Entscheidungsstichwort (Thema)
Leidensverschlimmerung. Prüfung ob Schädigungsfolge. ursächlicher Zusammenhang
Orientierungssatz
1. Ist ein Leidenszustand nur im Sinne der Verschlimmerung anerkannt, so ist bei jeder weiteren Leidensverschlimmerung stets zu prüfen, ob und inwieweit diese noch eine Schädigungsfolge darstellt (vgl BSG 1958-03-12 11/9 RV 1138/55 = BSGE 7/53).
2. Ursächlich für einen Erfolg ist auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung von mehreren Bedingungen nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Diese einwandfreie Kausalitätsnorm hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht verletzt, wenn es unter Würdigung der gutachtlichen Ausführungen sowie des hierauf ergangenen Ergänzungsgutachtens die weitere Verschlimmerung des Leidens nicht mehr auf den Wehrdienst zurückgeführt hat (vgl BSG 1955-07-14 8 RV 177/54 = BSGE 1, 150).
Normenkette
BVG §§ 1, 85 S. 1; KBLG BY Art. 1 Abs. 4
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 27.09.1957) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. September 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger, der 1907 im Alter von neun Jahren wegen Knochenmarkseiterung am rechten Oberschenkel operiert wurde, war von 1917 bis 1919 Soldat. Nach Stellungskämpfen im O. wurde er wegen rheumatischer Schmerzen an der alten Operationsnarbe in verschiedenen Lazaretten behandelt.
1920 beantragte der Kläger Rente wegen Rheumatismus am rechten Oberschenkel. Da das versorgungsärztliche Zeugnis vom 21. April 1920 die chronische Knocheneiterung als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Verschlimmerung ansah, bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) dem Kläger mit Bescheid vom 24. September 1920 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H. Diese Rente wurde im Jahre 1921 durch einmalige Abfindung abgelöst.
1925 beantragte der Kläger, ihm wegen Verschlimmerung seines Leidens am rechten Oberschenkel wieder Rente zu gewähren, Dr. R ... stellte in seinem Gutachten vom 21. Januar 1927 eine Befundverschlimmerung fest. Da der Kläger vom neunten Lebensjahr bis zur Einziehung zum Wehrdienst von seinem Beinleiden nicht wesentlich belästigt worden sei, hielt der Sachverständige auch den vorliegenden Zustand für eine Schädigungsfolge und bewertete die MdE mit 30 v.H. Deshalb gewährte das VersorgA dem Kläger mit Bescheid vom 3. März 1927 wegen chronischer Knocheneiterung am rechten Oberschenkel im Sinne einer Verschlimmerung ab 1. Dezember 1925 Rente nach einer MdE um 30 v“H, 1938 wurde bei einer Nachuntersuchung durch Dr. A ... eine Änderung der Beinerkrankung nicht festgestellt.
Mit Bescheid vom 26. November 1952 bewilligte das VersorgA dem Kläger ab 1. Januar 1948 wegen des bisher als Schädigungsfolge anerkannten Leidens Rente nach einer MdE um 30 v.H. nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) und ab 1. Oktober 1950 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die vom Kläger gegen diesen Bescheid beim Oberversicherungsamt (OVA) eingelegte Berufung, mit der er geltend machte, daß er nunmehr auch an einer Kniegelenksversteifung leide und Rente nach einer MdE um 40 v.H. begehrte, wurde mit Urteil vom 23. Juni 1953 zurückgewiesen. Im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) beantragte der Kläger, nachdem sein rechter Oberschenkel wegen fortschreitender Osteomyelitis am 24. März 1956 abgesetzt worden war, den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen des rechtsseitigen Oberschenkelverlustes als Folge der chronischen Osteomyelitis Rente nach einer MdE um 70 v.H. zu gewähren. Das LSG wies die Berufung durch Urteil vom 27. September 1957 zurück. Das Rechtsmittel sei sowohl nach altem als auch neuem Recht (§ 1700 RVO, § 150 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) zulässig. Die Anerkennung des durch die weitere Verschlimmerung der Knochenmarkseiterung herbeigeführten Oberschenkelverlustes und Rentengewährung nach einer MdE um mehr als 30 v.H. seien nicht gerechtfertigt, § 85 S. 1 BVG, der eine nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangene Entscheidung über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG für rechtsverbindlich erkläre, sei im vorliegenden Falle nicht anwendbar. Zwar habe das VersorgA in dem Bescheid vom 3. März 1927, in dem die chronische Knochenmarkseiterung am rechten Oberschenkel im Sinne der Verschlimmerung anerkannt worden sei, der Rentenberechnung den ganzen am rechten Oberschenkel bestehenden Körperschaden zugrunde gelegt. Der Umstand, daß damals die MdE nach dem Gesamtleidenszustand bemessen worden sei, zwinge aber nicht dazu, den weiteren Verlauf der Knochenmarkseiterung und demgemäß auch die spätere Amputation des rechten Oberschenkels als Schädigungsfolge anzuerkennen. Durch § 85 S. 1 BVG werde der Versorgungsbehörde lediglich eine nochmalige Prüfung der Frage verwehrt, ob ein Körperschaden überhaupt zu Recht als Schädigungsfolge, sei es im Sinne der Entstehung oder im Sinne der Verschlimmerung, anerkannt worden ist. Der Anspruch des Klägers hänge somit ausschließlich von der medizinischen Frage ab, ob die Knochenmarkseiterung durch die Belastungen des Kriegsdienstes richtunggebend verschlimmert worden sei, d.h. ob die objektiv festgestellte weitere Verschlimmerung, die zur Amputation führte, noch als Schädigungsfolge angesehen werden könne. Dies sei nicht der Fall. Die nach 1927 allmählich fortschreitende chronische Osteomyelitis, die schließlich die Oberschenkelamputation rechts notwendig gemacht habe, sei durch die während des ersten Weltkrieges eingetretene Verschlimmerung nicht mehr wesentlich beeinflußt worden. Zwar habe die Chirurgische Universitätsklinik in ihrem ersten Gutachten vom 18. September 1956 eine entgegengesetzte Beurteilung abgegeben. Diesem Gutachten könne aber keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, weil es unrichtigerweise davon ausgegangen sei, daß die Knochenmarkseiterung in den Jahren von 1907 bis 1917 keine krankhaften Erscheinungen gezeigt habe. Das LSG ließ die Revision wegen der Frage, ob die frühere Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung nach dem BVG rechtsverbindlich ist, zu.
Die Revision des. Klägers rügt Verletzung des Art. 1 KBLG und der §§ 1, 85 S. 1 BVG. Sie ist der Ansicht, daß sich die Bindungswirkung des § 85 S. 1 BVG bei einem als Schädigungsfolge im Sinne "richtunggebender" Verschlimmerung anerkannten Leidens auch auf die Art der Verschlimmerung erstreckt. Das LSG hätte deshalb den ursächlichen Zusammenhang der weiteren Verschlimmerung, die zur Oberschenkelamputation geführt hat, nicht mehr prüfen dürfen. Eine solche Prüfung hätte nur dann vorgenommen werden können, wenn das Leiden lediglich "im Sinne der Verschlimmerung" anerkannt gewesen wäre, Das sei aber nicht der Fall. Zwar sei im Bescheid vom 3. März 1927 eine "richtunggebende Verschlimmerung" nicht ausdrücklich erwähnt worden. Aus den Gesamtumständen sei jedoch zu schließen, daß die Anerkennung einer solchen Verschlimmerung gemeint war. Die Erhöhung der MdE von ursprünglich 10 v.H. auf 30 v.H. im Rentenbescheid vom 3. März 1927 sei nämlich erst erfolgt, nachdem Dr. R ... eine Befund Verschlimmerung des Leidens ermittelt, den gesamten Leidenszustand als Dienstbeschädigungsfolge angesehen und die MdE auf 30 v.H. geschätzt habe.
Der Kläger beantragte:
das angefochtene Urteil und das Urteil des OVA Augsburg vom 23. Juni 1953 aufzuheben, den kombinierten Feststellungs- und Umanerkennungsbescheid des VersorgA Augsburg vom 26. November 1952 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolge vom 1. August 1948 ab Rente nach einer Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 40 v.H. und vom 1. März 1956 ab wegen des rechtsseitigen Oberschenkelverlustes als Folge der chronischen Knochenmarkseiterung Rente nach einer Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 70 v.H. zu gewähren,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragte:
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 27. September 1957 als unbegründet zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Bescheid vom 3. März 1927 enthalte nur die Anerkennung einer Verschlimmerung, nicht auch die einer "richtunggebenden" Verschlimmerung der Knochenmarkseiterung. Deshalb sei das LSG berechtigt gewesen, neu zu prüfen, ob die weitere Leidensverschlimmerung, die schließlich zum Verlust des rechten Oberschenkels geführt habe, noch eine Schädigungsfolge darstelle. Bei dieser Beurteilung habe das Berufungsgericht keine Gesetzesverletzung begangen.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung zulässig ist. Zwar hat die Revision insoweit keine Rüge erhoben. Bei einer zugelassenen oder aus anderen Gründen statthaften Revision ist die Zulässigkeit der Berufung jedoch auch ohne Revisionsrüge von Amts wegen zu prüfen (BSG 2, 225). Der Rekurs-Ausschließungsgrund des § 1700 Nr. 8 Reichsversicherungsordnung (RVO) traf nicht zu, da es sich bei dem Bescheid vom 26= November 1952 nicht um eine Neufeststellung, sondern um die Erstfeststellung nach dem BVG handelte. Das gleiche gilt auch für die Erstfeststellung nach den KBLG. Das Rechtsmittel blieb auch nach den SGG zulässig, da der Ausnahmetatbestand des § 150 Nr. 3 SGG gegeben ist. Es handelte sich nicht lediglich um einen Streit darüber, ob das anerkannte Leiden einfach oder richtunggebend verschlimmert worden ist (vgl. BSG 6. 192 und Urteil vom 16.11.1961 - 7/9 RV 550/59 - ), sondern der Kläger hatte bereits im Verfahren vor dem OVA eine neu hinzugetretene Gesundheitsstörung (Kniegelenkversteifung) geltend gemacht. Auch wenn er deren Anerkennung als Schädigungsfolge nicht ausdrücklich beantragt hat, war die Berufung nach § 150 Nr. 3 SGG statthaft (vgl. auch BSG, Urteil vom 14.12.1961 - 11 RV 748/61-). Das OVA hatte die Kniegelenksversteifung auf die Maßnahmen der Arzte, nicht aber auf den Kriegsdienst zurückgeführt. Diese ärztlichen Maßnahmen hingen andererseits mit der vom OVA festgestellten Verschlimmerung des anerkannten Schadens zusammen, für die das OVA die Berufsarbeit als Friseur und die damit verbundene Überanstrengung, nicht jedoch den Wehrdienst als Ursache ansah. Damit bestand im vorliegenden Fall trotz der gleichzeitig erörterten Frage, ob eine einfache oder richtunggebende Verschlimmerung gegeben ist, auch ein Streit über den. ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG.
In sachlich-rechtlicher Hinsicht hat das LSG das Begehren des Klägers, ihm wegen des rechtsseitigen Oberschenkelverlustes als Folge einer chronischen Osteomyelitis eine höhere Rente zuzusprechen, im Ergebnis zutreffend abgelehnt. Dem Kläger steht der geltend gemachte Versorgungsanspruch weder nach dem KBLG noch nach dem BVG zu. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob sich bei Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge im Sinne richtunggebender Verschlimmerung in einem Bescheid nach dem Reichsversorgungsgesetz die Rechtsverbindlichkeit auch auf die Art der Verschlimmerung erstreckt (Art. 1 Abs. 4 KBLG, § 85 S. 1 BVG). Einer Entscheidung dieser vom LSG verneinten Frage bedarf es nicht, weil die Knochenmarkseiterung am rechten Oberschenkel nicht als Schädigungsfolge im Sinne einer "richtunggebenden" Verschlimmerung anerkannt worden ist. Der Wortlaut des Rentenbescheides vom 3. Kars 1927 beinhaltet nur die Anerkennung dieses Leidens "im Sinne einer Verschlimmerung". Zwar sind, wie die Revision zu Recht hervorhebt, bei der Prüfung, welcher Inhalt und welche Tragweite einem Bescheid beizumessen sind, auch diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die zum Erlaß des Bescheides geführt haben. Die Auslegung des Bescheides vom 3. März 1927 nach diesen Gesichtspunkten, zu der das Revisionsgericht befugt ist (vgl. BSG 7, 56) führt jedoch nicht dazu, die anerkannte Verschlimmerung als richtunggebende Verschlimmerung aufzufassen. Die Tatsache, daß der Feststellung einer MdE um 50 v.H. das amtsärztliche Gutachten des Dr. R ... zugrunde gelegen hat, rechtfertigt eine solche Annahme nicht. In diesem Gutachten ist von einer richtunggebenden Verschlimmerung nicht die Rede. Auf eine solche von Dr. R ... angenommene Verschlimmerung ist auch nicht mittelbar etwa deshalb zu schließen, weil dieser Arzt nach einer festgestellten Befundverschlimmerung den vorliegenden Zustand als Dienstbeschädigungsfolge angesehen und die früher mit 10 v.H. anerkannte MdE auf 50 v.H. geschätzt hat. Hieraus und aus dem im Gutachten verwendeten Wortlaut: "Die Tatsache ..... läßt auch den heute vorliegenden Zustand als D.B. Folge annehmen" läßt sich nur entnehmen, daß Dr. R ... die bis zu seiner Untersuchung eingetretene Verschlechterung der Knochenmarkseiterung als wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil beurteilt hat, nicht jedoch, daß er auch angenommen hat, die zukünftige Entwicklung dieses Leidens müsse auf die Belastungen des Wehrdienstes im ersten Weltkrieg im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung zurückgeführt werden. Die Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung kann aber auch nicht aus dem Bescheid von 24. September 1920 oder dem versorgungsärztlichen Zeugnis von 21. April 1920 gefolgert werden. Diese Unterlagen enthalten ebenfalls keine Hinweise für die Annehme, daß der weitere Verlauf der Knochenmarkseiterung durch den wehrdienstlichen Schädigungsvorgang richtunggebend beeinflußt worden wäre. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Knochenmarkseiterung am rechten Oberschenkel nur "im Sinne der Verschlimmerung" anerkannt wurde. In diesem Fall ist bei jeder weiteren Leidensverschlimmerung stets zu prüfen, ob und inwieweit diese noch eine Schädigungsfolge darstellt (vgl. BSG 6, 87; 7, 56). Bei dieser Prüfung hat das LSG weder gegen Art. 1 KBLG noch gegen § 1 BVG verstoßen. Nach diesen Vorschriften steht dem Kläger der geltend gemachte Versorgungsanspruch nur zu, wenn der weitere Verlauf der Osteomyelitis und der Verlust des rechten Oberschenkels durch den Wehrdienst im ersten Weltkrieg herbeigeführt wurden. Der vom LSG verneinte Ursachenzusammenhang läßt eine materiell-rechtliche Gesetzesverletzung nicht erkennen. Ursachlich für einen Erfolg ist auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung von mehreren Bedingungen nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG 1, 150). Biese einwandfreie Kausalitätsnorm hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht verletzt, wenn es unter Würdigung der gutachtlichen Ausführungen des Dr. B ... vom 5. April 1957 sowie des hierauf ergangenen. Ergänzungsgutachtens der Chirurgischen Universitätsklinik München vom 1. August 1957 die weitere Verschlimmerung des Leidens nicht mehr auf den Wehrdienst zurückgeführt hat.
Da sich das Urteil des LSG im Ergebnis somit als richtig erweist, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen