Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften
Orientierungssatz
1. Sind die vom BSG aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen erfüllt, kann sogar bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen Versicherungsschutz gegeben sein. Der für den Betriebssport vorauszusetzenden Zielsetzung entsprechen Sportarten mit Wettkampfcharakter jedoch nicht, wenn dieser Charakter im Vordergrund steht, etwa in der Form, daß die Sportausübung der Teilnahme am allgemeinen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen dient; die Wettkampfbetätigung von Firmensportvereinen ist daher kein Betriebssport (vgl BSG 1976-01-22 2 RU 83/75 = BSGE 41, 145).
2. Wird neben regelmäßigen Übungsstunden nicht nur gelegentlich gegen Mannschaften anderer Betriebssportgemeinschaften gespielt oder finden mehrfach auch Spiele auswärts statt oder sind die gegnerischen Mannschaften Sportvereine, ist grundsätzlich der gesamte neben Übungsstunden durchgeführte Spielbetrieb nicht als Betriebssport anzusehen (vgl BSG 1977-09-08 2 RU 69/76 = HVGBG RdSchr VB 79/80).
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 21.12.1977; Aktenzeichen L 4 U 77/76) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 03.11.1976; Aktenzeichen S 2 U 111/76) |
Tatbestand
Der im Jahre 1938 geborene Kläger war bei der Firma M - L GmbH beschäftigt und Mitglied der Betriebssportgemeinschaft dieses Unternehmens. Am 3. November 1971 nahm er an einem als Freundschaftsspiel bezeichneten Fußballspiel der Betriebssportgemeinschaft gegen die Betriebssportgemeinschaft der F-Werke teil, das von den Vorsitzenden der Sportgemeinschaften kurzfristig vereinbart worden war. Die Mannschaft der M wurde aus Spielern der 1. Mannschaft und der 2. Mannschaft, welcher der Kläger angehörte, zusammengestellt. Während des Spiels verletzte sich der Kläger am rechten Knie.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 3. Juni 1976 eine Unfallentschädigung ab, weil der Kläger die Verletzung bei einem Wettkampfspiel erlitten habe, das nicht im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation des Arbeitgebers stattgefunden habe.
Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat nach Beweisaufnahme die Beklagte antragsgemäß dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger für die Folgen des Unfalls Leistungen zu gewähren (Urteil vom 3. November 1976). Nach der Auffassung des SG stand die sportliche Betätigung, bei der sich der Unfall des Klägers ereignete, mit der betrieblichen Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Dezember 1977). Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar könne auch ein Fußballspiel als Betriebssport ausgeübt werden und ein dabei erlittener Unfall ein Arbeitsunfall sein. Voraussetzung hierfür sei ua, daß die sportliche Betätigung einen Ausgleich für die den Versicherten meist einseitig beanspruchende Betriebsarbeit ermögliche. Hieran fehle es, wenn der Wettkampfzweck im Vordergrund stehe. Dann bestehe kein innerer Zusammenhang mehr zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem Betriebssport. So sei es im hier zu beurteilenden Fall. Das Fußballspiel am 3. November 1971 habe nicht vorwiegend betrieblichen Zwecken gedient, sondern weitgehend Wettkampfcharakter getragen. Bei der Betriebssportgemeinschaft der M hätten zwei Fußballmannschaften bestanden, und somit sei die Möglichkeit gegeben gewesen, innerhalb der Betriebssportgemeinschaft selbst Fußballspiele durchzuführen. Mit derartigen Spielen hätte dem Ausgleich für die Belastung durch die betriebliche Tätigkeit hinreichend Rechnung getragen werden können. Werde jedoch ein Fußballspiel mit einer Mannschaft einer fremden Firma ausgetragen und - wie hier - kurzfristig zwischen den jeweiligen Betriebssportgemeinschaftsvorsitzenden vereinbart, so sei dies nicht mehr betriebsbezogen und könne deshalb nicht als versicherungsrechtlich geschützter Betriebssport angesehen werden. Ein solches Fußballspiel werde im wesentlichen von dem Gedanken des Wettkampfes getragen. Nicht der Ausgleich durch sportliche Betätigung stehe bei einem solchen Spiel im Vordergrund, sondern es solle vorwiegend die bessere Mannschaft in diesem Spiel ermittelt werden. Der Wettkampfcharakter des Fußballspiels sei zusätzlich auch darin zum Ausdruck gekommen, daß für dieses Spiel eine besondere Mannschaft zusammengestellt worden sei, der Spieler der 1. und 2. Mannschaft angehört hätten. Es sei unerheblich, daß das Fußballspiel als Freundschaftsspiel bezeichnet worden sei; entscheidend sei nicht die Benennung des Spieles, sondern sein Zweck und seine Durchführung. Es komme auch nicht darauf an, ob die Betriebssportgemeinschaft der F-Werke dem Betriebssportverband L eV angehört habe oder nicht; denn von diesem Verband sei das Spiel nicht organisiert worden.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das LSG habe verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Versicherungsschutz auch bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen und bei Wettkämpfen bestehen könne, die nur gelegentlich ausgetragen würden. Darüber hinaus sei aus der Mitwirkung von Spielern der 1. und 2. Mannschaft der Betriebssportgemeinschaft der M entgegen der Auffassung des LSG zu schließen, daß bei dem Spiel am Unfalltag nicht der Wettkampfcharakter im Vordergrund gestanden habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 21. Dezember 1977
aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. November 1976
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG festgestellten Tatsachen sind für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden hat, nicht ausreichend.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1961 (BSGE 16, 1) näher dargelegt, welche tatsächlichen Umstände vorliegen müssen, um den inneren Zusammenhang einer sportlichen Betätigung mit der Beschäftigung im Unternehmen nach § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bejahen zu können. Nach den in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätzen ist eine sportliche Betätigung von Betriebsangehörigen einer versicherten Tätigkeit gleichzustellen, wenn sie geeignet ist, die durch die Arbeit bedingte körperliche und geistige Belastung auszugleichen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindet und durch den im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkten Teilnehmerkreis und die unternehmensbezogene Organisation sowie durch Zeit und Dauer der Übungen in einem dem Ausgleich entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebsarbeit steht. Dieser Zielsetzung entspricht am meisten der reine Ausgleichssport in Form von Lockerungsübungen und dergleichen. Der Senat hat jedoch bereits in seinem Urteil vom 28. November 1961 (aaO S 4) den Begriff des Betriebssports nicht auf Übungen dieser Art eingeengt (vgl auch BSG, BB 1967, 718; BG 1969, 276; Urteile vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70 -, vom 30. November 1972 - 2 RU 175/71 - und vom 8. September 1977 - 2 RU 69/76 -; vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl, S 482s ff mwN aus Rechtsprechung und Schrifttum). Der Senat ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die Teilnahme an ausschließlich gymnastischen Übungen nicht dem Umstand gerecht würde, daß insbesondere bei männlichen Beschäftigten solche Übungen in der Regel keinen Anreiz bilden, um sich zum Ausgleich durch die betrieblichen Belastungen regelmäßig sportlich zu betätigen. Auch der Versicherungsschutz bei der Ausübung von Sportarten, denen es eigentümlich ist, daß sie einen Gegner voraussetzen und meist zwischen verschiedenen Mannschaften ausgetragen werden, ist nicht ausgeschlossen, wenn und solange die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats maßgebenden allgemeinen Voraussetzungen für den Betriebssport gegeben sind. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß auch das Fußballspielen dem erforderlichen Ausgleichszweck dienen kann (vgl ua BSGE 16, 1, 5; 41, 145, 146; BSG SozR Nr 37 zu § 548 RVO; BSG BB 1967, 718; Breithaupt 1969, 566 und BG 1969, 276; BSG Urteile vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70 -, vom 30. November 1972 - 2 RU 175/71 -, vom 8. September 1977 - 2 RU 69/76 - und vom 15. August 1979 - 2 RU 45/79 -; ebenso Brackmann aaO S 482s; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 548 Anm 44). Sind die vom Senat aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen erfüllt, kann sogar bei Fußballspielen zwischen Betriebssportgemeinschaften verschiedener Unternehmen Versicherungsschutz gegeben sein (vgl BSGE 41, 145, 147; BSG Urteile vom 30. November 1972 - 2 RU 175/71 - und vom 8. September 1977 - 2 RU 69/76 -). Der für den Betriebssport vorauszusetzenden Zielsetzung entsprechen Sportarten mit Wettkampfcharakter jedoch nicht, wenn dieser Charakter im Vordergrund steht, etwa in der Form, daß die Sportausübung der Teilnahme am allgemeinen Wettkampfverkehr oder der Erzielung von Spitzenleistungen dient; die Wettkampfbetätigung von Firmensportvereinen ist daher kein Betriebssport (BSGE 16, 1, 5; 41, 145, 147; Urteil vom 8. September 1977 - 2 RU 69/76 - mN).
Wird neben regelmäßigen Übungsstunden nicht nur gelegentlich gegen Mannschaften anderer Betriebssportgemeinschaften gespielt (s BSGE 41, 145; BSG Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 116/70 -) oder finden mehrfach auch Spiele auswärts statt (s BSG BB 1967, 718) oder sind die gegnerischen Mannschaften Sportvereine (s BSG BG 1966, 361), ist grundsätzlich der gesamte neben Übungsstunden durchgeführte Spielbetrieb nicht als Betriebssport anzusehen (BSG Urteil vom 8. September 1977 - 2 RU 69/76 -).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG bestand die Betriebssportgemeinschaft der M aus so vielen Mitgliedern, daß Fußballspiele innerhalb der Sportgemeinschaft selbst durchgeführt werden konnten; das Spiel gegen die Mannschaft der F-Werke war von den jeweiligen Vorsitzenden der beteiligten Sportgemeinschaften kurzfristig vereinbart und hierzu für die Betriebssportgemeinschaft der M eine Mannschaft aus Spielern der 1. und der 2. Mannschaft zusammengestellt worden. Wie die Revision zutreffend geltend macht, rechtfertigen es diese Umstände allein nach der Rechtsprechung des BSG noch nicht, den inneren Zusammenhang der sportlichen Betätigung des Klägers bei dem Fußballspiel am 3. November 1971 mit der Beschäftigung im Unternehmen der M zu verneinen. Das angefochtene Urteil enthält keine tatsächlichen Feststellungen über den Umfang der sportlichen Betätigung der Betriebssportgemeinschaft der M. Es ist daher bislang ungeklärt, ob das Fußballspiel am 3. November 1971 nicht möglicherweise das einzige Spiel in diesem Jahr gegen die Mannschaft einer anderen Betriebssportgemeinschaft oder jedenfalls eines der nur gelegentlich in letzter Zeit etwa ein Jahr vor dem Unfall durchgeführten Wettkämpfe war und die sportliche Betätigung der Betriebssportgemeinschaft der M im übrigen darin bestand, daß im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkte regelmäßige Übungsstunden stattfanden, die nach Zeit und Dauer dem Ausgleich für die Belastung durch die Betriebstätigkeit dienen konnten. Das LSG hat zwar im Tatbestand des angefochtenen Urteils ua ausgeführt, die Betriebssportgemeinschaft der M gehöre dem Betriebssportverband L eV im Bezirk L an, der Rundenspiele, Staffelspiele und Pokalveranstaltungen durchführe. Daraus läßt sich aber auch in Verbindung mit der Ausführung im Tatbestand, daß die 2. Fußballmannschaft der M in der 3. oder 4. Staffel des Betriebssportverbandes spielte, noch nicht eine das Revisionsgericht bindende tatsächliche Feststellung (§ 163 SGG) über den hier maßgeblichen Umfang der sportlichen Betätigung etwa im Jahr vor dem Unfall des Klägers herleiten. Festgestellt ist insoweit in den Gründen des angefochtenen Urteils vielmehr lediglich, daß das Spiel, bei dem sich der Kläger verletzte, gerade nicht vom Betriebssportverband organisiert worden ist. Ob die Betriebssportgemeinschaft der M im übrigen im Jahr 1971 an Runden- und Staffelspielen sowie an Pokalveranstaltungen des Betriebssportverbandes teilgenommen hat und gegebenenfalls wieviel Spiele dabei insgesamt ausgetragen worden sind, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Auf solche Feststellungen, die das BSG nicht selbst nachholen kann, kommt es jedoch hier an, weil die Entscheidung darüber, ob die Teilnahme an dem nicht vom Verband organisierten Freundschaftsspiel am 3. November 1971 einer versicherten Tätigkeit gleichzustellen ist, nur aufgrund des Gesamtbildes der sportlichen Betätigung der Betriebssportgemeinschaft getroffen werden kann.
Das Berufungsurteil mußte somit aufgehoben und die Sache nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückverwiesen werden.
Fundstellen