Leitsatz (redaktionell)

Kein Versicherungsschutz, wenn die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen ist (hier: Treckerfahrer).

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Juni 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist die Witwe des am 25. Juli 1959 tödlich verunglückten Treckerfahrers Gerhard U Sie macht gegen die beklagte Berufsgenossenschaft Entschädigungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend.

U., der bei einer Dreschmaschinengemeinschaft als Treckerfahrer beschäftigt war und am Unfalltag zu einem Bauern Heu gefahren hatte, war auf der Rückfahrt in eine Gastwirtschaft eingekehrt. Nach Angabe des Gastwirts hatte er bei einem Verweilen von höchstens einer halben Stunde zwei Doornkaat und eine halbe Flasche Bier getrunken. Auf der Weiterfahrt geriet U. mit dem Treckerfahrzeug von dem betonierten Mittelteil der Landstraße nach rechts auf den weichen Straßenrand ab und stürzte mit der Zugmaschine in den Straßengraben. Der Trecker fiel auf ihn; dabei wurde U. so erheblich verletzt, daß er im Krankenhaus gegen 21.30 Uhr starb. Der Unfall hatte sich um 17.15 Uhr ereignet. Um diese Zeit herrschte am Unfallort hochsommerliches Wetter. Die Fahrbahn war trocken. Am Fahrzeug, dessen Höchstgeschwindigkeit 20 km/st betrug, waren keine technischen Mängel vorhanden. Eine um 19.40 Uhr entnommene Blutprobe wies nach der Auswertung im Institut für gerichtliche Medizin der Universität Göttingen einen Blutalkoholgehalt von mindestens 1,49 0 / 00 auf.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 2. Dezember 1959 den Hinterbliebenenanspruch mit der Begründung ab, U. sei infolge Alkoholeinwirkung nicht in der Lage gewesen, den Trecker im öffentlichen Verkehr sicher zu führen; der Unfall sei daher der versicherten Fahrt nicht zuzurechnen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Aurich, das die Landkrankenkasse für den Kreis Norden zum Verfahren beigeladen hatte, durch Urteil vom 27. September 1961 abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vor allem geltend gemacht, es sei möglich, daß U. infolge eines auf die am Unfalltag herrschende Sommerhitze zurückzuführenden Ohnmachtsanfalls mit dem Trecker von der Fahrbahn abgekommen sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat über die Unfallursachen Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben, insbesondere den Sachverständigen Prof. Dr. P darüber gehört, von welchem Grad der Alkoholeinwirkung an ein Treckerführer absolut fahruntüchtig sei. Durch Urteil vom 10. Juni 1964 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: U., der zu Betriebszwecken unterwegs gewesen sei, habe im Zeitpunkt des Unfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden, da er infolge Alkoholeinflusses als Treckerfahrer fahruntüchtig gewesen sei. Ein Treckerfahrer sei ebenso wie ein Kraftwagenfahrer bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,5 0 / 00 als absolut fahruntüchtig anzusehen. Dieser Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit eines Treckerführers sei bei U. im Zeitpunkt des Unfalls überschritten gewesen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P habe die BAK mindestens 1,51 0 / 00 betragen. Damit sei die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Sonstige Umstände, welche als rechtlich wesentliche Mitursachen des Unfalls in Betracht kämen, seien im vorliegenden Falle nicht ersichtlich. Vor allem sei kein Anhalt dafür gegeben, daß U. infolge eines Ohnmachtsanfalls verunglückt sei. Nach den Ausführungen des Kraftfahrzeugsachverständigen Dipl. - Ing. P sei es zu dem Unfall wahrscheinlich dadurch gekommen, daß U. den aus irgendeinem Anlaß nach rechts von den betonierten Fahrbahn auf den weichen Straßenrand abgekommenen Trecker zu plötzlich nach links zurückgelenkt und damit bewirkt habe, daß der hochgekuppelte Anhänger durch seine Massenkräfte die in Querstellung geratene Zugmaschine zur Seite geschoben und in den Straßengraben gekippt habe. Die Fehlreaktion U's. bei dem Versuch, den Trecker nach links zurückzulenken, sei auf die Alkoholeinwirkung zurückzuführen und bilde die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls, so daß der Versicherungsschutz für U. entfallen sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Klägerin am 29. August 1964 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 25. September 1964 durch ihren Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt und diese am 24. Oktober 1964 begründet. Sie rügt in erster Linie, die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhe, seien nicht verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen. Dazu ist ausgeführt: Das LSG habe die im Verfahren erstatteten Sachverständigengutachten nicht gegeneinander abgewogen und nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt. Außerdem sei der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt worden. Das LSG hätte es bei der Annahme des Grenzwertes für die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit eines Treckerführers mit 1,5 0 / 00 nicht bei dem Gutachten von Prof. Dr. P bewenden lassen dürfen, sondern weiteren Sachverständigenbeweis erheben müssen. Ferner sei nicht berücksichtigt worden, daß U. mit dem Trecker einen Bremsweg von 4 Sekunden Dauer zurückgelegt habe; deshalb hätte ohne Zuziehung eines weiteren Kraftfahrzeugsachverständigen nicht festgestellt werden dürfen, daß U. bei einer BAK von 1,51 0 / 00 die zur Vermeidung des Unfalls erforderlichen Handhabungen beim Führen des Treckers infolge der Alkoholbeeinflussung unterlassen habe. Aufklärungsbedürftig sei auch die Frage, ob beim Abbremsen des Treckers der Anhänger überhaupt noch so viel Wucht auf die Zugmaschine habe ausüben können, daß diese umgeschoben wurde. Schließlich sei die Schlußfolgerung des LSG nicht gerechtfertigt, daß mangels Erkennbarkeit anderer Unfallursachen die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit U's. den Unfall allein herbeigeführt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie die gesetzliche Hinterbliebenenrente aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes vom 25. Juli 1959 zu zahlen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladene Landkrankenkasse, die sich der schriftlichen Revisionsbegründung anschließt, hat keinen besonderen Antrag gestellt.

II

Die Revision ist zulässig; sie hatte aber keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht in tatsächlicher Beziehung auf der Feststellung, U. sei im Zeitpunkt des Unfalls mit einer BAK von 1,51 0 / 00 fahruntüchtig, d. h. infolge Alkoholbeeinflussung außerstande gewesen, sein Treckerfahrzeug verkehrssicher zu führen. Das LSG ist hierbei davon ausgegangen, daß ein Treckerführer bereits bei einer BAK von 1,5 0 / 00 unter allen Umständen, d. h. unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen, fahruntüchtig sei. Über die Frage, von welchem Grenzwert der BAK an der Fahrer eines - wie hier - in der Landwirtschaft gebräuchlichen Treckers als absolut fahruntüchtig anzusehen ist, besteht unter den Beteiligten Streit. Nach der Ansicht des erkennenden Senats kann diese Frage jedoch auf sich beruhen. Denn die den Versicherungsschutz ausschließende Annahme des LSG, die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit U's. sei die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen, ist bei der gegebenen Alkoholeinwirkung auch durch die festgestellte Fahrweise U's. gerechtfertigt.

Die Ausführungen des angefochtenen Urteils über den wahrscheinlichen Unfallhergang enthalten Feststellungen, welche die Tatsache einschließen, daß U. im Zeitpunkt des Unfalls infolge Alkoholeinflusses außerstande gewesen ist, den Trecker technisch einwandfrei zu handhaben. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt hat U., dessen erhebliche Alkoholbeeinflussung auf der Unfallfahrt auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, im Augenblick der Gefahr, als der Trecker von der festen Fahrbahn abgekommen war und auf den Straßengraben zu fuhr, das Fahrzeug nicht verkehrsgerecht geführt. Das LSG hat auf Grund der Ausführungen des Kraftfahrzeugsachverständigen P vor allem für wahrscheinlich erachtet, daß U. es nicht fertiggebracht hat, den Trecker, der lediglich infolge Vergrößerung des Rollwiderstandes der beiden rechten, auf den weichen Straßenrand geratenen Räder aus der gewollten Fahrtrichtung abgezogen worden war, wieder gefahrlos in die alte Richtung zu lenken; den weiteren Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, daß dieses Unvermögen U's. auf einer Fehlreaktion ("Fehldosierung") beim Lenkeinschlag nach links, zu der es infolge der Alkoholbeeinflussung gekommen war, beruhte.

Die angeführten tatsächlichen Feststellungen hat die Revision nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Sie hat zwar eingewandt, der angekuppelte Anhängewagen könne die Zugmaschine nicht in den Straßengraben gekippt haben, da, wie die Bremsspuren auf der Straße gezeigt hätten, die Zugmaschine abgebremst und damit automatisch in gleichem Maße die Geschwindigkeit des Anhängewagens herabgesetzt worden sei. Dieses Vorbringen ist nach Ansicht des erkennenden Senats jedoch nicht geeignet, das ordnungsmäßige Zustandekommen der Feststellungen des LSG über den technischen Ablauf des Unfallgeschehens in Frage zu stellen. Die Revision verkennt hierbei, daß auch nach ihrer Darstellung der plötzlich zu stark nach links gesteuerte Trecker noch in Bewegung geblieben war, so daß auch der Anhängewagen über die Kuppelung auf die zur Fahrtrichtung des Anhängers mehr oder weniger quer gestellte Zugmaschine immerhin drücken und damit bei der erfahrungsgemäß hoch liegenden Kuppelung noch eine genügende Stoßkraft entwickeln konnte, um die leicht aus dem Gleichgewicht zu bringende Zugmaschine zum Umstürzen zu bringen. Insoweit war daher weder ein Mangel in der Aufklärung des Sachverhalts durch das LSG zu erkennen (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), noch bestand für das Revisionsgericht Anlaß, den Sachverhalt in dem von der Revision beanstandeten Punkte im Zurückverweisungsweg ergänzen zu lassen.

Hiernach ist auf Grund der vorstehenden, den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) davon auszugehen, daß U. mit dem Trecker in den Straßengraben gestürzt ist, weil er wegen der erheblichen Alkoholeinwirkung nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug im Gefahrenzeitpunkt den Erfordernissen der Straßenverhältnisse entsprechend zu handhaben. Daher hat jedenfalls, auch wenn ein Treckerfahrer bei einer BAK von 1,51 0 / 00 noch nicht als absolut fahruntüchtig anzusehen ist, bei U. alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit zur Unfallzeit bestanden.

Das LSG hat zu Recht geprüft, ob neben dieser Fahruntüchtigkeit U's. betriebsbedingte Umstände vorhanden gewesen sind, die als rechtlich wesentlich mitwirkende Ursachen für das Zustandekommen des Unfalls in Betracht zu ziehen sind. Bejahendenfalls wäre der Versicherungsschutz trotz der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit U's. nicht auszuschließen, es sei denn, sie hätte als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache angesehen werden müssen (BSG 12, 242). Auf der Suche nach solchen Tatumständen ist das LSG ohne Rechtsverstoß zu einem negativen Ergebnis gelangt. Es hat insoweit unwidersprochen festgestellt, daß das Fahrzeug zur Unfallzeit einwandfrei beschaffen gewesen ist, die Straße am Unfallort keinerlei Verkehrsschwierigkeiten geboten und helles, trockenes Wetter geherrscht hat. In dem Umstand, daß der Trecker wegen des Straßengrundes aus der Fahrbahn geriet, ist keine betriebsbedingte Unfallursache von rechtlich wesentlicher Bedeutung zu erblicken. Straßenverhältnisse dieser Art bilden auch für einen im Bereich der Landwirtschaft tätigen Treckerfahrer keine ungewohnten Schwierigkeiten in der Handhabung des Fahrzeugs.

Es ist nach alledem bei der hohen BAK von 1,51 0 / 00 nicht zu beanstanden, daß das LSG die auf den Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit U's. als die einzige rechtlich erhebliche Unfallursache im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm (BSG 12, 242) erachtet hat.

Da somit das LSG zu Recht entschieden hat, daß das Unfallereignis vom 25. Juli 1959 keine Entschädigungsansprüche nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 542 der Reichsversicherungsordnung aF) begründet hat, mußte die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380257

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