Leitsatz (amtlich)

Zu den "Versicherten" iS des RVO § 1241 Abs 2 S 2 zählen Empfänger von Renten wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit auch dann nicht, wenn sie ein Arbeitseinkommen haben (Fortführung BSG 1968-12-12 12 RJ 516/65 = SozR Nr 12 zu § 1241 RVO).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Lösung der Frage, nach welchen Merkmalen das Übergangsgeld für einen versicherungspflichtig beschäftigten Rentenempfänger zu berechnen ist, hat das Gesetz dem sachgemäßen Ermessen der Verwaltung überantwortet.

Da die Summe aus der Rente und dem Arbeitsentgelt den Richtpunkt für den Umfang des Übergangsgeldes abgeben soll, müssen diese Bezüge zeitlich zusammenfallen.

Es ist sachgerecht, das Übergangsgeld auch da aus der Summe der Rente und dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt zu berechnen, wenn das Arbeitsentgelt nach Rentenbescheiderteilung in weniger als 12 Beitragsmonaten erzielt wurde.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 1968 wird aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 31. August 1967 wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 30. Mai bis 27. Juni 1967 eine Kur. Das Übergangsgeld bewilligte sie ihm für diese Zeit in Höhe von täglich 4,40 DM und für weitere 14 Tage der Arbeitsruhe von 6,- DM (Bescheid vom 31. August 1967). Bei Festsetzung dieser Tagessätze legte die Beklagte - gemäß den Richtlinien des Verbandes der Rentenversicherungsträger und den Beschlüssen ihrer Organe - als Einkommen des Klägers das zugrunde, was dieser im Durchschnitt der letzten 12 Kalendermonate unmittelbar vor Kurbeginn sowohl an Rente als auch an Arbeitsentgelt bezogen hatte. Der Kläger hatte bereits Rente - zuletzt ab Oktober 1966 wegen Berufsunfähigkeit, vorher wegen Erwerbsunfähigkeit - erhalten. In den letzten 9 Monaten vor der Heilbehandlung, aber nicht während des ganzen letzten Jahres, war er einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. Darauf beruft sich der Kläger. Er beanstandet, daß die Beklagte bei der Berechnung des Übergangsgeldes nicht, wie es in § 1241 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) heißt, seine Einkünfte während der letzten 12 mit Beiträgen belegten Monate, sondern nur während der letzten 9 Beitragsmonate berücksichtigte.

Der Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg mit Urteil vom 19. Dezember 1968 stattgegeben. Es hat die Voraussetzungen für die Anwendung des § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO für gegeben gehalten. Zwar handele diese Gesetzesbestimmung von dem Übergangsgeld nur "für Versicherte", aber als arbeitender Rentner zähle der Kläger auch dazu. Die Begriffe "Versicherter" und "Rentner" schlössen einander nicht aus; sei doch in der Überschrift des Gesetzes vor § 1245 RVO ausdrücklich von "Renten an Versicherte" die Rede. Soweit der Kläger während der letzten 12 Beitragsmonate nicht nur Arbeitsentgelt sondern auch Rente gehabt habe, müsse das Übergangsgeld von der Summe beider Beträge errechnet werden; denn der Lebenszuschnitt des Klägers sei nach diesem Gesamteinkommen ausgerichtet gewesen und solle - das sei der Wille des Gesetzes - während der Rehabilitationsmaßnahmen aufrechterhalten bleiben. - Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat - mit Einwilligung des Klägers - Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Ihres Erachtens trifft § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO lediglich eine Regelung für "Versicherte", aber nicht auch für Rentner. Das ergebe sich daraus, daß diese Gesetzesstelle allein auf die Bezugsgröße des Arbeitsentgelts, nicht aber auf die des Renteneinkommens abhebe. Wegen des Fehlens einer genaueren Weisung durch das Gesetz hält sich die Beklagte für befugt, nach den Richtlinien des Verbandes der Rentenversicherungsträger zu verfahren, und zwar in dem Sinne, daß als Richtmaß für die Übergangsgeldhöhe das Arbeitsentgelt neben der Rente von Bedeutung sei, aber nur soweit sich beide Einkünfte zeitlich deckten. Den Arbeitsverdienst aus der Zeit vor Rentenbeginn will die Beklagte außer Betracht lassen. Sie meint, insoweit habe sich das Arbeitseinkommen bereits in der Rente niedergeschlagen und könne nicht abermals Berechnungsposten sein.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält in Verbindung mit § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO die strenge Unterscheidung zwischen Versicherten und Rentnern jedenfalls für den Fall nicht gerechtfertigt, daß der Rentner noch bis zuletzt gearbeitet habe.

Die Revision ist begründet.

Der Berechnungsmodus, den die Beklagte bei Festsetzung des - dem Kläger bewilligten - Übergangsgeldes angewandt hat, ist nicht zu beanstanden. Dabei hat sie sich allerdings nicht streng an alle Rechnungseinheiten gehalten, die in § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO aufgezeigt sind. Sie ist zunächst von einem anderen Zeitmaßstab ausgegangen, nämlich von den letzten 12 Kalendermonaten und nicht den letzten 12 Beitragsmonaten. Sodann hat sie ohne Rücksicht darauf, wie hoch das Arbeitseinkommen des Klägers im Durchschnitt der letzten 12 mit Beiträgen belegten Monate war, die Summe von Rente und letztem Arbeitslohn als Richtmaß genommen. Sie ist dabei dem Vorschlag gefolgt, den der Verband der Rentenversicherungsträger in seinen Richtlinien vom 18. August 1960 (unter 1. Abschnitt II B 2) entwickelt hatte (abgedruckt im sog. Verbandskommentar zur RVO, 4. und 5. Buch, 6. Aufl. Bd. I Anm. 15 zu § 1241). Mit dieser Berechnungsweise hat die Beklagte nicht in unerlaubter Weise den Boden des Gesetzes verlassen. Das Gesetz hält für den gegenwärtig zu beurteilenden Sachverhalt keine bestimmte Lösung bereit. Es beschränkt sich darauf, in § 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO, den Versicherungsträger zur Zahlung des Übergangsgeldes nur für die Dauer der Wiederherstellungsleistungen zu verpflichten. Im übrigen gibt es - was die Höhe der Leistung betrifft - in § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO nur für das Übergangsgeld an "Versicherte" eine nähere Anleitung. Wie dagegen das Übergangsgeld an Rentner im einzelnen zu ermitteln ist, haben die Selbstverwaltungsorgane zu konkretisieren (§ 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO). Daß § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht auch auf Rentner zutrifft, und daß insbesondere der dort verwendete Begriff des "Versicherten" nicht den des Empfängers von Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 1236 Abs. 2 RVO) umfaßt, hat das Bundessozialgericht in der in SozR Nr. 12 aus § 1241 RVO veröffentlichen Entscheidung dargelegt. Es genügt hier, auf die ausführliche Begründung des angeführten Urteils Bezug zu nehmen. Ein Grund, von der dort erarbeiteten Auffassung abzugehen, besteht nicht.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem damaligen indessen dadurch, daß hier der Kläger vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen nicht bloß Rentner, sondern auch versicherungspflichtig beschäftigt war. Dieser Unterschied bedingt jedoch für den Anwendbarkeit des § 1241 Abs. 2 Satz 2 RVO keine verschiedene rechtliche Beurteilung. Der Rentner, der in den Genuß von Übergangsgeld gelangt, ist, was den künftigen Versicherungsfall (Vollendung des 65. Lebensjahres, Tod) anbetrifft, regelmäßig zugleich Versicherter. Es ist deshalb nichts Ungewöhnliches, daß bis zuletzt trotz Rentenbezuges für ihn Beiträge entrichtet werden. Orientierte sich der Versicherungsträger deshalb an dem Durchschnitt des Arbeitsentgelts der letzten 12 Beitragsmonate, so genügte er damit allein dem Wortlaut des Gesetzes. Das Resultat wäre aber nicht notwendig oder auch sicher der Situation angemessen. Wer als Berufsunfähiger oder Erwerbsunfähiger noch einem Lohnerwerb nachgeht, zB in Teilzeitarbeit, wird nicht aus dem dadurch erzielten Arbeitsverdienst allein oder primär seinen Lebensbedarf und den Unterhalt seiner Angehörigen bestreiten. Vielmehr werden in den meisten Fällen auch die Rentenbezüge dafür benötigt, zumal dann, wenn der erzielte Arbeitsertrag hinter den Rentenbezügen zurückbleibt. Richtete man sich gleichwohl wegen der Höhe des Übergangsgeldes lediglich nach dem Merkmal des Arbeitseinkommens, so bediente man sich eines wenig wirklichkeitsgerechten, die Realität nur zum Teil treffenden Wertmaßes. Daß ein solches - unpassendes - Wertmaß dennoch für Sachverhalte der in Frage stehenden Art vom Gesetz zwingend vorgeschrieben sei, ist nicht zu unterstellen. Demgegenüber erscheint eher die Annahme gerechtfertigt, daß das Gesetz auf die Frage nach dem richtigen Maßstab für das Übergangsgeld an arbeitende Rentner unmittelbar keine Antwort gibt, daß es vielmehr die Lösung dem sachgemäßen Ermessen der Selbstverwaltung überantwortet hat. Davon ausgehend, hat die Beklagte einen annehmbaren Weg gewählt, indem sie für die Höhe des Übergangsgeldes die Summe von Rente und letzten Arbeitslohn bestimmend sein ließ. Mit gutem Grund hat die Beklagte das zeitliche Moment der "letzten 12 mit Beiträgen belegten Monate" unbeachtet gelassen. Diese Monate können möglicherweise beträchtlich auseinanderklaffen und aus weiterer Vergangenheit heraus zu sammeln sein. Sie decken sich nicht notwendig mit der Zeit des Rentenbezuges. Wenn aber Rente und Arbeitseinkommen zusammen den Richtpunkt für den Umfang des Übergangsgeldes abgehen sollen - das ist auch die Ansicht des Klägers -, so müssen sie zeitlich zusammenfallen.

Hiernach hat sich die Beklagte bei Festsetzung des Übergangsgeldes von rechtlich einwandfreien Überlegungen leiten lassen. Die mit dieser Ansicht nicht übereinstimmende Entscheidung des Sozialgerichts ist aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669518

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