Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. August 1990 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 17. November 1989 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall.
Der Kläger verletzte sich am Ostersonntag, dem 22. April 1984, beim althergebrachten Böllern in seiner Heimatstadt die linke Hand, als eine Kartusche explodierte. Der Arm mußte später im Bereich des Unterarms amputiert werden.
Zum Böllern lud der Böllerschütze Schwarzpulver in eine alte Radnabe, verdämmte die Ladung mit Lehm und einem Holzpflock, den er mit einem Fäustel eintrieb, steckte die Kartusche in eine Erdmulde und entzündete die Ladung sodann mit einer auf eine lange Stange gesteckten Lunte.
Ostern 1984 konnte kein Schwarzpulver mehr beschafft werden. Statt dessen wurde den Böllerschützen, zu denen auch der Kläger gehörte, ein französisches Unkrautvernichtungsmittel „CHLORATE DE SOUDE” zur Verfügung gestellt, das mit Pulverzucker gemischt denselben Zweck erfüllen sollte. Als der Kläger den Holzpflock in die mit einer solchen Mischung gefüllte Radnabe eintrieb, explodierte die Ladung und verletzte ua auch ihn.
Der Beklagte lehnte es ab, diesen Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen (Bescheid vom 13. August 1987, Widerspruchsbescheid vom 28. September 1987). Während das Sozialgericht (SG) Detmold die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 17. November 1989), ist der Beklagte von dem Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen verurteilt worden, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. April 1984 eine Verletztenrente zu gewähren (Urteil vom 14. August 1990). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe bei dem Unfall nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 13 Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Vor 1975 habe er als durch Tradition ausgewiesener Böllerschütze ein Ehrenamt der Dorfgemeinde … A. … innegehabt. Das werde nicht zuletzt dadurch bestätigt, daß der Bürgermeister von A. … jeweils die Kosten für das Schwarzpulver getragen habe. Nach 1975 sei der Kläger allerdings nicht mehr für die Kommune tätig geworden, die Stadt L., … in die A. … seitdem eingemeindet gewesen sei. Gleichwohl sei der Kläger bei seiner unfallbringenden Tätigkeit nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 13 RVO unfallversichert gewesen, weil er insbesondere nach seiner maßgeblichen Sicht in genau derselben Weise wie früher wie ein für die Kommune ehrenamtlich Tätiger gehandelt habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. In Verbindung mit der Nr 13 des § 539 Abs 1 RVO könne § 539 Abs 2 RVO nur Anwendung finden, wenn jemand die Funktion eines verhinderten Amtsträgers übernehme. Das Ehrenamt selbst oder auch nur eine vorübergehende ehrenamtliche Tätigkeit für eine Stadt müsse uneingeschränkt die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO erfüllen. Dazu bedürfe es besonderer Umstände, die die Zurechnung des Amtes oder der ehrenamtlichen Tätigkeit zu der Stadt zuließen. Allein die Tatsache, daß die Bürger einer Stadt innerhalb oder außerhalb von Vereinen Brauchtum pflegten und in eigener Regie Brauchtum veranstalteten, könne dazu nicht ausreichen. Auch wenn Gemeinden dies unterstützten, indem sie Grundstücke zur Verfügung stellten oder Zuschüsse gewährten, übernähmen sie die jeweilige Veranstaltung damit noch nicht in den öffentlichen Aufgabenbereich der Gemeinde. Das treffe auch im vorliegenden Falle zu, in dem man äußerstenfalls in der Duldung des Böllerns auf stadteigenen Grundstücken eine Unterstützung der Stadt L. … sehen könne. Der Kläger sei deshalb bei der unfallbringenden Tätigkeit weder nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO noch in Verbindung damit nach § 539 Abs 2 RVO unfallversichert gewesen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das angefochtene Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene sieht keinen Anhaltspunkt, auch nicht im Revisionsvorbringen der übrigen Beteiligten, daß die unfallbringende Tätigkeit des Klägers wesentlich im inneren Zusammenhang mit einer kirchlichen Veranstaltung gestanden habe, so daß sie hätte zuständig sein können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet.
Das angefochtene Urteil des LSG war aufzuheben. Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung steht dem Kläger nicht zu, weil er keinen Arbeitsunfall erlitten hat. Beim Böllern als der unfallbringenden Tätigkeit am 22. April 1984 stand er nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Keine der danach unfallversicherungsgeschützten Tätigkeiten hat der Kläger ausgeübt. Insbesondere hat zum Unfallzeitpunkt zwischen dem Kläger und dem Beklagten kein Versicherungsverhältnis bestanden, aus dem der geltend gemachte Entschädigungsanspruch hätte entstehen können. Der Kläger ist nicht Beschäftigter der Stadt L. … gewesen (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und die von ihm wahrgenommenen Aufgaben als ehrenamtlicher Böllerschütze der A. … Brauchtumsveranstaltung haben nicht in einer Beziehung zur Stadt L. … gestanden, die ein Versicherungsverhältnis begründen kann. Es fehlt an tatsächlichen Umständen, die eine Zuordnung der vom LSG festgestellten Brauchtumsveranstaltung zur Verantwortung der Stadt L. … und damit in ihren Aufgabenbereich zulassen. Dazu hat das LSG für den Senat bindend (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) festgestellt:
In A., … früher eine selbständige Dorfgemeinde und seit 1975 Stadtteil der Stadt L. … bei P., … war es althergebrachter Brauch, beim Schützenfest, bei der Fronleichnamsprozession und beim Osterfest zu böllern. Die zum Böllern notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten wurden in bestimmten A. … Familien vom Vater auf den Sohn durch praktische Mithilfe weitergegeben. Früher hatten sich die Böllerschützen das Geld für das Schwarzpulver bar vom Bürgermeister der Dorfgemeinde A. … abgeholt. Zu ihnen gehörte auch lange vor 1975 schon der Kläger. Zum Osterfest wurden am Ostersonntag bei Anbruch der Dunkelheit drei Osterfeuer auf gemeindeeigenen Grundstücken angezündet. Die Böllerschützen böllerten am Platz jedes Osterfeuers von 13.00 Uhr ab. Nach der Eingemeindung des Dorfes in die Stadt L. … behielten die Bürger des Stadtteils A. … den Brauch des Böllerns bei. Da aber weder die Stadt noch der Bürgermeister von L. … für diesen Brauch Geld hergaben, sammelte die interessierte Jugend Geld für das Pulver zum Böllern und Stroh für das Osterfeuer als Bürgerspenden ein.
Danach ist die Stadt L. … nicht Unternehmerin der Brauchtumsveranstaltung im Sinne des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO gewesen, denn weder das ehrenamtlich verrichtete Böllern noch das damit in Zusammenhang stehende, von der interessierten Jugend ehrenamtlich veranstaltete Osterfeuer gingen auf ihre Rechnung. Unfallversicherungsschutz des Beklagten für den Kläger nach § 539 Abs 1 Nr 1 oder in Verbindung damit nach § 539 Abs 2 RVO scheidet deshalb nicht zuletzt im Hinblick auf die ehrenamtlichen Arbeiten von vornherein aus.
Indessen sind auch gegen Arbeitsunfall versichert: die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird, … (§ 539 Abs 1 Nr 13 RVO).
Sie erfüllen öffentlich-rechtliche Aufgaben auf dem Gebiet der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung für die genannten öffentlich-rechtlichen Institutionen (s Begründung zum Entwurf eines Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes -UVNG-, BT-Drucks IV/120 S 52 zu Nr 13; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl S 474n). Insoweit steht ihre Tätigkeit im inneren Zusammenhang mit der öffentlichrechtlichen Institution oder einem ihrer Unternehmen und somit unter Unfallversicherungsschutz. Daran fehlt es der unfallbringenden Tätigkeit des Klägers. Er erfüllte keine öffentlich-rechtliche Aufgabe der Stadtverwaltung L. …
Es kann dahingestellt bleiben, ob – wie das LSG es meint -der Kläger beim Böllern vor 1975 als traditionsgemäßer Böllerschütze ein Ehrenamt der Dorfgemeinde A. … innehatte, weil der Bürgermeister von A. … ihm jeweils das Geld für das notwendige Schwarzpulver ausgehändigt hatte. Nach der Eingemeindung des Dorfes in die Stadt L. … fehlte jedenfalls auch diese finanzielle Zuwendung, die das LSG als verantwortliche Beteiligung der Kommune an der Brauchtumsveranstaltung gewertet hat.
Da weder Gesetz, Satzung, Beschlüsse der Stadtorgane oder schlüssiges Handeln der Stadtverwaltung das Amt des ehrenamtlichen Böllerschützen von A. … in den Aufgabenbereich der Stadt einbezogen haben, verbleibt als einziger Anhaltspunkt für einen öffentlich-rechtlichen Bezug der Brauchtumsveranstaltung zur Stadt L. … die Tatsache, daß die Stadt städtische Grundstücke für das Böllern zur Verfügung stellte. Das reicht jedoch nicht aus, um das Böllern oder das Osterfeuer in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Stadt zu rücken. Wenn Kommunen die Pflege örtlichen Brauchtums innerhalb oder außerhalb von privaten Vereinen dadurch unterstützen, daß sie finanzielle Zuschüsse geben oder gemeindeeigene Grundstücke zur Verfügung stellen, ordnen sie zwar die einzelne Zuschußmaßnahme in das öffentliche Interesse der Kommune ein, aber sie übernehmen damit noch nicht zugleich die gesamte Brauchtumsveranstaltung in ihren öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereich und somit in ihre Verantwortung. Dazu bedarf es vielmehr eines gesamtbezogenen, eigenständigen Annahmeaktes der Kommune als Zuordnungsgrund. Darauf weist der Beklagte zutreffend hin. Fehlt es an einem solchen Zurechnungsgrund, können auch Ehrenämter bei der von den Bürgern einer Gemeinde durchgeführten Brauchtumsveranstaltung nicht als Ehrenämter der Kommune gewertet werden.
Ebensowenig könnten auch im Sinne der Rechtsprechung des 9b Senats des Bundessozialgerichts (BSG) nur gelegentliche ehrenamtliche Tätigkeiten bei einer solchen Brauchtumsveranstaltung unter den genannten, hier vorliegenden Voraussetzungen der Kommune zugeordnet werden; dabei läßt es der Senat ausdrücklich noch offen, ob er der eingehend begründeten Entscheidung des 9b Senats des BSG über nur gelegentliche ehrenamtliche Tätigkeiten im Sinne des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO folgt (BSG SozR 2200 § 539 Nr 95; s auch Brackmann aaO S 474m). Denn in dem vom 9b Senat des BSG entschiedenen Fall ließen alle festgestellten tatsächlichen Umstände die Wertung zu, daß die Gemeinde den Brauch als Gemeindeveranstaltung angenommen hatte.
Fehlen – wie im vorliegenden Fall – diese Zuordnungsvoraussetzungen des den Unfallversicherungsschutz begründenden Versicherungsverhältnisses iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO, dann können auch entgegen der Meinung des LSG die Handlungstendenz des Verletzten und seine subjektive Vorstellung, für wen er ehrenamtlich tätig wird, der begehrten Entschädigung nicht weiterhelfen. Diese subjektiven Tatsachen indizieren nur den inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Verrichtung und dem Kernbereich der Tätigkeit, die das Gesetz unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt hat. Liegt dagegen eine ehrenamtliche Tätigkeit vor, die der Gesetzgeber als Ganzes nicht unter Unfallversicherungsschutz gestellt hat, weil es an dem oben erläuterten Zuordnungsgrund zu einer Institution des öffentlichen Rechts iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO fehlt, scheidet auch ein Anspruch nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 13 RVO von vornherein aus (s Brackmann aaO S 475 l und m). Zwar hat der 8. Senat des BSG, der gegenwärtig für das Gebiet der allgemeinen Unfallversicherung nicht mehr zuständig ist, die Meinung vertreten, § 539 Abs 2 RVO diene dazu, der Rechtsprechung die bei dem starren Katalog des § 539 Abs 1 RVO sonst nicht bestehende Möglichkeit zu geben, den Versicherungsschutz auf Fälle auszudehnen, in denen es unbillig erscheinen würde, sie nach dem Zweck des Versicherungsschutzes wegen Fehlens eines Tatbestandsmerkmals davon auszuschließen. Werde diese Zweckbestimmung beachtet, seien grundsätzlich alle Nummern des § 539 Abs 1 RVO einer Ausdehnung durch Abs 2 RVO zugänglich (BSGE 51, 213, 215). Aber der Zuordnungsgrund zur unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO begründet und beschränkt zugleich den Zweck dieses Versicherungsschutzes. Fehlt dieser Zuordnungsgrund, dann ist auch im Sinne der genannten Rechtsprechung des 8. Senats des BSG eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO durch dessen Abs 2 ausgeschlossen.
Ein Entschädigungsanspruch gegen die beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft scheitert aus denselben Gründen. Auch die Kirchengemeinde hatte nach den Feststellungen des LSG die Brauchtumsveranstaltung, sowohl das Osterfeuer als auch das Böllern, nicht als kirchliche Veranstaltung in ihren Aufgabenbereich und ihre Verantwortung übernommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.
Fundstellen