Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 15.10.1996) |
SG Augsburg (Urteil vom 06.09.1994) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 6. September 1994 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob bei der Berechnung des Altersruhegeldes (ARG) des Klägers eine weitere Ausfallzeit zu berücksichtigen ist.
Der im November 1926 geborene Kläger war vor Ableistung des Reichsarbeitsdienstes und nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft (6. August 1945) bis März 1947 bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt. Bereits im Januar 1947 unterzog er sich einer Eignungsprüfung für einen Vorkurs Hochbau an der Bau- und Ingenieurschule A. … (im folgenden: Ingenieurschule), deren Bestehen ihm im August 1947 mitgeteilt wurde. Vom 1. April bis zum 18. September 1947 befand er sich in einem rentenversicherungspflichtigen Ausbildungsverhältnis zum Maurer (erfolgreiche Gesellenprüfung am 9. September 1947). Vom 19. September bis 31. Dezember 1947 leistete er einen von der Ingenieurschule vor Aufnahme des vom Kläger beabsichtigten Ingenieurstudiums verlangten studentischen Wiederaufbaudienst an dieser Fachhochschule. Ab Januar 1948 absolvierte er zunächst den Vorkurs Hochbau, sodann das Studium zum Hochbauingenieur. Seit 1. Dezember 1991 gewährt ihm die Beklagte ein ARG (Rentenbewilligungsbescheide vom 21. Januar 1992, vom 24. Juli 1992 und 15. April 1993). Dabei berücksichtigt sie dessen Ausbildung zum Maurer (bis 18. September 1947) als Pflichtbeitragszeit sowie die Ausbildung an der Ingenieurschule ab 7. Januar 1948 als Ausfallzeit wegen Schul- bzw Fachschulausbildung. Sie lehnt es jedoch ab, den studentischen Aufbaudienst vom 19. September bis 31. Dezember 1947 als rentenrechtliche Zeit anzuerkennen (Bescheid vom 24. September 1992, Widerspruchsbescheid vom 9. August 1993).
Das Sozialgericht Augsburg hat die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des ARG des Klägers die Zeit vom 19. September bis 31. Dezember 1947 als Ausfallzeit zu berücksichtigen (Urteil vom 6. September 1994). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der studentische Aufbaudienst lasse sich zwar keinem der in § 36 Abs 1 Nr 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) genannten Ausfallzeittatbestände zuordnen, jedoch handele es sich um eine rechtlich wie Ausfallzeiten zu behandelnde sog unvermeidliche Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Dem stehe nicht entgegen, daß der studentische Aufbaudienst vorliegend nicht einer anrechnungsfähigen Ausbildungs-Ausfallzeit, sondern einer versicherungspflichtigen Lehrzeit gefolgt sei (Urteil vom 15. Oktober 1996).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine unzutreffende Anwendung des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG gerügt. Voraussetzung für die Bewertung einer Zwischenzeit als Ausfall- oder Anrechnungszeit sei, daß es sich bei der einer Übergangszeit (Zwischenzeit) vorhergehenden Zeit um eine Ausbildung handelt, die iS von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a und b, § 252 Abs 1 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a und b AVG anrechnungsfähig ist. Es reiche nicht aus, daß die vorausgehende Zeit eine „sonstige” Berufsausbildung sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 6. September 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Er habe in den schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahren eine versicherungspflichtige Lehre durchlaufen, um „sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg” ein Fachschulstudium absolvieren zu können. In diesem Zusammenhang sei es zu einer unvermeidlichen Zwischenzeit iS der Rechtsprechung gekommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß bei der Feststellung des monatlichen Werts seines ARG die Zeit vom 19. September bis 31. Dezember 1947 als rentenrechtliche Zeit berücksichtigt wird.
Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß es sich bei der genannten Zeit, in der der Kläger studentischen Aufbaudienst leistete und für die keine Beiträge entrichtet wurden, nicht um eine Zeit der Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung iS des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG handelt. Der studentische Aufbaudienst diente dem Wiederaufbau der Ingenieurschule und war eine aus den damaligen Verhältnissen heraus entstandene Zulassungsvoraussetzung zur Bewältigung der mit der Nachkriegszeit verbundenen Wiederaufbauprobleme. Er entbehrt jedoch eines inhaltlichen Bezuges zur (schulischen) oder wissenschaftlichen Ausbildung und kann somit nicht dem nachfolgenden Ausbildungsabschnitt der Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung zugerechnet werden (vgl BSG SozR 3-5750 Art 2 § 46 Nr 1 S 3 zum Ausschluß eines Nachentrichtungsrechts für derartige Zeiten).
Das LSG hat die Zeit vom 19. September bis 31. Dezember 1947 jedoch zu Unrecht als sog unvermeidliche Zwischenzeit angesehen. Hierbei handelt es sich um Zeiten, die das Bundessozialgericht (BSG) in richterlicher Rechtsfortbildung den gesetzlich vorgesehenen und tatbestandlich formulierten Ausbildungs-Ausfallzeiten bzw – in der Terminologie des SGB VI – den Ausbildungs-Anrechnungszeiten gleichstellt, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Es muß sich um Zwangspausen von längstens vier Monaten handeln, die sich daraus ergeben, daß die staatliche bzw gesellschaftliche Organisation von Ausbildungsgängen und -abschnitten einen zeitlich „nahtlosen” Übergang zwischen diesen von vornherein und für alle Ausbildungswilligen nicht zuläßt. Wird „Ausbildung” für eine Zwischenzeit organisationsbedingt typischerweise generell nicht angeboten, ist dies den Ausbildungswilligen nicht anzulasten. Zu berücksichtigen sind nicht sämtliche individuell „unverschuldet” im jeweiligen Lebensbereich des Ausbildungswilligen liegenden, sondern nur generell unvermeidbare Zwangspausen, die der Ausbildungsorganisation eigentümlich und für sie typisch sind und die im wesentlichen auf (abstrakten) ausbildungsorganisatorischen Maßnahmen der Ausbildungsträger beruhen (Urteil des Senats vom 27. Februar 1997 – 4 RA 21/96, zur Veröffentlichung vorgesehen). Zunächst hatte das BSG noch verlangt, daß es sich um eine nicht mehr als vier Monate dauernde Zwangspause zwischen zwei anrechenbaren Ausfall- bzw Anrechnungszeittatbeständen handelt. Der Senat hat diese Rechtsprechung weiterentwickelt und auch die begrenzte Zeit zwischen dem Ende des Schulbesuchs und dem Beginn einer versicherungspflichtigen Lehre als Anrechnungszeit anerkannt, sofern diese Zwangspause generell unvermeidbar, durch die Organisation bedingt typisch und in diesem Sinne häufig ist (BSGE 70, 220 = SozR 3-2600 § 252 Nr 1 mwN zur Entwicklung dieser Rechtsfortbildung). Es ist mithin für die Annahme einer unvermeidlichen Zwischenzeit (nur noch) erforderlich, daß sie von zwei Ausbildungsabschnitten umgeben ist, wovon der erste Ausbildungsabschnitt ein Ausfall- bzw Anrechnungszeittatbestand gemäß § 36 Abs 1 Nr 4 AVG bzw § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI sein muß; diesem muß ein weiterer, vom Ausbildungsziel gesehen notwendiger Ausbildungsabschnitt folgen, der den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfüllt, nach dessen Beendigung erst der Weg ins Berufsleben und damit die Aufnahme einer regelmäßig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Berufstätigkeit eröffnet wird. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die unvermeidliche Zwischenzeit letztlich Ausfluß der im Vordergrund stehenden ersten Anrechnungs-Ausbildungszeit ist, die das Ausbildungsziel und damit die Gesamtausbildung, auch die nichtschulische, maßgeblich prägt (Urteil des Senats vom 24. Oktober 1996 – 4 RA 52/95).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar stellt sich die Zeit des studentischen Aufbaudienstes aus der Sicht des Klägers als unvermeidlich dar; sie hat – ohne die Voraussetzungen einer Ersatzzeit zu erfüllen – einen „ersatzzeitähnlichen Charakter” (so der 12. Senat des BSG, SozR 3-5750 Art 2 § 46 Nr 1 S 4) und ging im Fall des Klägers einer Fachschul- bzw Hochschulausbildung gleichsam als Zulässigkeitsvoraussetzung für das Studium voraus. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Maßgeblich ist vielmehr, ob die genannte Zeit auch dann als sog unvermeidliche Zwischenzeit anzusehen wäre, wenn der Kläger im hier streitigen Zeitraum keinen studentischen Aufbaudienst geleistet hätte, also eine „schlichte Pause” vorläge. Dies ist indessen nicht der Fall, weil einer Lehre als Maurer vom Ausbildungsziel her gesehen nicht typischerweise ein Ingenieurstudium folgt und dem Kläger zudem bereits durch die erfolgreich abgeschlossene Maurerlehre der Weg ins Berufsleben eröffnet war.
Das BSG hat die Aufnahme einer Lehre dem Beginn eines Studiums zwar insoweit gleichgestellt, als es um das Ende einer unvermeidlichen Zwischenzeit ging; dies geschah aus der Erwägung heraus, daß die Lehre nicht minder als ein Studium der Vorbereitung auf den späteren Beruf dient (vgl BSGE 70, 220, 223 = SozR 3-2600 § 252 Nr 1; 13. Senat des BSG, Urteil vom 1. Februar 1995 – 13 RJ 5/94, Breith 1995, 935 f). Für den Beginn der sog Zwangspause scheidet diese Gleichstellung im Hinblick auf die Nachkriegszeit schon deshalb aus, weil nach einer erfolgreich absolvierten Lehre im Regelfall die Berufstätigkeit aufgenommen wurde und keine weitere Ausbildung iS des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG bzw § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI mehr stattfand. Die im Fall des Klägers nach Abschluß seiner Lehre eingetretene „Zwangspause” kann somit nicht als Ausschluß einer im Vordergrund stehenden ersten Anrechnungs-Ausbildungszeit angesehen werden, die das Ausbildungsziel und damit die Gesamtausbildung maßgeblich prägt. Diese Pause trat nicht aufgrund der staatlichen bzw gesellschaftlichen Organisation von Ausbildungsgängen und -abschnitten auf, die einen „nahtlosen” Übergang zwischen diesen von vornherein und für alle Ausbildungswilligen nicht zuläßt, vielmehr beruht die Zwangspause auf den individuellen Verhältnissen des Klägers, der als bereits Berufstätiger die Voraussetzungen für eine Fachschulausbildung erwerben mußte, um nach anschließendem Studium den Beruf wechseln zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen