Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Zuständigkeit

 

Orientierungssatz

Der Gemeinde-Unfallversicherungsverband und nicht die landwirtschaftliche BG ist für einen Unfall zuständig, den ein landwirtschaftlicher Mitarbeiter seines Onkels mit einer Säge erleidet, die mehreren in der Gemeinde ansässigen Bauern gemeinsam gehört und bei seinem Onkel abgestellt ist, wenn das von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Deputatholz des Dorfschullehrers zerkleinert wird.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 10, § 628

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.01.1965)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.03.1960)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1965 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der beigeladene Landwirt J B verunglückte am 20. Mai 1952, als er mit einer Kreissäge auf dem Schulhof der Gemeinde S Brennholz schnitt. Er geriet mit der rechten Hand in die Kreissäge und verletzte sich den 3. bis 5. Finger. Die klagende landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) gewährte ihm für die Folgen des Unfalls vorläufige Fürsorge. Sie ist der Auffassung, der beklagte Gemeinde-Unfallversicherungsverband (BUV) sei für die Durchführung des Feststellungsverfahrens und die Entschädigung des Verletzten zuständig.

Hinsichtlich des Sachverhalts enthält das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts (LSG) folgende Feststellungen: Am Unfalltag wurde auf dem Schulhof das von der Gemeinde für die Schule zur Verfügung gestellte Holz zersägt. Der in der Schule wohnende Lehrer E bat den Beigeladenen, das von der Gemeinde für seinen Haushalt als Deputat zur Verfügung gestellte Holz zu zersägen. Der Beigeladene kam diesem Wunsch nach; für seine Tätigkeit erhielt er keine Bezahlung. Die für das Zerkleinern des Holzes verwendete Kreissäge war vor Jahren von etwa 10 im Ort ansässigen Landwirten zur gemeinsamen Benutzung angeschafft worden. Zu den an der Säge beteiligten Landwirten gehörte auch der Onkel des Beigeladenen, der Landwirt J G, in dessen Haushalt der Beigeladene zusammen mit seiner Familie lebte. Seit 1936 war der Beigeladene im landwirtschaftlichen Betrieb seines Onkels tätig. Der Landwirt G war mit der Benutzung der Kreissäge einverstanden Der Unfall ereignete sich, als das für den Haushalt des Lehrers bestimmte Holz zerkleinert wurde. Während der Beigeladene die von einer Hilfskraft angereichten Holzstücke in die Kreissäge einführte, wurden die zersägten Teile von dem Lehrer abgenommen.

Der Lehrer E, der seit etwa 3 Jahren vor dem Unfall in Schladt lebte, gab an, es sei eine Verpflichtung der Gemeinde, ihm jährlich das Deputatholz anzuliefern und zu zerkleinern. Diese Arbeiten seien von den Gemeindemitgliedern reihum unentgeltlich ausgeführt worden, zumindest entspreche dies einem allgemeinen Brauch in der Gemeinde. Nach einer Auskunft des Amtsbürgermeisters in M vom 13. Mai 1953 und der Amtsverwaltung M vom 11. Januar 1965 standen dem Lehrer E jährlich 2 Meter Derbholz zu, das er selbst abtransportieren und zerkleinern mußte. Nach Abschluß der Sägearbeiten hat der Lehrer E an den Schriftführer der an der Kreissäge beteiligten Landwirte die in Rechnung gestellten Stromgebühren für die Säge bezahlt.

Die LBG hatte zunächst im Einverständnis mit dem GUV die berufsgenossenschaftliche Schiedsstelle angerufen. Dieses Verfahren ist jedoch bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht durch eine Entscheidung der Schiedsstelle abgeschlossen worden. Die LBG hat zunächst beim Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben mit dem Antrag auf Feststellung, daß der GUV für die Entschädigung des Unfalls des Landwirts B zuständig sei. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt, den Beklagten zu verurteilen, den Unfall des J B als zuständiger Versicherungsträger zu entschädigen, hilfsweise hat sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, sich an der Last aus dem Unfall zu 50 % zu beteiligen. Das SG hat durch Urteil vom 11. März 1960 festgestellt, daß für die Entschädigung des Unfalls des J B am 20. Mai 1952 in S der beklagte GUV zuständig ist. Das SG hat als festgestellt angesehen, daß die Gemeinde S dem Lehrer Holz für den Eigengebrauch zu liefern und nach Brauch und Herkommen das im Wald geschlagene Holz auf den Hof zu fahren und zu zerkleinern hatte. Die sogenannten Frondearbeiten nach § 12 des Regulativs vom 17. Juli 1921 hätten sich nur auf das Schlagen des Deputatholzes bezogen. Der Transport und das Zerkleinern des Holzes beruhten auf Brauch und Herkommen. Eine ausdrückliche satzungsmäßige Regelung sei nicht festzustellen gewesen. B habe am 20. Mai 1952 eine den Gemeindemitgliedern obliegende Arbeit ausgeführt, die nicht ihm, sondern seinem Onkel G als Hofbesitzer angerechnet worden sei. Dieser sei dadurch für die nächsten Jahre von der Arbeitsleistung frei gewesen, bis die Reihe wieder an ihn gekommen sei. Bei dem Zerkleinern des Holzes auf dem Hofgrundstück des Lehrers sei B nicht im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes seines Onkels tätig gewesen. Dieser Teil der Arbeiten sei als Deputatleistung anzusehen und in Erfüllung gemeinderechtlicher Verpflichtungen gegenüber dem Lehrer E erfolgt. Deshalb sei die Zuständigkeit des beklagten GUV für die Entschädigung des Unfalls festzustellen. Für eine Lastenteilung nach § 1739 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei kein Raum, da eine Zuständigkeit der Klägerin nicht festzustellen sei.

Gegen dieses Urteil hat der beklagte GUV Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Das LSG hat den verletzten B. zum Verfahren beigeladen.

Der Beklagte hat im Termin vor dem LSG den Antrag gestellt, unter Aufhebung des Urteils des SG die Klage abzuweisen, die Klägerin den Antrag, die Berufung zurückzuweisen. Das LSG hat durch Urteil vom 15. Januar 1965 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Zur Begründung ist im Urteil u. a. ausgeführt: Die Entschädigungspflicht des Beklagten ergebe sich abweichend von der Auffassung des SG daraus, daß die unfallbringende Tätigkeit dem Haushalt des Lehrers E gedient habe. Die Arbeit sei dem Aufgabenbereich und damit dem Unternehmen des Holzeigentümers E zuzurechnen. Der Beigeladene sei wie ein Beschäftigter im Haushalt des Lehrers tätig geworden (§ 537 Nr. 10 RVO af). Eine Entschädigungspflicht der Klägerin lasse sich aus § 634 RVO aF nicht herleiten, da J G keinen Auftrag zum Holzzerkleinern gegeben habe. Die bloße Erlaubnis zum Tätigwerden reiche nicht aus. Der Grundsatz, daß in der Regel der Versicherungsträger des "Stammunternehmens" zuständig sei, setze voraus, daß die unfallbringende Tätigkeit sowohl dem Stammunternehmen als auch dem anderen Unternehmen in nicht unerheblichem Maße gedient habe. Er könne nicht angewandt werden, wenn sie dem Stammunternehmen nicht oder in völlig untergeordnetem Maße zugute gekommen sei. Selbst wenn J G von einer auf Gepflogenheit beruhenden Verpflichtung zum Zerkleinern des Holzes für einige Jahre frei geworden sei, habe die Tätigkeit seinem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht in erheblichem Maße gedient. Eine solche Verpflichtung wäre von den Gemeindemitgliedern zu erfüllen, und es wäre keine dem landwirtschaftlichen Betrieb wesentlich dienende Arbeitsleistung erbracht worden. Unterstelle man eine entsprechende Verpflichtung der Gemeinde, dann wäre das Holzzerkleinern als eine der Gemeinde obliegende Tätigkeit auch aus diesem Grunde dem beklagten GUV zuzurechnen. Ein wesentlicher Zusammenhang mit der regelmäßigen Beschäftigung im Stammunternehmen ergebe sich nicht daraus, daß die Kreissäge im übrigen von den in einer Gemeinschaft zusammengeschlossenen Landwirten auch in ihren landwirtschaftlichen Betrieben verwendet worden sei. In SozR Nr. 35 zu § 537 RVO aF habe das Bundessozialgericht (BSG) den Umstand, daß ein in einem landwirtschaftlichen Unternehmen verwendetes Fahrzeug benutzt worden sei, deshalb als beachtlich angesehen, weil der Verletzte, dessen Tätigkeit mehreren Unternehmen gedient habe, keinem Stammunternehmen angehört habe. Im vorliegenden Fall habe sich der Unfall auch nicht im örtlichen Bereich des landwirtschaftlichen Unternehmen ereignet. Die Benutzung der Kreissäge stelle nur einen losen tatsächlichen Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen her, der gegenüber den die Zuständigkeit des GUV begründenden Tatsachen völlig zurücktrete und daher rechtlich nicht wesentlich sei. Das LSG habe deshalb zu Recht auch die Voraussetzungen für eine Verteilung nach § 1739 RVO nicht als gegeben angesehen.

Der beklagte GUV, dessen Prozeßbevollmächtigtem das Urteil des LSG am 1. April 1965 zugestellt worden ist, hat dagegen am 3. April 1965 Revision eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der beigeladene B war im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 SGG) vertreten.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 SGG).

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG).

Nach den Feststellungen des LSG - die insoweit von der Revision nicht wirksam angefochten sind (vgl. § 163 SGG) - war das Holz, bei dessen Zerkleinern sich der beigeladene B am 20. Mai 1952 verletzt hat, für den Haushalt des Lehrers E bestimmt und stand bereits in der Verfügungsgewalt des Lehrers. Der beigeladene B war auch von E ausdrücklich gebeten worden, das Holz zu zerkleinern. Die unfallbringende Tätigkeit diente demnach unmittelbar dem Haushalt des E. Die Einwendung der Revision gegen die Zurechnung des Holzzerkleinerns zum Haushalt des Lehrers E verkennt, daß es hierbei an sich nicht darauf ankommt, was für die Tätigkeiten in einem Haushalt "typisch" ist, und daß das Zerkleinern von Brennholz durchaus auch heute noch im Rahmen von Haushaltungen vorgenommen werden muß - insbesondere in Haushaltungen in ländlichen Altbauten. E hätte das Holzzerkleinern auch, anstatt die unentgeltliche Hilfe des Beigeladenen in Anspruch zu nehmen, durch eine gegen Entgelt tätig werdende Arbeitskraft verrichten lassen können.

B bediente sich zwar der von ihm leihweise beschafften Kreissäge, die im Eigentum einer Gruppe von Landwirten stand, zu denen auch der Onkel des B, J G, gehörte. Das hat aber nicht zur Folge, daß B wie ein selbständiger Unternehmer eines Kreissäge - Unternehmens oder aber wie ein Beschäftigter in einem solchen Unternehmen tätig wurde. Die Revision verkennt, daß die Kreissäge lediglich ein wechselweise für verschiedene Unternehmen benutztes Arbeitsgerät war und nicht Bestandteil eines auf das Verrichten von Sägearbeiten gerichteten eigenständigen Unternehmens. Durch die Benutzung der Kreissäge wurde auch keine versicherungsrechtlich bedeutsame Beziehung zu den Unternehmen, insbesondere zu dem landwirtschaftlichen Unternehmen des J G, hergestellt, in denen die Kreissäge sonst verwendet wurde. Vielmehr hat das LSG aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt ohne Rechtsirrtum die Folgerung gezogen, daß B. bei der Arbeit mit der entliehenen Kreissäge wie ein aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigter für den Haushalt des Lehrers E tätig war (§ 537 Nr. 10 iVm Nr. 1 RVO aF; vgl. BSG 5, 168).

Das LSG hat auch mit Recht die Frage dahingestellt gelassen, ob der Lehrer, wie sich aus den Auskünften der Kreisverwaltung M vom 15. Mai 1953 und 11. Januar 1965 ergibt, nur einen Anspruch auf Deputatholz, nicht aber auf Anfuhr und Zerkleinern hatte, oder ob aufgrund eines Herkommens auch die Anfuhr und das Zerkleinern von den Gemeindemitgliedern vorzunehmen war. Die Anwendung der Nr. 10 des § 537 RVO aF würde dadurch nicht in Frage gestellt sein, wenn B der Bitte des Lehrers nicht nur aus Gefälligkeit, sondern auch deshalb entsprochen haben sollte, weil er der Meinung war, daß der Lehrer einen Anspruch auf diese Hilfeleistung habe. Da der beigeladene GUV sowohl für den Haushalt des Lehrers als auch für die Unternehmen der Gemeinde selbst im Rahmen des § 628 RVO aF (iVm den Erlassen des RAM vom 16. März 1942, AN 1942, 201, und 6. Februar 1943, AN 1943, 35 - vgl. jetzt § 657 RVO) als Versicherungsträger zuständig war, konnte das LSG dahingestellt lassen, ob B beim Zerkleinern des Holzes zugleich auch für die Gemeinde S tätig geworden ist.

Das LSG hat festgestellt, daß B von seinem Onkel nicht beauftragt worden war, das Holz für den Lehrer E zu zerkleinern, sondern von ihm nur die Erlaubnis erhalten hatte, für die Gefälligkeitsarbeit die Kreissäge zu benutzen. Diese Feststellungen sind von der Revision nicht wirksam mit Rügen angegriffen worden. Aus ihnen hat das LSG ohne Rechtsirrtum die Folgerung gezogen, daß die klagende LBG nicht nach § 634 RVO aF als Versicherungsträger für das landwirtschaftliche Unternehmen des Onkels J G zur Entschädigungsleistung verpflichtet ist.

Eine Entschädigungspflicht der Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz, daß für Unfälle bei Arbeiten, die verschiedenen Unternehmen dienen, in der Regel die Entschädigung von dem für das "Stammunternehmen" des Verletzten zuständigen Versicherungsträger zu übernehmen ist. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß es nur eine sehr entfernte und versicherungsrechtlich gegenüber dem unmittelbaren Nutzen der Tätigkeit für den Haushalt des Lehrers E nicht wesentliche Beziehung zum landwirtschaftlichen Unternehmen des J G begründen würde, wenn das Tätigwerden des Verletzten für den Lehrer E zur Folge gehabt haben sollte, daß J G von einer ihn als Gemeindemitglied treffenden Verpflichtung zum Zerkleinern des Holzes für längere Zeit frei geworden war.

Das LSG ist hiernach ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß der beklagte GUV für die Durchführung des Feststellungsverfahrens und eine etwaige Entschädigung für die Folgen des Unfalls des beigeladenen B vom 20. Mai 1952 der zuständige Versicherungsträger ist.

Für eine Entscheidung über eine etwaige Verteilung der Entschädigungslast im Sinne des § 1739 RVO war schon im Berufungsverfahren kein Raum. Die Klägerin hatte den Antrag, den Beklagten zu verurteilen, sich an der Entschädigungslast zur Hälfte zu beteiligen, nur hilfsweise für den Fall gestellt, daß ihrem Hauptantrag, die Zuständigkeit des Beklagten für die Durchführung des Feststellungsverfahrens und die Entschädigungspflicht festzustellen, nicht entsprochen würde. Der beklagte GUV hat sich aber sowohl im Verfahren vor dem SG als auch im Berufungsverfahren darauf beschränkt, eine Abweisung der Klage zu beantragen und hat weder - im Wege der Widerklage - beantragt, die Zuständigkeit der Klägerin festzustellen noch hilfsweise, d. h. für den Fall der Feststellung seiner eigenen Zuständigkeit, beantragt, über eine Verteilung der Entschädigungslast zu entscheiden.

Hiernach war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 SGG). Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht aufgrund des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324110

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