Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht - Arbeitslosenversicherung - kurzzeitige Beschäftigung - Bereitschaftsdienst
Leitsatz (redaktionell)
Bereitschaftsdienst ist für die Frage der Beitragspflichtigkeit einer Beschäftigung (§ 169 Nr 6, § 102 AFG) nur in dem Umfang als Arbeitszeit zu berücksichtigen, in dem während des Bereitschaftsdienstes voraussichtlich höchstens Arbeit anfallen wird.
Normenkette
AFG § 169 Nr. 6, § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg), hilfsweise Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit ab 1. Juli 1985.
Die 1950 geborene verheiratete Klägerin, Mutter zweier 1972 und 1975 geborener Kinder, ist Röntgenassistentin. Seit 1974 arbeitete sie im Caritas-Verbandes (AVR). Seit August 1975 war sie nur noch teilzeitbeschäftigt, und zwar als medizinisch-technische Assistentin im Bereitschaftsdienst. Nach einer Vereinbarung mit dem Krankenhausträger übernahm die Klägerin ab 1980 ein Bereitschaftsdienstwochenende (48 Stunden) und vier Bereitschaftsdienste (zwölf Stunden) im Monat; die Klägerin war weiter bereit, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu übernehmen. Die Wochenenden wurden mit elf Arbeitsstunden, die anderen Bereitschaftsdienste mit drei Arbeitsstunden abgerechnet; die übrigen Stunden wurden als Bereitschaftsdienst abgerechnet. Wegen eines mit dem Arbeitsplatzwechsel ihres Mannes verbundenen Umzugs kündigte die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1985. Nach der Arbeitsbescheinigung betrug ihr monatliches Bruttoarbeitsentgelt in den Monaten Januar bis Juni 1985 im Durchschnitt 299,20 DM und die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit zehn bis fünfzehn Stunden. Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit wurden nicht abgeführt.
Die Klägerin meldete sich am 26. Juni 1985 arbeitslos und beantragte Alg. Das Arbeitsamt N. lehnte die Gewährung von Alg und Alhi ab, da die Klägerin weder in der dreijährigen Rahmenfrist 360 Kalendertage noch in der einjährigen Vorfrist 150 Tage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden habe; die Beschäftigung in G. sei, wie die - beigeladene - Krankenkasse festgestellt habe, beitragsfrei gewesen, weil die wöchentliche Arbeitszeit weniger als 20 Stunden betragen habe (Bescheid vom 22. Mai 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. August 1988). Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 24. Januar 1990).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch auf Alg scheitere daran, daß die Klägerin die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. In der dreijährigen Rahmenfrist, die hier in der Zeit vom 1. Juli 1982 bis zum 30. Juni 1985 verlaufen sei, habe die Klägerin nicht 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Die Beschäftigung der Klägerin sei beitragsfrei gewesen, weil sie kurzzeitig gewesen sei; sie sei nämlich auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen. Das ergebe sich bei der gebotenen vorausschauenden Beurteilung aufgrund der Vereinbarungen, die die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber getroffen habe. Rechne man die vereinbarten Dienste auf ein Jahr um, komme man auf insgesamt 1.152 Stunden. Etwa in diesem Umfange habe die Klägerin auch tatsächlich gearbeitet; die Vereinbarung sei deshalb auch in ergänzender rückschauender Betrachtungsweise nicht zu korrigieren. Die Vertretungen hätten sich 1982 und 1983 in den Grenzen der Unerheblichkeit gehalten; nur 1984 seien sie erheblich höher gewesen, seien indes lediglich in den Monaten Februar bis April 1984 angefallen. Die Grenze der Kurzzeitigkeit könnte die Klägerin nur dann überschritten haben, wenn der von ihr geleistete Bereitschaftsdienst in vollem Umfang als Arbeitszeit zu werten wäre. Zwar sei es zweifelhaft, ob Zeiten eines Bereitschaftsdienstes zwingend nur mit der Zahl der auf die Bereitschaftszeit entfallenden tatsächlichen Arbeitszeit oder nur mit ihrem Vergütungsanteil zu berücksichtigen seien. Im Falle der Klägerin könne eine volle Anrechnung des Bereitschaftsdienstes schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil ein wesentlicher Teil auf den einmal im Monat stattfindenden 48 Stunden umfassenden Wochenendbereitschaftsdienst entfallen sei, eine zusammenhängende Arbeitszeit von ununterbrochen 48 Stunden indes weder tatsächlich noch rechtlich möglich sei, was das LSG insbesondere unter Hinweis auf die Arbeitszeitordnung und die Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten des näheren ausgeführt hat. Deshalb könnten über die vertraglich festgelegten elf Stunden hinaus in Anlehnung an § 9 Abs 2 Buchst a der Anlage 5 zu den AVR allenfalls 50 % der Restdauer berücksichtigt werden. Nach der genannten Vorschrift werde nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistungen die Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes der Stufe D, die für die Klägerin maßgebend gewesen sei, 40 bis 49 vH als Arbeitszeit gewertet. Die Auffassung des SG und der Beklagten, daß der Bereitschaftsdienst zu 80 % als Arbeitszeit gewertet werden könne, teile der Senat jedenfalls in bezug auf den Wochenendbereitschaftsdienst nicht. Das Maß von 80 ergebe sich lediglich aus der vergütungsrechtlichen Bewertung des Bereitschaftsdienstes; dieser Prozentsatz knüpfe nicht mehr an die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung an. Eine Bewertung des Wochenendbereitschaftsdienstes zu 80 % als Arbeitszeit bedeute, daß einer Arbeitszeit von 38,4 Stunden nur 9,6 Stunden Erholungszeit gegenüberstünden. Das wäre weder arbeitsrechtlich zulässig noch realistisch und führe darüber hinaus zu einer nicht vertretbaren Bevorzugung anderer Beschäftigter außerhalb des Bereitschaftsdienstes, die ihre notwendigen Ruhezeiten in der nichtentgeltlichen Freizeit nehmen müßten. Selbst dann, wenn zugunsten der Klägerin die übrige Bereitschaftsdienstzeit voll als Arbeitszeit berücksichtigt würde, was zweifelhaft sei, ergebe sich, daß die Kurzzeitigkeitsgrenze nicht überschritten werde, weil die Klägerin dann im Monat auf nicht mehr als 48 Stunden + 29,5 Stunden = 77,5 Stunden oder wöchentlich 17,9 Stunden komme. Die Angaben der Klägerin über die tatsächlich geleisteten Stunden bestätigten diese Berechnung, was das LSG des näheren ausgeführt hat. Ergänzend weist das LSG darauf hin, daß selbst die generelle Anrechnung von 80 % des Bereitschaftsdienstes nicht zu einer Erfüllung der Anwartschaftszeit führe, wie bereits das SG dargelegt habe. Die Abweichungen, die bei Zugrundelegung der von der Klägerin tatsächlich geleisteten Stunden ausgehe, seien nicht so erheblich, daß sie die vorausschauende Betrachtungsweise nicht rechtfertigen würden, was das LSG im einzelnen ausgeführt hat.
Schließlich hat das LSG ausgeführt, daß der Klägerin auch ein Anspruch auf Alhi nicht zustehe, da sie sich weder auf den vorangegangenen Bezug von Alg oder eine 150 Kalendertage umfassende beitragspflichtige Beschäftigungszeit innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung berufen könne.
Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 102, 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Zu Unrecht habe das LSG Bereitschaftsdienstzeit nicht in vollem Umfange als Arbeitszeit bewertet. Insbesondere sei zu beanstanden, daß das LSG bei den Wochenendbereitschaftsdiensten lediglich elf Stunden und die Hälfte der verbleibenden 37 Stunden als Arbeitszeit bewertete. Die Begründung, daß es unmöglich sei, daß ein Mensch 48 Stunden ohne Unterbrechungen arbeite, übersehe, daß Bereitschaftsdienste nicht unüblich seien, insbesondere nicht im Krankenhauswesen, bei der Polizei, der Bahn, der Bundeswehr usw. Eindeutig sei, daß der Dienstleistende während des gesamten Bereitschaftsdienstes dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung stelle. Arbeitsbereitschaft zähle indes zur Arbeitszeit insgesamt. Umstritten könne nur sein, ob der Bereitschaftsdienst als ständige Arbeitsbereitschaft einzustufen sei. Die von der Klägerin geleisteten Bereitschaftsstufen C und D erforderten indessen wegen der intensiven Arbeitsleistungen ständige Achtsamkeit. Nicht nur während des wöchentlichen Bereitschaftsdienstes, sondern auch während der Wochenendbereitschaften habe die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz anwesend sein müssen. Sie habe daher schon durch die Anwesenheit Dienst geleistet. Alle Bereitschaftsdienste seien daher als Arbeitszeit zu werten. Die Klägerin habe 1.152 Stunden im Jahre oder 22,15 Stunden in der Woche zu arbeiten gehabt. Völlig unberücksichtigt gelassen habe das LSG, daß neben der wöchentlichen und einmaligen Wochenendbereitschaftsdienstzeit die Klägerin auch Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu übernehmen gehabt habe. Hierfür sei vorausschauend ein Zuschlag zu machen. Werde dieser wöchentlich nur mit 2,2 Stunden angenommen, erreiche die Klägerin selbst bei der Betrachtungsweise des LSG die Voraussetzungen einer nicht nur kurzzeitigen Beschäftigung.
Die Klägerin beantragt,
die ergangenen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheids vom 22. Mai 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
22. Januar 1987 zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Juli 1985 Alg und
hilfsweise Alhi zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß das LSG offen gelassen habe, ob die sonstigen Bereitschaftsdienste insgesamt als Arbeitszeit zu bewerten seien. Im übrigen nimmt die Beklagte auf die Ausführungen des LSG vollinhaltlich Bezug. Ergänzend führt sie aus, die Bereitschaftsdienstzeiten der Klägerin stellten nicht in vollem Umfange Arbeitszeit dar; das zeige bereits die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Vergütungsregelung. Der beitragsrechtlichen Beurteilung liege eine ebensolche Differenzierung zugrunde. Es gebe keine Veranlassung, Ruhezeiten, für die nach der maßgeblichen tariflichen Regelung im Grundsatz kein Entgelt und damit auch keine Beiträge zu zahlen seien, als anwartschaftsbegründende Arbeitszeit zu werten. Ob etwas anderes dann zu gelten hätte, wenn die Klägerin infolge der Lage und Verteilung der von ihr zu leistenden Bereitschaftsdienste daran gehindert gewesen wäre, eine weitere beitragspflichtige Beschäftigung aufzunehmen (Gagel, Komm zum AFG, § 169 Rz 26), könne dahinstehen. Letzteres sei nicht der Fall gewesen, da die Klägerin noch an mindestens vier Werktagen in der Woche einer weiteren Beschäftigung hätte nachgehen können.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Sie teilen die Auffassung des LSG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Alg noch ein solcher auf Alhi zu.
Anspruch auf Alg hat nur, wer ua die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 100 Abs 1 AFG), dh in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist lief nach § 104 Abs 2 und 3 AFG, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, im Falle der Klägerin vom 1. Juli 1982 bis 30. Juni 1985. In dieser Zeit ist die Klägerin lediglich im St. B. -Hospital in G. beschäftigt gewesen. Sie hätte die Anwartschaftszeit mithin nur erfüllt, wenn diese Beschäftigung an 360 Tagen in den drei Jahren beitragspflichtig gewesen wäre. Nach den vom LSG getroffenen und von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen des LSG, von denen der Senat auszugehen hat (§ 163 SGG), ist das nicht der Fall gewesen.
Beitragspflichtig ist zwar grundsätzlich, wer als Arbeiter oder Angestellter gegen Entgelt beschäftigt ist. Das gilt indes nicht, soweit Beschäftigte ua nach § 169 AFG beitragsfrei sind (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG). Beitragsfrei sind hiernach Arbeitnehmer in einer kurzzeitigen Beschäftigung (§ 169 Nr 6 AFG). So liegt der Fall der Klägerin jedenfalls 1982, 1983, 1985 und - abgesehen von den Monaten Februar, März und April - 1984. Ob die Klägerin auch in den genannten drei Monaten des Jahres 1984 beitragsfrei war, bedarf hier keiner Entscheidung; denn selbst wenn das nicht der Fall gewesen ist, hätte die Klägerin in der Rahmenfrist nur 90 und nicht die für die Anwartschaftszeit erforderlichen 360 Kalendertage einer beitragspflichtigen Beschäftigung aufzuweisen.
Kurzzeitig ist nach der Vorschrift des § 102 Abs 1 AFG (in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden, zuletzt durch das Gesetz vom 23. Dezember 1976, BGBl I 3845, geänderten Fassung), auf die § 169 Nr 6 AFG ausdrücklich verweist, eine Beschäftigung, die auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Maßgebend für die Beitragspflicht ist hiernach die Arbeitszeit der Beschäftigung (vgl § 169 Nr 6 Satz 2 AFG), die voraussichtlich durchschnittlich in der Woche anfallen wird und im Regelfalle vom Arbeitgeber zu vergüten ist. Bestehen hinsichtlich der Arbeitszeit vertragliche Vereinbarungen, wie das hier der Fall ist, ist ihnen zu entnehmen, ob die Beschäftigung kurzzeitig ist (BSG SozR 4100 § 102 Nrn 3 und 4; BSG USK 80292). Nach den 1980 getroffenen Vereinbarungen sollte die Klägerin im Monat vier Dienste von zwölf Stunden und einen von 48 Stunden erbringen. Der gesamte zeitliche Aufwand umfaßt monatlich 96 Stunden und begründete, wäre die Klägerin während dieser Zeit ununterbrochen zur Arbeit verpflichtet gewesen, ohne weiteres eine beitragspflichtige Beschäftigung von mehr als 22 Wochenstunden (96 x 3 : 13 = 22,15). Nach den Feststellungen des LSG ist die Klägerin indessen während ihrer Dienste nicht durchgehend zur Arbeit, sondern zur Leistung von Bereitschaftsdienst verpflichtet gewesen, der typischerweise Phasen von Freizeit einschließt. An diese Feststellung ist der Senat gebunden, da die Klägerin sie nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen hat (§ 163 SGG). Diese Feststellungen werden übrigens wesentlich dadurch bestätigt, daß die überwiegende Zeit der Dienste, nämlich neun Stunden des zwölfstündigen Dienstes und 37 Stunden des 48-stündigen Wochenenddienstes nur als Bereitschaftsdienste vergütet worden sind. Stunden des Bereitschaftsdienstes können indes im Rahmen des § 102 AFG nicht in vollem Umfange als Arbeitszeit angesetzt werden, weil sie Freizeit einschließen, wie die Vorinstanzen zu Recht erkannt haben.
Bereitschaftsdienst kennzeichnet sich dadurch, daß der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten hat, um seine Arbeit aufzunehmen, sobald es notwendig ist, ohne sich bis dahin im Zustand wacher Achtsamkeit zu befinden (BAGE 8, 25, 27 f; 8, 63, 71; 8, 245, 252; 10, 191, 194 f). Demgegenüber spricht man von Arbeitsbereitschaft, wenn Zeiten angespannter Tätigkeit mit Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung wechseln. Wird bei der Arbeitsbereitschaft eine gewisse, wenn auch im Zustand der Entspannung geleistete Arbeit vorausgesetzt, so genügt beim Bereitschaftsdienst die bloße körperliche Anwesenheit des Arbeitnehmers. Während bei der Arbeitsbereitschaft noch eine im Vergleich zur Vollarbeit geringere vertragliche Leistung erbracht wird, besteht beim Bereitschaftsdienst die vertragliche Verpflichtung primär nicht in der Arbeitsleistung, sondern lediglich im "Anwesendsein" (vgl BAGE 8, 25, 30; BAG AP Nr 11 zu § 15 AZO; BAG Betrieb 1981, 1195 f). Erst mit der Aufforderung zum Einsatz wird die eigentliche Leistung gefordert, erst mit dem Einsatz beginnt somit die Arbeit. Im übrigen, dh vor und nach der eigentlichen Arbeitsaufnahme kann der Arbeitnehmer über sich selbst verfügen. Er kann schlafen, ruhen oder sich sonstwie beschäftigen; lediglich die Bereitschaft, jederzeit die Arbeit aufzunehmen, darf durch die Art der privaten Beschäftigung nicht leiden (BSG SozR 4100 § 112 Nr 22).
Während des Bereitschaftsdienstes wechseln hiernach im Regelfalle Phasen der Arbeit mit Phasen im wesentlichen freier Zeit ab. Ist für die Beitragspflicht zur Beklagten aber maßgebend die voraussichtlich durchschnittlich in der Woche anfallende Zeit, in der der Arbeitnehmer die zu vergütende Arbeit zu leisten hat, hat die dargestellte Eigenart des Bereitschaftsdienstes zur Folge, daß Zeiten der Bereitschaftsdienste nur in dem Umfange als Arbeitszeit berücksichtigt werden können, in dem während des Bereitschaftsdienstes Arbeit zu erwarten ist, die der Arbeitgeber zu vergüten hat. Anders gewendet bedeutet dies, daß Zeiten des Bereitschaftsdienstes außer Ansatz bleiben, soweit sie freie Zeit enthalten. Es gilt insoweit nichts anderes als für in Beschäftigungszeiten eingeschlossene Freizeit und Pausen, für die Arbeitsentgelt nicht gewährt wird; auch sie bleiben bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung kurzzeitig ist, außer Ansatz (Ambs ua, Gemeinschaftskommentar zum AFG, Stand September 1990, § 102 Rz 4; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand August 1990, § 102 Rz 2; Figge Bl StSozArbR 1970, 138, 139; vgl Gagel, Komm zum AFG, Stand Januar 1990, § 102 Rz 11). Dementsprechend hat die Beklagte in ihren Durchführungsanweisungen zu § 102 Abs 1 AFG in wesentlicher Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Ambs aaO; Hennig/Kühl/Heuer aaO; vgl Gagel aaO Rz 12) vorgesehen, Arbeitszeiten, die nur teilweise vergütet werden (zB Bereitschaftsdienste), nur mit dem entsprechenden (vergüteten) Anteil als Arbeitszeit zu berücksichtigen (DBl-Runderlaß 152/88 vom 1. Dezember 1988 Rz 3.2.3, ebenso Rz 2.1.1 der Geringfügigkeits-Richtlinien 1989).
Die Richtigkeit der Auffassung, Zeiten des Bereitschaftsdienstes nur in dem Umfange als Arbeitszeit zu berücksichtigen, in dem während des Bereitschaftsdienstes vergütete Arbeitszeit anfällt, wird auch durch die Überlegung bestätigt, die der Regelung zugrunde liegt, daß kurzzeitige Beschäftigungen keine Anwartschaft begründen. Diese Regelung beruht nämlich auf der Erwägung, daß eine kurzzeitige Beschäftigung im allgemeinen nicht die Lebensgrundlage des Arbeitslosen bildet und daher der infolge Arbeitslosigkeit wegfallende Lohn in diesen Fällen nicht durch Alg oder Alhi ersetzt werden muß. Wenn § 102 Abs 1 AFG auch nicht auf das Arbeitsentgelt, sondern auf die vereinbarte Arbeitszeit abstellt, geht der Gesetzgeber doch davon aus, daß die vereinbarte Arbeitszeit vergütet wird. Nichts anderes gilt, soweit nach § 101 Abs 1 Satz 1 AFG arbeitslos auch sein kann, wer nur kurzzeitig beschäftigt ist, und damit Alg bzw Alhi beziehen kann, während andererseits nicht als arbeitslos gilt und infolgedessen keinen Anspruch auf Alg oder Alhi hat, wer eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung oder Tätigkeit ausübt. Denn geht das Gesetz im ersten Falle wiederum davon aus, daß kurzzeitige Beschäftigungen im allgemeinen nicht die Lebensgrundlage bilden können, wird im zweiten darauf abgestellt, daß neben dem Erwerbseinkommen aus einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung oder Tätigkeit Alg oder Alhi nicht erforderlich ist.
Von dieser Rechtsauffassung her besteht kein Zweifel, daß die Beschäftigung, zu der sich die Klägerin verpflichtet hatte, nicht beitragspflichtig war. Wird zugunsten der Klägerin davon ausgegangen, daß sie nicht nur zu Bereitschaftsdiensten, sondern - entsprechend der vereinbarten Vergütung - auch zur Vollarbeit oder Arbeitsbereitschaft verpflichtet war, nämlich im Monat von (4 x 3 Stunden =) zwölf und weiteren elf Arbeitsstunden an einem Wochenende, verbleiben monatlich 73 Stunden Bereitschaftsdienst. War die Klägerin, wie das LSG im Gegensatz zu ihrem Vorbringen in der Revisionsinstanz angenommen hat, wovon der Senat zugunsten der Klägerin ausgeht, zu Bereitschaftsdiensten der Stufe D verpflichtet, in der nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß anfallenden Arbeitsleistungen zwischen 40 bis 49 vH Arbeitszeit anfällt, können nicht mehr als 49 vH der Bereitschaftsdienstzeiten als Arbeitszeit angerechnet werden. Daß die Zeit des Bereitschaftsdienstes (einschließlich der geleisteten Arbeit zu Zwecken der Vergütungsberechnung) zu höheren Prozentsätzen als Arbeitszeit bewertet worden ist, nämlich nach § 9 Abs 2 Buchst a der Anlage 5 zu den AVR mit 55 vH und nach § 9 Abs 2 Buchst b der gleichen Anlage mit weiteren 25 vH, ändert hieran nichts. Diese Bewertung erfolgt zu Vergütungszwecken, betrifft also den "Preis", den der Arbeitgeber für den Bereitschaftsdienst insgesamt, dh einschließlich der während dieser Dienste anfallenden Arbeit zu zahlen hat. Der Senat hat daher schon für die Frage, wie der im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Lohn bei Bereitschaftsdiensten zu ermitteln ist, als auch für die Frage, wie regelmäßig anfallende Bereitschaftsdienste die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erhöhen, allein auf die Stunden abgestellt, in denen der Arbeitnehmer während der Bereitschaftsdienste durchschnittlich Arbeit leistet (BSG SozR 4100 § 112 Nr 22; SozR 3-4100 § 112 Nr 2). Für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung kurzzeitig ist, gilt im Grundsatz nichts anderes. Allerdings muß hier von vornherein das Höchstmaß der während der vereinbarten Bereitschaftsdienste erfahrungsgemäß anfallenden Arbeitszeit zugrunde gelegt werden, weil die Arbeitszeitdauer nicht im voraus auf weniger beschränkt ist.
Können hiernach nicht mehr als 49 vH der Bereitschaftsdienstzeiten als Arbeitszeit angerechnet werden, ergibt das im Falle der Klägerin gerundet (73 x 49 : 100 =) 36 Stunden. Zu den (12 + 11 =) 23 "echten" Arbeitsstunden treten mithin 36 Arbeitsstunden aus den Bereitschaftsdiensten im Monat. Nach den getroffenen Vereinbarungen, die die Arbeitsvertragsparteien im wesentlichen in der Rahmenfrist durchgeführt haben, betrug die wöchentliche Arbeitszeit mithin (59 x 3 : 13 =) 13,62 Stunden.
An diesem Ergebnis ändert die grundsätzliche Bereitschaft der Klägerin nichts, über die übernommene Verpflichtung hinaus Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu übernehmen. Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin damit schon zu weiteren Diensten verpflichtet war, beschränkte sich die Bereitschaft auf Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, also typischerweise auf Fälle gelegentlicher Abweichungen. Nach § 102 Abs 1 Satz 2 AFG bleiben gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer jedoch unberücksichtigt. Nach den Feststellungen des LSG haben die in der Rahmenfrist gelegentlich aufgetretenen Abweichungen das Maß des Unerheblichen nicht überschritten. Lediglich in den Monaten Februar, März und April 1984 hat die Klägerin in größerem Umfange Dienst geleistet. Ob die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses in dieser Zeit derart von den getroffenen Vereinbarungen abwich, daß für die drei Monate eine andere Beurteilung zu erfolgen hat, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn die Klägerin in diesen drei Monaten beitragspflichtig beschäftigt gewesen sein sollte, genügte dies nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit, wie schon ausgeführt wurde. Einen Anspruch auf Alg hat die Klägerin daher nicht.
Anspruch auf Alhi hat nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG nur, wer ua innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, Alg bezogen hat oder mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Klägerin hat innerhalb des Jahres vor der Arbeitslosmeldung kein Alg bezogen. Sie hat zwar während des ganzen Jahres in einer Beschäftigung gestanden. Diese Beschäftigung dient indessen nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit. § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG erfordert Zeiten, die der Beitragspflicht unterliegen (§ 168 AFG) oder einer solchen hinsichtlich der Erfüllung der Anwartschaftszeit gleichwertig sind (BSGE 59, 227 = SozR 4100 § 134 Nr 29). Beitragspflichtig war die Beschäftigung der Klägerin jedoch nicht. Auch ein Anspruch auf Alhi steht ihr mithin nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Aufwendungen der Beigeladenen aus § 193 Abs 4 SGG; im übrigen beruht sie auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60312 |
BB 1991, 766 |
BB 1991, 766-768 (T) |
DStR 1991, 989-989 (T) |
RegNr, 19716 (BSG-Intern) |
BR/Meuer AFG § 102, 29-11-90, 7 RAr 34/90 (LT1) |
NZA 1991, 522-524 (LT) |
USK, 9070 (LT1) |
AuA 1991, 346 (LT) |
Breith 1991, 581-586 (LT1) |
DBlR 3787a, AFG/§ 169 (LT1) |
Die Beiträge 1992, 32-38 (LT1) |
ErsK 1992, 208-209 (T) |
SozR 3-4100 § 102, Nr 1 (LT1) |