Leitsatz (amtlich)
1. Unterliegt das als eine "andere berufsvorbereitende Maßnahme" iS von § 40 Abs 1 S 1 AFG anzusehende Berufsvorbereitungsjahr den Schulgesetzen der Länder, ist ab Inkrafttreten des AFKG (1.1.1982) eine Berufsausbildungsbeihilfe nicht zu gewähren.
2. § 58 Abs 1 S 2 AFG idF des 5. AFGÄndG gilt nicht für berufsvorbereitende Maßnahmen iS von § 40 Abs 1 S 1 AFG.
Normenkette
AFG § 40 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1981-12-22, § 58 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1979-07-23
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 13.10.1983; Aktenzeichen S 8 Ar 12/83) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die dem Kläger für die Berufsvorbereitung der behinderten Claudia P (P.) entstandenen Kosten zu tragen.
Die 1966 geborene, nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 vH behinderte P. (Beigeladene zu 1) begann nach dem Besuch einer Schwerhörigenschule ab dem 16. August 1982 in der Paulinenpflege für Hörgeschädigte in W ein Berufsvorbereitungsjahr, das der Psychologische Dienst des Arbeitsamts Stuttgart für ihre berufliche Ersteingliederung vorgeschlagen hatte. Hierfür übernahm der klagende Landeswohlfahrtsverband - zunächst für ein Jahr - neben den Eltern von P. die Kosten, wies am 19. August 1982 die Beklagte auf die vorläufige Leistungsgewährung gemäß § 44 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hin und bewirkte nach § 90 dieses Gesetzes die Überleitung der Ansprüche von P., die im September 1981 bei der Beklagten Leistungen der beruflichen Rehabilitation beantragt hatte. Von August 1982 bis Juli 1983 bewilligte der Landkreis B - Amt für Ausbildungsförderung - (Beigeladener zu 2) der P. für das Berufsvorbereitungsjahr Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) von 138,-- DM monatlich, die aufgrund von § 90 BSHG an den Kläger gingen. Mit Bescheid vom 24. September 1982 lehnte die Beklagte die Förderung des Berufsvorbereitungsjahres unter Hinweis auf die Leistungsverpflichtung des Beigeladenen zu 2) ab. Das vom Kläger durchgeführte Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1982).
Die Klage mit den Anträgen, 1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten des Berufsvorbereitungsjahres zu erstatten, 2. die Bescheide der Beklagten aufzuheben, hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Im Urteil vom 13. Oktober 1983 ist ausgeführt, nach Inkrafttreten der §§ 86 ff des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) am 1. Juli 1983 werde mit dem Antrag zu 1) zulässig im Wege der Klageänderung ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X vermittels einer Leistungsklage geltend gemacht. Jedoch sei diese Klage wie weiter auch die Anfechtungsklage nicht begründet. Eine Erstattungspflicht aufgrund des SGB X bestehe nicht, da laut den §§ 56, 58, 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm der Anordnung des Verwaltungsrates der Beklagten über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (A-Reha) vom 31. Juli 1975 (ANBA 994) in der derzeit geltenden Fassung die gesetzlichen Voraussetzungen für die Förderung deshalb nicht vorlägen, weil das Berufsvorbereitungsjahr eine den Schulgesetzen der Länder unterliegende Maßnahme darstelle. Solcherart Maßnahmen seien mit dem am 1. Januar 1982 erfolgten Inkrafttreten des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) von der Rehabilitationsförderung ausgeschlossen (§ 40 Abs 1 Satz 1 AFG). Das Berufsvorbereitungsjahr in der Paulinenpflege unterliege den Regelungen des Schul- und Privatschulgesetzes in Baden-Württemberg. Es sei auch kein schulisch durchgeführter Teil einer beruflichen Ausbildung iS des § 58 Abs 1 Satz 2 AFG, weil es zu einer solchen Ausbildung erst hinführe. Im übrigen regele die Vorschrift eine Förderpflicht nur für die berufliche Ausbildung iS des § 40 AFG; die Berufsvorbereitung sei nicht aufgeführt.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision beantragt der Kläger, das Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten des Berufsvorbereitungsjahres ab 16. August 1982 zu erstatten, hilfsweise, das Urteil und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten des Berufsvorbereitungsjahres ab 16. August 1982 zu ersetzen.
Zur Begründung rügt er eine Verletzung des § 58 Abs 1 Satz 2 AFG. Entgegen dem SG stelle das Berufsvorbereitungsjahr in der entsprechenden Klasse der Paulinenpflege eine Ausbildung dar. Denn "Ausbildung iS des § 40 AFG" seien neben der Ausbildung in Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen (wie der Paulinenpflege) auch die dort angeführten berufsvorbereitenden Maßnahmen; die heutige Fassung des § 40 AFG sei insoweit nicht maßgebend. Da der Gesetzgeber § 58 Abs 1 Satz 2 AFG trotz der Änderung des § 40 AVG beibehalten habe, seien auch schulische berufsvorbereitende Maßnahmen wie das Berufsvorbereitungsjahr weiter zu fördern. Soweit § 19 Abs 2 A-Reha schulische berufsvorbereitende Maßnahmen im Rahmen des § 58 Abs 1 Satz 2 AFG von der Förderung ausschließe, verstoße er gegen höherrangiges Recht.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Sämtliche Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers kann keinen Erfolg haben; ein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von Kosten des Berufsvorbereitungsjahres der P. steht ihm nicht zu.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger vor dem SG seine Klage geändert hat. In der Revision hat er jedenfalls im Hauptantrag - auf den Hilfsantrag ist erst später einzugehen - nur noch die Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung beantragt. Er hat sich damit im Hauptantrag auf einen Teil seines ursprünglichen Begehrens beschränkt. Darin liegt nach § 99 Abs 3 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) keine Klageänderung. Der im Hauptantrag gestellte Antrag ist nämlich identisch mit den früheren Antragsteilen, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten zu "übernehmen" bzw zu "erstatten". Geändert hat sich bei diesem Begehren lediglich die Begründung; darin liegt aber noch keine Änderung des "Klagegrundes", dh des zugrunde liegenden Sachverhalts, aus dem der Leistungsanspruch hergeleitet wird.
Für das Begehren auf Kostenerstattung ist zu beachten, daß seit dem am 1. Juli 1983 erfolgten Inkrafttreten des Dritten Kapitels des SGB X (s Art II § 25 Abs 1) die Ansprüche der Leistungsträger untereinander auf Erstattung von Sozialleistungen durch die §§ 102 ff SGB X in der Form eines originären Anspruchs des leistenden Trägers geregelt werden; einen Anspruch aus übergeleitetem Recht besitzt der Sozialhilfeträger nur noch, wenn der Hilfeempfänger einen Anspruch gegen einen anderen hat, der kein Leistungsträger iS von § 12 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist (s Art II § 14 Nr 8 SGB X). Gemäß Art II § 21 SGB X sind vor dem 1. Juli 1983 bereits begonnene Verfahren, zu denen das Gerichtsverfahren zählt (GS in BSGE 54, 223, 226 = SozR 1300 § 44 Nr 3), nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen. Hiernach kommen für den Kläger seit Juli 1983 als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage nur noch die §§ 102 ff SGB X in Betracht. Ein Ersatzanspruch nach § 102 Abs 1 bzw § 104 Abs 1 SGB X ist jedoch nicht gegeben, denn beide Vorschriften setzen dafür voraus, daß ein Leistungsträger Sozialleistungen an einen Berechtigten erbracht hat, die an seiner Stelle ein anderer Leistungsträger hätte erbringen müssen. Die Beigeladene P. ist indes nicht berechtigt, von der Beklagten Sozialleistungen für das durchgeführte Berufsvorbereitungsjahr zu verlangen.
P. hatte bei der Beklagten berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation beantragt. Leistungen solcher Art gewährt die Beklagte aufgrund des Sechsten Unterabschnitts des AFG (§§ 56 ff), wobei § 56 Abs 2 AFG, hier anzuwenden idF des Gesetzes zur Angleichung von Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), für die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation auf die im Zweiten bis Fünften Unterabschnitt genannten berufsfördernden Leistungen hinweist. In Betracht kommt vorliegend gemäß § 58 Abs 1 Satz 1 AFG sonach von den Vorschriften über die Förderung der beruflichen Bildung (§ 33 ff AFG) speziell § 40 AFG, der die Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende regelt und hier in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung des AFKG anzuwenden ist (zum Zeitpunkt für die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur Rehabilitation s SozR 2200 § 1236 Nr 35). Abs 1 Satz 1 des § 40 bildet für die Beihilfeberechtigung zwei Gruppen: Zum einen wird die Beihilfe für eine berufliche Ausbildung in Betrieben oder überbetrieblichen Ausbildungsstätten gewährt, zum anderen für die Teilnahme an Grundausbildungs- und Förderungslehrgängen und anderen nicht den Schulgesetzen der Länder unterliegenden berufsvorbereitenden Maßnahmen. Unter die erste Gruppe ist das von P. in der Paulinenpflege durchlaufene Berufsvorbereitungsjahr schon deshalb nicht zu bringen, weil es sich dabei nicht um eine berufliche Ausbildung gehandelt hat. Davon abgesehen ist die Paulinenpflege nach den unangefochtenen Feststellungen des SG zudem weder ein Betrieb noch eine überbetriebliche Ausbildungsstätte, sondern eine private Sonderfachschule in der Form einer Heimschule (s hierzu auch SozR 4100 § 40 Nr 8). Das Berufsvorbereitungsjahr könnte daher nur zu der in § 40 Abs 1 Satz 1 AFG aufgeführten zweiten Gruppe zu rechnen sein. Insoweit wird man das Berufsvorbereitungsjahr als eine "andere berufsvorbereitende Maßnahme" anzusehen haben (s hierzu SozR 4100 § 40 Nrn 8, 10 und 13), bei der sich Elemente des Grundausbildungslehrgangs zur Vorbereitung auf bestimmte Berufsbereiche, des Berufsfindungslehrgangs und der Arbeitserprobung, des Förderungslehrgangs zur Erlangung der Berufsreife und Verbesserung der Eingliederungsmöglichkeiten für Behinderte (vgl § 19 Abs 1 A-Reha idF der 7. Änderungsanordnung vom 16. März 1982) mischen. Allein das führt aber noch nicht zur Anwendung des § 40 Abs 1 Satz 1 AFG. Denn nach der hier maßgebenden Fassung muß bei den berufsvorbereitenden Maßnahmen noch die weitere Voraussetzung erfüllt sein, daß die Maßnahme nicht den Schulgesetzen der Länder unterliegt. Das SG hat indes festgestellt, daß das Berufsvorbereitungsjahr in der Paulinenpflege unter die Regelungen der Schul- und Privatschulgesetze von Baden-Württemberg fällt. Hieran ist der Senat, soweit es sich dabei um tatsächliche Feststellungen handelt, gebunden (§ 163 SGG); in rechtlicher Hinsicht ist ihm eine Überprüfung nicht gestattet, weil insoweit irrevisibles Recht in Rede steht (§ 162 SGG).
Entgegen der Auffassung der Revision läßt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus § 58 Abs 1 Satz 2 AFG gewinnen. Der durch das Fünfte Änderungsgesetz zum AFG (5. AFGÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) mit Wirkung vom 1. August 1979 in § 58 Abs 1 eingefügte Satz 2 bestimmt, daß berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation auch gewährt werden, wenn die berufliche Ausbildung iS des § 40 wegen Art oder Schwere der Behinderung in einer besonderen Ausbildungsstätte für Behinderte stattfindet und in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt wird. Diese Vorschrift kann den Anspruch ebenfalls nicht begründen, weil sie nach ihrem klaren Wortlaut nur für die "berufliche Ausbildung iS des § 40" (dortige erste Gruppe) gilt, bei der sie die Förderungsmöglichkeiten erweitert, nicht dagegen auch für die berufsvorbereitenden Maßnahmen (zweite Gruppe in § 40 AFG).
Hierfür spricht ferner die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Aus ihr ergibt sich, daß die Beklagte aufgrund von § 58 Abs 1 Satz 2 AFG einen schulischen Ausbildungsabschnitt nur dann fördern sollte, wenn er Teil einer beruflichen Erstausbildung eines Behinderten ist (BT-Drucks 8/2914, Entwurf eines 5. ÄndG zum AFG, Begründung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, S 42, zu Art 1 Nr 17). In der Begründung ist nämlich ausschließlich auf die "berufliche Ausbildung" (bzw Erstausbildung) abgehoben und deutlich herausgestellt, daß die Sondervorschrift der Sicherstellung der schon geübten Praxis der Beklagten diene, die gesamte Ausbildung in einem Berufsbildungswerk zu fördern, auch wenn das schulische Berufsgrundbildungsjahr als erster Abschnitt der Ausbildung obligatorisch eingeführt werde. Berufsvorbereitende Maßnahmen, wie § 40 Abs 1 Satz 1 AFG sie in der zweiten Gruppe aufzählt, sind aber weder mit dem Berufsgrundbildungsjahr gleichzustellen noch sind sie ein anderer schulischer Abschnitt einer beruflichen Ausbildung. Wie aus der Bezeichnung hervorgeht, stellt ein Berufsvorbereitungsjahr gerade keine berufliche Ausbildung dar, sondern führt zu einer beruflichen Ausbildung, die der Vorbereitung folgen soll, erst hin.
Ebensowenig weisen die Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Begründung des AFKG zur Änderung des § 40 Abs 1 Satz 1 AFG in eine andere Richtung. Denn in der BT-Drucks 9/846 (S 36, zu Nr 7 Buchst a Doppelbuchst aa) ist im Hinblick darauf zunächst hervorgehoben worden, daß die Beklagte nach dem geltenden Anordnungsrecht (s §§ 15 Abs 2, 19 Abs 2 A-Reha) nur außerschulische berufsvorbereitende Maßnahmen fördere. Dem folgt der Hinweis, es solle nun aus Finanzgründen (für die Gruppe der berufsvorbereitenden Maßnahmen) festgelegt werden, daß die Beklagte den Förderungsrahmen nicht auf solche berufsfördernden Maßnahmen erweitern könne, die den Schulgesetzen der Länder unterlägen. Hiernach hat die Änderung des § 40 Abs 1 Satz 1 einen im Anordnungsrecht bestehenden Zustand gesetzlich festschreiben wollen. Da seitdem die Förderung solcher berufsvorbereitenden Maßnahmen, die den Schulgesetzen der Länder unterliegen, gesetzlich ausgeschlossen ist, kann die entsprechende Anordnung der Beklagten in § 19 Abs 2 A-Reha nicht rechtsunwirksam sein, wie der Kläger meint.
Liegt ein Anspruch der P. gegen die Beklagte, der eine Erstattungspflicht gegenüber dem Kläger begründet, somit nicht vor, dann ist die Klage im Hauptantrag abzuweisen. Das führt zur Zurückweisung der Revision.
Auf den Hilfsantrag des Klägers ist nicht näher einzugehen. Nach der Revisionsbegründung des Klägers sollte sich der Hilfsantrag lediglich auf die Möglichkeit beziehen, daß § 104 SGB X keine Anwendung finde, das alte Recht im vorliegenden Falle vielmehr weitergelte; damit erledigt sich der Hilfsantrag bereits dadurch, daß der Senat seiner Entscheidung das neue Recht des SGB X zugrunde gelegt hat.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen