Leitsatz (amtlich)
Die Anspruchsvoraussetzung für das vorzeitige Altersruhegeld nach RVO § 1248 Abs 2, daß der Versicherte "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist", wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Versicherte im Laufe des Jahreszeitraums zehn Tage aushilfsweise beschäftigt und außerdem während der letzten sieben Wochen arbeitsunfähig krank war (Anschluß an BSG 1966-03-23 1 RA 175/62 = SozR Nr 39 zu § 1248 RVO).
Hat der Versicherte die Anspruchsvoraussetzung der mindestens einjährigen Arbeitslosigkeit einmal erfüllt, so steht der Annahme der "weiteren Dauer der Arbeitslosigkeit" nicht eine Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit entgegen.
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1957-02-23, S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um vorzeitiges Altersruhegeld für die Zeit vom 1. April 1961 bis Ende Februar 1962 geführt; vom 1. März 1962 an erhält der Kläger Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
Am 19. April 1960 wurde der Kläger arbeitslos und bezog deshalb Arbeitslosengeld; er hatte damals mehr als 180 Versicherungsmonate in der Invalidenversicherung und Rentenversicherung der Arbeiter zurückgelegt. Nach einer vorübergehenden versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 20. bis 30. Dezember 1960 war er wieder arbeitslos. Am 28. Februar 1961 erkrankte er; die Krankheit dauerte bis 20. September 1961 an und war mit Arbeitsunfähigkeit verbunden. Nach seiner Genesung war er weiterhin arbeitslos.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf vorzeitiges Altersruhegeld durch Bescheid vom 6. Juli 1961 ab, weil der Kläger nicht mindestens ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen sei. Seinen bereits vorher gestellten Antrag auf Bewilligung von Rente wegen Berufsunfähigkeit hatte sie durch Bescheid vom 25. Juli 1960 abgelehnt.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Bescheide vom 25. Juli 1960 und 6. Juli 1961 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. April 1961 an Altersruhegeld, hilfsweise vom 1. Januar 1960 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat durch Urteil vom 23. Januar 1962 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem Hauptantrag auf Gewährung von Altersruhegeld stattgegeben; einer Entscheidung über den Hilfsantrag hat es sich als enthoben angesehen.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 12. Oktober 1962 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Die 10-tägige Beschäftigung des Klägers im Dezember 1960 sei als gelegentliche Aushilfe anzusehen und bleibe deshalb für die Beurteilung, ob die Arbeitslosigkeit unterbrochen worden sei, außer Betracht. Die Entscheidung hänge somit davon ab, ob der Kläger vom 28. Februar bis 19. April 1961 trotz seiner damaligen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit als Arbeitsloser zu gelten habe. Diese Frage sei zu bejahen. Seit der Neufassung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 3. April 1957 sei auch in der Rentenversicherung für die Auslegung des Begriffs "arbeitslos" allein § 75 Abs. 1 AVAVG maßgebend. Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift könne allerdings nur sein, wer subjektiv und objektiv dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Diese Voraussetzungen habe der Kläger erfüllt. Er habe, obwohl er am 4. Januar 1960 Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt habe, zunächst nicht aus dem Arbeitsleben ausscheiden wollen. Auch durch seine Ende Februar 1961 einsetzende Krankheit habe er die Arbeitnehmereigenschaft nicht verloren. Die mehr als sechsmonatige Dauer der Krankheit ändere daran nichts; denn das Jahr der Arbeitslosigkeit sei bereits nach 7 Wochen, nämlich im April 1961, vollendet gewesen, so daß die Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld vorgelegen hätten. Nur für die Weitergewährung des Altersruhegeldes hätte die längere Krankheitszeit von Bedeutung sein können, weil nämlich die Rente "für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit" gewährt werde. Tatsächlich sei der Kläger weiterhin arbeitslos in dem dargelegten Sinne gewesen. Arbeitsamt und Krankenkasse hätten ihn als Arbeitslosen angesehen; er habe lediglich kein Krankengeld bezogen, weil er ausgesteuert gewesen sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor: Der Kläger habe während seiner Krankheit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden, weil er nach seinem Leistungsvermögen nicht imstande gewesen sei, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsauffassung für eine Vermittlung als Arbeitnehmer nicht in Betracht gekommen sei. Deshalb könne er während der mehr als sechsmonatigen Arbeitsunfähigkeit - nur Zeiten bis zu 3 Monaten würden üblicherweise nicht als Unterbrechung angesehen - nicht als "ununterbrochen arbeitslos" angesehen werden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und weist außerdem darauf hin, daß es rechtspolitisch nicht tragbar wäre, einem beschäftigungslosen älteren Arbeitnehmer das vorzeitige Altersruhegeld allein deshalb zu versagen, weil er das Unglück gehabt habe, während der bestehenden Arbeitslosigkeit zu erkranken.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) setzt voraus, daß der Versicherte seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist. Diese Voraussetzung hatte der Kläger mit Ablauf des 19. April 1961 erfüllt, obwohl er während des maßgeblichen Jahreszeitraums zehn Tage versicherungspflichtig beschäftigt und außerdem in den letzten sieben Wochen arbeitsunfähig krank war. Die kurzfristige Beschäftigung ging über eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO nicht hinaus und steht deshalb - jedenfalls für sich allein - der Annahme von Arbeitslosigkeit während dieser Zeit nicht entgegen. Der angeführte Satz 4 gilt nicht nur für den Wegfall und die Wiedergewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes (Sätze 2 und 3 des § 1248 Abs. 2 RVO), sondern sinngemäß auch für die erstmalige Gewährung der Rentenleistung (BSG 23, 222, 223 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -). In den sieben Wochen vom 28. Februar 1961 bis zum Ende des am 19. April 1961 ablaufenden Jahreszeitraums war der Kläger nicht arbeitslos im Sinne der Anspruchsvoraussetzung des § 1248 Abs. 2 RVO, weil er wegen Krankheit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand. Diese Rechtsauffassung entspricht der gefestigten, vom erkennenden Senat zuletzt durch Urteil vom heutigen Tage in 4 RJ 221/63 bestätigten Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 21, 24; SozR RVO § 1248 Nrn. 21 und 39; 11/1 RA 4/63 vom 4. November 1964). Der Grundsatz, daß Arbeitsunfähigkeit die Arbeitslosigkeit ausschließt, gilt jedoch nicht für eine Arbeitsunfähigkeit von verhältnismäßig geringfügiger Dauer. Auch dies ist in der Rechtsprechung des BSG herausgearbeitet und in dem vorerwähnten Urteil des erkennenden Senats - 4 RJ 221/63 vom 30. Juni 1966 - näher dargelegt worden. Dementsprechend hat bereits der 1. Senat (SozR RVO § 1248 Nr. 39) eine Krankheit von sieben Wochen bei der Beurteilung der Arbeitslosigkeit aus dem Gesichtspunkt der Geringfügigkeit außer Betracht gelassen. Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, sich dieser Bewertung anzuschließen. Er hält es darüber hinaus für vertretbar und geboten, die festgestellten Zeiten der kurzfristigen Beschäftigung und der Krankheit auch in ihrer Addition von 59 Tagen als "unschädlich" im Sinne der angeführten Rechtsprechung anzusehen.
Der Annahme, daß der Kläger mit Ablauf des 19. April 1961 die Anspruchsvoraussetzungen des § 1248 Abs. 2 RVO erfüllt hatte, steht die Fortdauer seiner Krankheit und Arbeitsunfähigkeit über den Jahreszeitraum hinaus nicht entgegen. Diese Fortdauer ist nur im Zusammenhang mit der Rechtsfolge der in Rede stehenden Vorschrift von Bedeutung. Das Gesetz knüpft an die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen die Folge, daß "für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit" Altersruhegeld zu gewähren ist. Hierzu hat der 1. Senat in seinem mehrfach erwähnten Urteil vom 23. März 1966 ausgeführt, der - dem Grunde nach - einmal entstandene Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld könne nur beim Wiedereintritt in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht verwirklicht werden. Ob dieser Meinung wenn sie wortgetreu verstanden wird, uneingeschränkt zuzustimmen, ob beispielsweise das vorzeitige Altersruhegeld auch dann nach Ablauf eines Jahres der Arbeitslosigkeit zu gewähren oder nach der Bewilligung weiterzugewähren ist, wenn der Versicherte eine selbständige Tätigkeit aufnimmt, oder wenn er eine ihm angebotene Beschäftigung ohne berechtigten Grund ausschlägt, kann unentschieden bleiben, weil der vorliegende Streitfall dazu keine Veranlassung bietet. Der erkennende Senat pflichtet dem 1. Senat jedenfalls darin bei, daß der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld, sobald seine Voraussetzungen einmal erfüllt sind, nicht deshalb entfällt, weil der Versicherte arbeitsunfähig krank ist. Damit wird in Kauf genommen, daß der für die Schaffung der Voraussetzungen des Anspruchs aus § 1248 Abs. 2 Satz 1 RVO zu fordernden Arbeitslosigkeit ein anderer Begriffsinhalt zugrunde gelegt wird als der Arbeitslosigkeit in den Worten "für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit". Hiergegen bestehen um so weniger Bedenken, als der Senat sich in der Deutung des Begriffs arbeitslos nicht ausschließlich nach §§ 75, 76 AVAVG richtet, vielmehr den Zweck und die Bedürfnisse der Rentenversicherung in der gebotenen Weise in den Vordergrund stellt (vgl. BSG 23, 235). Dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des Rentenversicherungsrechts entspricht es aber, den Begriff der Arbeitslosigkeit in der Rechtsfolge des § 1248 Abs. 2 Satz 1 RVO in der dargelegten Weise zu modifizieren. Wenn nämlich das Gesetz schon von einem gesunden, mindestens 60-jährigen Versicherten, der sich ein Jahr lang der Arbeitsvermittlung ohne Erfolg zur Verfügung gestellt hatte, annimmt, daß er keinen Arbeitsplatz mehr finden kann, so muß dies um so mehr für einen Versicherten gelten, der nicht nur arbeitslos, sondern obendrein noch arbeitsunfähig krank ist.
Das LSG hat somit im Ergebnis zu Recht dem Kläger das vorzeitige Altersruhegeld für den streitigen Zeitabschnitt zuerkannt. Die Revision der Beklagten muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen