Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall. absolute Fahruntüchtigkeit. Alkoholeinwirkung. Ursachenlehre Wertungsmaßstab bei Wegegefahr und Alkoholeinwirkung

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff. Ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, ist nach dem Wert zu beurteilen, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt.

2. Die Prüfung, ob ein Tatumstand, der neben der Alkoholbeeinflussung als mitwirkende Ursache des Unfalls in Betracht kommt, für das Zustandekommen des Unfalls rechtlich wesentlich ist, setzt eine vergleichende Wertung der Unfallursachen voraus. Die einzelnen Ursachen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nur so läßt sich beurteilen, ob und in welchem Umfange sie für das Zustandekommen des Unfalls rechtliche Bedeutung haben (vgl BSG 1962-10-30 2 RU 205/61 = BSGE 18, 101).

 

Normenkette

RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 08.11.1979; Aktenzeichen L 3 U 126/78)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 08.09.1978; Aktenzeichen S 2 U 189/77)

 

Tatbestand

Die Kläger begehren als Hinterbliebene des tödlich verunglückten Maurers W F (F.) von der Beklagten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Am 2. Juli 1977 hatte F. auf der Baustelle S in S gearbeitet. Von dort fuhr er gegen 21.10 Uhr mit seinem Pkw über die Gemeindestraße zur Bundesstraße B 209 und auf dieser in südwestlicher Richtung bis zur Gaststätte "Im H". Hier kehrte er ein, setzte dann aber die Fahrt zu seiner Wohnung auf der gegenüber der Gaststätte von der B 209 in nordwestlicher Richtung abzweigenden Kreisstraße K 22 fort. In etwa 800 m Entfernung von der B 209 mündet in die K 22 eine aus nordöstlicher Richtung kommende Gemeindestraße. An dieser Stelle knickt die K 22 leicht in nord-nordwestlicher Richtung ab, und zwar nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) in einem Winkel von etwa 35 Grad. Im Einmündungsbereich der Gemeindestraße war zwischen der geteerten Fahrbahn der K 22 und der mit S-Steinen belegten Gemeindestraße eine 10 bis 15 cm tiefe und etwa 70 cm lange ovale Bodenvertiefung. Etwa 85 m hinter dieser Einmündung prallte F. gegen 22.00 Uhr mit seinem Pkw gegen einen auf der in Fahrtrichtung linken Straßenseite stehenden Baum beim Kilometerstein 0,8 und erlitt dabei tödliche Verletzungen. Eine um 23.00 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 21,3 Promille. Durch Bescheide vom 12. Oktober 1977 und 12. Mai 1978 lehnte die Beklagte Hinterbliebenenleistungen an die Klägerin mit der Begründung ab, andere wesentliche Ursachen als die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit des F. fehlten.

Mit dem Vorbringen, F. sei wesentlich auch infolge des schlechten Zustandes der K 22 im Einmündungsbereich der Gemeindestraße verunglückt, hatten die Kläger im Klageverfahren Erfolg. Mit Urteil vom 8. September 1978 hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Klägern die Leistungen als Hinterbliebene des F. zu gewähren. Die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 8. November 1979 als unzulässig verworfen, soweit sie Überbrückungshilfe und Sterbegeld betraf, und sie im übrigen zurückgewiesen. Zum Berufungsausschluß hat es auf § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verwiesen. Zum Rentenanspruch hat es ausgeführt, welche von den zum Unfall führenden Bedingungen in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne als Ursache oder Mitursache im Rechtssinne in Betracht komme, müsse durch Wertung und Abwägung der einzelnen Bedingungen gegeneinander unter Berücksichtigung des Schutzzweckes der Norm entschieden werden. Neben den allgemein üblichen Wegegefahren sei eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht nur ursächlich für das Zustandekommen des Unfalls, sondern allein wesentlich dafür, wenn der Versicherte im nüchternen Zustand den Unfall wahrscheinlich vermieden hätte. Bestünden jedoch neben der auf Alkoholgenuß beruhenden Verkehrsuntüchtigkeit über das übliche Maß hinausgehende Wegegefahren oder andere betriebsbedingte Umstände, so führe die Frage, ob der Versicherte im nüchternen Zustand den Unfall vermieden hätte, nicht weiter. Es sei nämlich das Wesen mehrerer Mitursachen - auch wenn sie nur Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne seien -, daß bei Wegfall einer Bedingung auch der Erfolg (Unfall) entfalle. Unter Hinweis auf die nur 4 m breite K 22, die im Einmündungsbereich der Gemeindestraße im Winkel von etwa 35 Grad abknicke und dort unmittelbar neben der Fahrbahn eine Vertiefung aufweise, hat das LSG sodann ausgeführt, es lasse sich zwar nicht ausschließen, daß F. in nüchternem Zustand nicht in die Vertiefung geraten wäre; er hätte aber im nüchternen Zustand auch leicht in diese Vertiefung geraten können. Im Vergleich zu dem alkoholbedingten Fehlverhalten träten deshalb die festgestellten Straßenverhältnisse als Unfallursache nicht völlig in den Hintergrund. Mitursache des tödlichen Unfalls des F. sei vielmehr auch die Vertiefung an der Einmündung der Gemeindestraße gewesen, bei deren Durchfahren F. die Gewalt über sein Fahrzeug verloren habe.

Mit der auf Beschwerde der Beklagten durch Beschluß des Senats vom 29. August 1980 zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO) infolge fehlerhafter Anwendung der für die Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm. Sie macht geltend, das LSG habe zu Unrecht den Straßenzustand, insbesondere die Vertiefung an der Einmündung der Gemeindestraße in die K 22 als Mitursache des tödlichen Unfalls angesehen. F. habe die nur wenige hundert Meter von seiner Wohnung entfernte Gefahrenstelle aus der täglichen Fahrpraxis gekannt. Wenn er sie zur Unfallzeit mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h passiert habe, habe er die Gefährlichkeit infolge seiner Alkoholbeeinflussung nicht beachtet. Wenn auch verbotswidriges Handeln den Unfallversicherungsschutz nicht grundsätzlich ausschließe, so enthebe dies den Kraftfahrer doch nicht der Beachtung des § 3 der Straßenverkehrsordnung. Nicht beachtet habe das LSG auch, daß nach dem Polizeibericht vom 24. Juli 1977 auf das verunglückte Fahrzeug hinweisende Spuren in der Vertiefung nicht gefunden worden seien. Nach dem Grundsatz des Beweises des ersten Anscheins spreche somit bereits die Lebenserfahrung dafür, daß die auf Alkoholbeeinflussung beruhende Fahrunsicherheit den Unfall rechtlich allein verursacht habe.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts

Niedersachsen vom 8. November 1979 und des

Sozialgerichts Lüneburg vom 8. September 1978

die Klagen abzuweisen, soweit die Beklagte zur

Gewährung von Hinterbliebenenrenten verurteilt worden ist.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Mit der Revision angefochten ist das Urteil des LSG nur insoweit, als die Hinterbliebenenrente streitig ist; dagegen ist das Urteil rechtskräftig, soweit es den Anspruch der Klägerin zu 1) auf Überbrückungshilfe und Sterbegeld betrifft. Soweit die Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Hinterbliebenenrente zurückgewiesen worden ist, ist die Revision im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet. Denn die Feststellungen des LSG vermögen diese Verurteilung nicht zu tragen.

Zutreffend hat das LSG zunächst den Versicherungsschutz hier nicht deshalb verneint, weil F. zwischen Arbeitsstelle und Wohnung nicht den kürzesten Weg von 2,5 km gewählt hat, für den er drei Minuten und zehn Sekunden gebraucht hätte, sondern den längeren Weg von 3,1 km, der jedoch zeitlich in zwei Minuten und fünfzig Sekunden zurückgelegt werden konnte. Dies war kein die Verbindung zur Beschäftigung auflösender erheblicher Abweg.

Zutreffend hat das LSG auch die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit als nicht allein wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalls angesehen, soweit ein betriebsbedingter - hier wegebedingter - Umstand nicht nur eine Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne für den Unfall darstellt, sondern dazu auch nach der auf dem Gebiet der Sozialversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung rechtserheblich beigetragen hat. Wenn das LSG im Anschluß daran ausgeführt hat, bei der hier erforderlichen Abwägung werde man von vornherein die allgemeine Wegegefahr außer Betracht lassen können, so daß bei alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit diese nicht nur ursächlich, sondern auch allein wesentlich für den Unfall sei, so sind diese Ausführungen für die Entscheidung des Falles unerheblich, weil es sich hier nach der Beurteilung des LSG um eine besondere Wegegefahr gehandelt hat.

Die Auffassung des LSG, bei einer über das übliche Maß hinausgehenden Wegegefahr führe die Frage, ob der Versicherte den Unfall in nüchternem Zustand vermieden hätte, nicht weiter, vermag der Senat jedoch nicht zu teilen. Bestehen nämlich neben der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit über das übliche Maß hinausgehende Wegegefahren, so folgt daraus, daß die Wegegefahr Bedingung des Unfalls im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ist, noch nichts für die Bewertung ihres Einflusses auf den Eintritt des Unfalls und damit für ihre rechtliche Qualität als Mitursache. Die Frage, ob neben der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit die über das übliche Maß hinausgehende Wegegefahr den Unfall im Rechtssinne wesentlich mitverursacht hat, führt entgegen der Auffassung des LSG durchaus weiter. Ihre Beantwortung ermöglicht es nämlich, aus der Vielzahl der Bedingungen unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes diejenigen herauszuarbeiten, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl BSGE 1, 72, 76). Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß diese als rechtlich nicht wesentliche Mitursachen für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben müssen. Der Begriff der rechtlich wesentlichen Ursache ist ein Wertbegriff. Ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, ist nach dem Wert zu beurteilen, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt. Danach ist die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit, die bei der Entstehung des Unfalls mitgewirkt hat, gegenüber den betriebsbedingten Umständen - hier der besonderen Wegegefahr - als rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens der Verkehrsteilnehmer ohne den Alkoholeinfluß bei derselben Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre (BSGE 12, 242, 245, 246; 13, 13, 15). Die Prüfung, ob ein Tatumstand, der neben der Alkoholbeeinflussung als mitwirkende Ursache des Unfalls in Betracht kommt, für das Zustandekommen des Unfalls rechtlich wesentlich ist, setzt eine vergleichende Wertung der Unfallursachen voraus. Die einzelnen Ursachen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nur so läßt sich beurteilen, ob und in welchem Umfange sie für das Zustandekommen des Unfalls rechtliche Bedeutung haben (BSGE 18, 101, 103).

Im Leitsatz der zuletzt genannten Entscheidung kommt allerdings ein Gedanke zum Ausdruck, der der Auffassung des LSG zur Frage, ob in Fällen besonderer Wegegefahren der Versicherte im nüchternen Zustand den Unfall vermieden hätte, nahezukommen scheint. Hier hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) für die Frage, ob der Unfall hätte vermieden werden können, wenn der Verunglückte nicht unter Alkoholeinfluß gestanden hätte, dann keinen Raum gesehen, wenn bei der Entstehung des Unfalls außer der auf Alkoholgenuß beruhenden Verkehrsuntüchtigkeit eines Verkehrsteilnehmers ein betriebsbedingter Umstand mitgewirkt hat, der als wesentliche Teilursache zu werten ist. Der Unterschied in der Rechtsauffassung des eben genannten Urteils und der des LSG besteht darin, daß das BSG die Frage, ob der Unfall ohne Alkoholeinfluß vermieden worden wäre, dann nicht für veranlaßt hält, wenn bereits im Vergleich zu der auf Alkoholgenuß beruhenden Verkehrsuntüchtigkeit ein betriebsbedingter Umstand als wesentliche Teilursache im Sinne der maßgeblichen Kausalitätsnorm zu werten ist, während das LSG dies schon dann gelten lassen will, wenn es sich bei dem betriebsbedingten Umstand - hier bei der Wegegefahr - um eine Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, also um die "conditio sine qua non" handelt, ohne daß es dabei auf die nach der Auffassung des praktischen Lebens zu beurteilende Bedeutung für den Eintritt des Unfalls anzukommen hätte. Nach der Auffassung des LSG schließt also jede über das übliche Maß hinausgehende Wegegefahr und jeder andere betriebsbedingte Umstand, ohne den der Erfolg (Unfall) entfällt, die Frage aus, ob der Unfall ohne Alkohol vermieden worden wäre. Nach der Rechtsauffassung in BSGE 18, 101, 103, die der erkennende Senat teilt, kann durchaus ein betriebs- oder wegebedingter Umstand durch die Auswirkung der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit des Verunglückten rechtlich bedeutungslos werden. Dazu bedarf es freilich nicht in jedem Falle einer umständlichen Wertung. Vielmehr kann sich das Unfallgeschehen dem Beurteiler auf den ersten Blick als so eindeutig darstellen, daß der betriebs- oder wegebedingte Umstand ohne weiteres als die beherrschende Unfallursache gekennzeichnet ist. In diesem Fall kommt es nicht mehr darauf an, ob der Verunglückte den Unfall ohne Alkohol hätte vermeiden können. Ist nämlich das an der Auffassung des praktischen Lebens gemessene Gewicht des betriebs- oder wegebedingten Umstandes für den Eintritt des Unfalls so erheblich, daß es selbst neben der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Versicherten nicht als wesentlich erachtet werden kann, so kann sich eine Änderung des dem Alkoholeinfluß und der Wege- oder Betriebsgefahr beizumessenden Gewichts für den Eintritt des Unfalls nicht mehr daraus ergeben, daß der Verunglückte - was sein Verhalten anlangt - den Unfall ohne Alkoholeinfluß hätte vermeiden können.

Wollte man dies aber - mit dem LSG und abweichend von BSGE 18, 101, 103 - in jedem Fall einer über das übliche Maß hinausgehenden Wegegefahr annehmen, wäre jeder auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführende Unfall versicherungsrechtlich geschützt, wenn nur eine über das übliche Maß hinausgehende Wegegefahr oder ein anderer betriebsbedingter Umstand dabei in dem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne mitgewirkt hätte, daß ohne ihn der Erfolg nicht mehr denkbar wäre. Damit würde die vom BSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) in eigener ständiger Rechtsprechung für maßgeblich erklärte Kausalitätsnorm von der wesentlichen Bedingung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch die im Strafrecht maßgebende Kausalitätsnorm der sogenannten Bedingungstheorie (BSGE 1, 150, 156) ersetzt. Dies wäre jedoch mit dem Schutzzweck der unfallversicherungsrechtlichen Normen nicht vereinbar.

Als Bedingungen des Unfalls hat das LSG festgestellt, daß F. mit einem Blutalkoholgehalt von 21,3 Promille beim Durchfahren der mit 35 Grad angegebenen Abknickung der K 22 mit einer Geschwindigkeit von höchstens 85 km/h in das 10 bis 15 cm tiefe Loch neben der Fahrbahndecke im Einmündungsbereich der Gemeindestraße geraten sei, deshalb die Gewalt über sein Fahrzeug verloren habe und nach 87 m - im Tatbestand: 85 m - gegen den am linken Fahrbahnrand stehenden Baum geprallt sei. Das hat dem LSG von seinem, wie bereits erörtert, unzutreffenden Ausgangspunkt zur Kausalitätsnorm her ausgereicht, neben dem alkoholbedingten Fehlverhalten die Straßenverhältnisse als Mitursache des Unfalls im Rechtssinne zu werten. Dies verstößt gegen die unfallversicherungsrechtliche Kausalitätsnorm.

Die Gegenüberstellung des Alkoholeinflusses einerseits und der wege- oder betriebsbedingten Umstände andererseits kann nicht in der Weise erfolgen, daß beispielsweise das in alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit erfolgte Geradeausfahren in einer Haarnadelkurve deshalb ohne weiteres als durch die Wegegefahr im Rechtssinne mitverursacht angesehen wird, weil eine Haarnadelkurve erhebliche Verkehrsgefahren mit sich bringt. Maßgebend muß vielmehr gerade bei erheblicher Verkehrsgefahr neben dieser Gefahr die Bedeutung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bei der Begegnung mit der Gefahr sein. Diese Bedeutung aber ist nur durch Beantwortung der Frage meßbar, wie sich wahrscheinlich die Verkehrsgefahr ausgewirkt hätte, wenn ihr der Versicherte in fahrtüchtigem - nicht alkoholbeeinflußtem - Zustand begegnet wäre. Hierbei ist von den Besonderheiten in der Person des Versicherten - nicht etwa von einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer - auszugehen (BSGE 18, 101, 105). Da das LSG Feststellungen hierzu nicht getroffen hat, muß der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückverwiesen werden.

Das LSG wird zuerst zu klären haben, welche Besonderheiten aus der Person des F. für die Bewertung seines Verkehrsverhaltens beachtlich sind. Es wird insoweit ermitteln müssen, ob dem F. in seiner Fahrpraxis, namentlich aber in den letzten Jahren vor dem Unfall, Verkehrsverstöße unterlaufen sind, die Verwarnungen oder gar Bestrafungen zur Folge hatten. Vom Ergebnis dieser Ermittlungen wird es abhängen, ob für die weitere Beurteilung davon auszugehen ist, daß F. die ihm als Kraftfahrzeugführer nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten sorgfältig oder nur unzulänglich zu erfüllen pflegte. Weiter ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob die zum Unfall führende Heimfahrt von der Baustelle S die erste Fahrt auf dieser Strecke nach längerer Zeit war oder ob F., der "bei der Fertigstellung des Neubaus S" gearbeitet hatte, den Weg von der Baustelle zu seiner Wohnung gerade in der Zeit vor dem Unfall mehrfach oder gar regelmäßig gefahren ist, ob er dabei jeweils den Weg über die spätere Unfallstelle oder den kürzeren aber zeitaufwendigeren Weg gewählt hat und zu welchen Tageszeiten die Fahrten ausgeführt wurden. Daraus wird sich ergeben, welche Reaktion des F. beim Passieren der Gefahrenstelle ohne Alkoholeinfluß zur Unfallzeit zu erwarten gewesen wäre. In seine Überlegungen hierzu wird das LSG auch die Tatsache einbeziehen müssen, daß nach der in den Verwaltungsakten befindlichen topographischen Karte Nr W 1ä25000 die Abknickung der K 22 keineswegs 35 Grad beträgt, sondern einen wesentlich geringeren Grad aufweist.

Erst die neuen Feststellungen werden dem LSG eine tragfähige Grundlage für die Beantwortung der Fragen bieten, ob F. ohne Alkoholeinwirkung zur Unfallzeit wahrscheinlich auch den Fahrfehler gemacht hätte, der im knickschneidenden Verlassen der Fahrbahndecke der K 22 mit den rechten Rädern des Pkw bestand, ob er dann wahrscheinlich auch mit einer Geschwindigkeit von etwa 85 km/h durch die Vertiefung neben der Fahrbahndecke gefahren wäre, ob er den davon auf seine Gewalt über das Fahrzeug ausgehenden nachteiligen Einflüssen wahrscheinlich nicht hätte entgehen und ob er schließlich auch den Anprall an den in 87 m - oder 85 m - Entfernung am linken Fahrbahnrand stehenden Baum wahrscheinlich nicht hätte vermeiden können. Hiervon wird es abhängen, ob die vom Straßenknick und von dem Schlagloch neben der Fahrbahn ausgehende Wegegefahr neben der mit einem Blutalkoholgehalt von 2,13 Promille festgestellten absoluten Fahruntüchtigkeit nach der für die gesetzliche Unfallversicherung maßgeblichen Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung Mitursache des tödlichen Unfalls des F. war oder nicht.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660633

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