Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufeststellung. Gesamtleistungsbewertung. anwendbares Recht. Anrechnungszeit
Leitsatz (amtlich)
- Soweit ein Zugunstenantrag (§ 44 SGB X) hinsichtlich eines noch nach dem AVG (der RVO) ergangenen Rentenbescheides Erfolg hat, ergeht die neue Entscheidung materiell-rechtlich aufgrund des ursprünglichen Rentenantrags. Auf dessen Datum kommt es auch für die Entscheidung über das ab Januar 1992 anzuwendende Recht (§ 300 Abs 2 SGB VI) an.
- Die Rente ist dann jedoch für die Zeit ab Erlaß der neuen Entscheidung nach den Vorschriften des SGB VI neu zu berechnen.
Normenkette
SGB VI §§ 300, 306 Abs. 1, § 263 Abs. 3; SGB X § 44 Abs. 1, § 48 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Februar 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Recht auf ein höheres Altersruhegeld (ARG).
Der im April 1931 geborene Kläger bezieht seit 1. Mai 1991 von der Beklagten ein von ihm am 21. Januar 1991 beantragtes ARG, das zunächst nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) berechnet wurde. Dabei berücksichtigte die Beklagte ua für die Zeit vom 1. März 1960 bis zum 10. Dezember 1962 34 Kalendermonate Ausfallzeit wegen Fachschulausbildung, die gemäß § 32a Abs 2 AVG mit dem Monatsdurchschnitt von 5,41 Werteinheiten der bis zum 31. Dezember 1964 zurückgelegten Beitragszeiten bewertet wurden (Bescheid vom 22. Februar 1991). Im September 1992 beantragte der Kläger eine Neuberechnung seines ARG unter Einbeziehung bislang nicht berücksichtigter Sachbezüge. Die Beklagte ordnete hierauf den Zeiten des Sachbezugs (1. Oktober 1945 bis 22. August 1955) ein nach Maßgabe des Art 2 § 55 Abs 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz erhöhtes Arbeitsentgelt zu und nahm dies zum Anlaß, die Rente des Klägers für die Zeit ab Mai 1991 insgesamt auf der Grundlage der Vorschriften des am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) neu zu berechnen. Sie bewertete dabei die Fachschulausbildung des Klägers nach Maßgabe der Vorschriften des SGB VI über die Gesamtleistungsbewertung nunmehr mit dem höchsten in § 263 Abs 3 SGB VI vorgesehenen Wert von 0,0825 Entgeltpunkten je Monat und zahlte dem Kläger für die Zeit von Mai 1991 bis Juni 1993 Rente in Höhe von 3.454,84 DM nach (Bescheid vom 5. Mai 1993).
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, eine “Begrenzung” seiner Anrechnungszeit auf den für das Jahr 1992 vorgesehenen Wert von 0,0825 Entgeltpunkten sei bei einem Rentenbeginn bereits im Jahr 1991 nicht vorgesehen, seine Anrechnungszeit daher mit 0,0833 Entgeltpunkten je Kalendermonat zu bewerten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei der erst im September 1992 beantragten Neufestsetzung seiner Rente mit Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 sei nach § 300 Abs 3 SGB VI das Recht des SGB VI zugrunde zu legen und bei der Anwendung des § 263 Abs 3 SGB VI als “Beginn der Rente” vom Jahr 1992 auszugehen. Die begrenzte Gesamtleistungsbewertung für Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung dürfe danach für einen Kalendermonat 0,0825 Entgeltpunkte nicht übersteigen (Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Juni 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, im Falle eines Rentenbeginns vor 1992 fehle es in § 263 SGB VI an einer gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber habe übersehen, daß auch bei einer Rentenneufeststellung nach § 300 Abs 3 SGB VI neues Recht anzuwenden sei. Diese Lücke könne nicht durch eine Analogie zu dem vor dem 1. Januar 1992 geltenden Recht geschlossen werden. Vielmehr sei die am ehesten vergleichbare, für einen Rentenbeginn im Jahr 1992 vorgesehene Regelung (analog) anzuwenden (Urteil vom 23. Februar 1995).
Zur Begründung seiner – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 263 Abs 3 SGB VI. Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Februar 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1993 zu verurteilen, ihm unter Bewertung seiner Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung vom 1. März 1960 bis zum 10. Dezember 1962 mit monatlich 0,0833 Entgeltpunkten höhere Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angegriffenen Urteile für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Rente unter Bewertung seiner Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung mit monatlich 0,0833 Entgeltpunkten.
Ermächtigungsgrundlage für die Teilrücknahme des Rentenbewilligungsbescheides vom 22. Februar 1991 war vorliegend § 44 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (Abs 1). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen (auf die der Begünstigte nach der neuen Leistungsbewilligung Anspruch hat) nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (vgl § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Der unanfechtbar gewordene Rentenbewilligungsbescheid der Beklagten vom 22. Februar 1991 war nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe objektiv gegebenen Sach- und Rechtslage insoweit rechtswidrig, als darin der Höchstbetrag des monatlichen Wertes des Rechts des Klägers auf ARG zu niedrig festgesetzt worden war. Denn die Sachbezugszeiten des Klägers waren nicht berücksichtigt und dadurch bei der Rentenberechnung der Zeit vom 1. Oktober 1945 bis 22. August 1955 zu geringe Werteinheiten zugrunde gelegt worden. Mit dem angefochtenen Neufeststellungsbescheid vom 5. Mai 1993 hat die Beklagte den bindend gewordenen, hinsichtlich der Rentenhöhe aber rechtswidrigen Rentenbescheid vom 22. Februar 1991 insoweit dadurch (schlüssig) auch für die Vergangenheit zurückgenommen, daß sie dem Kläger ab Rentenbeginn (Mai 1991) mit einem als “Neufeststellung der Altersrente” bezeichneten Bescheid einen im Vergleich zum Bescheid vom 22. Februar 1991 höheren monatlichen Rentenwert zuerkannte und diesen als Rente nachzahlte.
Maßstab dafür, inwieweit ein materiell bestandskräftig gewordener Verwaltungsakt mit Doppelwirkung rechtswidrig war, ist die Sach- und Rechtslage bei Erlaß (Bekanntgabe) des Verwaltungsaktes. Dies folgt zum einen aus dem durch § 44 SGB X verfolgten Restitutionszweck; danach ist der durch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Belastete rechtlich so zu stellen, als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden, dh als wäre sie von vornherein von der zutreffenden Sach- und Rechtslage ausgegangen (vgl BSGE 62, 143, 146 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5; BSG SozR 4100 § 134 Nr 36; BSG, Urteil vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 78/93; Steinwedel in Kasseler Komm, § 44 SGB X Rz 35; Niesel, aaO, § 300 SGB VI Rz 15). Vor allem aber ergibt sich die alleinige Maßgeblichkeit der objektiv im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gegebenen Sach- und Rechtslage für die Rücknahmevorschriften des SGB X (§§ 44, 45 aaO; ebenso für den Widerruf nach §§ 46, 47 aaO) daraus, daß nach der Systematik der §§ 44 ff SGB X die Vorschrift des § 48 SGB X eine abschließende Spezialregelung für alle Fälle enthält, in denen die Sach- oder Rechtslage sich nach Erlaß eines Verwaltungsaktes ändert. Deswegen ist sowohl der Umfang der materiellen Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung vom 22. Februar 1991 als auch das Ausmaß ihrer Rücknehmbarkeit ausschließlich nach den damals allein gültigen Vorschriften des AVG zu beurteilen.
Soweit die Bewilligung vom 22. Februar 1991 zurückgenommen wurde, war das durch den Rentenantrag vom 21. Januar 1991 eingeleitete und zunächst durch Erlaß des Rentenbewilligungsbescheides abgeschlossene Bewilligungsverfahren (teilweise) wieder eröffnet, mithin mußte der Rentenversicherungsträger über das insoweit nun nicht mehr abgeschlossene Rentenbewilligungsverfahren eine (Teil-)Entscheidung über die Höhe des monatlichen Werts des Rechts auf Rente (Rentenhöhe) treffen; im übrigen, dh soweit die frühere Festsetzung der Rentenhöhe – gemessen an den Vorschriften des AVG – nicht rechtswidrig war und folglich nach § 44 SGB X nicht rücknehmbar ist, bleibt sie wirksam und für die Beteiligten bindend.
Die Vorschriften des AVG sind auch Maßstab für die Durchführung des (nicht mehr) abgeschlossenen Rentenbewilligungsverfahrens (vgl BSGE 62, 143 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5, Leitsatz 2; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 S 7; BSG SozR 3-6050 Art 46 Nr 5 S 17), und zwar sowohl für Rentenbezugszeiten bis einschließlich Dezember 1991 (vgl Art 83 Nr 1 und Art 85 Abs 1 des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261), als auch gemäß §§ 300 Abs 3, 306 Abs 1 SGB VI für Rentenbezugszeiten bis zum Erlaß des Rentenfeststellungsbescheides vom 5. Mai 1993. Die Vorschriften des SGB VI über die Berechnung einer Rente sind insoweit nicht anwendbar; sie finden erst für Rentenbezugszeiten ab Erlaß des Neufeststellungsbescheides Anwendung. Dies ergibt sich aus folgendem:
Ob ein bestimmter Sachverhalt anhand der Vorschriften des SGB VI beurteilt werden muß, die – von hier nicht einschlägigen Ausnahmen (vgl Art 85 Abs 2 ff RRG 1992) abgesehen – am 1. Januar 1992 in Kraft getreten sind (vgl Art 85 Abs 1 RRG 1992), oder aber nach den Bestimmungen des AVG, ist von vornherein nur dann von Bedeutung, wenn sich das materielle Recht des SGB VI im Vergleich zum AVG auch inhaltlich geändert hat (vgl BSG SozR 3-2600 § 63 Nr 1 S 8). Ist dies – wie vorliegend bei den Bestimmungen über die Gesamtleistungsbewertung der Fall – wird die Frage “altes” oder “neues” Recht durch die Vorschrift des ebenfalls (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen § 300 SGB VI beantwortet. Nach dessen Abs 1 gilt der Grundsatz, daß Vorschriften des SGB VI “von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an” auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn dieser bereits vor dem Zeitpunkt bestanden hat. Danach ist neues Recht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Januar 1992 (und nicht früher) auf das Leistungsverhältnis anzuwenden, außer wenn Spezialvorschriften zur Inkrafttretensregelung des Art 85 Abs 1 RRG 1992, die in Art 85 Abs 2 f RRG 1992 abschließend aufgeführt sind, etwas anderes bestimmen. Dies ist hier nicht der Fall: Ein Inkrafttreten der für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Vorschriften vor dem 1. Januar 1992 ist in Art 85 Abs 2 f RRG 1992 nicht geregelt. Soweit die Beklagte meint, § 300 Abs 3 iVm Abs 1 modifiziere die Vorschrift des § 44 SGB X und bestimme einen Zeitpunkt der Anwendbarkeit neuen Rechts zum Teil vor dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Januar 1992, kann dem nicht gefolgt werden. Bereits der Wortlaut von § 300 Abs 1 und 3 SGB VI spricht von einer Anwendbarkeit der Vorschriften neuen Rechts “vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an”, was allgemeinen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen über den zeitlichen Anwendungsbereich gesetzlicher Vorschriften entspricht: Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen Lebensverhältnissen regelmäßig unerheblich. Soweit ein Gesetz eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) auf einen Zeitraum vor seinem Inkrafttreten erstreckt, muß sich dies eindeutig aus seinem Wortlaut oder schlüssig aus seinem Zweck ergeben. Die Geltungszeit, dh die Spanne, in der die Anwendung des Gesetzes auf Sachverhalte überhaupt in Frage kommt, beginnt regelmäßig daher nicht vor dem Zeitpunkt, von dem ab die Rechtsfolgen des Gesetzes für die Normadressaten eintreten und seine Bestimmungen von den Behörden und Gerichten anzuwenden sind (BVerfGE 42, 263, 283; BSGE 62, 191, 195).
Eine Ausnahme von der Anwendbarkeit neuen Rechts für Bezugszeiten seit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 enthält § 300 Abs 2 SGB VI. Danach sind ua durch dieses Gesetzbuch (SGB VI) ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung (hier: Ablauf des 31. Dezember 1991) noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung (hier also bis zum 31. März 1992) geltend gemacht wird. Voraussetzung für die beschränkte Weitergeltung des AVG über den 31. Dezember 1991 hinaus ist demnach, daß noch während der Geltung des alten Rechts das subjektive Recht (“der Anspruch”) entstanden ist, bis zu dessen Aufhebung bestanden hat und bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Abs 2 aaO enthält – wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl zB BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3) – eine Sonderregelung für den Fall, daß ein bestehender Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufhebung einer Vorschrift geltend gemacht wird; dann ist für den Zeitraum, für den der Anspruch noch während der Geltung des alten Rechts entsteht, dieses weiter anzuwenden (so BT-Drucks 11/4124, S 206 zu Abs 2 des § 291 des “Gemeinsamen Fraktionsentwurfs”). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Der Anspruch wurde vorliegend iS des § 300 Abs 2 bis zum 31. März 1992 geltend gemacht. Insoweit kommt es nicht auf den “Neufeststellungsantrag”, dh den auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 44 SGB X) abzielenden Antrag an (hier: Antragstellung September 1992), sondern es ist darauf abzustellen, wann der (teil-)rechtswidrig beschiedene Rentenantrag gestellt wurde. Wird nämlich im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X ein teilweise rechtswidriger Rentenbewilligungsbescheid hinsichtlich seines rechtswidrigen Teils zurückgenommen und nunmehr eine (Teil-)Entscheidung über den insoweit nicht mehr abgeschlossenen Teil des Rentenbewilligungsverfahrens getroffen, handelt es sich materiell-rechtlich um eine Entscheidung über den (insoweit nicht mehr beschiedenen) ursprünglichen Rentenantrag, für die – verfahrensrechtlich gesehen – der Weg durch den Antrag nach § 44 SGB X (wieder) freigemacht wurde. Geltend gemacht iS des § 300 Abs 2 SGB VI wurde der materiell-rechtliche Anspruch, dh das Recht auf Rente aber auch in diesem Fall nicht erst zum Zeitpunkt des Rücknahmeantrags, sondern zu dem Zeitpunkt, zu dem der zunächst teilrechtswidrig beschiedene Rentenantrag gestellt wurde. Allein diese Auslegung des Begriffs “Geltendmachung des Anspruchs” in § 300 Abs 2 SGB VI schließt es aus, daß es in Fällen einer sog Neufeststellung von Renten nach § 44 SGB X zur Anwendung zweierlei Rechts bei der Feststellung des monatlichen Werts einer Rente und dabei zu einer echten Rückwirkung von Vorschriften des SGB VI auf Zeiten vor ihrem Inkrafttreten kommen kann; eine echte Rückwirkung ist insbesondere in denjenigen Fällen zu besorgen, in denen die Rechtspositionen von Versicherten im Vergleich zu den Regelungen des AVG durch das RRG 1992 verschlechtert wurden (zur echten Rückwirkung vgl BVerfGE 72, 200, 242; 63, 343, 353; speziell bei öffentlich-rechtlichen Anspruchsnormen vgl BVerfGE 30, 367, 386 f). Das Anliegen der Versicherungsträger, ab 1. Januar 1992 nur noch mit Vorschriften des SGB VI arbeiten zu müssen und es insoweit nur noch mit neuem Recht zu tun zu haben (vgl zu diesem Gesichtspunkt BT-Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung), kann eine derartige echte Rückwirkung und eine Durchbrechung des für § 44 SGB X maßgeblichen Restitutionsgedankens sachlich nicht rechtfertigen.
Eine Anwendung der Vorschriften des SGB VI über die Gesamtleistungsbewertung jedenfalls in der Zeit ab ihrem Inkrafttreten bis zum Wirksamwerden des Neufeststellungsbescheides vom 5. Mai 1993 kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar darf nach § 48 Abs 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft – und unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit – aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend zwar insoweit erfüllt, als sich mit dem Inkrafttreten der Vorschriften des SGB VI die für den Erlaß des Verwaltungsaktes maßgeblichen rechtlichen Verhältnisse (jedenfalls teilweise) geändert haben. Indessen ergibt sich aus dem in § 306 Abs 1 SGB VI niedergelegten Grundsatz, daß allein aus Anlaß einer Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt werden, wenn vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften ein Anspruch auf Leistung einer Rente bestand, soweit nicht spezialgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Die Änderung von Rechtsvorschriften als solche ist in Fällen der vorliegenden Art mithin grundsätzlich keine “wesentliche” Änderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, so daß eine “Totalrevision”, wie sie vorliegend von der Beklagten vorgenommen worden ist, weder auf der Grundlage des § 44 SGB X noch auf derjenigen des § 48 SGB X zulässig ist (vgl Urteil des Senats vom 18. Juli 1996, SozR 3-2600 § 300 Nr 7).
Für Rentenbezugszeiten des Klägers ab Erlaß des Rentenneufeststellungsbescheides war die Beklagte jedoch berechtigt, die Rentenberechnung insgesamt nach neuem Recht vorzunehmen. § 306 Abs 1 SGB VI steht einer Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht entgegen, wenn sich der Rentenversicherungsträger – wie vorliegend aufgrund des Antrags nach § 44 SGB X – aus einem anderen Grund als dem (bloßen) Inkrafttreten neuen Rechts erneut mit der Rente befassen und die ihr zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte neu zu bestimmen hat. Sinn der Regelung des § 300 iVm § 306 SGB VI ist es, ebenso wie bei früheren Übergangsregelungen (zB Art 2 § 12b Abs 3 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz), neues Recht nach seinem Inkrafttreten auch insoweit maßgebend sein zu lassen, als es sich um seine Anwendung auf Renten aus Versicherungsfällen vor dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens handelt (vgl § 300 Abs 1 und 3 SGB VI). Diese beschränkte Rückwirkung des neuen Rechts gilt jedoch zum Schutz bindend zuerkannter Rechte und aus Gründen der Verwaltungsentlastung nicht, wenn schon bindend bestandskräftige Entscheidungen vorliegen. Dann bleibt es ungeachtet der Neufassung der für die Rentenberechnung maßgeblichen Vorschriften bei der bisherigen Rentenbewilligung (vgl § 306 Abs 1 SGB VI). Muß oder kann jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine bindend festgestellte Rente aus anderen Gründen als der durch die Vorschriften des SGB VI bewirkten Rechtsänderung (hier: Einführung der sog Gesamtleistungsbewertung), also schon nach den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Rentenbescheiden (§§ 44 bis 49 SGB X) neu festgesetzt und die Bestandskraft des Rentenbescheides bereits deshalb durchbrochen werden, liegen keine zwingenden Gründe vor, das für die Berechnung einer Rente neue Recht weiterhin als für den Anspruch “nicht wesentlich” zu behandeln und für künftige Rentenbezugszeiten außer Betracht zu lassen (vgl BSG SozR 2200 § 1255a Nr 19 S 54; BSG SozR 5750 Art 2 § 12b Nr 2 S 6; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 7 S 6 f). Deswegen schreibt § 300 Abs 3 SGB VI – insoweit unter Verdrängung von § 306 Abs 1 SGB VI – vor, daß – abgesehen von den Fällen des § 300 Abs 2 SGB VI – § 300 Abs 1 SGB VI auch dann gilt, wenn nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992) eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen und damit persönliche Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Die Vorschrift läßt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, daß der Rentenversicherungsträger in diesen Fällen zu einer Abänderung (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X) der Festsetzung der Rentenhöhe gemäß den Vorschriften des SGB VI für die Zukunft berechtigt ist (weitergehend BSG SozR 3-2500 § 300 Nr 5). Insoweit stellt sich auch das Problem einer verfassungsrechtlich bedenklichen echten Rückwirkung neuen Rechts von vornherein nicht.
Nach allem mußte vorliegend eine Gesamtleistungsbewertung nach § 263 Abs 3 SGB VI für Zeiträume vor Erlaß des Neufeststellungsbescheides aufgrund einer Neubewertung beitragsfreier und beitragsgeminderter Zeiten ausscheiden. Der Kläger ist durch die rechtswidrige Anwendung des § 263 Abs 3 SGB VI seitens der Beklagten auch für Zeiten vor diesem Zeitpunkt allerdings nicht beschwert, da ihm diese (rechtswidrige) Vorgehensweise der Beklagten lediglich einen rechtlichen Vorteil brachte. Im übrigen hat er aber auch für die Zeit ab der Rentenneufeststellung keinen Anspruch darauf, daß seine Anrechnungszeit mit mehr als 0,0825 Entgeltpunkten bewertet wird. Dies ergibt sich aus folgendem:
Nach den Bestimmungen des insoweit am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen SGB VI werden beitragsfreie Zeiten (vgl § 54 Abs 4 SGB VI) mit dem Durchschnittswert bewertet, der sich aus der Gesamtleistung aller im belegungsfähigen Zeitraum entrichteten Beiträge ergibt (§ 72 Abs 1 SGB VI). Diesen Zeiten wird ein Wert in Form von durchschnittlichen Entgeltpunkten zugeordnet, der sich aus rentenrechtlichen Zeiten mit eigenem Wert sowie aus der Anzahl der gesamten belegungsfähigen Monate (Gesamtzeitraum ab dem 16. Lebensjahr bis einen Monat vor Beginn der Altersrente) abzüglich nicht belegungsfähiger Monate errechnet (§§ 71 f SGB VI). Beitragsfreie Zeiten in diesem Sinne sind ua Kalendermonate, die mit Anrechnungszeiten belegt sind, wenn für sie nicht auch Beiträge gezahlt worden sind (vgl § 54 Abs 4 SGB VI). Anrechnungszeiten sind ua Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 16. Lebensjahr eine Fachschule besucht und abgeschlossen hat. In zeitlicher Hinsicht werden Anrechnungszeiten wegen Besuchs einer Schule, Fachschule oder Hochschule höchstens bis zu insgesamt sieben Jahren berücksichtigt (§ 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI). Bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte werden sie zudem nicht mit dem gesamten, sich aus der Gesamtleistungsbewertung ergebenden Betrag berücksichtigt; vielmehr schreibt § 74 SGB VI insoweit eine begrenzte Gesamtleistungsbewertung vor. Der sich aus der Gesamtleistungsbewertung ergebende Wert (beim Kläger 0,0943 Entgeltpunkte) wird für jeden Kalendermonat mit Anrechnungszeiten wegen Besuchs einer Schule, Fachschule oder Hochschule auf 75 vH begrenzt. Die begrenzte Gesamtleistungsbewertung für Anrechnungszeiten wegen Besuchs einer Schule, Fachschule oder Hochschule darf zudem für einen Kalendermonat 0,0625 Entgeltpunkte nicht übersteigen (§ 74 Satz 2 SGB VI). Abweichend hiervon bestimmt die (Übergangsvorschrift des § 263 Abs 3 SGB VI in Form einer Tabelle, daß “bei Beginn der Rente” in den Jahren 1992 bis 2003 bei der begrenzten Gesamtleistungsbewertung an die Stelle der in § 74 SGB VI ua genannten Werte von 75 vH und 0,0625 Entgeltpunkten andere, höhere Vomhundertsätze bzw höhere Entgeltpunkte treten. Bei einem Rentenbeginn im Jahre 1992 wird nach Maßgabe der Tabelle des § 263 Abs 3 SGB VI der sich aus der Gesamtleistungsbewertung ergebende Betrag für jeden Kalendermonat Ausbildungs-Anrechnungszeiten auf 99 vH begrenzt; zudem darf die begrenzte Gesamtleistungsbewertung für Anrechnungszeiten wegen Besuchs ua einer Fachschule für einen Kalendermonat 0,0825 Entgeltpunkte nicht übersteigen. Den zuletzt genannten Entgeltpunktewert hat die Beklagte auch im vorliegenden Fall der Rentenberechnung des Klägers zugrunde gelegt. Hierdurch ist der Kläger nicht beschwert.
§ 263 Abs 3 SGB VI enthält keine Regelung für diejenigen Fälle, in denen der Rentenbeginn – wie beim Kläger – im Jahre 1991 oder früher lag. Auch dieser Umstand macht deutlich, daß das Gesetz eine Anwendbarkeit der Vorschriften über die Gesamtleistungsbewertung auf Rentenbezugszeiten vor dem 1. Januar 1992 in keinen Fall in Betracht zieht und die Beklagte auch aufgrund § 300 Abs 3 SGB VI iVm § 48 SGB X anläßlich eines Verfahrens nach § 44 SGB X nicht berechtigt war, § 263 Abs 3 SGB VI auf Rentenbezugszeiten vor dem 1. Januar 1992 anzuwenden. Aber selbst wenn das Vorliegen einer gesetzlichen Lücke unterstellt würde, könnte diese entgegen der Ansicht des Klägers allenfalls durch die analoge Anwendung geltenden Rechts, dh tatsächlich bestehender und geltender Rechtsvorschriften geschlossen werden. Eine begrenzte Gesamtleistungsbewertung von Ausbildungs-Anrechnungszeiten im Umfang von 100 vH des sich aus der Gesamtleistungsbewertung ergebenden Wertes bzw mit maximal 0,0833 Entgeltpunkten sieht das geltende (Übergangs-)Recht jedoch nicht vor, so daß es für das Begehren des Klägers an der erforderlichen Analogiebasis fehlen würde. Zur Schließung der aufgezeigten Lücke könnte insbesondere nicht – was wohl am ehesten den Vorstellungen des Klägers entspricht – partiell auf Vorschriften des AVG, insbesondere auf § 32a Abs 2 Satz 1 AVG, zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift wurde bei der Bewertung von Ausbildungs-Ausfallzeiten (vgl § 36 Abs 1 Nr 4 AVG), die in der Zeit vor dem 1. Januar 1965 lagen, zwar der Wert 8,33 berücksichtigt, wenn die für die Bewertung dieser Zeiten maßgeblichen Beitragszeiten einen Durchschnittswert von 8,33 Werteinheiten oder mehr ergab. Einer Anwendung dieser Vorschrift im Wege richterlicher Rechtsfortbildung steht aber entgegen, daß hierdurch das Ziel der §§ 300 f SGB VI unterlaufen würde, es nicht zu einer gleichzeitigen Anwendung alten und neuen Rentenrechts für denselben Rentenbezugszeitraum und es damit zu Selektionsprozessen kommen zu lassen. Bei der Rentenneuberechnung des Klägers fand somit auch bei unterstelltem Vorliegen einer Regelungslücke für den Rentenbeginn im Jahre 1991 durch entsprechende Anwendung der für einen Rentenbeginn im Jahre 1992 geltenden Vorschrift die günstigste Regelung des geltenden Rechts überhaupt Anwendung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen