Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.06.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1920 geborene Kläger ist Arzt und erhält als Kriegsbeschädigter Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH. Er war etwa 22 Jahre als selbständiger und etwa 14 Jahre als angestellter Arzt tätig; zuletzt arbeitete er vor Vollendung seines 65. Lebensjahres als leitender Arzt eines Werkarztzentrums für ein Gehalt von 10.600,– DM monatlich. Ab Juni 1985 bezog er Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte von 2.284,69 DM, blieb aber halbtags bei dem bisherigen Arbeitgeber für ein Entgelt von 5.350,– DM monatlich tätig. Ab November 1985 war der Kläger arbeitsunfähig; im Mai 1986 gab er seinen Beruf endgültig auf. Im Juni 1986 stellte er einen Antrag auf Zahlung von Berufsschadensausgleich (BSchA), der durch Bescheid vom 2. Juli 1986 mit der Begründung abgelehnt worden ist, daß nach Vollendung des 65. Lebensjahres kein schädigungsbedingter Einkommensverlust mehr entstehen könne. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten zur Zahlung von BSchA ab dem 1. September 1986 verurteilt und als derzeitiges Einkommen nur das Altersruhegeld zugrundegelegt (Urteil vom 8. August 1991). Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil geändert und die Klage abgewiesen, weil der Anspruch auf BSchA wegen schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres entstehen könne. Auch sei der Kläger bei verständiger Würdigung der erhobenen Beweise nicht schädigungsbedingt aus dem Berufsleben ausgeschieden. Ein Anspruch auf BSchA wegen altersbedingten Ausscheidens aus dem Berufsleben bestehe nach den Grundsätzen des BSchA-Rechts nicht, weil der Kläger ein erfülltes Berufsleben gehabt habe (Urteil vom 30. Juni 1992).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 30 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er macht geltend, das LSG weiche von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Oktober 1971 – 10 RV 528/70 – (SozR zu § 30 BVG Nr 50) ab, wenn es die Auffassung vertrete, daß nach Vollendung des 65. Lebensjahres kein Anspruch auf BSchA mehr entstehen könne.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zu verwerfen,
hilfsweise, sie zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Nach § 30 Abs 3 und 4 Satz 1 BVG (hier in der Fassung vom 22. Januar 1982 -BGBl I S 21-) hat ein rentenberechtigter Beschädigter, dessen Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, einen Anspruch auf BSchA, wobei der Einkommensverlust sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen und dem höheren Vergleichseinkommen ergibt. Nach § 8 Abs 1 Nr 1 Berufsschadensausgleichs-Verordnung (≪BSchAV≫ vom 29. Juni 1984 -BGBl I S 861-) ist das für einen Beschädigten maßgebliche Vergleichseinkommen spätestens nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf 75 vH abzusenken. Hat der Beschädigte diese Altersgrenze erreicht, kann er sich kein höheres oder weiteres Vergleichseinkommen erdienen, dessen schädigungsbedingter Verlust Grundlage für einen Anspruch auf BSchA sein könnte. Daran hat sich durch das neue Rentenversicherungsrecht nichts geändert. Die Regelaltersgrenze liegt weiterhin bei 65 Jahren (§ 35 SGB VI). Es ist von dieser Zeit an für die Ermittlung des Vergleichseinkommens ohne Bedeutung, ob der Beschädigte altersbedingt oder schädigungsbedingt aus dem Berufsleben ausscheidet. Dieser Rechtslage hat der Kläger mit seinem Klagebegehren insoweit entsprochen, als er seinen Schaden damit begründet, daß sein tatsächliches Einkommen nicht einmal 75 vH des für ihn maßgeblichen Vergleichseinkommens nach der Besoldungsgruppe A15 des Bundesbesoldungsgesetzes erreiche. Er macht also nicht etwa geltend, hinsichtlich des Vergleichseinkommens so behandelt zu werden, als wäre er weiterhin voll berufstätig und erhielte sein Altersruhegeld lediglich als Zubrot. Auf die Streitpunkte zwischen den Beteiligten, die sich auf die Frage beziehen, ob der Kläger nach Vollendung des 65. Lebensjahres seine Erwerbstätigkeit schädigungsbedingt aufgegeben hat, ist daher nicht mehr einzugehen.
Insoweit ergibt sich keine Divergenz zu der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des 10. Senats vom 20. Oktober 1971 (SozR zu § 30 BVG Nr 50). Die Entscheidung betraf einen BSchA ab April 1964. Damals konnte noch zweifelhaft sein, ob überhaupt nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben erstmals ein BSchA zu zahlen sein konnte. Dies ist seitdem nicht mehr umstritten und vom Gesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 2 (heute Satz 3) in § 30 Abs 4 BVG durch das Gesetz vom 22. Januar 1982 (BGBl I S 21) auch ausdrücklich anerkannt (vgl dazu auch BSG SozR 3100 § 30 Nr 75 mwN). Diesen Renten-BSchA hat der Gesetzgeber inzwischen differenziert und ausgebaut durch das Gesetz vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1288).
Einen solchen Renten-BSchA, der auf eine Minderung der Sozialversicherungsrente beschränkt ist, macht der Kläger jedoch nicht geltend. Er ist vielmehr der Auffassung, daß er schon deshalb einen Einkommensverlust iS des § 30 Abs 4 Satz 1 BVG erlitten habe, weil dem Vergleichseinkommen nur noch Einkommen aus früherer Tätigkeit in Gestalt der Rente, nicht aber Einkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit gegenüberzustellen sei. Dies trifft nicht zu. Das jeweilige Bruttoeinkommen des Klägers war zeit seines Berufslebens höher als das höchstmögliche Vergleichseinkommen, das sich aus der Besoldungsgruppe A 15 oder der Vergütungsgruppe I b für Angestellte des öffentlichen Dienstes ergibt. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, sein derzeitiges Bruttoeinkommen sei jetzt nur noch das Altersruhegeld, wäre zwar eine erhebliche Differenz zu dem auf 75 vH herabgesetzten Vergleichseinkommen, aber kein „Fehlbetrag” iS des § 9 Abs 8 BSchAV idF durch die Änderungsverordnung vom 16. Januar 1991 (BGBl I S 136) zu ermitteln. Voraussetzung dafür ist, daß „die gesundheitliche Fähigkeit des Beschädigten, seine Berufstätigkeit auszuüben, eingeschränkt war” (§ 9 Abs 8 Satz 3 BSchAV). Eine solche Einschränkung ergibt sich nicht aus der MdE ungeachtet des tatsächlich erzielten Berufserfolgs. Die in sich unklare und widersprüchliche „Schätzung des Fehlbetrags” bzw „Berechnung des Vergleichswerts” nach § 9 Abs 8 BSchAV erlaubt jedenfalls noch die mit den Grundlagen des Versorgungsrechts übereinstimmende Aussage, daß es an einer die Fähigkeit zur Altersvorsorge beeinträchtigenden Einschränkung fehlt, wenn der Beschädigte in seinem Berufsleben stets mehr als das Vergleichseinkommen der für ihn maßgebenden Berufsgruppe verdient hat.
Das derzeitige Bruttoeinkommen ist entweder das wirkliche nachgewiesene Einkommen des Beschädigten oder – inbesondere bei Selbständigen – ein fiktiver Betrag. Auf das tatsächliche Einkommen ist nur bei abhängig Beschäftigten abzustellen, wobei sich nach Vollendung des 65. Lebensjahres der BSchA auf den Schaden in der Rente beschränkt. Darum geht es dem Kläger nicht. Er stuft sich zu Recht als Selbständigen ein, weil er im Laufe seines Lebens ganz überwiegend als solcher tätig war. Als derzeitiges Einkommen ist nach der Rechtsprechung des Senats ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse das anzusehen, was der Selbständige als beschädigter Arbeitnehmer wahrscheinlich verdienen würde. Nach Vollendung des 65. Lebensjahres war nach der bisherigen Rechtsprechung das so bestimmte derzeitige Einkommen ebenso wie das Vergleichseinkommen um 25 vH zu mindern (BSG SozR 3100 § 30 Nr 75; SozR 3-2642 § 8 Nr 1). Hieran ist festzuhalten. Der Gesetzgeber hat dies mit § 9 Abs 8 BSchAV idF vom 16. Januar 1991 dem Grunde nach bestätigt.
Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß es dem Sinn und der Systematik des BSchA entspricht, schädigungsbedingte Einkommensverluste nur teilweise, in der Höhe gekappt und nach Gruppen typisierend auszugleichen. Für Selbständige wird die Beamtenbesoldung als Vergleichsgrundlage herangezogen und das ausgleichsfähige Einkommen zugleich auf den Höchstbetrag nach A15 begrenzt. Stark typisierend wird der Verlauf des Berufslebens nachgezeichnet und die Besoldung entsprechend dem Lebensalter erhöht; damit wird – für Selbständige in Analogie zu Beamten – ein beruflicher Aufstieg in Umrissen nachgezeichnet. Dem entspricht die Absenkung des Vergleichseinkommens spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres, weil abhängig Beschäftigte und Beamte regelmäßig zu diesem Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Dieses Regelungsgefüge betrifft nicht nur die Höhe des Vergleichseinkommens, sondern den beruflichen Status des Beschädigten insgesamt, so daß ihm – selbst wenn er nach Vollendung des 65. Lebensjahres schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheidet – nicht wieder das höhere Vergleichseinkommen zugeordnet wird.
Diese pauschalierende Berechnung des BSchA begrenzt zugleich den Anspruch dem Grunde nach. Zutreffend hat das LSG ausgeführt, daß sich bei einem Selbständigen, der zeit seines Lebens weit über der Kappungsgrenze von A15 verdient hat, bei Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren kein BSchA mehr ergeben kann. Zu Recht hat es den Kläger als Selbständigen angesehen, weil er im Verlauf seines Berufslebens in erheblichem Umfang selbständig war. Von den etwa 36 Jahren seiner Berufstätigkeit hat er 14 Jahre als Angestellter und 22 Jahre als Selbständiger gearbeitet. Ungeachtet seiner Bemühungen um Aufbesserung der gesetzlichen Rente durch Nachentrichtung oder hohe freiwillige Beiträge spiegelt diese Rente nicht den Ertrag seines Erwerbslebens. Dies hat der Kläger im Verfahren selbst eingeräumt, indem er auf finanzielle Engpässe infolge hoher Steuernachforderungen oder auf finanzielle Belastungen im Zusammenhang mit Immobilienerwerb verwiesen hat. Anders als bei Unselbständigen spiegelt bei Selbständigen die erzielte Altersrente nicht in erster Linie den Ertrag des Arbeitslebens; sie ist von vielerlei Faktoren abhängig, die keinen Bezug zum Versorgungsrecht haben. Dies hat der Senat wiederholt hervorgehoben (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 77 mwN; SozR 3-3100 § 30 Nr 5). Es ist aber nicht Aufgabe des BSchA, eine trotz Schädigung mögliche, jedoch vom Beschädigten unterlassene Altersvorsorge auszugleichen.
Bei diesem Rechtszustand bleibt es auch nach der Neufassung von § 9 BSchAV (vgl die Motive des Verordnungsgebers in BR-Drucks 719/90 S 21f), soweit diese Vorschrift auf den Kläger angewendet wird, weil bei ihm für Juli 1990 der BSchA noch nicht festgestellt war (§ 9 Abs 8 Satz 7 BSchAV). Denn statt seines tatsächlichen Alterseinkommens muß hiernach bei dem Kläger, der mehr als 1/4 seines Erwerbslebens als Selbständiger tätig gewesen ist (§ 9 Abs 8 Satz 1), ein am eigenen Durchschnittseinkommen orientiertes fiktives Alterseinkommen dem Vergleichseinkommen gegenübergestellt werden (§ 9 Abs 8 Sätze 3 und 4). Auch mit den Berechnungsmodalitäten des § 9 Abs 8 BSchAV soll sichergestellt werden, daß ein Selbständiger, der zeit seines Erwerbslebens Einkünfte in Höhe des Vergleichseinkommens erzielt hat oder hätte erzielen können, keinen Schaden in der Altersversorgung geltend machen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen