den Einzelhandel betreiben können; in diesem Verfahren wäre die Beiladung der BG für den Einzelhandel geboten gewesen. Einem solchen Überweisungsbegehren stehe jedoch die Bindungswirkung des von der Beklagten am 24. April 1953 erteilten Aufnahmebescheids entgegen. Nach der RVA-Rechtsprechung komme eine Betriebsumschreibung nur in Betracht, wenn nachhaltige wesentliche Änderungen der Betriebsverhältnisse eingetreten seien, wenn die Belassung des Betriebs bei der formal zuständig gewordenen BG der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwidergelaufen wäre oder als unbillige Härte erschienen sei. Dies habe auch das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 28. November 1961 (BSG 15, 282) bestätigt. Die hierin aufgestellten Voraussetzungen für eine Betriebsüberweisung seien nicht gegeben.

Schließlich rechtfertige sich der Standpunkt der Beklagten auch aus dem - vom LSG rechtsirrig ausgelegten - RAM-Erlaß vom 16. März 1942 i. V. m. den RVA-Bestimmungen vom 18. November 1942. Vorsorglich macht die Revision noch geltend, der auf Löschung im Betriebsverzeichnis lautende Urteilsspruch des LSG habe zur Folge, daß - wegen der unterlassenen Beiladung der BG für den Einzelhandel - für die Hausbesorger der Klägerin ein Zustand geschaffen werde, in welchem die Klägerin für deren UV nicht ohne weiteres an irgendeine BG Beiträge zu entrichten brauche.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie führt aus, die Beklagte versuche zu Unrecht, den vorliegenden Rechtsstreit als eine bloße Beitragsstreitigkeit hinzustellen. Die Gründe des Widerspruchsbescheids hätten sich ja schon ausschließlich mit dem Verlangen der Klägerin auf Löschung im Unternehmerverzeichnis der Beklagten auseinandergesetzt. Im Widerspruchsverfahren sei es also über die Frage des Beitrags für 1960/61 hinaus um die von der Klägerin bestrittene Zugehörigkeit ihrer Hausbesorger zur Beklagten gegangen.

Das Löschungsbegehren sei nach § 667 RVO idF nach dem UV-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (RVO nF) zu beurteilen. Es sei hiernach begründet, weil sich die Betriebsverhältnisse der Klägerin wesentlich geändert hätten. Die Klägerin sei 1909 unter der Firma W.-Grundstücks GmbH gegründet worden. In der Folgezeit habe sie den Firmennamen und den Unternehmenszweck wiederholt geändert. Nach einer im Oktober 1953 erfolgten Erweiterung des Gesellschaftszwecks auf den Betrieb von Warenhäusern habe sie im Juli 1955 sich als reine Grundstücksgesellschaft nur der Grundstücksverwaltung gewidmet; als solche sei sie rechtens Mitglied nur bei der Beklagten gewesen. Erst im Juli 1959 habe die Klägerin als Hauptgesellschafterin der bis dahin neben ihr bestehenden W.-W. GmbH diese Gesellschaft im Wege der Umwandlung übernommen und auch ihre heutige Firma "W.-W. GmbH" von der Tochtergesellschaft abgeleitet; im Juli 1960 sei auch der Unternehmenszweck entsprechend geändert worden. Seither sei die Verwaltung des W.-Grundbesitzes völlig hinter dem Betrieb der W.-W. zurückgetreten. Die Klägerin habe damit die Eigenschaft einer Grundstücksverwaltungsgesellschaft restlos verloren und sei nunmehr ein reines Einzelhandelsunternehmen, das kraft Gesetzes als Rechtsnachfolgerin ihrer umgewandelten Tochtergesellschaft der BG für den Einzelhandel angehöre; bei dieser BG seien mithin auch die Hausbesorger kraft Gesetzes mitversichert. Der RAM-Erlaß vom 16. März 1942 sei außer Kraft getreten; für die Vergangenheit sei er von der Beklagten unrichtig gehandhabt worden, er habe stets nur für solche Hausbesorger gegolten, die nicht in einem Unternehmen, sondern von privaten Hauseigentümern beschäftigt wurden.

II

Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie hatte auch insofern Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückzuverweisen war.

Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht handelt es sich im vorliegenden Verfahren nicht um einen Beitragsstreit, wenngleich der Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 1961 über die Beitragsberechnung für 1960 äußerlich den Anstoß zur Klagerhebung gebildet hat. Das mit dem Bescheid vom 23. Oktober 1961 abschließende Widerspruchsverfahren hat sich allein mit dem Verlangen der Klägerin befaßt, die Hausbesorgungen an die BG für den Einzelhandel zu überweisen; der Widerspruchsbescheid hat dieses Überweisungsbegehren mit eingehender Begründung abgelehnt, ohne daneben zur Beitragsfrage als solcher Stellung zu nehmen. Mit der von der Klägerin hiergegen erhobenen Verpflichtungsklage ist demnach ein Katasterstreit anhängig geworden, der die Frage der von der Beklagten verweigerten Betriebsüberweisung zum Gegenstand hat.

An dem hierdurch streitig gewordenen Rechtsverhältnis ist die BG für den Einzelhandel, die von der Klägerin als der zuständige UV-Träger für ihre Hausbesorger angesehen wird, derart beteiligt, daß die Entscheidung auch dieser BG gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die BG für den Einzelhandel hätte also, wie die Revision im Ergebnis mit Recht geltend gemacht hat, auf Grund des § 75 Abs. 2 SGG beigeladen werden müssen (vgl. auch schon BSG 15, 282, 287). Die Unterlassung dieser notwendigen Beiladung stellt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar, der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zutreffend gerügt worden ist; dabei ist es unerheblich, daß die Beklagte auf diesen Verfahrensmangel nicht bereits in der Berufungsinstanz hingewiesen hat; denn mit § 75 Abs. 2 SGG hat das LSG eine Verfahrensvorschrift verletzt, auf deren Befolgung ein Beteiligter wirksam nicht verzichten kann (vgl. BSG 13, 217, 219, 220). Wegen des Verfahrensmangels ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG zu beachten haben, daß der Klaganspruch - angesichts des bindend gewordenen Aufnahmebescheids vom 24. April 1953 - von bestimmten Voraussetzungen abhängt, zu deren Nachweis der Sachverhalt bisher nicht hinreichend erforscht ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann ein Unternehmer die Überweisung seines von einer BG rechtsverbindlich aufgenommenen Betriebes an eine andere BG nur beanspruchen, wenn nachhaltige wesentliche Betriebsveränderungen eingetreten sind oder die Mitgliedschaft zur bisher zuständigen BG auf einem offensichtlichen Irrtum beruht oder schwere Unzuträglichkeiten bei Durchführung der berufsgenossenschaftlichen Aufgaben die Belassung des Betriebs bei der bisher zuständigen BG als unbillige Härte erscheinen lassen (BSG 15, 282, 288, 289). Diese für die Rechtslage vor dem 1. Juli 1963 anerkannten Grundsätze sind nach Meinung des Senats nach dem Inkrafttreten des UVNG im wesentlichen weiterhin maßgebend geblieben. Die Klägerin beruft sich - wie ihr Vorbringen in der Revisionserwiderung erkennen läßt - für ihr Überweisungsbegehren hauptsächlich auf wesentliche Änderungen der Betriebsverhältnisse (§§ 666, 667 Abs. 1 RVO nF, vgl. Bereiter-Hahn, Unfallversicherung, Anm. 1 zu § 667). Hierauf bezügliche Feststellungen hat das LSG bisher nicht getroffen.

Neben diesen allgemein zu beachtenden Gesichtspunkten kommt es im vorliegenden Fall aber vor allem auf die besondere Zuständigkeitsregelung in dem bereits angeführten Erlaß des RAM vom 16. März 1942 an, der durch Art. 4 § 16 Abs. 2 Nr. 7 UVNG nicht außer Kraft gesetzt worden ist. Das LSG wird Anlaß zur Prüfung haben, ob seine Auslegung der Nr. 3 dieses Erlasses noch mit dem Wortlaut dieser Bestimmung vereinbar ist, nach dem Hausbesorger - im Unterschied zu den sonst darin aufgezählten versicherten Personen - schlechthin bei der BG 68 (jetzt der beklagten Verwaltungs-BG) versichert sind. Ob die vom LSG weiterhin angeführten - den RAM-Erlaß einschränkenden - Bestimmungen des RVA vom 18. November 1942 in der Nr. 10 dieses Erlasses eine ausreichende Rechtsgrundlage besitzen, könnte zweifelhaft erscheinen. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, hätte das LSG zu beachten, daß in Nr. 1 der RVA-Bestimmungen gewisse räumliche Zusammenhänge zwischen Hausbesorgung und anderem Unternehmen vorausgesetzt werden, deren Vorliegen die Klägerin hinsichtlich des hier zu beurteilenden Miethauses nicht einmal behauptet hat.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375015

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