Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall eines Diplomkaufmanns in einem Cafe'
Leitsatz (redaktionell)
Führt ein Diplomkaufmann, der sich zu geschäftlichen Besprechungen in ein Cafe' begeben, seinen Geschäftspartner aber dort nicht angetroffen hatte, im Laufe des Abends tänzerische Bewegungen aus, bei denen er zu Fall kommt und sich ein Bein bricht, so kann ein Arbeitsunfall iS des RVO § 542 nicht angenommen werden.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Klägerinnen zu 2) und 3), der Dipl.-Kaufmann Raimund H... erlitt am 17. April 1953 gegen 21.00 Uhr im Café "A..." in München einen Unfall. Er hielt sich dort im Anschluß an eine geschäftliche Besprechung auf und brach sich das rechte Bein, als er scherzhafte Bewegungen zur Musik ausführte. Während der Heilbehandlung trat eine Lungenembolie auf. An ihr starb er am 4. Mai 1953. Die Ansprüche der Klägerinnen auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. März 1954 mit der Begründung ab, H... sei nicht den Folgen eines Arbeitsunfalls erlegen, weil im Zeitpunkt des Unfallereignisses sein Verhalten im Café "A..." nur seinem privaten Vergnügen gedient habe. Das Sozialgericht München hat die Klage durch Urteil vom 18. August 1954 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG.) hat im Urteil vom 13. März 1956 folgenden Sachverhalt festgestellt: H... führte am 17. April 1953 als Geschäftsführer eines Handelsunternehmens mit einem von auswärts nach München gekommenen Verkaufsleiter geschäftliche Besprechungen - zuletzt im Ratskeller des Münchener Rathauses - bis gegen 19.00 Uhr. Anschließend sollte bei "A..." gemeinsam Kaffee getrunken werden; dann wollte man in der Wohnung H... zu Abend essen und dort die geschäftlichen Besprechungen fortführen. Auf den Weg zum Café begaben sich beide getrennt, da H... beim Verlassen des Ratskellers unvorhergesehenerweise kurze Zeit zurückgehalten wurde. Sie verfehlten sich am vereinbarten Treffpunkt. Während der Geschäftspartner in sein Hotel ging, verbrachte H... den Abend in dem Café allein, wo er durch häufige Besuche ein wohlbekannter Gast war. Er befand sich in gehobener Stimmung und ließ sich im späteren Verlaufe des Abends gewünschte Weisen von der Musikkapelle vorspielen. Gegen 21.00 Uhr bewegte er sich mit tänzerischen Schritten vom Musikpodium zum Büfett, kreuzte in scherzhafter Absicht die Beine, fiel hin und brach sich dabei das rechte Bein. Das LSG. hat den Aufenthalt H... im Café während etwa der ersten Stunde als betriebliche Tätigkeit angesehen; hinsichtlich der späteren Zeit hat es angenommen, daß der Versicherungsschutz mindestens für die Dauer der zum Unfall führenden Handlungsweise Hölleins durch die besondere Art seines Verhaltens aufgehoben gewesen sei.
Das Urteil des LSG. ist den Klägerinnen am 23. April 1956 zugestellt worden. Sie haben hiergegen am 18. Mai 1956 mit dem gleichzeitigen Antrag, ihnen für die Durchführung des Revisionsverfahrens das Armenrecht zu bewilligen, durch ihren Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt und diese am 23. Juni 1956 begründet. Die Revision sollte allerdings erst als erhoben gelten, "wenn das Armenrecht bewilligt ist". Durch Beschluß vom 15. Mai 1957 ist das Armenrecht versagt worden, weil die Klägerinnen nicht als arm im Sinne des Gesetzes anzusehen waren.
Die Revision rügt die unrichtige Anwendung des § 542 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie führt dazu aus: Das LSG. habe verkannt, daß H... unter den gegebenen Umständen auch zur Zeit des Unfalls noch mit dem Eintreffen seines Geschäftspartners im Café "A..." habe rechnen dürfen, so daß sein gesamter Aufenthalt in dem Lokal betrieblichen Interessen gedient habe. Dafür spreche vor allem, daß von der Fortführung der Besprechungen an dem Abend ein großer geschäftlicher Gewinn für H... abhängig gewesen sei. Seine Verhaltensweise während des Wartens auf seinen Geschäftspartner sei für die Beurteilung des Versicherungsschutzes belanglos; aus der Äußerung seines lebensfrohen Temperaments dürften jedenfalls in dieser Hinsicht keine nachteiligen Folgerungen für ihn gezogen werden, zumal da auch seine durch die leichte Musik veranlaßte Handlungsweise der erforderlichen Entspannung nach anstrengender Arbeit gedient habe.
Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 1956 aufzuheben und ihnen die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Revision unter Hinweis auf das angefochtene Urteil entgegen.
II
Die vom LSG. zugelassene Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision ergeben sich nicht aus der Verbindung des Antrags der Klägerinnen auf Bewilligung des Armenrechts mit der Revisionseinlegung. Die Erklärung, daß die Revision erst nach der Entscheidung über das Armenrechtsgesuch als erhoben gelten sollte, ist nach der Auffassung des erkennenden Senats in Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit nicht dahin zu verstehen, daß die Revisionseinlegung von der Armenrechtsbewilligung im Sinne einer Bedingung abhängig sein sollte (BGHZ. 4 S. 54).
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG. hat das Vorliegen eines Arbeitsunfalls mit Recht verneint, weil die zum Unfall führende Handlungsweise H... nicht mit seiner versicherten beruflichen Beschäftigung im Sinne des § 542 RVO ursächlich zusammenhing. Es konnte unentschieden bleiben, ob er während seines ganzen Aufenthalts in dem Café oder - wie das LSG. angenommen hat - wenigstens zu Anfang unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand; denn auf jeden Fall hatte er sich im Zeitpunkt des Unfalls durch sein Verhalten außerhalb dieses Versicherungsschutzes gestellt. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die insoweit von der Revision nicht angegriffen und daher für das Bundessozialgericht bindend sind (§ 163 SGG), hat sich H... im Laufe des Unfallabends als vertrauter Gast des Cafés so verhalten, daß mit seiner unfallbringenden Betätigung nicht die Vorstellung verbunden werden kann, sie habe wesentlich betrieblichen Zwecken gedient. Zwar haben die am Unfalltag geführten und weiter vorgesehenen geschäftlichen Besprechungen den Aufenthalt H... in dem Lokal veranlaßt. Dieser Umstand hat jedoch für die Beurteilung des Unfallgeschehens keine rechtliche Bedeutung, da H... zu diesem Zeitpunkt in seiner aufgeräumten Stimmung ein Benehmen äußerte, welches nur noch auf eine seinem rein persönlichen Vergnügen dienende Unterhaltung gerichtet war. Diese Absicht kam eindeutig darin zum Ausdruck, daß er die Musikkapelle nach seinem Wunsche spielen ließ, hierzu tänzerische Bewegungen allein ausführte und dabei in der Nähe des Büfetts scherzhafte Figuren (Kreuzen der Beine) vor anwesenden Gästen und den Bedienungspersonal vorführte. Dieses seiner eigenen Freude an dem Treiben sowie der spaßhaften Unterhaltung anderer dienende Verhalten stand mit seiner beruflichen Tätigkeit nicht etwa deshalb in einem inneren Zusammenhang, weil seine gehobene Stimmung durch einen in Aussicht stehenden geschäftlichen Erfolg hervorgerufen worden war. Ein derartiges Verhalten ist nicht anders zu beurteilen, als wenn sich ein Versicherter aus Hang zur Spielerei betätigt; ein Unfall, der sich hierbei während der versicherten Tätigkeit ereignet, stellt im allgemeinen keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 542 RVO dar, da die einem Hang zur Spielerei entspringende Handlungsweise mit der versicherten Tätigkeit nicht in rechtserhebliche Beziehung gebracht werden kann (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.1.1958, Bd. II S. 489; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 69 a, Anm. 3 II i zu § 542 RVO; RVO-Mitgl.-Komm., Bd. III, 2. Aufl., S. 61, Anm. 4 I D 3 c zu § 544; Schulte-Holthausen, Komm. zur RVO, 3. Buch, Unfallversicherung, 4. Aufl., S. 53, Anm. 8 zu § 544; LSG. Baden-Württemberg in Breith. 1956 S. 358). So hat auch das durch die scherzhaften Tanzbewegungen gekennzeichnete Verhalten H... nach dem festgestellten Sachverhalt derart unter der Einwirkung unternehmensfremder Zwecke gestanden, daß sein unfallbringendes Tun selbst im Hinblick auf den Anlaß seines Aufenthalts in dem Café zu seiner beruflichen Tätigkeit nicht in eine rechtlich erhebliche Beziehung zu bringen ist. Besondere Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, daß im vorliegenden Fall gleichwohl der Versicherungsschutz für das Verhalten Hölleins zur Unfallzeit begründet gewesen wäre, sind nach den Unterlagen nicht ersichtlich. Die von der Revision angeführten Vergleichsfälle, die sich auf das Baden bei einem Betriebsausflug (BSG. 1 S. 179) und auf die Teilnahme an einem Richtfest (SGb. 1956 S. 64) beziehen, sind nicht geeignet, eine den Klägerinnen günstige Beurteilung zu rechtfertigen. In dem ersten Fall, den der erkennende Senat entschieden hat, ist ausdrücklich festgestellt, daß sich das Baden in den Gesamtzweck des dem Versicherungsschutz unterstehenden Betriebsausflugs sinnvoll einordnete; in dem anderen vom Hessischen LSG. entschiedenen Fall war der Gesichtspunkt ausschlaggebend, daß die Teilnahme an dem Richtfest ihren Charakter durch die besondere Bindung an die eigene Arbeit eines handwerklichen Unternehmers erhielt. In jedem dieser beiden Fälle handelte es sich sonach um einen Sachverhalt, der sich von dem vorliegenden wesentlich unterscheidet.
Da sonach der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den geschäftlichen Besprechungen H... zu verneinen war, konnte sein Tod nicht die Folge eines Arbeitsunfalls gewesen sein.
Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen