Leitsatz (amtlich)

Ein Offiziersanwärter, der als Soldat auf Zeit Dienstbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz erhält, befindet sich nicht in Berufsausbildung im Sinne des AVG § 44 S 2.

 

Normenkette

RVO § 1267 S. 2 Fassung: 1964-08-17; AVG § 44 S. 2 Fassung: 1964-08-17

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Mai 1966 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Februar 1966 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger über sein 18. Lebensjahr hinaus auch für die Zeit vom 1. August 1964 bis zum 31. März 1966 Waisenrente aus der Versicherung seines verstorbenen Vaters zusteht.

Der am 22. Oktober 1943 in Annaberg im Erzgebirge geborene Kläger war im August 1954 in die Bundesrepublik gekommen und hatte hier im Juli 1964 sein Abitur bestanden Vom 1 Oktober 1964 an wurde er auf Grund freiwilliger Meldung als Offiziersanwärter der Marine beim 3. Marineausbildungsbataillon in G eingestellt. Seitdem ist er Soldat auf Zeit und erhält er Dienstbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz (BBesG).

Die Beklagte stellte gemäß Bescheid vom 5. Juni 1964 die Zahlung der bis dahin gewährten Waisenrente mit Ablauf des Monats Juli 1964 ein, weil die Schulausbildung am 31 Juli 1964 beendet worden sei und sich ihr keine Zeit der Berufsausbildung anschließe. Zwar sei der Dienst eines Offiziersanwärters an sich bis zur Ablegung der Offiziersprüfung Berufsausbildung im Sinne des § 44 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); jedoch bestehe ein Anspruch auf Waisenrente erst nach Ablauf von 18 Monaten seit dem Eintritt in die Bundeswehr, weil von der Ausbildung 1 1/2 Jahre für den Grundwehrdienst abgezogen werden müßten.

In seiner Klage berief sich der Kläger darauf, daß er durch Befreiungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes M vom 7. November 1962 gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 des Wehrpflichtgesetzes als Heimkehrer im Sinne des Heimkehrergesetzes vom Wehrdienst befreit war. Die Beklagte habe ihn deshalb zu Unrecht wie einen Wehrpflichtigen behandelt, der den Grundwehrdienst ableisten müsse. Vielmehr sei bei ihm die ganze Zeit als Offiziersanwärter als Berufsausbildung anzusehen. Für die Zeit zwischen dem Abitur und der Aufnahme des Wehrdienstes sei die Waisenrente ebenfalls zu zahlen, weil Offiziersbewerber nur zum 1. Oktober eingestellt würden und dies nicht zu deren Lasten gehen dürfe.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids, dem Kläger Waisenrente über den 31. Juli 1964 hinaus zu zahlen. Es sah den Dienst als Offiziersanwärter als Berufsausbildung an, und zwar beim Kläger wegen der ausgesprochenen Befreiung in vollem Umfang. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück; es war ebenfalls der Auffassung, daß die Offiziersausbildung zwar im allgemeinen für die Dauer des Grundwehrdienstes keine Berufsausbildung sei, daß aber für den Kläger etwas anderes gelten müsse, weil er kein Wehrpflichtiger sei.

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG München vom 2. Februar 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt die Verletzung des § 44 Satz 2 AVG und vertritt dazu nunmehr die Auffassung, daß die Ausbildung zum Berufsoffizier grundsätzlich nicht als Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sei. In diesem Zusammenhang habe das LSG insbesondere nicht beachtet, daß der Kläger vom Dienstantritt an Dienstbezüge nach dem BBesG erhalten habe. Abgesehen hiervon hätten 18 Monate Dienstzeit, d.h. ein der Dauer des Grundwehrdienstes entsprechender Zeitraum auf jeden Fall nicht als Berufsausbildung betrachtet werden dürfen, weil sonst diejenigen, die auf Grund freiwilliger Meldung in die Bundeswehr eintreten, ungerechtfertigt besser gestellt würden als diejenigen, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten. Insoweit bezieht sich die Beklagte noch auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 27. Juni 1960 (NJW 1960, 2099; Recht im Amt 1960, 383).

Im übrigen hat die Beklagte durch Bescheid vom 29. August 1966 dem Kläger die Waisenrente vom 1. April 1966 an wieder bewilligt.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

und bezieht sich dazu im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Daß er Dienstbezüge erhalten habe, dürfe nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Seine Besoldung sei ähnlich wie beim Inspektoranwärter (BSG 9, 196) nur als Unterhaltszuschuß zu werten.

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Revision der Beklagten müß zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Abweisung der Klage hinsichtlich des streitigen Zeitraumes vom 1. August 1964 bis zum 31. März 1966 führen. Dagegen muß die anschließende Zeit außer Betracht bleiben, da hier die Beklagte an ihren Bescheid vom 29. August 1966 gebunden ist.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mehrfach entschieden (vgl. ua SozR § 1267 RVO Nr. 15 sowie BSG 25, 289), daß nicht jede Ausbildung, der sich ein Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres unterzieht, als Schul- oder Berufsausbildung im Sinne von § 1267 Satz 2 RVO (= § 44 Satz 2 AVG) anzusehen ist. Sinn und Zweck der dort getroffenen Regelungen über einen verlängerten Anspruch auf Waisenrente gingen vielmehr dahin, die Fälle zu erfassen, in denen das Kind entgegen der sonst angenommenen Regel auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres noch auf elterliche Unterhaltsleistungen angewiesen sei, weil seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen sei und es sich deshalb noch nicht selbst unterhalten könne. Eine Schul- oder Berufsausbildung vermöge deshalb einen Anspruch auf Waisenrente nur dann zu begründen, wenn das Kind infolge dieser Ausbildung gehindert sei, sich selbst den ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Berufsausbildung im Sinne der genannten Vorschrift liege somit nicht vor, wenn sich die Ausbildung im Rahmen einer Erwerbstätigkeit vollziehe, die den vollen Unterhalt des Kindes sichere, so daß es auf keine andere Erwerbstätigkeit mehr angewiesen sei. Das sei insbesondere dann anzunehmen, wenn es bereits volle Dienstbezüge bzw. volles Gehalt beziehe. Aus diesen Gründen hat der 4. Senat des BSG in dem bereits erwähnten Urteil vom 6. April 1965 (SozR § 1267 RVO Nr. 15) von einem Polizeibeamten auf Probe, der vor der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit an einem einjährigen Grundlehrgang an einer Landespolizeischule teilnahm, nicht angenommen, daß er sich während dieser Zeit in Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO befand. Dieser Auffassung hat sich der 10. Senat des BSG in seinem Urteil 10 RV 879/64 vom 12. Juli 1966 (KOV 1967, 28) für die entsprechende Vorschrift des § 45 Abs. 1 BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) angeschlossen. Endlich hat deshalb der 11. Senat aaO (BSG 25, 289) einem Verwaltungssekretär, der bei Weiterzahlung seiner beamtenrechtlichen Dienstbezüge auf den gehobenen Dienst vorbereitet wurde, keine Waisenrente mehr zugebilligt.

Diese Rechtsprechung ist jetzt durch die Neufassung des § 33 b Abs. 4 Buchst. a und des § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG durch das dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (3. NOG-KOV) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) bestätigt worden. Danach werden der Kinderzuschlag und das Waisengeld über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bei einer Berufsausbildung nur dann weiter gewährt, wenn sie nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist. Dazu heißt es in der amtlichen Begründung (Bundesrats-Drucks. 370/66 Seite 26), die neuen Definitionen der Schul- und Berufsausbildung entsprächen den bisherigen Verwaltungsvorschriften Nr. 10 und 11 zu § 33 b BVG und stimmten inhaltlich überein mit § 18 Abs. 2 BBesG. Hier ist aber ebenfalls anerkannt, daß ein Kind, das als Offiziersanwärter Dienstbezüge erhält, sich nicht mehr in Berufsausbildung im Sinne der gesetzlichen Vorschriften befindet, siehe Wurster/Gohla, Bundesbesoldungsrecht Bd. I § 18 BBesG Seite 391, 394 und 418 unter Hinweis auf die VV Nr. 6 zu § 18 Abs. 2 und einen Erlaß des Bundesministers für Verteidigung vom 22. Juli 1959. Dem steht die Entscheidung des 8. Senats in BSG 25, 276 schon deswegen nicht entgegen, weil sie einmal noch die alte Fassung des § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a BVG betrifft und es sich außerdem dort ebenso wie bei dem in BSG 9, 196 entschiedenen Fall eines Inspektoranwärters um einen Unterhaltszuschuß gehandelt hat. Damit erübrigt sich zugleich ein Eingehen auf die von Scheerer in SozVers 1967, 234 an diesem Urteil geübte Kritik.

Der oben dargelegten Rechtsprechung des 4., 10. und 11. Senats, die durch die neue Regelung im Bundesversorgungsrecht bestätigt worden ist, schließt sich der Senat für den vorliegenden Fall an. Der Kläger erhielt als Offiziersanwärter und damit als Soldat auf Zeit (vgl. §§ 15, 19 aF der Soldatenlaufbahnverordnung) Dienstbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz in der Fassung vom 18. Dezember 1963 (BGBl I 917), vgl. im einzelnen § 1 Nr. 3 sowie §§ 32 ff, und zwar wegen seiner Befreiung von der Wehrpflicht entgegen der Vorschrift des § 33 BBesG nicht erst nach Ableistung des vorgeschriebenen Grundwehrdienstes, sondern bereits mit dem Ersten des Monats seines Dienstantritts.

Diese Besoldung schließt es aus, ihn als in Berufsausbildung befindlich anzusehen. Indem der Gesetzgeber dem Soldaten auf Zeit Dienstbezüge gewährt, ihn also wie einen Beamten besoldet, bringt er zum Ausdruck, daß er davon ausgeht, daß der Offiziersanwärter überwiegend Dienst leistet und nicht ausgebildet wird. Zugleich verbietet sich damit die vom Kläger vertretene Auffassung, daß der Offiziersanwärter ebenso wie der Beamtenanwärter behandelt werden müsse. Dieser erhält in der Regel im Gegensatz zum Soldaten auf Zeit Leistungen, die ausdrücklich nicht als Dienstbezüge, sondern als Unterhaltszuschuß bezeichnet werden. Demgegenüber hat der Offiziersanwärter seinen Beruf (als Soldat) bereits erreicht, so daß seine Ausbildung sich im Rahmen eines bereits erreichten Berufes vollzieht. Mit Rücksicht hierauf kann die gesamte Dienstzeit des Klägers als Offiziersanwärter nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 44 Satz 2 AVG angesehen werden. Zugleich entfällt damit die Möglichkeit, ihm wenigstens für die Zeit vom 1. August 1964 bis 30. September 1964 Waisenrente zu zahlen. Wie der vom Wehrdienst nicht befreite Offiziersanwärter während der Dauer des Grundwehrdienstes zu behandeln ist, war hier nicht zu entscheiden.

Nach alledem müssen aus den genannten Gründen die Vorentscheidungen aufgehoben und die Klage abgewiesen werden, ohne daß es noch eines Eingehens auf die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BGH (NJW 1960, 2099) und die dort entwickelte Auffassung bedurft hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351505

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