Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 1968 wird zurückgewiesen,

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Dem Kläger stieß am 7. August 1964 beim Abladen eines Strohwagens ein Unfall zu. Mit Bescheid vom 26. Juli 1966 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall mit den Unfallfolgen „abgeklungene Beschwerden nach leichter Gehirnerschütterung” an. Sie gewährte dem Kläger eine vorläufige Rente, und zwar für die Zeit vom 8. August bis 7. September 1964 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. und für die Zeit vom 8. September 1964 bis 28. Februar 1965 nach einer MdE von 30 v.H. Für die Folgezeit lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, weil vom 1. März 1965 an Unfallfolgen in rentenberechtigendem Grade (mindest 10 v.H.) nicht mehr vorgelegen hätten. Die Beklagte stellte diesen Bescheid dem Kläger mittels eingeschriebenen Briefes zu, den sie am 27. Juli 1966 zur Post gab.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. August 1966, der am 31. August 1966 beim Sozialgericht (SG) Koblenz eingegangen ist, Klage erhoben. Auf Anfrage der Beklagten vom 27. September 1966 teilte das Postamt 1 in Düsseldorf der Beklagten mit, daß der von ihr am 27. Juli 1966 beim Postamt Düsseldorf 1 eingelieferte Einschreibebrief dem Kläger am 28. Juli 1966 postordnungsmäßig ausgehändigt worden sei. Durch Urteil vom 17. Mai 1967 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, sie sei nicht fristgerecht erhoben worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Der Kläger habe die Klagefrist versäumt. Der Bescheid vom 26. Juli 1966 sei unter seiner Anschrift am 27. Juli 1966 mittels eingeschriebenen Briefes zur Post gegeben worden.

Hierüber sei auch in kürzester Form (Datumstempel mit Handzeichen eines Beamten der Beklagten) ein Vermerk in den Akten der Beklagten aufgenommen worden. Dieser Vermerk genüge dem Erfordernis des § 4 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Gemäß § 4 Abs. 1 VwZG gelte somit der Bescheid als am 30. Juli 1966 dem Kläger zugestellt. Die Klagefrist sei deshalb am 30. August 1966 abgelaufen. Die erst am 31. August 1966 erhobene Klage sei somit verspätet. Das SG habe dem Kläger auch zu Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist versagt, weil die Fristversäumnis auf seinem Verschulden beruhe.

Das LSG hat die Revision zugelassen, weil über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung – Form und Bedeutung des Vermerks gemäß § 4 Abs. 2 VwZG – zu entscheiden sei.

Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt, das LSG habe die §§ 64, 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 4 VwZG verletzt. Er ist der Ansicht, der bloße Datumstempel mit Handzeichen eines Beamten der Beklagten entspreche hinsichtlich Form und Zweck nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 4 VwZG. Außerdem könne es ihm nicht zum Nachteil gereichen, daß sein Prozeßbevollmächtigter erster Instanz möglicherweise die Klagefrist versäumt habe. Bei richtiger Würdigung aller festgestellten Tatsachen hätte ihm nach § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gewährt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 26. Juli 1966 und Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Koblenz vom 17. Mai 1967 sowie des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 1968 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger aus Anlaß seines landwirtschaftlichen Unfalls vom 7. August 1964 Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 28. Februar 1965 hinaus zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

II

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Zustellung oder, wenn nicht zugestellt wird, nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 1966 unter der Anschrift des Klägers am 27. Juli 1966 gemäß dem für sie für Zustellungen maßgeblichen VwZG mittels eingeschriebenen Briefes zur Post gegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 VwZG ist in den Akten zu vermerken, an welchem Tag der Brief zur Post gegeben worden ist. Auf der Urschrift des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 26. Juli 1966 befindet sich neben der Anschrift des Klägers und unter dem Wort „Einschreiben” ein Vermerk in Form des Datumstempels „27. Juli 1966” mit Handzeichen eines Bediensteten der Beklagten.

Die Frage, ob der nach § 4 Abs. 2 VwZG vorgeschriebene Vermerk Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung ist, so daß Fristen nicht in Lauf gesetzt werden, wenn er fehlt, beantwortet das Schrifttum überwiegend in verneinendem Sinne (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. zu § 4 VwZG – bei § 63 SGG – S. 186/61; von Rosen/von Hoewel, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz, § 4 VwZG, Anm. B I 1 c; Kohbrust/Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, § 4 VwZG, Anm. 3). Demgegenüber vertritt der Bundesfinanzhof (NJW 1970, 80 = DStR 1969, 463; so auch Bayer. OLG in NJW 1967, 2064, LG Frankfurt/Main in NJW 1969, 2216 und Schleswig-Holst. LSG im Urteil vom 11. Dezember 1970 – L 1 U 46/70) die Auffassung, daß die Zustellung unwirksam sei, wenn der nach § 4 Abs. 2 VwZG anzubringende Vermerk fehle. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Beschluß seines 9. Senats vom 20. Juni 1969 (SozR Nr. 7 zu § 4 VwZG) die aufgeworfene Frage unentschieden gelassen, aber die Richtigkeit der angeführten Rechtsprechung nachdrücklich in Zweifel gezogen. Auch der erkennende Senat hat erhebliche Bedenken, den Vermerk nach § 4 VwZG den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer ordnungsmäßigen Zustellung zuzurechnen. Allerdings sieht auch der Bundesgerichtshof (BGH) in dem nach §§ 175, 213 Satz 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) anzubringenden Vermerk über die dort behandelte Zustellung durch Aufgabe zur Post in ständiger Rechtsprechung eine zwingende Zustellungsvorschrift (vgl. Urteil vom 10. April 1963, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des BGH, BEG § 197 Nr. 2, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die beiden Zustellungsvorschriften sind jedoch nicht vergleichbar. Im Falle der §§ 175, 213 ZPO bedarf es einer strengen Handhabung und Wertung des Vermerks, weil hier mit der Aufgabe zur Post die Zustellung als bewirkt angesehen wird, selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt (§ 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Demgegenüber ist die Aufgabe eines eingeschriebenen Briefes zur Post nach § 4 VwZG nicht der Zustellung selbst gleichzusetzen. Diese ist erst wirksam, wenn die Post den Brief tatsächlich ausgehändigt hat. Gemäß § 4 Abs. 1 letzter Halbsatz VwZG hat im Zweifel die Behörde den Zugang des Schriftstückes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Hiernach dürfte der Zweck des § 4 Abs. 2 VwZG lediglich darin liegen, den Tag der Aufgabe des Einschreibebriefes bei der Post festzuhalten, um den Nachweis der vermuteten Zustellung im Sinne des § 4 Abs. 1 VwZG zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Einer abschließenden Beurteilung, welche Bedeutung dem nach § 4 Abs. 2 VwZG anzubringenden Vermerk zukommt, bedarf es jedoch im vorliegenden Fall nicht, weil der auf der Urschrift des Bescheides vom 26. Juli 1966 befindliche Vermerk, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, den Anforderungen des Gesetzes genügt.

§ 4 Abs. 2 VwZG schreibt weder vor, welcher Form der geforderte Vermerk zu entsprechen hat, noch von wem er zu fertigen ist. Es muß deshalb genügen, wenn die in der internen Aktenführung von Verwaltungsbehörden allgemein übliche Form, insbesondere für die Beurkundung der Aufgabe einer Postsendung, gewahrt wird. Nach dieser Übung bedarf es vor allem nicht der Unterzeichnung des Vermerks mit vollem Namen, vielmehr genügt das Namenszeichen des zuständigen Bediensteten der Absendebehörde (so auch Geiger, Bayerische Verwaltungsblätter 1970, 280, 281; LG Frankfurt/Main, NJW 1969, 2216). Dafür spricht ferner die Regelung des § 17 Abs. 4 VwZG; danach genügt es für die Zustellungen im Besteuerungsverfahren durch Zusendung mittels einfachen Briefes, daß der mit der Absendung beauftragte Beamte den Vermerk mit seinem Namenszeichen versieht. Für die Aufgabe zur Post mittels eingeschriebenen Briefes, also eine mit größeren Sicherungen versehene Zustellungsart als die des § 17 VwZG, muß demnach das Namenszeichen des für die Absendung zuständigen Bediensteten erst recht ausreichen, Aus einem Vergleich zwischen § 4 Abs. 2 und § 17 Abs. 4 VwZG zieht der Senat weiterhin den Schluß, daß an den Inhalt des Vermerks im Falle des § 4 Abs. 2 keinesfalls strengere, eher leichtere Anforderungen zu stellen sind als im Falle des § 17 Abs. 4 VwZG. Die Worte „zur Post am” erscheinen entbehrlich, wenn das mit dem Handzeichen versehene Datum oder ein Datumstempel so angebracht ist, daß vor allem wegen einer engen räumlichen Verbindung mit dem Wort „Einschreiben” oder „Einschreibsendung”, eindeutig erkennbar ist, daß sich der Vermerk auf die Aufgabe zur Post bezieht.

Diesen Grundsätzen entsprechend hat das LSG im vorliegenden Fall zutreffend entschieden, daß der auf der Urschrift des angefochtenen Bescheides neben der Anschrift des Klägers befindliche Vermerk in der Form des Datumstempels „27. Juli 1966” mit dem Handzeichen eines Bediensteten der Beklagten den Erfordernissen des § 4 Abs. 2 VwZG genügt. Der Vermerk läßt eindeutig erkennen, daß er sich auf den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 1966 bezieht und den Tag der Aufgabe zur Post mittels eingeschriebenen Briefes – 27. Juli 1966 – festhält.

Nach § 4 Abs. 1 VwZG gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes die Sendung mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Da feststeht, daß der mittels Einschreibebriefes zugestellte Bescheid vom 26. Juli 1966 dem Kläger, der dies auch zugibt, nicht nach dem 30. Juli 1966, vielmehr schon am 28. Juli 1966 postordnungsmäßig zugestellt worden ist, gilt der 30. Juli 1966 als Tag der Zustellung. Demnach hat die einmonatige Klagefrist (§ 87 SGG), da auch die dem Bescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung richtig war (§ 66 Abs. 1 SGG), am 31. Juli 1966 zu laufen begonnen und mit dem 30. August 1966 ihr Ende gefunden. Die erst am 31. August 1966 erhobene Klage ist demnach, wie das LSG zu Recht entschieden hat, verspätet.

Dem Kläger ist in den Vorinstanzen auch mit Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist versagt worden. Eine solche Wiedereinsetzung setzt voraus, daß die Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden beruht (§ 67 Abs. 1 SGG). Als eigenes Verschulden muß sich ein Prozeßbeteiligter auch ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten anrechnen lassen (BSG 11, 158). Nach dem festgestellten Sachverhalt sind keine Umstände ersichtlich und auch von der Revision nicht vorgetragen worden, die den verspäteten Eingang der Klageschrift beim SG entschuldigen könnten.

Die Revision des Klägers ist somit zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Unterschriften

Schmitt, Dr. Witte, Mellwitz

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 09.06.1971 durch Bittner Amtsinspektor als UrkBeamter d.Geschäftsstelle

 

Fundstellen

NJW 1971, 1632

MDR 1971, 960

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge