Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallentschädigung und zuständiger Versicherungsträger
Beteiligte
29. November 1990 … Kläger und Revisionsbeklagter |
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege,Hamburg 76, Pappelallee 35/37, Beklagte und Revisionsklägerin |
Gemeindeunfallversicherungsverband Rheinland-Pfalz,Andernach, Ludwig-Hillesheim-Straße 3 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um Unfallentschädigung und den zuständigen Versicherungsträger.
Der im Jahre 1920 geborene, verletzte Kläger ist Vater eines impfgeschädigten Sohnes Albert, geboren am 11. Juni 1948, der wegen "geistiger Behinderung" als Impfschaden iS des § 51 Abs 1 Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG) Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH und Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Stufe III Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält. Der Sohn wird von seinem Vater gepflegt. Das Versorgungsamt ermittelte, daß der Kläger seinem Sohn bei nahezu allen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens helfen mußte, insbesondere bei dem An- und Auskleiden, der Körperreinigung, der Einnahme der Mahlzeiten und der Verrichtung der Notdurft. Der Sohn neigte zu aggressiven Handlungen, die die Pflegetätigkeit nicht zuletzt wegen des Übergewichts des Pfleglings erschwerten. Der Kläger mußte Tag und Nacht in ständiger Bereitschaft zur Pflege sein. Bei der Art und Schwere der anerkannten Behinderung hielt das Versorgungsamt eine ganztägige Pflegekraft für notwendig, ein Umstand, dem es durch eine entsprechende Erhöhung der Pflegezulage Rechnung trug.
Im Hinblick auf die Pflege seines Sohnes hatte der Kläger schon im Jahre 1978 seine Berufstätigkeit bei einem Fertigbauunternehmen aufgegeben. Nachdem er im Jahre 1984 zum Pfleger seines Sohnes bestellt worden war (Wirkungskreis: Vermögenssorge und Bestimmung des Aufenthalts), schloß er unter Einschaltung eines eigens dazu bestellten Ergänzungspflegers am 30. August 1984 einen schriftlichen Pflegevertrag mit seinem Sohne, der ihn verpflichtete, gegen ein Entgelt von monatlich 1.000,- DM brutto die Pflege seines Sohnes zu übernehmen. In dem Pflegevertrag heißt es weiter, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung hätten Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte zu tragen, dagegen der Arbeitgeber allein den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung, den Umlagebeitrag nach dem Lohnfortzahlungsgesetz und den Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung (Gemeindeunfallversicherungsverband -GUV-). In einem Änderungsvertrag dazu vom 12. Januar 1986 wurde die Arbeitszeit des Klägers auf täglich acht Stunden oder wöchentlich sechsundfünfzig Stunden festgelegt, das Arbeitsentgelt in Anlehnung an die Arbeitsvertragsrichtlinien für die Mitarbeiter des Deutschen Caritasverbandes erhöht sowie zusätzlich Regelungen über Sonderzuwendungen, Erholungsurlaub und Kündigung getroffen. Die Allgemeine Ortskrankenkasse Bitburg-Prüm zog von dem Sohn für die Beschäftigung des Klägers Beiträge zur Sozialversicherung ein.
Am 1. Mai 1986 fuhren der Kläger und sein Sohn in einem Pkw an den Rhein, um eine Ausflugsfahrt zu unternehmen. Dabei erlitt der Kläger als Fahrer des Pkw bei einem Verkehrsunfall verschiedene Verletzungen, die seine stationäre Behandlung erforderlich machten.
Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte es ab, den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil er nicht bei einer versicherten Tätigkeit für ein Unternehmen verunglückt sei, auf das sich ihre Zuständigkeit erstrecke (Bescheid vom 3. November 1988). Das Sozialgericht (SG) Trier hat den GUV Rheinland-Pfalz beigeladen und ihn verurteilt, den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil dieser bei einer nach § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten abhängigen Beschäftigung verunglückt sei. Zuständiger Versicherungsträger sei der Beigeladene, da es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zur Wohlfahrtspflege zähle, sondern seinem Haushalt diene, wenn jemand darin einen Angehörigen betreue und ihm bei den Verrichtungen des täglichen Lebens helfe. In seinem Haushalt sei der Kläger aber nicht als Haushaltungsvorstand, sondern bei einer Tätigkeit als abhängig Beschäftigter verunglückt (Urteil vom 13. März 1989). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz dagegen hat die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 14. Februar 1990). Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO scheide aus, weil der Kläger niemals tatsächlich abhängig Beschäftigter seines Sohnes oder iS des § 539 Abs 2 RVO wie ein solcher tätig gewesen sei. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zähle die Pflege hilfsbedürftiger Personen grundsätzlich zur Wohlfahrtspflege. Der Kläger gehöre dementsprechend dem nach § 539 Abs 1 Nr 7 RVO versicherten Personenkreis an; zumindest sei er wie ein in der Wohlfahrtspflege Versicherter tätig geworden, so daß sein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 7 RVO zu bejahen wäre.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 539 Abs 1 Nr 7 RVO. Der Kläger habe nicht als selbständiger Unternehmer das Unternehmen "Pflegedienste" betrieben, sondern eine Pflegetätigkeit in seinem eigenen Haushalt verrichtet. Dafür sei der beigeladene Versicherungsträger zuständig. Im übrigen erstrecke sich der Versicherungsschutz des § 539 Abs 2 RVO nicht auf die Nr 7 des Abs 1 aaO. Indessen müsse die Klage abgewiesen werden, weil der Kläger wesentlich aufgrund seiner engen verwandtschaftlichen Beziehung zu seinem Sohne und damit außerhalb des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung tätig geworden und dabei verunglückt sei.
Die Beklagte beantragt,die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,hilfsweise,das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen zurückzuweisen.
Der Beigeladene beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der gesetzlich nicht vorgesehene Unfallversicherungsschutz für Eltern bei der Ausübung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber minderjährigen Kindern könne nicht durch einen Arbeitsvertrag "neu" begründet werden, sonst würden damit die Vorschriften des Familienrechts umgangen. Dasselbe müsse in bezug auf volljährige Kinder gelten, die bei den Eltern lebten und aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage seien, sich selbst zu unterhalten. Die Eltern seien auch hier außerhalb des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung zur Fürsorge für ihr Kind verpflichtet, weil die Zumutbarkeit der Fürsorge unterstellt werde.
Der Kläger schließt sich dem Antrag des Beigeladenen an.
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Als Arbeitnehmer seines Sohnes hat der Kläger bei der Pflege des Sohnes einen Arbeitsunfall erlitten, den die Beklagte entschädigen muß.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Zutreffend hat das SG erkannt, daß der Kläger nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert war, weil er zu den aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigten gehörte. Kennzeichen eines Unfallversicherungsschutz gewährleistenden, auch zwischen Eltern und Kindern möglichen Beschäftigungsverhältnisses (s ua BSGE 14, 142; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Auflage, S 471p) ist die unselbständige Arbeit, wie sie insbesondere in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird (§ 7 Abs 1 Sozialgesetzbuch, IV. Buch -SGB IV-). Wesentlich bestimmt wird sie durch die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei es infolge vertraglich vereinbarter Weisungsgebundenheit oder dadurch, daß der Arbeitende in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist (BSGE 59, 284, 286). Je weniger allerdings das Direktionsrecht des Arbeitgebers in Gestalt ausdrücklicher Weisungen in Erscheinung tritt, je mehr der Arbeitnehmer bei der Gestaltung seiner Arbeit auf sich selbst gestellt ist, um so größeres Gewicht erhält das Merkmal der Eingliederung in einen übergeordneten Organismus für die Abgrenzung zwischen abhängig geleisteter Arbeit und selbständig verrichteten Diensten. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers verfeinert sich in einem solchen Fall zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß (BSGE 16, 289, 294).
Im vorliegenden Rechtsstreit wird die zu beurteilende Arbeit, werden alle Pflegetätigkeiten des Klägers der Art und dem Umfang nach in den wesentlichen Punkten durch objektiv vorhandene Umstände der schweren Krankheit und hochgradigen Behinderung des Sohnes bestimmt. Nach den vom LSG in Bezug genommenen tatsächlichen Ermittlungen des Versorgungsamts, die für den Senat nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend sind, verlangen die objektiven Pflegeumstände im Lebensrhythmus des Pfleglings, daß der Kläger seinem Sohn bei nahezu allen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens hilft und daß er ihn nicht zuletzt auch wegen der wachsenden Aggressivität des Sohnes in ständiger, ganztägiger Pflegebereitschaft begleitet. Einerseits war der Kläger damit bei der Gestaltung seiner Arbeit frei von Weisungen eines Vorgesetzten auf sich selbst gestellt, andererseits aber war sein Aufgabengebiet und der Inhalt dessen, was er zu tun und zu lassen hatte, durch die objektiven Pflegeanforderungen der Krankheit und Behinderung abgegrenzt und im wesentlichen bestimmt. Die objektiven Pflegeanforderungen nahmen den Kläger sogar in einem derart großen Umfang persönlich in Anspruch, daß er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen konnte.
Es kann hier die Frage offenbleiben, ob derjenige, der auf diese Weise am Arbeitsprozeß der umfassenden Pflege des schwer kranken und behinderten Sohnes teilnimmt, zwangsläufig und ausschließlich einer verfeinerten Weisungsgebundenheit unterliegt und damit persönlich abhängig als Arbeitnehmer tätig ist. Die engste verwandtschaftliche Beziehung zwischen Vater und Sohn, die Eigeninitiative des Vaters und seine verbliebene Gestaltungsfreiheit könnten indessen auch dafür sprechen, diese umfassende, aufopferungsvolle Tätigkeit als unternehmerisch, freiberuflich und selbständig zu werten. Der Senat hält die bisher angeführten Argumente für die eine und diejenigen für die andere Lösung für gleichwertig. Ausschlag gibt unter diesen Umständen der Wille des Vaters und des durch den Ergänzungspfleger vertretenen Sohnes, wie er insoweit in dem als vollgültigem Arbeitsvertrag abgeschlossenen Pflegevertrag vom 30. August 1984 in Gestalt des Änderungsvertrages vom 12. Januar 1986 zum Ausdruck gekommen ist (s BSG SozR 2200 § 1227 Nrn 17 und 19); demgegenüber ist die darin auch festgehaltene Meinung der Vertragsparteien über den vermeintlich kraft Gesetzes zuständigen Träger der Unfallversicherung rechtlich unerheblich. Dieser Arbeitsvertrag geht insbesondere in den Pflichten zur höchstpersönlichen Leistung der Pflege über die erzwingbaren familienrechtlichen Unterhalts- und Beistandspflichten hinaus - wie im folgenden noch ausgeführt wird -, so daß von einer Umgehung des den Unfallversicherungsschutz nicht vorsehenden Familienrechts nicht die Rede sein kann.
Danach war der Kläger als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer seines Sohnes tätig. Er verunglückte auf einer Ausflugsfahrt für seinen Sohn, also auf einem Betriebsweg (Weg außerhalb der Betriebsstätte, der zur Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird, s BSGE 45, 254, 256), bei dem er nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO einen Arbeitsunfall erlitt.
Die Beklagte ist zuständig, die durch diesen Arbeitsunfall erlittenen Verletzungen des Klägers zu entschädigen. Denn sie ist nach § 2 Abs 1 Nr 1 ihrer Satzung für Unternehmen der freien Wohlfahrtspflege zuständig.
Zutreffend haben sowohl das SG als auch das LSG die Notwendigkeit und auch die Schwierigkeiten gesehen, hier bei der Pflege, die der Kläger seinem schwer kranken und behinderten Sohne erbringt, darüber zu entscheiden, ob die Pflegetätigkeiten noch dem Haushalt des Vaters zugeordnet werden können, oder ob sie ihrer Art und ihrem Umfang nach ein der Wohlfahrtspflege iS des § 539 Abs 1 Nr 7 RVO zuzurechnendes, eigenständiges Unternehmen zur Pflege des Sohnes begründen. Nach Auffassung des Senats trifft letzteres zu. Als Arbeitgeber war der Sohn Unternehmer eines selbständigen Unternehmens zum Zwecke seiner durch die schwere Krankheit und Behinderung erforderlichen, allumfassenden Pflege. Sie erforderte ganztägig die qualifizierte Kraft eines Pflegers.
Zwar hat der Senat bereits entschieden, daß derjenige, der eine hilfsbedürftige Person betreut, mit seiner Tätigkeit dem Haushalt als Unternehmen dient, dem diese Person angehört, seien es Kinder oder hilfsbedürftige Erwachsene (s BSG Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 23/87 - in HV-Info 1988, 712, Beschluß vom 20. November 1989 - 2 BU 28/89 - mwN in HV-Info 1990, 561). Indessen bestimmen die Vorschriften der RVO nicht den Begriff Haushalt oder Haushaltung. Die Entstehungsgeschichte des Begriffs "Haushaltung", der erstmals in § 916 Abs 1 Nr 1 RVO idF des Fünften Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung (5. UVÄndG) vom 17. Februar 1939 (RGBl I 267) für die landwirtschaftliche Unfallversicherung im Zusammenhang mit Versicherten in landwirtschaftlichen Betrieben in die RVO eingeführt worden war, hat der Senat bereits ausführlich dargestellt (Urteil vom 25. August 1982 - 2 RU 13/81 - in BAGUV Rdschr 47/82 und Lauterbach, Kartei zur Unfallversicherung, Stichwort: Zuständigkeit, Nr 11321). Nach der amtlichen Begründung zum 5. UVÄndG umfaßt die Haushaltung sowohl die hauswirtschaftliche als auch jede sonstige häusliche Betätigung, die mit der Haushaltung in einer inneren Beziehung steht (AN 1939, 101 zu Art 1 Nr 56). Diese Begriffserläuterung kann unbedenklich auch nach geltendem Recht für die Beschäftigung in den rein privaten Haushaltungen gelten (Urteil des Senats vom 25. August 1982 aaO). Dementsprechend hat der Senat auch die Betreuung einer blinden alten Frau, die im Haushalt ihrer Schwester aufgenommen war, den Verrichtungen zugeordnet, die diesem Haushalt dienen, und zwar nicht nur die Betreuungsmaßnahmen während des Aufenthaltes in den Wohnräumen, in denen der Haushalt eingerichtet war, sondern auch diejenigen während einer vorübergehenden Abwesenheit der Blinden aus Anlaß eines Kuraufenthaltes (Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 23/87 - in HV-Info 1988, 712; BAGUV Rdschr 25/88; USK 8814; WzS 1988, 92).
Aber die Grenze zwischen häuslichen Betätigungen, die wesentlich mit der Haushaltung in einer inneren Beziehung stehen, und solchen Pflegeleistungen, die planmäßig einem selbständigen, von der Haushaltsführung zu trennenden Zweck dienen, hat der Senat bereits aufgezeigt (SozR 2200 § 539 Nr 134). Die Grenze ist nach dem Maßstab des Üblichen und Typischen zu ziehen, was unter Berücksichtigung der gesetzlichen, insbesondere der familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Haushaltsangehörigen zu erwarten ist. In seinem Urteil über den Verlauf dieser Grenze unterscheidet sich der Senat von der kritischen Anmerkung von Wolber (SGb 1990, 419f) zu der Entscheidung in SozR 2200 § 539 Nr 134.
Dabei gelten für das Eltern-Kind-Verhältnis besondere Pflichten, die eine erhöhte Erwartung rechtfertigen. Im Eltern-Kind-Verhältnis kann, ähnlich wie bei der ehelichen Lebensgemeinschaft, unmittelbar auf die Vorschriften des Familienrechts, insbesondere § 1618a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift hat Leitbildfunktion. Sie bestimmt, daß Eltern und Kinder einander zu Beistand und Rücksicht verpflichtet sind. Sie entfaltet eine ähnliche Rechtswirkung wie § 1353 BGB für die Ehe, indem sie einen Teil der im Rahmen einer Familie bestehenden sittlichen Pflichten zu Rechtspflichten erhebt. Die Beistandspflicht betrifft insbesondere solche Bereiche, die einer normativen Detailregelung nicht zugänglich sind, also gerade auch die gegenseitige Unterstützung und Pflege in Krankheits- und Notfällen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 134). Danach kann die Pflege eines geistig oder schwer körperlich behinderten Kindes durch die Eltern auch bei längerer Dauer und größerem Umfang durch das Eltern-Kind-Verhältnis geprägt sein und deshalb nicht in einem selbständigen Unternehmen zur Wohlfahrtspflege erbracht werden (BSG SozR 2200 § 539 Nr 134).
Davon zu unterscheiden sind jedoch Fälle wie der vorliegende, in dem die Pflegeanforderungen durch die Schwere der Krankheit und Behinderung sowie durch das fortgeschrittene Alter des zu pflegenden Kindes weit über die Volljährigkeitsgrenze hinaus so hoch sind, daß sie die Kräfte und Qualifikation einer ganztägigen, berufsmäßigen Pflegeperson erfordern. Das sprengt bereits die Grenzen dessen, was an höchstpersönlicher Pflegeleistung aufgrund der familienrechtlichen Beistandspflicht erwartet werden kann. Denn die Verpflichtungen aus § 1618a BGB müssen nach dem Alter, dem Gesundheitszustand und den übrigen Verhältnissen aller Beteiligten bestimmt werden (s Palandt-Diederichsen, BGB, 49. Aufl, Anm 2 zu § 1618a BGB). Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach dem BGB volljährige Kinder selbst dann, wenn sie schwer krank oder behindert sind, nicht allgemein den minderjährigen Kindern gleichgestellt sind (vgl zum Unterhaltsrecht: BGH NJW 1984, 1813). Wenn die Pflegebedürfnisse wie im vorliegenden Fall dazu noch dadurch geprägt sind, daß sie gerade im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter des volljährigen Pfleglings seine Unterbringung in gesonderten Pflegeeinrichtungen und Pflegeheimen anstelle des elterlichen Haushalts objektiv auch geeignet erscheinen lassen, dann überwiegt der einheitliche Zweck der Pflege den allgemeinen Zweck der Haushaltsführung in entscheidendem Maße. Dann wird der pflegende Vater oder die Mutter in einem rechtlich selbständigen Unternehmen der Wohlfahrtspflege iS des § 539 Abs 1 Nr 7 RVO zur Pflege eines kranken und behinderten Menschen tätig, das nur noch räumlich, aber nicht mehr wesentlich der inneren sachlichen Beziehung nach mit dem Haushalt in Zusammenhang steht. Denn in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt anders als in anderen Rechtsgebieten ein weitumfassender Unternehmensbegriff (§ 658 Abs 2 Nr 1 RVO). Unternehmen ist danach bereits eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten, die auf einen einheitlichen Zweck gerichtet sind und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt werden (BSGE 16, 79, 81 mwN). Alle diese Voraussetzungen erfüllt die spezielle Pflege, die der Kläger seinem Sohn erbracht hat. Dieses Unternehmen ist eines der Wohlfahrtspflege, die nach der Rechtsprechung des Senats auch die Pflege eines kranken und und behinderten Menschen ohne direkten Bezug zu einer entsprechenden Organisation oder Einrichtung umfaßt (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 134 mwN).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen