Leitsatz (amtlich)
Ein Knappschaftsrentner, der nicht nur in der knappschaftlichen KVdR sondern auch noch freiwillig in der knappschaftlichen KV weiterversichert ist, hat für seine Ehefrau auch dann Anspruch auf Familienhilfe, wenn diese selbst in einer privaten KV versichert ist.
Erhält die Ehefrau allerdings als Rentnerin von einem Rentenversicherungsträger einen Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4, so muß die Ehefrau zunächst mit ihrer privaten KV abrechnen. Die von dieser erbrachten Leistungen muß sich der Ehemann auf die ihm im Rahmen der Familienhilfe zustehenden Leistungen anrechnen lassen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Abs. 3 Fassung: 1949-05-23; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 205 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 381 Abs. 4 Fassung: 1967-12-21; RKG § 15 Fassung: 1957-05-21, § 20 Fassung: 1957-05-21; FinÄndG 1967 Art. 3 § 3 Fassung: 1967-12-21; RVO § 257a Abs. 3 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. Dezember 1975 abgeändert:
Es wird festgestellt, daß der Kläger insoweit Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau aus seiner freiwilligen Versicherung bei der Beklagten hat, als die im Wege der Familienhilfe zu erbringenden Leistungen nicht durch die private Krankenversicherung der Ehefrau gedeckt sind.
Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1904 geborene Kläger begehrt die Feststellung, daß er aus seiner Weiterversicherung in der knappschaftlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau hat.
Der Kläger ist nicht nur als Knappschaftsrentner in der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten pflichtversichert, sondern gehört außerdem der knappschaftlichen Krankenversicherung als weiterversichertes Mitglied an.
Die Ehefrau des Klägers erhält seit dem 1. Juli 1957 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ebenfalls eine Rente. Bei der Bewilligung dieser Rente hing die Pflichtmitgliedschaft der Krankenversicherung der Rentner noch von der Erfüllung einer Vorversicherungszeit in einer gesetzlichen Krankenkasse ab. Da die Ehefrau des Klägers diese Voraussetzung nicht erfüllte, hatte sie sich privat bei der "Deutschen Krankenversicherung-AG K/B" versichert. Für diese Privatversicherung zahlt die BfA einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach der Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 gab die Ehefrau die für sie mögliche Erklärung, in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner versichert zu werden, nicht ab. Sie machte auch nicht von dieser erneut durch Artikel 4 § 3 des zweiten Krankenversicherungsgesetzes vom 31. Dezember 1970 bis zum 31. März 1971 gegebenen Möglichkeit Gebrauch, so daß sie von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO als befreit gilt (Art. 3 § 3 Finanzänderungsgesetz 1967).
In der Folgezeit gewährte die Beklagte dem Kläger für seine Ehefrau Familienhilfe aus der knappschaftlichen Krankenversicherung und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Oktober 1973 mit, daß sie nach eingehender Prüfung der Rechtslage bereit sei, für seine Ehefrau einen Familienhilfeanspruch im Rahmen des § 205 RVO anzuerkennen. Mit Schreiben vom 24. Juni 1974 widerrief sie diese Bereitschaft und eröffnete dem Kläger, er habe keinen Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau, weil diese freiwillig auf den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz verzichtet und damit zu erkennen gegeben habe, daß sie nicht in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden wolle. Auch wenn nachträglich der private Krankenversicherungsvertrag gekündigt würde, würde kein Familienhilfeanspruch begründet. Auf eine Gegenvorstellung des Klägers erteilte sie ihm hierüber am 19. Juli 1974 einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1974 zurückgewiesen. Auf Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit Urteil vom 19. Dezember 1975 den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1974 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 1974 aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau habe. Dies ergebe sich aus § 205 Abs. 1 RVO. Die Ehefrau sei unterhaltsberechtigt, halte sich gewöhnlich im Inland auf und habe keinen eigenen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege. Es sei nicht richtig, daß dieser Anspruch deshalb nicht bestehe, weil die Ehefrau von der nach dem Finanzänderungsgesetz und dem zweiten Krankenversicherungsgesetz eingeräumten Möglichkeit, Pflichtmitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung zu sein, keinen Gebrauch gemacht habe. Wegen des eindeutigen Wortlauts des § 205 Abs. 1 RVO könne auch der Meinung der Beklagten, der Ehefrau des Klägers sei durch den Beitragszuschuß zu ihrer privaten Krankenversicherung in gewisser Weise ein kostenfreier Versicherungsschutz gegeben, nicht gefolgt werden. Das Gesetz sehe für die Angehörigen volle Familienhilfe aus der gesetzlichen Krankenversicherung vor und nicht lediglich einen Beitragszuschuß zur privaten Krankenversicherung. Gegen das Urteil hat das SG die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers Revision eingelegt. Sie weist darauf hin, daß die Ehefrau des Klägers für den Krankheitsfall selbst Vorsorge getroffen habe, und zwar durch den Erwerb des Versicherungsschutzes bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen. Auf Grund dieser bereits vor dem Inkrafttreten des Finanzänderungsgesetzes bestehenden privaten Versicherung sei die Ehefrau kraft Gesetzes von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO befreit. Für die Beiträge zu dem privaten Krankenversicherungsunternehmen werde von der BfA nach § 381 Abs. 4 RVO ein Beitragszuschuß gewährt. Dieser von einer versicherten Gemeinschaft aufzubringende Beitragszuschuß sei zweckbestimmt. Im übrigen trage er dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, allen Rentnern einen eigenen Krankenversicherungsschutz zu ermöglichen. Dieser eigene Versicherungsschutz der Ehefrau enthebe den Kläger insoweit von seinen Sorgepflichten. Es widerspreche in diesem Falle dem Schutzzweck des § 205 Abs. 1 RVO, wenn neben den Ansprüchen aus der privaten Krankenversicherung, die anstelle der gesetzlichen Pflichtversicherung gewählt worden sei, auch Leistungen der Familienhilfe aus der Versicherung des Klägers für die bereits versorgte Ehefrau erbracht würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 19. Dezember 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 19. Dezember 1975 zurückzuweisen.
Der Kläger ist mit dem SG der Ansicht, daß sich der geltend gemachte Anspruch aus § 205 Abs. 1 RVO ergibt. Er weist auch noch darauf hin, daß die Beklagte der Ehefrau des Klägers bis zum Jahre 1974 Familienhilfe gewährt habe und ihm im Schreiben vom 22. Oktober 1973 mitgeteilt worden sei, daß die Beklagte nach eingehender Prüfung der Rechtslage bereit sei, für seine Ehefrau einen Familienhilfeanspruch im Rahmen des § 205 RVO anzuerkennen. Durch die Gewährung von Familienhilfe habe die Ehefrau keine Veranlassung gesehen, sich als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse anzumelden. Deshalb habe sie die hierzu festgelegten Anmeldefristen des Finanzänderungsgesetzes 1967 und des zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes ungenützt verstreichen lassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem Beschluß vom 9. Juni 1975 (SozR 2200 § 205 Nr. 4) entschieden, es sei mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) und mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, § 205 Abs. 1 RVO dahin auszulegen, daß die eigene gesetzliche Krankenversicherung einer Rentnerin auch die im Rahmen der Familienhilfe gewährten wesentlich günstigeren Leistungen aus einer zusätzlichen freiwilligen Versicherung ihres Ehemannes bei der Knappschaft verdränge. Mit Art. 3 Abs. 1 GG sei es auch nicht vereinbar, die §§ 15 und 20 RKG und den § 257 a RVO dahin auszulegen, daß die in § 257 a Abs. 3 RVO neu versicherten Rentner eingeräumte Möglichkeit, ihre eigene Krankenversicherung beim Versicherungsträger ihres Ehegatten durchzuführen, für die Ehegatten von knappschaftlich Krankenversicherten nicht gelte. Diese Entscheidung ist auch für den vorliegenden Fall bedeutsam. Der Unterschied zu dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall liegt lediglich darin, daß die Ehefrau des Klägers, die bereits vor dem Inkrafttreten des Finanzänderungsgesetzes 1967 einen Beitragszuschuß von der BfA zu ihrer privaten Krankenversicherung erhielt, für sich keinen Antrag auf Durchführung der Krankenversicherung der Rentner bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt hat, so daß sie nach Art. 3 § 3 des Finanzänderungsgesetzes 1967 als von der Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO befreit gilt. In derartigen Fällen wird vom Rentenversicherungsträger (hier von der BfA) ein Beitragszuschuß zu dem Beitrag für die private Krankenversicherung nach § 381 Abs. 4 RVO gewährt. Dieser Zuschuß ist gerechtfertigt, weil die private Krankenversicherung ganz oder teilweise die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner ersetzt. Aus dieser Funktion und aus dem Beitragszuschuß, der dem Durchschnitt der von den Rentenversicherungsträgern für die pflichtversicherten Rentner zur Verfügung gestellten Beiträgen entspricht, ergibt sich, daß es nicht gerechtfertigt wäre, den Kläger anders zu stellen, als wenn seine Ehefrau ihren Krankenversicherungsschutz durch die Krankenversicherung der Rentner bei einer gesetzlichen Krankenkasse sichergestellt hätte. Obwohl es sich hier um eine private Krankenversicherung handelt, ist es wegen des gesetzlich vorgesehenen Beitragszuschusses des Rentenversicherungsträgers aus Mitteln der Versichertengemeinschaft gerechtfertigt, den vorliegenden Fall entsprechend dem vom BVerfG entschiedenen Fall zu behandeln. Die Interessenlage ist hier nicht anders als in den Fällen, in welchen die Ehefrau eines Versicherten von der Versichertengemeinschaft eine kostenlose Krankenversicherung in Form der Rentnerkrankenversicherung erhält.
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung hervorgehoben, daß der "Grundsatz der Unteilbarkeit der Leistungen" die von ihm getroffene Entscheidung nicht beeinflussen könne. Diesem Grundsatz sei, weil die Leistungsbreite für die Versicherungsträger überschaubar sein müsse und die beliebige Aufteilung von Einzelansprüchen kaum praktikabel sei, zwar eine Berechtigung nicht abzusprechen; der Grundsatz entbinde aber nicht von der Pflicht, zwischen den Interessen des Bürgers und der Allgemeinheit abzuwägen, wenn die Leistungen im Rahmen der Familienhilfe aus der freiwilligen Versicherung des Ehemannes von den Leistungen aus der eigenen Versicherung der Ehefrau erheblich abwichen. Eine Aufspaltung der Leistungen sei auch nicht undurchführbar. Es sei durchaus möglich, daß die Ehefrauen zunächst die Ansprüche aus ihrer eigenen Versicherung abrechneten und der Ehemann dann den Rest ihrer Aufwendungen im Rahmen der Familienhilfe gegen seine freiwillige Versicherung geltend mache. Ein solches Verfahren habe die Beklagte sogar selbst bis zum Jahre 1961 praktiziert. Das BVerfG gibt also zu erkennen, ... daß grundsätzlich zuerst die Leistungen der eigenen Versicherung und dann erst die Leistungen aus der Familienhilfe der freiwilligen Versicherung des Ehemannes in Anspruch genommen werden können, und zwar nur soweit, als sie nicht bereits durch die eigene Versicherung abgedeckt sind.
Die Ehefrau des Klägers muß also ihre Krankenkosten zunächst mit ihrer eigenen privaten Versicherung abrechnen. Anschließend muß der Ehemann die entstandenen Kosten mit seiner freiwilligen Versicherung abrechnen, wobei er sich allerdings die von der Privatversicherung seiner Ehefrau erbrachten Leistungen anrechnen lassen muß.
Weitergehende Ansprüche des Klägers ergeben sich auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 22. Oktober 1973. Aus der grundsätzlichen Zusage von Leistungen aus der Familienhilfe bzw. aus der grundsätzlichen Anerkennung eines solchen Anspruchs kann der Kläger nicht herleiten, daß anderweitig erbrachte Kassenleistungen für denselben Versicherungsfall nicht angerechnet werden dürften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen