Leitsatz (amtlich)

1. BVG § 44 Abs 7 aF, BVG § 44 Abs 5 nF gelten nur für solche Unterhaltsansprüche der Witwe, die infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe tatsächlich erworben worden sind und die mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können. Nur mit dieser einschränkenden Auslegung stehen die KOV-VfG Nr 10 (früher Nr 9 ) zu BVG § 44 in Einklang mit dem Gesetz.

2. Ab 1960-06-01 ist die Frage, ob sich die Witwe nach einem Unterhaltsverzicht einen fiktiven Unterhaltsbeitrag ihres früheren Ehemannes auf die Witwenrente anrechnen lassen muß, nach DV § 33 BVG § 14 Abs 1 iVm DV § 33 BVG § 1 Abs 2 vom 1961-01-11 zu beurteilen.

 

Normenkette

BVG§33DV § 14 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11; BVG § 44 Abs. 5 Fassung: 1960-06-27; BVG§33DV § 1 Abs. 2 Fassung: 1961-01-11; BVG § 44 Abs. 7 Fassung: 1956-06-06; BVGVwV § 44 Nr. 10

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. Mai 1961, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 26. September 1960 und der Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Schleswig-Holstein vom 3. Oktober 1958 werden aufgehoben.

Unter Abänderung des Bescheides des Versorgungsamts Schleswig vom 27. August 1957 wird der Beklagte verurteilt, der Klägerin die Witwenbeihilfe (Witwenrente) ohne Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages ihres früheren Ehemannes A S zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin war in erster Ehe mit Walter K verheiratet, der am 2. Dezember 1941 an den Folgen einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verstarb. Sie heiratete am 30. Juli 1949 den Lagerarbeiter Anton ... Diese Ehe wurde auf Klage des Mannes durch rechtskräftiges Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 4. Mai 1951 nach § 32 des Ehegesetzes (EheG) ohne Schuldausspruch aufgehoben. Während des Eherechtsstreits schlossen die Eheleute am 28. August 1950 vor dem Landgericht einen Unterhaltsvergleich, in dem beide auf Unterhaltsansprüche für jetzt und die Zukunft (auch bei veränderten Verhältnissen) verzichteten. Danach lebte die Klägerin von Fürsorgeunterstützung.

Im November 1956 beantragte die Klägerin Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956, BGBl I 469 (aF). Mit Bescheid vom 27. August 1957 bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) eine Beihilfe in Höhe von 2/3 der Witwenrente unter Anrechnung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags ihres zweiten Ehemannes in Höhe von 40,- DM. Widerspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Gewährung der Witwenbeihilfe ohne Anrechnung eines Unterhaltsbeitrags ihres zweiten Ehemannes begehrte, hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Schleswig vom 26. September 1960 mit Urteil vom 3. Mai 1961 zurück. Nach § 44 Abs. 7 BVG aF, § 44 Abs. 5 BVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960, BGBl I 453 (nF) seien die infolge der Auflösung der neuen Ehe erworbenen Unterhaltsansprüche geltend zu machen und die Leistungen auf die Witwenbeihilfe (nach § 44 Abs. 5 BVG nF Witwenrente genannt) anzurechnen. Diese Vorschriften habe der Beklagte richtig angewandt. Die Frage, ob die Klägerin einen Unterhaltsanspruch infolge der Aufhebung ihrer zweiten Ehe erworben habe, sei in einem Unterhaltsprozeß vor den Zivilgerichten nicht geklärt worden. Zwar habe die Klägerin 1959 vor dem Amtsgericht Kiel eine Unterhaltsklage gegen ihren zweiten Ehemann erhoben und dafür Bewilligung des Armenrechts beantragt. Sie habe jedoch weder gegen den das Armenrecht versagenden Beschluß des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt noch die Klage selbst durchgeführt. Da es mithin an einer zivilrechtlichen Entscheidung über das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs fehle, sei über die Frage, ob die Klägerin durch die Auflösung ihrer zweiten Ehe einen Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann erworben habe, in eigener Zuständigkeit zu befinden. Das Oberlandesgericht habe die zweite Ehe der Klägerin aufgehoben und in den Gründen zu erkennen gegeben, daß keinen der Ehegatten eine Schuld an der Aufhebung der Ehe treffe. Folglich habe nach § 61 Abs. 2 EheG der Ehegatte, der die Aufhebung der Ehe verlangt habe - hier der Ehemann - dem anderen Unterhalt zu gewähren, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspreche. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin beziehe seit Jahren Fürsorgeunterstützung, habe kein Einkommen und kein Vermögen. Sie habe auch keinen Beruf erlernt und sei zumindest in dem hier streitigen Zeitraum auch nicht als Arbeitnehmerin tätig gewesen. Sie sei deshalb bedürftig. Andererseits sei ihr zweiter Ehemann unter Berücksichtigung seiner eigenen Bedürfnisse in der Lage, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 40,- DM zu zahlen. Damit stehe fest, daß die Klägerin durch Auflösung der Ehe einen Unterhaltsanspruch erworben habe. Zwar lasse sich dieser Unterhaltsanspruch nicht verwirklichen, weil die Klägerin am 28. August 1950 für alle Zeiten auf Unterhaltsleistungen verzichtet habe; auch habe sie erklärt, sie wolle von ihrem früheren Ehemann angesichts der kurzen Dauer der Ehe ohnehin keinen Unterhalt fordern. Der Verzicht und die Nichtgeltendmachung eines möglichen Anspruchs bewirke aber, daß die Klägerin sich so stellen lassen müsse, als ob sie keine Verzichtserklärung abgegeben oder einen vorhandenen Unterhaltsanspruch durchgesetzt hätte. Daß der Unterhaltsverzicht viele Jahre vor Einführung der den Versorgungsanspruch begründenden Vorschrift des § 44 Abs. 4 BVG aF erfolgt sei, sei rechtlich unerheblich. Für den Erwerb eines Unterhaltsanspruchs könne nicht auf den Zeitpunkt der Gesetzesänderung durch das Fünfte Änderungsgesetz zum BVG vom 6. Juni 1956 abgestellt werden. Diese Auffassung werde durch § 44 Abs. 8 BVG aF bestätigt, der bestimme, daß § 44 Abs. 7 BVG aF, der die Anrechnung des infolge Aufhebung der zweiten Ehe erworbenen Unterhaltsanspruchs zur Pflicht mache, auf Kriegerwitwen entsprechend anzuwenden sei, deren vor dem 1. Oktober 1950 geschlossene Ehe vor oder nach Inkrafttreten des BVG wieder aufgelöst worden sei. Das LSG ließ die Revision zu.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, unter Abänderung des Bescheides vom 27. August 1957 und unter Aufhebung des Bescheides des Landesversorgungsamts (LVersorgA) vom 3. Oktober 1958 sowie der Urteile der Vorinstanzen nach dem Klageantrag zu erkennen, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG folgere zu Unrecht aus § 44 Abs. 7 BVG aF bzw. aus § 44 Abs. 5 BVG nF, die Klägerin müsse sich den ihr bei Fehlen einer Verzichtserklärung zustehenden und realisierbaren Unterhaltsbeitrag anrechnen lassen. In den Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 44 BVG werde bestimmt, bei einem Unterhaltsverzicht sei die Witwenrente oder - Beihilfe nur zu gewähren, wenn die Witwe glaubhaft mache, daß sie auch ohne Verzicht einen Unterhaltsanspruch nicht hätte durchsetzen können oder die mögliche Unterhaltsleistung den Betrag der Witwenrente oder - Beihilfe nicht erreichen würde. Die Klägerin beziehe sich auf die zweite Alternative dieser VV. Die Witwenbeihilfe habe anfänglich 60,- DM, dann 80,- DM monatlich betragen und betrage jetzt 180,- DM monatlich. Eine Unterhaltsleistung in dieser Höhe könne von dem früheren Ehemann bei einem Einkommen von durchschnittlich 320,- DM netto monatlich nicht erwartet werden. Darüber hinaus habe die Klägerin auch versucht, einen Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann geltend zu machen. Wenn sie nach Ablehnung des Armenrechts den Unterhaltsprozeß mit Rücksicht auf seine Aussichtslosigkeit und aus Mangel an Mitteln nicht durchgeführt habe, so liege kein Unterlassen im Sinne der Ziff. 9 der VV zu § 44 BVG vor; vielmehr sei ein tatsächliches Unvermögen wegen ungünstiger finanzieller Verhältnisse für die Unterlassung der Klage ursächlich. Im übrigen habe das LSG auch dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, daß der Unterhaltsverzicht noch vor dem Inkrafttreten des BVG, insbesondere vor Einführung des § 44 Abs. 4 BVG aF vereinbart wurde. Bei Vorliegen einer solchen gesetzlichen Regelung hätte die Klägerin keinen Verzicht mit ihrem zweiten Ehemann vereinbart. Zu Unrecht setzten die VV zu Abs. 7 des § 44 BVG Unterhaltsanspruch und Unterhaltsleistung gleich, obwohl das Gesetz nur von "Leistungen" spreche. Ziehe man weiter das ernstliche Bemühen der Klägerin in Betracht, einen Unterhaltsanspruch durch das Amtsgericht feststellen zu lassen, so bedeute die Entscheidung des LSG eine Härte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könne.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält sie für unbegründet und das angefochtene Urteil für richtig.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und damit zulässig. Sie ist auch sachlich begründet.

Die Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages des zweiten Ehemannes der Klägerin auf die Witwenbeihilfe (Witwenrente) ist nicht gerechtfertigt. Die Auffassung des LSG, die Klägerin müsse sich so stellen lassen, als wenn sie keine Verzichtserklärung abgegeben oder einen vorhandenen Unterhaltsanspruch durchgesetzt hätte, steht mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz; wer Unterstützungs- oder Versorgungsleistungen aus öffentlichen Mitteln in Anspruch nehme, sei verpflichtet, jede denkbare Erwerbsmöglichkeit oder Einkommensquelle auszuschöpfen, um dadurch möglicherweise die Leistungen der öffentlichen Hand zu verringern. Das ergibt sich weder aus den Bestimmungen des Grundgesetzes noch aus dem von Treu und Glauben beherrschten Verhältnis des Bürgers zum Staat (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 7. September 1962 - 9 RV 250/59 in SozR BVG § 33 Ca 9 Nr. 19 -). Eine solche Verpflichtung muß daher, wenn aus ihr Rechtsfolgen hergeleitet werden sollen, nicht nur in Verwaltungsvorschriften, sondern ausdrücklich im Gesetz festgelegt sein.

In § 44 Abs. 7 BVG aF und § 44 Abs. 5 BVG nF ist nun allerdings bestimmt, daß "infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen sind" und daß die Leistungen daraus auf die Witwenrente (Witwen-Beihilfe) anzurechnen sind. Diese Rechtsnorm enthält eine Weisung an die Witwe, erworbene Unterhaltsansprüche geltend zu machen. Da der Gesetzgeber vom Versorgungsberechtigten indes nichts Unmögliches verlangen kann und will, ist die Vorschrift dahin auszulegen, daß es sich um tatsächlich erworbene Unterhaltsansprüche handeln und daß zumindest die Möglichkeit bestehen muß, diese Ansprüche mit Erfolg geltend zu machen, d.h., daß sie zu verwirklichen sein müssen. Daher könnten Zweifel bestehen, ob die VV Nr. 10 (früher Nr. 9), zu § 44 BVG - abgesehen von der Fassung, die sie (nunmehr als Nr. 6) durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 erhalten haben und die später zu erörtern sind - mit dem Gesetz in Einklang stehen, soweit sie an einen Unterhaltsverzicht der Witwe die Rechtsfolge knüpfen, auf die Witwenrente sei der Betrag anzurechnen, den "der frühere Ehemann (ohne den Verzicht) ... hätte leisten können." Die VV sind jedoch unter Würdigung der Gesetzesvorschrift, auf die sie sich beziehen, so auszulegen, daß eine Anrechnung des nicht geltend gemachten Unterhaltsanspruchs nur dann zu erfolgen hat, wenn auf tatsächlich infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene Unterhaltsansprüche verzichtet wurde, obwohl sie mit Erfolg hätten geltend gemacht werden können. Mit dieser einschränkenden Auslegung stehen die VV sonach nicht in Widerspruch zum Gesetz. Da die VV jedoch ihre einzige Grundlage in dem genannten Gesetzesbefehl des § 44 Abs. 7 BVG aF haben und dieser erst durch das Fünfte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG mit Wirkung ab 1. April 1956 in Kraft getreten ist, können sie bei sinngemäßer und verständiger Auslegung nicht auf den vorliegenden Streitfall bezogen werden. Denn der ab 1. April 1956 wirksam gewordene Gesetzesbefehl kann für solche Fälle keine rechtliche Bedeutung haben, in denen die Unterhaltsansprüche zwischen den ehemaligen Ehegatten bereits abschließend geregelt waren, bevor der Gesetzesbefehl überhaupt ergangen ist. Der Unterhaltsvergleich wurde im vorliegenden Fall bereits am 28. August 1950 geschlossen, also zu einer Zeit, zu der noch nicht einmal das BVG in seiner ersten Fassung in Kraft getreten war. Die Klägerin konnte damals dem späteren Gesetzesbefehl noch nicht Rechnung tragen; sie konnte dies 1956 auch nicht mehr nachholen. Es war ihr daher schon aus diesem Grunde unmöglich, entsprechend der Vorschrift des § 44 Abs. 7 BVG aF Unterhaltsansprüche "geltend zu machen". Der Unterhaltsverzicht wurde im übrigen vor rechtskräftiger Auflösung der Ehe vereinbart; mithin ist auch die weitere Voraussetzung des Gesetzesbefehls nicht gegeben, daß die Unterhaltsansprüche "infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworben" werden. Unwirksamkeit des Unterhaltsverzichts nach § 72 EheG wird weder von den Beteiligten behauptet noch liegt hierfür ein Anhalt vor. Bei dieser Sachlage ist der 1950 vereinbarte Unterhaltsverzicht für den seit 1. April 1956 gegebenen und im November 1956 beantragten Versorgungsanspruch rechtlich unerheblich. Somit entfällt eine Anwendung der VV Nr. 9 (später Nr. 10) zu § 44 BVG. Hieran ändert auch die Vorschrift des § 44 Abs. 8 BVG aF, auf die sich das LSG bezogen hat, nichts. Denn sie läßt die Bestimmung des Abs. 7, daß infolge der Eheauflösung Unterhaltsansprüche "erworben" worden sein müssen, unberührt und regelt insbesondere nicht, was bei Unterhaltsverzichten, die vor dem 1. Oktober 1950 vereinbart wurden, zu gelten hat.

Selbst wenn die Verwaltung aber die VV Nr. 9 (später Nr. 10) hätte anwenden dürfen, wäre das Ergebnis kein anderes. Denn die Witwenrente (Witwenbeihilfe) ist hiernach (ungekürzt) zu gewähren, wenn die Witwe glaubhaft macht, daß sie auch ohne Verzicht einen Unterhaltsanspruch nicht hätte durchsetzen können. Das ist hier der Fall. Der Richterspruch in Armenrechtsverfahren vor dem Amtsgericht, der Unterhaltsanspruch sei - unbeschadet des Verzichts - nicht durchsetzbar, muß als Glaubhaftmachung genügen, denn die Glaubhaftmachung erfordert keinen vollen Beweis, daß der Anspruch - unabhängig von dem Verzicht - nicht durchsetzbar ist (vgl. BSG 6, 144). Zu Unrecht hat sich daher das LSG über den das Armenrecht verweigernden Gerichtsbeschluß hinweggesetzt und gefordert, die Klägerin hätte den Unterhaltsprozeß durchführen müssen.

Da es somit an den Voraussetzungen des § 44 Abs. 7 BVG aF bzw. § 44 Abs. 5 BVG nF fehlt, kommt die Anrechnung eines - fiktiven - Unterhaltsbeitrages, den der frühere Ehemann angeblich hätte leisten können, auf die Witwenrente (Witwenbeihilfe) nicht in Betracht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht für die Zeit ab 1. Juni 1960. Die von diesem Zeitpunkt an geltende Vorschrift des § 44 Abs. 5 BVG nF ist inhaltsgleich mit der früheren des § 44 Abs. 7 BVG. Allerdings sind die VV Nr. 6 zu § 44 BVG insofern nun anders als die früheren VV Nr. 9 und 10 zu § 44 BVG gefaßt, als sie nur noch bestimmen: "Hat die Witwe auf Unterhalt verzichtet, ist der Betrag anzurechnen, den der Ehemann ohne den Verzicht zu leisten hätte." Dieser knappere, Ausnahmen scheinbar nicht zulassende Wortlaut führt jedoch deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil die Frage der Anrechnung von fiktiven Ansprüchen auf Leistungen ab 1. Juni 1960 an anderer Stelle geregelt ist. Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 (BGBl I, 19) stehen zwar den tatsächlichen Einkünften Ansprüche auf mögliche Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen gleich. Dies gilt jedoch nicht, soweit sie nicht zu verwirklichen sind oder aus einem verständigen Grund nicht geltend gemacht worden sind oder nicht geltend gemacht werden. Diese Vorschrift gilt gemäß § 14 Abs. 1 aaO entsprechend für Witwen. Hiernach kommt für die Zeit ab 1. Juni 1960 die Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages deshalb nicht in Frage, weil die Klägerin nicht ohne einen verständigen Grund auf den Unterhalt verzichtet hatte. Den Ehepartnern konnte ein solcher Verzicht angesichts des Umstandes, daß die Ehe nicht nur von kurzer Dauer war, sondern auch zu einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht geführt hatte, als sittlich gerechtfertigt erscheinen. Gerade die Klägerin, auf deren Beweggründe es im vorliegenden Fall hauptsächlich ankommt, durfte den Unterhaltsverzicht als eine Anstandspflicht ansehen, nachdem das Zustandekommen der ehelichen Lebensgemeinschaft an ihrem Verhalten gescheitert war. Demgemäß hat auch das Amtsgericht in seinem Armenrechtsbeschluß - unabhängig vom Unterhaltsverzicht - die Auffassung vertreten, es würde nicht der Billigkeit entsprechen, den zweiten Ehemann mit einer Unterhaltspflicht zu belasten, nachdem die Klägerin mit diesem gar keine richtige Ehe habe führen können und deshalb der Ehemann schon innerhalb eines Monats deren Aufhebung beantragt habe.

Nach alledem durfte die Witwenrente (Witwenbeihilfe) nicht um einen Unterhaltsbeitrag des früheren Ehemannes gekürzt werden. Das LSG hat somit § 44 Abs. 7 BVG aF, § 44 Abs. 5 BVG nF unrichtig angewandt; die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben. Da es im vorliegenden Fall nur darum ging, welche Rechtsfolgen sich aus dem Unterhaltsvergleich vom 28. August 1950 ergaben, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden. Sonach waren das angefochtene Urteil des LSG, das Urteil des SG und der Widerspruchsbescheid aufzuheben und der Beklagte unter Abänderung seines Bescheides vom 27. August 1957 zu verurteilen, der Klägerin die Witwenbeihilfe (Witwenrente) ohne Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages ihres früheren Ehemannes zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1982411

BSGE, 263

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