Orientierungssatz

Zum Begriff "abstoßend wirkende Entstellung des Gesichts" iS vom VV BVG § 30 Nr 4 (hier: Verlust beider Augen).

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1971-12-16; BVGVwV Nr. 4 Fassung: 1969-06-26

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 1972 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Streit geht um die Erhöhung der Schwerstbeschädigtenzulage.

Der Kläger erhält die Rente eines Erwerbsunfähigen, Pflegezulage nach Stufe III sowie Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I (aufgrund der Verordnung zu § 31 Abs. 5 BVG vom 17. April 1961 - Bescheid vom 28.7.1961). Als Schädigungsfolgen waren u.a. zunächst "Erblindung des rechten Auges und Verlust des linken Auges" anerkannt gewesen. Nach operativer Entfernung des erblindeten rechten Auges wurde diese Schädigungsfolge neu bezeichnet als: "Verlust beider Augen" (Bescheid 1. März 1963).

Im August 1965 beantragte der Kläger, für die Schwerstbeschädigtenzulage weitere 50 Bewertungspunkte zu berücksichtigen, weil er eine gesichtsentstellende Verletzung habe. Gestützt auf eine augenärztliche Stellungnahme lehnte das Versorgungsamt durch den Bescheid vom 10. November 1965 den Antrag ab; die für den Kläger maßgebende Gesamtzahl von 115 Bewertungspunkten ergebe keine Schwerstbeschädigtenzulage, vielmehr stehe diese nur wegen der Gewährung der Pflegezulage nach Stufe III zu. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. April 1966).

Mit der Klage ist der Kläger dabei geblieben, der Verlust beider Augen sei bei ihm als abstoßend wirkende Entstellung des Gesichtes anzusehen, weil er seine Kunstaugen wegen ständiger Reizung der Augenhöhlenschleimhaut günstigstenfalls nur bis zu 6 Stunden täglich tragen könne und ihm wegen seiner Kopfnervenschädigung das Tragen einer getönten Brille nicht zugemutet werden dürfe. Das Sozialgericht (SG) hat das Gutachten des Prof. Dr. D und Dr. R von der Universitätsaugenklinik F vom 19. Dezember 1966 eingeholt. Die Sachverständigen sind u.a. zu dem Ergebnis gelangt, es liege keine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Entstellung des Gesichtes vor; eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. sei insoweit gerechtfertigt. Durch Urteil vom 22. November 1968 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II vom 1. August 1965 an zu gewähren. Die ärztlichen Sachverständigen hätten offenbar den Zustand nach Verlust beider Augen als schwere Entstellung angesehen. Diese Auffassung vertrete auch das SG.

Der Beklagte hat mit der Berufung gerügt, das SG sei über die ärztliche Beurteilung des Prof. Dr. D in einer medizinischen Frage hinausgegangen. Nach der Zweiten Änderungsverordnung zu § 31 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vom 19. August 1969 ergebe sich vom 1. September 1969 an bei einer Einschätzung der Gesichtsentstellung mit einer MdE um 30 v.H. eine Gesamtzahl von 160 Bewertungspunkten, welche nunmehr einer Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II entsprechen würde. Der Kläger ist dabei geblieben, er könne die Kunstaugen nicht ständig tragen. Er hat Anschlußberufung eingelegt mit dem Antrag, ihm ab 1. August 1965 die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe III und ab 1. September 1969 der Stufe IV zu gewähren. Nach Augenscheineinnahme von den Schädigungsfolgen im Gesicht des Klägers hat das LSG durch Urteil vom 20. Juli 1972 auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert, soweit der Beklagte für die Zeit vom 1. August 1965 bis zum 31. August 1969 zur Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II verurteilt worden ist, und hat in diesem Umfange die Klage abgewiesen; im übrigen hat es die Berufung und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Die Berufung, die einen Streit um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge betreffe, sei durch § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht ausgeschlossen, weil das Verfahren des SG an dem vom Beklagten gerügten wesentlichen Mangel einer Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 128 SGG leide (§ 150 Nr. 3 SGG). Die Berufung sei auch teilweise begründet, während die an sich zulässige Anschlußberufung unbegründet sei. Der Bescheid vom 28. Juli 1961, durch welchen die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I bindend bewilligt worden sei, sei weder von Anfang an unrichtig gewesen, noch sei er durch die zwischenzeitlich eingetretene Änderung der für den Versorgungsanspruch des Klägers maßgebenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse bis zum 31. August 1969 unrichtig geworden. Durch die dementsprechend festzustellenden 140 Punkte sei die für die Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II erforderliche Mindestpunktzahl von 160 nicht erreicht. Vom 1. September 1969 an aber sei die Punktzahl wegen des durch § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Zweiten Änderungsverordnung zu § 31 Abs. 5 BVG vom 19. August 1969 eingefügten Zusammentreffens von Blindheit mit weiteren Schädigungsfolgen um 30 Punkte zu erhöhen; die nunmehr zu ermittelnde Zahl von 170 Bewertungspunkten rechtfertige von diesem Zeitpunkt an die Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II. Zwar sei durch die Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG u.a. für den erheblichen äußeren Körperschaden "Abstoßend wirkende Entstellung des Gesichts" als Mindesthundertsatz 50 v.H. festgesetzt worden; dies treffe aber für den Kläger nicht zu. Die "abstoßend wirkende Entstellung" sei ein unbestimmter Rechtsbegriff. Er sei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einschließlich der medizinischen Beurteilung, die nur einen Anhaltspunkt biete, und der Anschauung der Allgemeinheit auszufüllen. Da hier der kosmetischen Wirkung der Schädigung auf den nichtmedizinisch vorgebildeten und tätigen Außenstehenden Rechnung getragen werde, komme es auch darauf an, ob der Beschädigte Kunstaugen oder eine dunkle Brille tragen könne, was bei der Bemessung der MdE für die Entstellung ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben könne, ohne daß der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt werde. Denn beim Tragen von Körperersatzstücken bestehe zwischen dem Arm- oder Beinamputierten einerseits und dem durch eine Entstellung des Gesichts Betroffenen andererseits der wesentliche Unterschied, daß bei letzterem die Bestimmung eines Mindesthundertsatzes der MdE nicht den Funktionsausfall, sondern die kosmetische Wirkung auf außenstehende Dritte berücksichtige. Der Kläger könne ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. D und Dr. R seine Kunstaugen ständig tragen; lediglich wegen Schleimhautreizung oder Kälteeinwirkung sei dies vorübergehend nicht möglich; während solcher kurzen Zeiten sei ihm das Tragen einer dunklen Brille zumutbar und nicht mit zusätzlichen Beschwerden verbunden. Für seine Angaben, er könne die Kunstaugen tagsüber nicht ständig tragen, bestehe kein Anhaltspunkt. Trotz der Kunstaugen oder des Tragens einer getönten Brille stelle der Verlust beider Augen eine Entstellung des Gesichtes dar, wirke für sich allein aber noch nicht abstoßend. Entscheidend sei, in welchem Ausmaß die Abweichung von dem physiologischen Normalzustand des Gesichts auf einen nichtmedizinisch vorgebildeten und tätigen, normal-empfindenden und -reagierenden erwachsenen Außenstehenden einwirke.

Erwecke sie in ihm das Gefühl des Erschreckens, des Abscheus, des Ekels oder der anhaltenden Abneigung gegenüber dem Beschädigten, und veranlasse sie ihn, den Kontakt mit dem Beschädigten nach Möglichkeit zu meiden, so sei sie abstoßend. Allein der Verlust der Augen, sofern Prothesen oder eine dunkle Brille getragen werden könnten, vermöge derartige Mißempfindungen bei einem normalempfindenden und -reagierenden Außenstehenden nicht auszulösen. Dies gelte auch im Falle des Klägers. Nach dem Ergebnis der Augenscheineinnahme seien bei ihm neben dem Verlust der Augen weitere äußerlich auffallende Verletzungen des Gesichts nicht vorhanden. Die allein durch den Verlust der Augen bewirkte Entstellung des Gesichtes habe selbst nach Herausnahme der Augenprothesen und Beseitigung des dadurch bewirkten Sekretabflusses auf die Mitglieder des Berufungsgerichts unter Anlegung der hierfür maßgebenden Beurteilungskriterien keine abstoßende Wirkung ausgeübt. Durch die demnach bestehende einfache Entstellung des Gesichts sei eine MdE um 30 v.H. angemessen. Die Einschätzung der ärztlichen Sachverständigen mit lediglich 20 v.H. sei nicht ausreichend. Hierzu komme eine neurologisch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit, welche für die Teilschädigung der Gesichtsnerven mit 15 v.H. festzusetzen sei Daraus folge für das Organsystem Kopf eine MdE um 30 v.H. für die Entstellung des Gesichts und 15 v.H. für die Schädigung der Gesichtsnerven, insgesamt um 40 v.H., so daß sich vom 1. September 1969 an die Zahl von insgesamt 170 Bewertungspunkten ergebe.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt:

1.

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 1972 aufzuheben und die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen;

2.

auf die Anschlußberufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. November 1968 abzuändern, den Bescheid des Versorgungsamts F vom 10. November 1965 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1966 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab 1. August 1965 Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe III und ab 1. September 1969 Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe IV zu gewähren;

3.

hilfsweise das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 1972 aufzuheben und die Sache zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 30 BVG, weil der Begriff der abstoßend wirkenden Gesichtsentstellung unrichtig ausgelegt und die MdE hierfür lediglich mit 30 v.H. bewertet worden sei. Das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, daß der Kläger die Kunstaugen nachts nicht tragen könne, und habe die Empfindungen der Personen zu Unrecht außer Betracht gelassen, die den Kläger am Abend oder in der Nacht sähen, wie z.B. Angehörige und Verwandte des Klägers oder Besucher, die unangemeldet erscheinen. Es liege eine abstoßend wirkende Gesichtsentstellung beim Kläger mit einer MdE um 50 v.H. vor. Außerdem habe das LSG gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen, weil bei anderen Beschädigten die Überlassung von Prothesen nicht zu einer Kürzung der ursprünglichen Bewertung der MdE führe.

Der Beklagte beantragt:

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juli 1972 als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und tritt den Ausführungen des Klägers entgegen.

II

Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel konnte keinen Erfolg haben.

Das LSG ist davon ausgegangen, daß der Kläger mit seinem Begehren auf Erhöhung seiner Schwerstbeschädigtenzulage eine Neufeststellung seines Versorgungsanspruchs wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nach § 62 Abs. 1 BVG erstrebt. Insoweit handelt es sich zwar um einen Streitgegenstand i.S. des Berufungsausschlußgrundes des § 148 Nr. 3 SGG. Die Berufung des Beklagten war jedoch nach § 150 Nr. 2 SGG gleichwohl zulässig, weil, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, das Verfahren des SG insofern an einem wesentlichen Mangel gelitten hat, als es ein Beweismittel, nämlich das Gutachten der ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. D und Dr. R nicht gesetzmäßig gewürdigt und damit gegen § 128 Abs. 1 SGG verstoßen hat.

Das LSG hat entschieden, daß der Bescheid vom 17. April 1961, durch den dem Kläger eine Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I bewilligt worden ist, weder von vornherein unrichtig gewesen noch bis zum 31. August 1969 infolge Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nachträglich unrichtig geworden ist. Es hat angenommen, dem Kläger habe bis zum 31. August 1969 keine Schwerstbeschädigtenzulage nach einer höheren Stufe als der ihm bewilligten Stufe I zugestanden, weil bei ihm keine mit einer MdE um 50 v.H. zu bewertende "abstoßend wirkende Entstellung des Gesichts" (i.S. von Nr. 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG) vorliege; deshalb sei nach den bis zum 31. August 1969 geltenden Rechtsvorschriften in der Gesamtbewertung der einzelnen Schädigungsfolgen des Klägers nach der DVO zu § 31 Abs. 5 BVG die für eine höhere Stufe der Schwerstbeschädigtenzulage erforderliche Punktzahl nicht erreicht.

Die Ausführungen des LSG halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Senat folgt ihnen auch insoweit, als sie von der Revision angegriffen worden sind, nämlich insoweit, als das LSG verneint hat, daß der Augenverlust des Klägers zu einer abstoßend wirkenden Entstellung des Gesichts geführt hat.

Das LSG hat die "abstoßend wirkende Entstellung des Gesichts" zutreffend als einen unbestimmten Rechtsbegriff angesehen und hat ihn ausgefüllt. Die Schwierigkeit bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe wird vorliegend dadurch erhöht, daß auch noch die Bereiche des Gefühlsmäßigen betroffen werden. Bei ihnen sind allgemein gültige Maßstäbe nur schwer zu finden. Das Berufungsgericht hat dies beachtet und Kriterien entwickelt, welche zu Bedenken keinen Anlaß geben. Es hat die Empfindungen der Allgemeinheit, und insbesondere von normal empfindenden und -reagierenden außenstehenden Dritten berücksichtigt. Diese Abgrenzung des maßgebenden Personenkreises ist sachgerecht und geeignet, den unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen. Als "abstoßend" hat es das Auslösen von Mißempfindungen wie Abscheu, Ekel, Erschrecken oder anhaltende Abneigung angesehen. Dies entspricht dem Sinngehalt, welcher mit dem Wort verbunden ist. Die Ausdeutung des Begriffs der abstoßend wirkenden Entstellung des Gesichtes durch das Berufungsgericht gibt zu Bedenken ebensowenig Anlaß, wie die Anwendung dieses allgemeinen Maßstabes auf den vorliegenden Fall. Das LSG hat sich nicht nur auf die ärztlichen Gutachten gestützt, sondern auch auf seine Einnahme des Augenscheins in der mündlichen Verhandlung bei eingesetzten und herausgenommenen Augenprothesen des Klägers. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist im angefochtenen Urteil niedergelegt; hiergegen sind Revisionsrügen nicht vorgebracht. Die auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme beruhenden tatsächlichen Feststellungen binden das Revisionsgericht nach § 163 SGG.

Zu Unrecht macht der Kläger mit der Revision geltend, die Entstellung seines Gesichts dürfe nicht mit eingesetzten Augenprothesen beurteilt werden. Zunächst hat das LSG - von der Revision nicht angegriffen - die Entstellung des Gesichts ohne Kunstaugen in seine Augenscheineinnahme einbezogen und hat sie als nicht abstoßend gewürdigt. Gegen diese Beweiswürdigung sind keine Rügen erhoben. Infolgedessen entbehrt die Revision insoweit bereits der tatsächlichen Grundlage. Sie geht darüber hinaus auch in rechtlicher Hinsicht fehl. Insbesondere beruft sich der Kläger zu Unrecht auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes.

Das LSG hat zu Recht ausgeführt, daß nach diesem Grundsatz Ungleichartiges ungleich beurteilt werden kann und daß Körperersatzstücke, wie Arm- und Beinprothesen, den Funktionsausfall für den Beschädigten ebensowenig ausgleichen können wie Kunstaugen. Dem Funktionsausfall durch Verlust des Sehvermögens wird vorliegend durch die Einschätzung der MdE mit 100 v.H. Rechnung getragen. Die Kunstaugen des Klägers aber haben mit einer Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit nichts zu tun. Der Hinweis des Klägers auf einen teilweisen Verlust des Haarbodens und die Notwendigkeit, eine Perücke zu tragen, oder auf künstliche Ohren als Vergleichsobjekte geht fehl. Denn auch hierbei handelt es sich wie bei Arm- und Beinverlust um eine Beeinträchtigung der Integrität des Körpers. Insoweit kann durch Körperersatzstücke dem Verletzten zwar geholfen werden, der Funktionsausfall durch den Gliedverlust aber läßt sich ebensowenig ausgleichen wie der Augenverlust für das Sehvermögen. Demgegenüber wird bei der Entstellung des Gesichts berücksichtigt, was der Beschädigte infolge der kosmetischen Wirkung auf Außenstehende durch psychische Abwehrreaktionen der Personen, mit denen er zusammenkommt, erdulden muß. Dies ist einem ganz anderen Bereich zuzuordnen. In diesem Zusammenhang hat das LSG auch richtig entschieden, daß dem Kläger durchaus zuzumuten ist, seine Kunstaugen zu tragen, wie die Ärzte ausgeführt und als notwendig bezeichnet haben. Denn dies entspricht den medizinischen Erfordernissen und der Rechtspflicht des Beschädigten, eine Verschlechterung seines durch die Schädigung herbeigeführten Gesundheitsschadens und seiner Erwerbsfähigkeit zu verhindern.

Ebenso verfehlt ist die Revisionsrüge, das Berufungsgericht habe nicht erwogen, daß er die Kunstaugen nicht immer trage und daß insbesondere auch die Empfindungen seiner Ehefrau und von Familienangehörigen sowie späten Besuchern nicht berücksichtigt worden seien, welche ihn zur Nachtzeit ohne die Kunstaugen sehen müßten. Wie bereits oben erwähnt worden ist, hat das LSG ausdrücklich und unangefochten festgestellt, die allein durch den Verlust der Augen bewirkte Entstellung habe selbst nach Herausnahme der Augenprothesen "unter Anlegung der hierfür maßgeblichen Beurteilungskriterien keine abstoßende Wirkung ausgeübt". Diese Feststellung bindet das Revisionsgericht und kann durch das Vorbringen des Klägers nicht widerlegt werden, zumal dieser seinen Zustand lediglich anders beurteilt als die Vorinstanzen, ohne deren Maßstab oder die Feststellung anzugreifen, neben dem Verlust der Augen seien weitere äußerlich auffallende Verletzungen des Gesichts nicht vorhanden. Außerdem beschreibt der Kläger insoweit ausgesprochene Ausnahmesituationen, die nicht geeignet sind, die durchschnittliche Beurteilung entscheidend zu beeinflussen. Das LSG brauchte diese Ausnahmesituationen nicht besonders zu berücksichtigen, sondern konnte sich ohne Rechtsverstoß auf den allgemeinen Tagesablauf und insbesondere auf die berufliche Tätigkeit des Klägers in seinem Betriebe beschränken. Auch ohne hierzu ausdrücklich Stellung zu nehmen, hat es seine Entscheidung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens hergeleitet.

Die Festsetzung der MdE für die schädigungsbedingte einfache Entstellung des Gesichts mit 30 v.H. ist ebenfalls bedenkenfrei. Das LSG hat hier einmal die medizinische Seite berücksichtigt, welche ausschließlich den Ärzten vorbehalten ist, und sodann die weitere Frage gestellt, in welchem Maße die von den Ärzten beschriebenen Gesundheitsstörungen einschließlich ihrer physiologischen und funktionellen Folgen die Erwerbsfähigkeit herabsetzen. Insoweit bestehen gegen das Urteil keine Bedenken. Revisionsrügen sind hiergegen ebensowenig erhoben worden, wie gegen die Einschätzung der MdE ausschließlich für die Gesichtsnerven mit 15 v.H..

Schließlich hat das LSG noch berücksichtigt, daß mit Wirkung vom 1. September 1969 die "Zweite Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG" vom 19. August 1969 den Anspruch des Klägers insoweit günstig beeinflußt hat, als ihm nunmehr Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe II zusteht. Diese erst im Laufe des Berufungsverfahrens eingetretene Rechtsänderung hatte das LSG zu beachten, auch der Beklagte hat ihr richtig Rechnung getragen.

Da sonach das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage entspricht, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646583

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