Leitsatz (redaktionell)
Bei der Weisung des Gesetzes, an eine wiederverheiratet gewesene und wieder geschiedene Witwe, erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen, kann es sich nur um solche Ansprüche handeln, die tatsächlich auch erworben sind und mit Erfolg geltend gemacht werden können.
Normenkette
BVG § 44 Abs. 7 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 21. November 1961 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin war in erster Ehe mit dem im Jahre 1942 in Rußland gefallenen Handlungsbevollmächtigten Helmut A verheiratet und bezog nach dessen Tod nach den Vorschriften des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes (WFVG) Witwenrente bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945. Am 4. September 1948 ging sie mit dem Diplom-Ingenieur Carl B (B.) eine neue Ehe ein. Diese zweite Ehe wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17. Oktober 1951 wegen ehewidrigen Verhaltens des Ehemannes aus dessen Alleinverschulden wieder geschieden. Bereits am 23. Juli 1951 hatten die Eheleute für die Durchführung der Ehescheidung schriftlich vereinbart, daß der Ehemann die Alleinschuld an der Scheidung trage, daß die Klägerin für Vergangenheit und Zukunft auf Unterhalt verzichte, und daß vermögensrechtliche und sonstige Ansprüche zwischen den Eheleuten nicht bestünden.
Im August 1956 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenbeihilfe aus Anlaß des Todes ihres ersten Ehemannes. Dabei wies sie auf die Alleinschuld ihres zweiten Ehemannes an der Scheidung hin; wegen der völlig zerrütteten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse ihres geschiedenen Mannes habe sie damals auf Unterhalt verzichtet. Das Versorgungsamt (VersorgA) hat Ermittlungen wegen der Ursachen des Unterhaltsverzichtes der Ehefrau und über ihre Einkommensverhältnisse angestellt. Es hat weiter - vergeblich - versucht, das Einkommen ihres inzwischen wieder verheirateten zweiten Ehemannes festzustellen.
Mit Bescheid vom 27. Juni 1958 lehnte das VersorgA die Gewährung von Witwenbeihilfe an die Klägerin ab, weil diese gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann auf Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft verzichtet habe. Ohne diesen Verzicht hätte sie mit Rücksicht auf die inzwischen gebesserte Wirtschaftlage ihres ehemaligen Ehemannes - er war inzwischen bei der Fa. C A. G. beschäftigt - Unterhalt in einer Höhe erlangen können, die ein Bedürfnis für die Gewährung einer Beihilfe nach § 44 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ausgeschlossen hätte. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 20. November 1958 unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 10 zu § 44 BVG zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat mit Urteil vom 26. Oktober 1959 die Klage abgewiesen; § 44 Abs. 4 BVG sei schon deshalb auf die Klägerin nicht anwendbar, weil die neue Ehe schon vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift geschieden worden sei. Im übrigen handele es sich bei der Gewährung von Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG um eine Ermessensentscheidung. Der Beklagte habe sein Ermessen unter Berücksichtigung der für ihn bindenden VV zu § 44 Abs. 4 BVG nicht fehlerhaft ausgeübt. Insbesondere habe die Klägerin trotz der VV Nr. 10 Satz 1 zu § 44 BVG nicht glaubhaft gemacht, daß sie seit ihrem Antrag auf Witwenbeihilfe einen Unterhaltsanspruch nicht hätte durchsetzen können.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart mit Urteil vom 21. November 1961 das Urteil des SG und den Bescheid vom 27. Juni 1958 aufgehoben; es hat den Beklagten verpflichtet, unter Beachtung der in seinem Urteil dargelegten Rechtsauffassung der Klägerin auf ihren Antrag auf Gewährung der Witwenbeihilfe einen neuen Bescheid zu erteilen. Es hat dazu ua ausgeführt: Entgegen der Auffassung des SG sei § 44 Abs. 4 BVG nach Abs. 8 dieser Vorschrift entsprechend auf die Klägerin anzuwenden, weil die Voraussetzungen dieses Absatzes 4 erfüllt seien. Das SG habe jedoch zutreffend die Gewährung der Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG beim Vorliegen der Voraussetzungen als Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde angesehen; diese Entscheidung könne im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von den Gerichten nur auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung nachgeprüft werden. Wenn die Auffassung des SG auch grundsätzlich richtig sei, daß die Versorgungsbehörde die VV als für sie bindende Ermessensrichtlinie befolgen müsse, so müßten die Gerichte die für sie nicht bindenden VV auch dann auf ihre Gesetzmäßigkeit nachprüfen, wenn es sich um VV zu einer Rechtsvorschrift über Ermessensleistungen handle. Diese Nachprüfung habe das SG unterlassen, sie führe zu dem Ergebnis, daß die VV Nr. 10 zu § 44 BVG mit dem Gesetz nicht vereinbar sei, da sie sich nicht im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halte. Nach § 44 Abs. 7 BVG seien die infolge der Auflösung der neuen Ehe erworbenen Unterhaltsansprüche gegen den geschiedenen Ehemann geltend zu machen; die dadurch erlangten Leistungen seien auf die Witwenbeihilfe anzurechnen. Vorliegend habe die Klägerin in einer vom Gesetz zugelassenen Form (§ 72 Satz 1 und 2 Ehegesetz) schon vor Erlaß des Scheidungsurteils auf alle Unterhaltsansprüche für Vergangenheit und Zukunft verzichtet; ein Anhalt für die Nichtigkeit dieser Vereinbarung (i. S. des § 72 Satz 3 Ehegesetz) sei nicht gegeben. Die Klägerin habe deshalb keinerlei Unterhaltsanspruch i. S. des Wortlauts des § 44 Abs. 7 BVG gegen ihren geschiedenen Ehemann erworben. Die hierzu in Nr. 10 der VV zu § 44 BVG vorgeschriebenen Einschränkungen seien aus dem Gesetz selbst (§ 44 Abs. 7 BVG) nicht zu entnehmen. Nach dieser Vorschrift seien vielmehr nur die durch Gesetz oder Vertrag erworbenen Unterhaltsansprüche geltend zu machen; § 44 Abs. 7 aaO beziehe sich dagegen nicht auf die vertragliche Gestaltung der Unterhaltsansprüche nach § 72 Ehegesetz. Vorliegend sei es daher auch unbeachtlich, ob der geschiedene Ehemann gegebenenfalls seit 1956 tatsächlich Unterhalt leisten könne, und ob und durch wen dies nachweisbar sei. Da hiernach die VV Nr. 10 zu § 44 BVG mit § 44 Abs. 7 BVG nicht vereinbar sei, habe der Beklagte dadurch sein Ermessen überschritten, daß er die Gewährung von Witwenbeihilfe im Hinblick auf einen ohne den Unterhaltsverzicht gegebenenfalls durchsetzbaren Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehemann verweigert habe. Der angefochtene Bescheid sei deshalb aufzuheben und der Beklagte, da im Falle der Klägerin der Unterhaltsverzicht und seine Beurteilung nicht der einzig mögliche Gesichtspunkt für die Ausübung des Verwaltungsermessens seien, zu verurteilen, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Witwenbeihilfe zu erteilen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 21. Dezember 1961 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 16. Januar 1962 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Mit der am 15. Februar 1962 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift rügt er mit näherer Begründung die Verletzung des § 44 Abs. 4 und 7 BVG aF und der §§ 54 Abs. 2, 103 SGG. Er hält die VV Nr. 10 zu § 44 BVG aF mit dem Gesetz für vereinbar. Eine Witwe müsse schon deshalb etwaige Unterhaltsansprüche geltend machen und sich auch auf die Leistung anrechnen lassen, weil ihr freiwilliger Verzicht auf solche Unterhaltsansprüche nicht zu Lasten der Öffentlichkeit gehen dürfe. Im übrigen unterliege eine vertragliche Abmachung wie der Unterhaltsverzicht nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO); danach könne wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse im Wege der Klage eine Abänderung verlangt werden. Schließlich habe das LSG auch noch § 103 SGG verletzt, weil es nicht einfach habe unterstellen dürfen, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin zu einer Aussage über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse seit 1956 nicht bereit sei; es habe den Sachverhalt insoweit selbst klären müssen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg in Stuttgart vom 21. November 1961 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 26. Oktober 1959 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 164 SGG). Die Revision ist deshalb zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Denn das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Beklagte das ihm gesetzlich eingeräumte Ermessen überschritten hat, als er mit dem von der Klägerin angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 1958 den Antrag auf Gewährung von Witwenbeihilfe im Hinblick auf einen ohne den vertraglich vereinbarten Unterhaltsverzicht vermutlich durchsetzbaren Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann glaubte ablehnen zu müssen.
In den vor dem 1. April 1956 geltenden Fassungen des BVG war in Fällen der Wiederverheiratung einer versorgungsberechtigt gewesenen Witwe, in denen die neue Ehe geschieden oder aufgehoben worden war, eine Versorgung noch aus Anlaß des Todes des ersten Ehemannes nicht vorgesehen. Im Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin (August 1956) auf Gewährung von Witwenbeihilfe war aber - mit Wirkung vom 1. April 1956 an - die 5. Novelle zum BVG vom 6. Juni 1956 in Kraft getreten, die in ihrem § 44 Abs. 4 bestimmte: Ist die neue Ehe geschieden oder aufgehoben worden, so kann Beihilfe in Höhe von 2/3 der Witwenrente gewährt werden, sofern nicht die Witwe die Scheidung oder Aufhebung der Ehe überwiegend oder allein verschuldet oder die Scheidung nach § 48 Ehegesetz verlangt hat und deshalb nach den eherechtlichen Vorschriften keinen Unterhaltsanspruch gegen den früheren Ehemann hat. Dazu bestimmte § 44 Abs. 7 BVG i. d. F. der 5. Novelle weiter: Infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltsansprüche sind geltend zu machen; die Leistungen sind auf die ... Beihilfe anzurechnen. Diese Vorschriften des § 44 Abs. 4 und 7 BVG sind in der bis zum Inkrafttreten (1. Juni 1960) des 1. Neuordnungsgesetzes (NOG) zum BVG vom 27. Juni 1960 geltenden 6. Novelle zum BVG vom 1. Juli 1957 unverändert übernommen worden.
Mit diesen Vorschriften des § 44 BVG i. d. F. der 5. und 6. Novelle zum BVG (§ 44 BVG aF), insbesondere mit der des § 44 Abs. 7 BVG aF, ist die Auffassung des Beklagten nicht vereinbar, die Klägerin müsse sich so stellen lassen, als wenn sie mit ihrem geschiedenen Ehemann keinen Verzicht auf Unterhalt vereinbart oder aber einen vorhandenen Unterhaltsanspruch durchgesetzt hätte - oder habe durchsetzen können -, und die nach Lage der Akten wohl mögliche Unterhaltsleistung des geschiedenen Ehemannes schließe ein Bedürfnis für die Gewährung der Beihilfe aus. Denn zu Unrecht beruft sich der Beklagte für die Richtigkeit seiner Auffassung auf die zu § 44 Abs. 7 BVG aF erlassenen VV Nr. 10 (6. Novelle zum BVG = VV Nr. 9 der 5. Novelle zum BVG), nach der in Fällen, in denen die Witwe auf Unterhalt verzichtet hat, Beihilfe nur dann gewährt werden soll, wenn die Witwe glaubhaft macht, daß sie auch ohne Verzicht einen Unterhaltsanspruch nicht hätte durchsetzen können oder die mögliche Unterhaltsleistung den Betrag der Beihilfe nicht erreichen würde; dabei soll auf die Beihilfe der Betrag angerechnet werden, den der frühere Ehemann nach den Beweisunterlagen hätte leisten können.
Im vorliegenden Falle sind die gesetzlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 BVG aF zur Gewährung einer Beihilfe an die Klägerin zweifelsfrei erfüllt; ihre neue Ehe ist geschieden worden, ohne daß sie die Scheidung allein oder überwiegend verschuldet oder die Scheidung nach § 48 Ehegesetz verlangt hat und deshalb nach den eherechtlichen Vorschriften keinen Unterhaltsanspruch gegen den früheren Ehemann hat. Dagegen hat die Klägerin die Forderung der VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF nicht erfüllt; sie hat nicht glaubhaft gemacht, daß sie auch ohne ihren Verzicht einen Unterhaltsanspruch nicht hätte durchsetzen können oder die mögliche Unterhaltsleistung den Betrag der Beihilfe nicht erreichen würde. Ein Vergleich dieser VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF mit der gesetzlichen Vorschrift des § 44 Abs. 7 BVG aF, zu der sie erlassen worden ist, läßt jedoch erkennen, daß sie nur mit einer einschränkenden Auslegung nicht im Widerspruch zum Gesetz steht und im Falle der Klägerin deshalb nicht zu deren Nachteil angewandt werden kann. § 44 Abs. 7 BVG aF bestimmt, daß infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen und die Leistungen daraus auf die Beihilfe anzurechnen sind. Das bedeutet eine Weisung des Gesetzes an die Witwe, "erworbene" Unterhaltsansprüche geltend zu machen; Unterhaltsansprüche in diesem Sinne sind solche, die tatsächlich erworben sein müssen, und bei denen zumindest die Möglichkeit bestehen muß, daß sie mit Erfolg geltend gemacht werden können, d. h. daß sie zu verwirklichen sein müssen (vgl. BSG 18, 263, 264). Wenn deshalb die VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF an einen Unterhaltsverzicht der Witwe die Rechtsfolge knüpfen, auf die Beihilfe sei der Betrag anzurechnen, den der frühere Ehemann ohne den Verzicht hätte leisten können, so bedürfen sie unter gleichzeitiger Würdigung der gesetzlichen Vorschrift, zu der sie erlassen worden sind, der Auslegung dahingehend, daß eine Anrechnung des nicht geltend gemachten Unterhaltsanspruchs nur dann erfolgen darf, "wenn auf tatsächlich infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Unterhaltsansprüche verzichtet wurde, obwohl sie mit Erfolg hätten geltend gemacht werden können" (BSG aaO).
Einzige Grundlage für die VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF ist jedoch die Vorschrift des § 44 Abs. 7 BVG aF selbst. Diese aber ist, wie schon dargelegt, und das darf im Falle der Klägerin nicht übersehen werden, erst durch die 5. Novelle zum BVG mit Wirkung vom 1. April 1956 an in Kraft getreten. Das bedeutet, daß die VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF bei verständiger Auslegung auf den Fall der Klägerin gar nicht bezogen werden können. Denn die erst vom 1. April 1956 an wirksam gewordene Weisung des Gesetzes, daß infolge der Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen sind, kann dann keine rechtliche Bedeutung haben, wenn die geschiedenen Eheleute wie im Falle der Klägerin die Fragen des Unterhalts schon vor dem 1. April 1956, d. h. schon vor Erlaß der gesetzlichen Weisung, abschließend geregelt hatten. Das ist hier der Fall. Die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann haben "für die Durchführung ihrer Ehescheidung und für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe" die Vereinbarung, daß der Ehemann die alleinige Schuld an der Scheidung trage und die Ehefrau für Vergangenheit und Zukunft auf Unterhalt verzichte, am 23. Juli 1951 getroffen, zu einem Zeitpunkt also, als das BVG noch in seiner ersten Fassung vom 20. Dezember 1950 Geltung hatte und in keiner Weise erkennen ließ, daß eine spätere gesetzliche Regelung für den Fall der Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe eine wie auch immer geartete Versorgung der gewesenen Witwe aus Anlaß des Todes ihres ersten Ehemannes bringen könnte. Die Klägerin konnte deshalb am 23. Juli 1951 der späteren, erstmals mit Wirkung vom 1. April 1956 ergangenen gesetzlichen Weisung, erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen, noch gar nicht Rechnung tragen; ebensowenig war sie in der Lage, dies noch im Jahre 1956 nachzuholen. Schon aus diesem Grunde war es ihr deshalb nicht möglich, Unterhaltsansprüche nach der Vorschrift des § 44 Abs. 7 BVG aF "geltend zu machen". Im übrigen wurde der Unterhaltsverzicht der Klägerin bereits vor Erlaß des - rechtskräftig gewordenen - Scheidungsurteils vom 17. Oktober 1951 vereinbart, so daß Unterhaltsansprüche "infolge Auflösung der Ehe" nicht mehr "erworben" werden konnten. Das LSG hat dazu auch zutreffend und von der Revision nicht angegriffen festgestellt, daß mit dem Unterhaltsverzicht weder die Absicht verbunden gewesen sei, bestehende Unterhaltsverpflichtungen auf die Allgemeinheit abzuwälzen, noch ein nicht oder nicht mehr bestehender Scheidungsgrund vorgetäuscht werden sollte; die Vereinbarung vom 23. Juli 1951 sei nach § 72 Satz 1 und 2 Ehegesetz zulässig gewesen, ohne daß von einer Sittenwidrigkeit und deshalb Nichtigkeit i. S. des § 72 Satz 3 Ehegesetz die Rede sein könne. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist der am 23. Juli 1951 vereinbarte Unterhaltsverzicht für die seit 1. April 1956 gegebene und von der Klägerin im August 1956 beantragte Versorgung rechtlich unerheblich. Das hat zur Folge, daß der Beklagte nicht berechtigt gewesen ist, in Anwendung der VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 Abs. 7 BVG aF den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenbeihilfe abzulehnen. Hieran ändert auch die Vorschrift des § 44 Abs. 8 BVG aF nichts. Denn sie läßt § 44 Abs. 7 BVG aF, daß infolge der Eheauflösung Unterhaltsansprüche erworben sein müssen, unberührt und regelt insbesondere nicht was bei Unterhaltsverzichten aus der Zeit vor dem 1. April 1956 zu gelten hat.
Der Hinweis des Beklagten auf den im § 323 ZPO enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken vermag der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. § 323 ZPO behandelt als rein prozessuale Vorschrift die sog. Abänderungsklage, zu der in Fällen rechtskräftiger Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen jeder Teil berechtigt ist, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintritt, die für die Verurteilung zur Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen oder der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend gewesen sind; nach seinem Abs. 4 ist er auf Prozeßvergleiche und Vergleiche vor Gütestellen (§ 794 Nr. 1 ZPO) und auf vollstreckbare Urkunden (§ 794 Nr. 5 ZPO) entsprechend anwendbar. Sein allgemeiner Rechtsgedanke kann deshalb nur so weit gehen, daß er auch auf andere Schuldtitel, die in einem - anderen - Verfahren ergangen sind und bürgerlich-rechtliche Ansprüche zum Gegenstand haben, entsprechend angewandt werden kann (vgl. Baumbach, ZPO, 26. Aufl. § 323 Anm. 5 B). Deshalb fallen außergerichtliche Vergleiche und Vereinbarungen, da sie keine Rechtskraftwirkung äußern, nicht unter § 323 ZPO (RG 106, 234); sie unterliegen vielmehr den allgemeinen Vorschriften, insbesondere der des § 242 BGB. Dabei kann jedoch schon zweifelhaft sein, ob bei einer im Zeitpunkt des Abschlusses einer Vereinbarung vorgesehenen oder auch nur vorsehbaren Änderung der Verhältnisse § 242 BGB Anwendung finden kann, wenn sich die Verhältnisse tatsächlich ändern (Wegfall oder Änderung der Geschäftslage). Ebenso zweifelhaft ist, ob ein Dritter (wie hier der Beklagte) von einer der Vertragsparteien die Geltendmachung einer eingetretenen Änderung der Verhältnisse verlangen kann. Dies alles kann jedoch im vorliegenden Falle dahinstehen; denn die am 23. Juli 1951 zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann getroffene Vereinbarung hat nicht nur die Regelung des Unterhalts - Verzicht der Klägerin für Vergangenheit und Zukunft - zum Inhalt, sondern auch die Übernahme der Alleinschuld des Ehemannes an der Scheidung; zudem diente sie der Durchführung und - gesetzlich zulässigen (§ 72 Satz 2 Ehegesetz) - Erleichterung der damals von der Klägerin begehrten Scheidung, so daß sie dieser - neben dem Unterhaltsverzicht - auch nicht zu übersehende Vorteile gebracht hat. Es hieße aber die Klägerin überfordern, wollte man von ihr jetzt verlangen, die Wirksamkeit der nur als Ganzes zu beurteilenden Vereinbarung vom 23. Juli 1951 dadurch in Frage zu stellen, daß sie sich lediglich zu einem ihr nachteiligen Teil der Vereinbarung auf § 242 BGB beruft und die nachträgliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihres geschiedenen Ehemannes geltend macht. Im übrigen gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz, daß derjenige, der Unterstützungs- oder Versorgungsleistungen aus öffentlichen Mitteln in Anspruch nehmen will, verpflichtet ist, jede denkbare Erwerbsmöglichkeit oder Einkommensquelle auszuschöpfen, um dadurch möglicherweise Leistungen der öffentlichen Hand zu verringern. Das ergibt sich weder aus den Vorschriften des Grundgesetzes noch aus dem auch von Treu und Glauben beherrschten Verhältnis des Bürgers zum Staat (vgl. BSG aaO).
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist schließlich für die Rüge der Verletzung des § 103 SGG durch das LSG kein Raum. Denn bei dessen im Ergebnis zutreffender Rechtsauffassung, daß die Vereinbarung vom 23. Juli 1951 hinsichtlich des Unterhaltsverzichts der Klägerin für Vergangenheit und Zukunft ihrem Klagebegehren nicht entgegensteht, waren die jetzigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des geschiedenen Ehemannes unbeachtlich, so daß es einer Aufklärung über sie nicht bedurfte; das LSG brauchte sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt zu fühlen.
Nach allem hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß es im Falle der Klägerin an den Voraussetzungen des § 44 Abs. 7 BVG aF zur Verweigerung der Witwenbeihilfe fehlt, und daß die Anrechnung eines - fiktiven - Unterhaltsbeitrages durch den geschiedenen Ehemann nicht in Betracht kommt.
Ebenso zutreffend ist seine Entscheidung insoweit, als es das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten nicht zu einer Leistung verurteilt, sondern ihn lediglich verpflichtet hat, der Klägerin auf ihren Antrag auf Gewährung der Witwenbeihilfe einen neuen Bescheid zu erteilen. Denn die Gewährung der Witwenbeihilfe ist nach § 44 Abs. 4 BVG aF dem Ermessen der Verwaltungsbehörde anheimgestellt, wenn die im Gesetz aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Das hat zur Folge, daß den Gerichten die Nachprüfung einer Ermessensentscheidung nur dahingehend gestattet ist, ob sich bei ihr die Verwaltungsbehörde an die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens gehalten hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG); daraus folgt weiter, daß in solchen Fällen die Gerichte ihre eigene Entscheidung nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltungsbehörde setzen können. Im vorliegenden Falle gilt dies, worauf auch das LSG hingewiesen hat, ganz besonders deshalb, weil der Unterhaltsverzicht und seine Beurteilung nicht der einzig mögliche Gesichtspunkt für die Ausübung des Verwaltungsermessens im Falle der Klägerin zu sein brauchen.
Die Revision des Beklagten war deshalb wie geschehen zurückzuweisen.
Bei Erteilung des Bescheides an die Klägerin wird der Beklagte im übrigen zu beachten haben, daß mit dem Inkrafttreten des 1. NOG zum BVG vom 27. Juni 1960 mit Wirkung vom 1. Juni 1960 an eine neue Regelung eingetreten ist. Nach Abs. 2 des § 44 BVG i. d. F. vom 27. Juni 1960 (§ 44 BVG nF) lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Dabei ist § 44 Abs. 5 BVG nF - über die Anrechnung erworbener Ansprüche - inhaltsgleich mit § 44 Abs. 7 BVG aF. Die dazu erlassenen VV Nr. 6 haben allerdings gegenüber den VV Nr. 10 (Nr. 9) zu § 44 BVG aF eine Änderung insofern erfahren, als sie nur noch bestimmen: Hat die Witwe auf Unterhalt verzichtet, ist der Betrag anzurechnen, den der Ehemann ohne den Verzicht zu leisten hätte. Dieser knappere, Ausnahmen scheinbar nicht zulassende Wortlaut führt jedoch deshalb zu keinem anderen Ergebnis als dem für die Zeit vor dem 1. Juni 1960, weil die Frage der Anrechnung von fiktiven Ansprüchen auf Leistungen nach diesem Zeitpunkt an anderer Stelle geregelt ist. Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 stehen zwar den tatsächlichen Einkünften Ansprüche auf mögliche Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen gleich. Dies gilt jedoch nicht, soweit sie nicht zu verwirklichen sind oder aus Unkenntnis oder einem verständigen Grund nicht geltend gemacht worden sind oder nicht geltend gemacht werden (vgl. auch § 44 Abs. 5 BVG i. d. F. des 2. NOG zum BVG vom 21. Februar 1964). Diese Vorschrift gilt gemäß § 14 Abs. 1 aaO entsprechend für Witwen. Hiernach kommt für die Zeit vom 1. Juni 1960 an die Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages deshalb nicht in Frage, weil die Klägerin, wie schon dargelegt, nicht ohne einen verständigen Grund auf den Unterhalt verzichtet hat (vgl. BSG aaO). Den Ehepartnern konnte jedenfalls ein solcher Verzicht angesichts des Umstandes, daß die Vereinbarung vom 23. Juli 1951 im wesentlichen der Prüfung und Erleichterung der Ehescheidung dienen sollte, als sittlich gerechtfertigt erscheinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen