Leitsatz (amtlich)

Heiratet eine Witwe wieder und wird ihre neue Ehe unter der Geltung des ArVNG für nichtig erklärt, so hat sie - anders als nach früherem Recht - aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes keine originären Anspruch auf Witwenrente (Anschluß an BSG 1966-05-12 4 RJ 109/64 = SozR Nr 14 zu § 1291 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die ... 1918 geborene Klägerin begehrt Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung ihres ersten Ehemannes K G, der am 12. März 1944 gefallen ist. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, die am 19. Juli 1937 geborene Tochter C und der am 25. März 1940 geborene Sohn H, die beide Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres Vaters bezogen haben.

Am 9. Juni 1951 war die Klägerin eine neue Ehe mit dem Maurer W ... eingegangen, die durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 1960 - rechtskräftig seit dem 24. September 1960 - für nichtig erklärt wurde.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. Mai 1961 den am 19. September 1960 gestellten Antrag der Klägerin auf Zahlung von Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Mannes ab, weil ein Anspruch auf eine solche Rente bis zur Wiederverheiratung nicht bestanden habe.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 22. März 1962 die Beklagte zur Zahlung der begehrten Witwenrente vom 1. Oktober 1960 an verurteilt. In den Gründen ist ausgeführt, zwar habe die Klägerin wegen Fehlens der persönlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt ihrer Wiederheirat keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt, so daß dieser daher nicht wiederaufgelebt sein könne. Jedoch müsse die neue Ehe nicht nur bürgerlich-rechtlich, sondern auch versicherungsrechtlich so angesehen werden, als ob sie überhaupt niemals bestanden habe. Infolgedessen handle es sich bei dem Klagebegehren um einen erstmalig erhobenen Anspruch auf Witwenrente, der sich aus den Vorschriften der §§ 1263, 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF in Verbindung mit Art. 2 § 18 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 ergebe, da für den Verstorbenen zur Zeit seines Todes die gesetzliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt gewesen sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, eine wiederaufgelebte Witwenrente nach § 1291 Abs. 2 RVO stehe der Klägerin nicht zu. Ein Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs nach dieser Vorschrift setze voraus, daß die Witwe im Zeitpunkt des Eingehens der neuen Ehe (hier also am 9. Juni 1951) einen Anspruch auf Witwenrente gehabt habe. Hieran fehle es jedoch. Nach dem früheren Recht sei die damals 32jährige Klägerin nicht rentenberechtigt gewesen, weil sie weder dauernd noch vorübergehend invalide, noch 60 Jahre alt war, noch vier Kinder geboren und das 55. Lebensjahr vollendet hatte oder mindestens vier waisenberechtigte Kinder oder zwei solcher unter sechs Jahren erzog. Erst das Dritte Änderungsgesetz zum Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz (SVAG) vom 21. Januar 1956 (BGBl I 16) habe erleichterte Voraussetzungen für den Anspruch auf Witwenrente gebracht; zur Zeit seines Inkrafttretens sei aber die Klägerin bereits wiederverheiratet gewesen. Die von dieser und dem SG vertretene Rechtsansicht, wegen der bürgerlich-rechtlichen Auswirkungen der Nichtigkeitserklärung der späteren Ehe sei auch im Sozialversicherungsrecht davon auszugehen, daß die Klägerin niemals wiederverheiratet gewesen sei, und ihr stehe daher Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Mannes zu, lasse sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 22. März 1962 zurückzuweisen.

Die Klägerin beruft sich auf das sozialgerichtliche Urteil. Ihre im Jahre 1951 eingegangene Ehe sei nicht nur im bürgerlich-rechtlichen, sondern auch im sozialversicherungsrechtlichen Bereich so anzusehen, als ob sie nie bestanden hätte. Es handle sich somit bei dem Klagebegehren um ihren erstmaligen Witwenrentenanspruch, der seine gesetzliche Grundlage in den §§ 1264, 1263 Abs. 2 RVO finde.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Die Klägerin bezweifelt mit Recht nicht, daß eine wiederaufgelebte Witwenrente nach § 1291 Abs. 2 RVO nF nicht in Betracht kommt, weil sie zur Zeit der Schließung ihrer zweiten Ehe nicht witwenrentenberechtigt war. Insoweit kann deshalb auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen werden. Die Klägerin beruft sich vielmehr ausschließlich darauf, ihr stehe eine originäre Witwenrente zu, weil ihre spätere Ehe, nachdem sie für nichtig erklärt worden ist, so angesehen werden müsse, als hätte sie nie bestanden. Hierin kann ihr jedoch nicht gefolgt werden.

Bis zu ihrer zweiten Ehe hatte die Klägerin Aussicht auf Witwenrente nach § 1256 RVO aF für den Fall, daß sie die dort vorgesehenen besonderen Voraussetzungen erfüllte. Diese Aussicht war durch ihre Wiederverheiratung zunächst erloschen, da sie nun nicht mehr Witwe war.

Hierzu war und ist allerdings anerkannt, daß, während Tod, Scheidung oder Aufhebung der Ehe diese nur für die Zukunft auflöst, ein Nichtigkeitsurteil die Ehe mit rückwirkender Kraft vernichtet. Deshalb ist eine Frau, deren erste Ehe durch Tod des Mannes aufgelöst und deren zweite Ehe für nichtig erklärt ist, bürgerlich-rechtlich so anzusehen, als wäre sie immer Witwe ihres ersten Mannes geblieben; und hieraus ergab sich für das frühere Recht der Rentenversicherung, daß ihr, wenn sie als Witwe ihres ersten Mannes aus dessen Rentenversicherung Anspruch auf Witwenrente hatte, diese zu gewähren und gegebenenfalls nachzuzahlen war (vgl. VerbKomm. 5. Aufl. § 1287 RVO aF Anm. 3). Nach der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2875 des früheren Reichsversicherungsamts (AN 1916, 456) hatte sogar selbst die bei ihrer Wiederverheiratung abgefundene Witwe nach der Nichtigkeitserklärung ihrer späteren Ehe wieder Anspruch auf Rente, und zwar vom Tage der Einstellung der Zahlung ab; der Anspruch auf die nachzuzahlenden Rentenbeträge verjährte auch erst in vier Jahren nach der Nichtigkeitserklärung; die gezahlte Abfindung konnte allerdings auf die nachzuzahlenden Rentenbeträge angerechnet werden.

Indes ist die zweite Ehe der Klägerin im Jahre 1960, also nach dem Inkrafttreten des ArVNG vom 23. Februar 1957, für nichtig erklärt worden. Hierzu bestimmt Art. 2 § 26 Abs. 1 ArVNG, daß § 1291 Abs. 2 RVO nF gilt, wenn die neue Ehe nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, d. h. in der Zeit seit dem 1. Januar 1957, aufgelöst oder für nicht erklärt worden ist; und § 1291 Abs. 2 RVO bestimmt, daß dann, wenn eine Witwe sich wieder verheiratet und diese Ehe ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst oder für nichtig erklärt wird, der Anspruch auf Witwenrente vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, nur "wiederauflebt", wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung oder der Nichtigkeitserklärung der Ehe gestellt ist. Daraus ergibt sich, daß § 1291 Abs. 1 RVO nF, wonach die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats wegfällt, in dem die Berechtigte wieder heiratet, jetzt nicht mehr im Sinne des ursprünglichen § 1287 RVO aF verstanden werden kann, daß nur eine vollgültige Ehe den Untergang des Witwenrentenanspruchs bewirkt. Vielmehr erlischt danach der Witwenrentenanspruch durch jede Eheschließung, ausgenommen die sogenannte Nichtehe (BSG 10, 1), und lebt lediglich später wieder auf, und zwar allein für die Zukunft (so auch Urteil des BSG vom 12. Mai 1966 - 4 RJ 109/64 -). § 1291 Abs. 1 RVO nF in diesem Sinn gilt aber nach Art. 2 § 26 Abs. 2 ArVNG auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten sind.

Die damit angeordnete gesetzliche Rückwirkung ist verfassungsrechtlich jedenfalls dann unbedenklich, wenn zur Zeit der Eingehung der neuen Ehe ein Witwenrentenanspruch noch nicht bestanden hatte und die neue Ehe erst nach der Verkündung des ArVNG für nichtig erklärt worden ist. Denn die Grundsätze der GE Nr. 2875 waren bereits mit der in § 3 des Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 (RGBl I 407; AN 1942, 382) getroffenen Regelung verlassen worden. Danach konnte in der Rentenversicherung der Ehefrau, "deren Ehe geschieden oder für nichtig erklärt oder aufgehoben ist", nur noch ganz allgemein und lediglich als reine Ermessensleistung eine Witwenrente bewilligt werden, wozu es überdies noch der Zustimmung des Reichsarbeitsministers oder der von ihm beauftragten Stelle (AN 1943, 102) bedurfte.

Nach alledem war die Aussicht der Klägerin auf Witwenrente mit ihrer Wiederverheiratung endgültig beseitigt. Zutreffend hat das LSG auch auf den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 238) hingewiesen. Danach besteht bei einer nach dem 31. Dezember 1956 ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Ehefrau aufgelösten oder für nichtig erklärten neuen Ehe kein Anspruch auf Witwenrente, wenn die Witwe des unter der Geltung des § 1256 RVO aF verstorbenen Versicherten die neue Ehe eingegangen hat, ohne bisher Anspruch auf Witwenrente gehabt zu haben, wie das bei der Klägerin der Fall war.

Somit erweist sich das angefochtene Urteil als zutreffend, so daß die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351486

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