Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 06.05.1987)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Mai 1987 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Im Prozeß geht es um die Frage, ob die Tätigkeit eines bildenden Künstlers (Kunstmalers) in Rumänien in den Jahren 1967 bis 1983, wäre sie im Bundesgebiet ausgeübt worden, die Beitragspflicht des Arbeitnehmers zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) begründet hätte.

Der im Jahr 1936 in Bukarest geborene Kläger war von 1967 bis 1983 als Kunstmaler in Rumänien tätig. Nach seinem Vortrag konnte er die Arbeitszeit, seinen Urlaub und die Zahl seiner Bilder selbst bestimmen, mußte aber Mitglied des Fondul Plastic (Bildnerischer Fonds der Maler und Bildhauer der rumänischen Volksrepublik) und später des rumänischen Künstlerverbandes sein, Beiträge zur rumänischen Sozialversicherung – Renten- und Krankenversicherung – entrichten und, wenn er Bilder verkaufen wollte, das durch Vermittlung staatlicher Galerien tun.

Der Kläger kam im März 1983 in das Bundesgebiet. Er ist als Vertriebener anerkannt und besitzt den Vertriebenenausweis A. Seine Anträge auf Arbeitslosengeld (Alg) bzw Arbeitslosenhilfe (Alhi) wurden von den Arbeitsämtern H. und D. abgelehnt; seine Widersprüche blieben erfolglos.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung schriftlicher Zeugenauskünfte mit Urteil vom 24. April 1985 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Tätigkeit des Klägers in Rumänien wäre bei Ausübung im Bundesgebiet nicht mit der Versicherungspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verbunden gewesen. Zwar möge der Kläger einer umfassenden staatlichen Reglementierung unterlegen haben; das sei jedoch nicht die Abhängigkeit eines Beschäftigungsverhältnisses gewesen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 104, 107, 168 AFG, § 13 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB 1) iVm § 242 BGB und §§ 103 und 117 SGG. Er trägt vor, er sei in Rumänien als Künstler Arbeitnehmer gewesen. Die Vorinstanzen hätten zu Unrecht die seine Tätigkeit bestimmenden Umstände in einem totalitären Regime unberücksichtigt gelassen. Ein angestellter unselbständiger „Malbeamter” dürfe nicht mit einem selbständigen Künstler im Bundesgebiet verwechselt werden. Die Vorinstanzen hätten auch den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und zur Beweiserhebung schriftliche Erklärungen von Personen verwertet, die als Zeugen hätten geladen werden können.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen sowie die ablehnenden Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Alg, hilfsweise Alhi, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet; er hat keinen Anspruch auf Alg oder Alhi.

Eine der Voraussetzungen für Alg ist, daß der Arbeitslose die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 100 Abs 1 AFG), also in der dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangehenden Rahmenfrist von drei Jahren 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 AFG). Beitragspflichtig sind Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind, also Arbeitnehmer (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG); damit sind nur Personen gemeint, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt sind (§ 173a AFG iVm § 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften – -SGB 4-). Den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung stehen aber Zeiten einer Beschäftigung gleich, die ein Vertriebener außerhalb des Reichsgebietes ausgeübt hat, wenn die Beschäftigung bei einer Ausübung im Bundesgebiet die Beitragspflicht des Arbeitnehmers begründet hätte (§ 107 Abs 1 Satz 1 Nr 4 und Satz 2 AFG idF des 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979). Die zuletzt genannte Voraussetzung soll verhindern, daß die Vertriebenen bei der Feststellung des Anspruchs auf Alg besser gestellt werden als Personen, die unter gleichen Umständen im Bundesgebiet beschäftigt waren.

Beschäftigt ist und in einem Beschäftigungsverhältnis steht derjenige Arbeitnehmer, dessen Arbeitskraft der Verfügungsgewalt eines Arbeitgebers unterworfen ist. Die Begriffsbestimmung des § 7 Abs 1 SGB 4, wonach Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, ist, gilt zwar nicht unmittelbar für das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung (§ 1 Abs 1 SGB 4), muß aber entsprechend angewendet werden.

Beschäftigung ist danach die in persönlicher Abhängigkeit von dem Arbeitgeber geleistete Arbeit, wobei dessen Direktions-, Verfügungs- und Weisungsrecht Zeit, Ort und Art der Ausführung der Arbeit umfaßt (BSG SozR 4100 § 4 Nr 2 S 2). Der Beschäftigte ist grundsätzlich in einen fremden Betrieb eingegliedert und hat fremdbestimmte Arbeit persönlich zu verrichten (BSGE 10, 41, 45). Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist nicht selbständiges Begriffsmerkmal des unselbständig Beschäftigten; sie ist regelmäßig in der persönlichen Abhängigkeit enthalten (BSGE 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 Reichsversicherungsordnung -RVO-) und kann auch bei selbständig Tätigen vorhanden sein.

Der Kläger war nicht in diesem Sinn beschäftigt. Das ergibt sich aus den Feststellungen des LSG. Zu den gegen diese Feststellungen gerichteten Verfahrensrügen hat der Kläger nicht ausreichend Tatsachen dargelegt. Wer die Verletzung der Amtsermittlungspflicht beanstandet, muß ausführen, auf Grund welcher Tatsachen das Gericht sich von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen und zu welchen Ergebnissen diese Ermittlungen geführt hätten. Das hat der Kläger nicht getan. Im übrigen hat das LSG seinen tatsächlichen Feststellungen den Vortrag des Klägers zugrunde gelegt und aus diesem nur andere rechtliche Schlüsse als der Kläger gezogen, so daß es keine Veranlassung zu weiterer Beweisaufnahme hatte. Deshalb greift auch die Rüge, das LSG hätte die vom SG nur schriftlich angehörten Personen förmlich als Zeugen vernehmen müssen, nicht durch.

Da der Kläger zwar – wie alle Bürger Rumäniens – unter dem totalitären Regime litt, aber als Kunstmaler selbst bestimmen konnte, wann und wo er malte, welche Themen er (im Rahmen gewisser politischer Vorgaben) behandelte und welche Bilder er – unter Vermittlung staatlicher Stellen – verkaufte, da er insbesondere nicht in ein Maler-Kollektiv eingegliedert war und seine Bilder nicht auf Einzelweisung hin anfertigen mußte, war, wie das LSG zutreffend ausführt, seine in Bukarest ausgeübte Tätigkeit keine abhängige Beschäftigung iS des deutschen Rechts. Wie die im Bundesgebiet tätigen Künstler bei der Anfertigung von Gemälden idR nicht abhängig beschäftigt sind, hätte unter diesen Umständen auch der Kläger, wäre er statt in Rumänien in Deutschland beschäftigt gewesen, nicht Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten müssen. Er hat übrigens den Ausdruck „freischaffender Künstler” für seine Tätigkeit in Rumänien nicht nur im Ergänzungsfragebogen zum Antrag auf Alg vom 8. März 1983 angegeben (dort allerdings vom annehmenden Beamten eingesetzt), sondern auch in seiner handgeschriebenen Widerspruchsschrift verwendet.

An dieser Beurteilung ändert der politische Druck in Rumänien nichts. Abgesehen davon, daß auch der im Bundesgebiet tätige Kunstmaler einem gewissen – allerdings nicht politischen – Druck von Seiten des Kunstmarktes allgemein und großer Auftraggeber im besonderen ausgesetzt sein kann, handelt es sich dabei, wie das LSG zutreffend ausführt, nicht um ein Merkmal des Beschäftigungsverhältnisses.

Die hilfsweise begehrte Alhi steht dem Kläger ebenfalls nicht zu. Vor der Arbeitslosmeldung hat der Kläger weder Alg bezogen noch in einer Beschäftigung gestanden; auch ein Ersatztatbestand war nicht gegeben. Die Vergünstigung nach § 90a Abs 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG), die durch das 6. ÄndBVFG vom 2. Dezember 1985 (BGBl I 2138) eingeführt wurde, ist erst am 1. Januar 1986 in Kraft getreten, trifft aber für den Kläger auch deshalb nicht zu, weil er nicht aus Verfolgungs- oder sonstigen Gründen gehindert war, in Rumänien als Arbeitnehmer tätig zu sein, und somit nicht zu den in § 90a Abs 1 Nr 2b BVFG genannten Personen gehört.

Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172726

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