Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von der Krankenversicherung der Landwirte nach § 4a KVLG
Leitsatz (amtlich)
Der Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) gebietet nicht, die bei der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) krankenversicherten Bundesbahnbeamten ebenso wie den Personenkreis des § 4a KVLG zu behandeln.
Orientierungssatz
Ein Beamter, der zugleich ein landwirtschaftliches bzw forstwirtschaftliches Unternehmen iS einer Existenzgrundlage (§ 2 Abs 1 Nr 1 KVLG) betreibt und privat krankenversichert ist, hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Krankenversicherung der Landwirte nach § 4a KVLG.
Normenkette
KVLG § 4a Fassung: 1976-12-28; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; KVLG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1972-08-10
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.01.1981; Aktenzeichen L 5 K 26/80) |
SG Mainz (Entscheidung vom 24.04.1980; Aktenzeichen S 2 K 35/79) |
Tatbestand
Der Kläger ist Bundesbahnbeamter; er betreibt daneben seit Oktober 1978 ein forstwirtschaftliches Unternehmen im Umfang einer Existenzgrundlage. Als Bundesbahnbeamter hat er keinen Anspruch auf Beihilfe im Krankheitsfalle; er ist gegen Krankheit bei der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, freiwillig krankenversichert; nach seinen Angaben werden die Krankheitskosten zu 90 vH erstattet. Seine Dienstbezüge als leitender Direktor liegen über der Jahresarbeitsverdienstgrenze, die für die Krankenversicherungspflicht nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgebend ist.
Die beklagte landwirtschaftliche Krankenkasse hat es abgelehnt, ihn von der Versicherungspflicht nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) zu befreien (Bescheid vom 23. November 1978). Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. September 1979, Urteil des Sozialgerichts vom 24. April 1980 und Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 15. Januar 1981). Das LSG hat ausgeführt, nach den Vorschriften des KVLG sei eine Befreiung nicht möglich. Es sei nicht verfassungswidrig, wenn sich nach § 4a KVLG nur die dort genannten Angestellten, nicht aber Beamte in der Lage des Klägers von der Versicherungspflicht befreien lassen könnten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe es als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar angesehen, daß Beamte als Nebenerwerbslandwirte aufgrund des KVLG ohne Befreiungsmöglichkeit für die Pflichtversicherung in Anspruch genommen würden (BVerfGE 44, 71, 96). Dabei habe das BVerfG entscheidend darauf abgestellt, daß sich die Beamten und die vergleichbaren Angestellten im öffentlichen Dienst in rechtlicher Hinsicht erheblich voneinander unterschieden und daß deshalb die differenzierende Regelung der Versicherungspflicht im KVLG nicht beanstandet werden könne. Das gelte für diese Differenzierung auch im Hinblick auf § 4a KVLG, der allerdings nicht Gegenstand der Entscheidung des BVerfG gewesen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des Art 3 Abs 1 GG. Der Gleichheitssatz gebiete es, die bei der KVB versicherten Bundesbahnbeamten ebenso wie den Personenkreis des § 4a KVLG zu behandeln.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile
zu verurteilen, den Kläger ab 1. Oktober 1978 von der
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der
Landwirte zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers war zurückzuweisen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach den Vorschriften des KVLG, insbesondere nach dessen § 4a, nicht zu. Nach dieser Vorschrift werden landwirtschaftliche Unternehmer auf Antrag von der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG befreit, solange sie als Angestellte (§§ 2 und 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) beschäftigt, nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungspflichtig und nach den Vorschriften des Zweiten Buches der RVO freiwillig versichert sind. Der Kläger ist zwar als leitender Direktor der Bundesbahn als Angestellter iS der §§ 2 und 3 AVG beschäftigt. Er ist aber nicht "nur" wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO nicht versicherungspflichtig, sondern als Bundesbahnbeamter auch nach § 169 RVO, wobei ein Gewährleistungsbescheid vom LSG zwar nicht ausdrücklich aber doch sinngemäß festgestellt ist. Der Kläger ist ferner bei der KVB nicht nach den Vorschriften des Zweiten Buches der RVO freiwillig versichert, wie dies § 4a KVLG voraussetzt, sondern nach Maßgabe der (privatrechtlichen) Versicherungsbedingungen. Das wird vom Kläger auch nicht verkannt.
Diese Regelung ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen gehalten, Beamte allgemein oder die bei der KVB privat versicherten Beamten von der Versicherungspflicht nach dem KVLG auszunehmen; auch zwang ihn die in § 4a KVLG für Angestellte vorgesehene Ausnahme nicht zu einer entsprechenden Regelung für Beamte, insbesondere die bei der KVB versicherten Bundesbahnbeamten.
Daß der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gehalten war, für Beamte allgemein eine Ausnahmeregelung zu treffen, haben BVerfG und Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden (BVerfGE 44, 71, 96 = SozR 5420 § 94 Nr 2; Beschluß des Dreierausschusses SozR 5420 § 2 Nr 14; BSG SozR 5420 § 2 Nr 4; § 3 Nr 12). Der Einwand der Revision, der Gesetzgeber habe in § 14 Abs 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) iVm § 6 Abs 1 Nr 3 bis 6, § 7 Abs 1 und 2 und § 8 AVG für Beamte eine Befreiung von der Beitragspflicht nach dem GAL vorgesehen und sei an diese Systematik auch für die Krankenversicherung der Landwirte gebunden, trifft schon wegen der Verschiedenartigkeit der jeweils gesicherten Risiken nicht zu. Selbst wenn der Gesetzgeber daneben die unterschiedliche finanzielle Lage der jeweiligen Versicherungsträger und die Bildung einer leistungskräftigen Solidargemeinschaft im Auge hatte, wäre dies nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 5420 § 94 Nr 2 auf Blatt 3).
Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, für die gleich dem Kläger bei der KVB versicherten Beamten eine Ausnahme vorzusehen. Auch insoweit ist der vom BVerfG herausgestellte Grundsatz zu berücksichtigen, daß es sich bei der vom Kläger beanstandeten Regelung um begünstigende Ausnahmen von einer im übrigen verfassungsrechtlich unbedenklichen Inanspruchnahme zu einer gesetzlichen Pflichtversicherung handelt; bei der Ausgestaltung und Abgrenzung von begünstigenden Regelungen dieser Art ist dem Gesetzgeber ein besonders weiter Spielraum zuzubilligen, allerdings sind ihm auch insoweit willkürliche Diskriminierungen und Privilegierungen verboten (BVerfG SozR 5420 § 94 Nr 2 Blatt 3). BVerfG und BSG haben in den angeführten Entscheidungen eine Differenzierung zwischen Landwirten, die zugleich versicherungspflichtig beschäftigt sind, und solchen, die zugleich Beamte mit Anspruch auf Beihilfe im Krankheitsfalle und zusätzlicher privater Krankenversicherung sind, als nicht verfassungswidrig angesehen. Das gilt auch für Beamte, die darüber hinaus freie Heilfürsorge beanspruchen können (BSG Beschluß vom 28.2.1978 - 11 BK 10/77 - im Falle eines Polizeibeamten; SozR 5420 § 3 Nr 12 im Falle eines Berufssoldaten). Insoweit hat der Beamte hinzunehmen, daß er nicht neben den (mit seiner Beitragsleistung erkauften) Leistungen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung auch den Anspruch auf Heilfürsorge oder die Ansprüche auf Beihilfe und die aus der privaten Krankenversicherung wahrnehmen kann (vgl hierzu BSG SozR 5420 § 2 Nr 4 auf Blatt 7).
Die Gruppe der bei der KVB versicherten Bundesbahnbeamten weist weder zu diesen Beamten so erhebliche Unterschiede auf, daß sie anders behandelt werden müßte, noch steht sie der Gruppe der anderweitig Pflichtversicherten so nahe, daß sie mit dieser Gruppe gleichbehandelt werden müßte. Sie ist bei der KVB besonders günstig versichert, was nach Angaben des Klägers der Dienstherr durch einen Zuschuß an die KVB ermöglicht. Daß ihre Position damit wesentlich günstiger sei als die des Beamten mit Beihilfeanspruch und vergleichbaren Aufwendungen für eine zusätzliche Krankenversicherung, ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Im Unterschied zu den Pflichtversicherten erhält auch diese Gruppe jedenfalls keine Sachleistungen und keine volle Kostenerstattung, sondern von der KVB Erstattung der Krankheitskosten nur zu 90 vH. Ferner hat sie - anders als die Pflichtversicherten - keinen Anspruch auf Krankengeld. Daß sie wie diese bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts krankenversichert ist, erscheint demgegenüber von untergeordneter Bedeutung.
Schließlich ist es nicht verfassungswidrig, daß der Gesetzgeber bei Einfügung der Befreiungsmöglichkeit nach § 4a KVLG durch das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz vom 28. Dezember 1976 nur Angestellten unter den dort genannten Voraussetzungen eine Befreiungsmöglichkeit eingeräumt hat, nicht aber auch den Beamten. Der Gesetzgeber sah sich zu dieser Änderung veranlaßt, weil Angestellte mit einem Gehalt über der für die Krankenversicherungspflicht geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze bei Arbeitsunfähigkeit aus der Krankenversicherung der Landwirte kein Krankengeld erhielten und sich deshalb häufig zusätzlich versicherten (BT-Drucks 7/3336 auf Seite 29 "zu § 3 Nr 3"); ihnen sollte künftig keine Doppelversicherung mehr zugemutet werden, vielmehr ebenso wie den geringer verdienenden Angestellten wegen der insoweit gleichen Interessenlage nur noch eine Versicherung (allerdings nach ihrer Wahl). Es liegt auf der Hand, daß sich demgegenüber in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Beamte nicht wegen eines Anspruchs auf Krankengeld zusätzlich in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern, da ihnen im Falle der Krankheit ein Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge zusteht. Wenn der Gesetzgeber in § 4a KVLG nur eine freiwillige Krankenversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung voraussetzt, ohne zusätzlich zu fordern, daß der Anspruch auf Krankengeld nicht durch Satzungsbestimmung ausgeschlossen wurde (vgl § 215 Abs 2 RVO), so hält sich dies im Rahmen einer zulässigen Typisierung. Der Gedanke, bei Landwirten, die anderweitig in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, allein daran anzuknüpfen, ob diese auf einen - in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nicht vorgesehenen - Krankengeldanspruch angewiesen sind, ist jedenfalls nicht so fernliegend, daß er bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise als unsachlich und willkürlich gewertet werden könnte. Ob es gerechter gewesen wäre, zusätzlich zu berücksichtigen, daß mit Einfügung des § 4a KVLG und Änderung des § 405 RVO durch das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz dem in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versicherungspflichtigen Angestellten eine Einbuße des Anspruchs gegen den Arbeitgeber auf den Beitragszuschuß zur Krankenversicherung nicht mehr zugemutet wird, und dementsprechend auch dem Beamten keine Einbuße hinsichtlich des Beihilfeanspruchs zuzumuten, ist für die Anwendbarkeit des Art 3 GG ohne Bedeutung. Ebenso ist es unerheblich, daß der Gesetzgeber zu einer Regelung iS des § 4a KVLG verfassungsrechtlich nicht gezwungen war, das KVLG vielmehr auch ohne eine solche Regelung schon mit der Verfassung im Einklang stand (vgl BVerfG 44, 71, 95 f).
Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.
Fundstellen