Leitsatz (amtlich)
Ein jugoslawischer Staatsangehöriger, der von einem bundesdeutschen Arbeitgeber nur zu dem Zweck einer Beschäftigung auf einer Auslandsbaustelle eingestellt wird, hat für seine in Jugoslawien lebenden Kinder jedenfalls dann keinen Anspruch auf Kindergeld, wenn er vorher in der Bundesrepublik Deutschland nicht beschäftigt war und weder Leistungen aus der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung bezogen hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der vorübergehende Aufenthalt einer Person im Inland zur Regelung der Formalitäten einer Auslandsbeschäftigung führt nicht zu einer Einbeziehung in das deutsche Sozialversicherungssystem.
2. In Jugoslawien lebende Kinder eines jugoslawischen Arbeitnehmers können beim Kindergeldanspruch weiterhin berücksichtigt werden, wenn er in unmittelbarem Anschluß an ein Arbeitsverhältnis in Bundesrepublik Deutschland bzw nach Vorliegen der in Art 28 Abs 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit (SozSichAbk YUG) genannten Ersatztatbestände zu einer vorübergehenden Dienstleistung ins Ausland entsandt wird.
3. Eine Entsendung iS von § 4 SGB 4 liegt bei Einstellung ausschließlich zum Zweck einer vorübergehenden Beschäftigung im Ausland nur dann vor, wenn ein Anknüpfungspunkt an die deutsche Sozialversicherung gegeben ist. Dieser kann durch ein bereits vorher bestehendes Beschäftigungsverhältnis im Inland gegeben sein. Liegt ein solches vor der Einstellung zum Zwecke des Auslandseinsatzes jedoch nicht vor, so muß als Anknüpfungspunkt wenigstens der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik gegeben sein.
Normenkette
BKGG § 1 Nrn. 1, 2a; SozSichAbK YUG Art. 3; SozSichAbk YUG Art. 28; SGB 1 § 30 Fassung: 1975-12-11; SGB 4 § 4 Fassung: 1976-12-23; SozSichAbk YUG Art. 28 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 01.07.1980; Aktenzeichen L 5 Kg 1231/79) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 03.05.1979; Aktenzeichen S 4 Kg 21/79) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld für die Zeit vom 1. März 1977 bis 31. März 1978.
Der Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er ist der Vater von vier ehelichen 1959, 1963, 1964 und 1966 geborenen und in Jugoslawien lebenden Kindern. In der Bundesrepublik Deutschland war er zuletzt von September 1974 bis Februar 1975 beschäftigt und bezog anschließend mit einer kurzen Unterbrechung Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Vom 24. Februar bis 2. Juli 1976 war er für das Bauunternehmen H B, K, auf einer Auslandsbaustelle beschäftigt. Die Beklagte gewährte ihm auch für diese Zeit Kindergeld für alle vier Kinder. Das Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen Becht endete am 2. Juli 1976. Der Kläger hielt sich anschließend in Jugoslawien auf. Vom 27. März 1977 bis 31. März 1978 war der Kläger erneut auf einer Auslandsbaustelle des Unternehmens B in L beschäftigt. Für die Bundesrepublik Deutschland besaß er keine arbeitserlaubnis. Mit dem Arbeitgeber B hatte er einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen.
Am 22. April 1977 beantragte der Kläger wiederum die Gewährung von Kindergeld. Mit dem Bescheid vom 25. August 1977 entzog die Beklagte dem Kläger das Kindergeld mit Ablauf des Monats Juli 1976, weil er während seiner Beschäftigung auf einer Baustelle in Libyen nicht dem deutschen Recht über soziale Sicherheit unterliege. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 1978 zurück, weil nach Art 28 Abs 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens jugoslawische Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf Kindergeld hätten, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt seien.
Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Kindergeld zu zahlen. Nach den Grundsätzen der Ausstrahlung sei der Kläger als im Bundesgebiet beschäftigt anzusehen (Urteil vom 3. Mai 1979). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht von seinem Arbeitgeber ins Ausland entsandt worden. Das LSG hat die Revision zugelassen (Urteil vom 1. Juli 1980).
Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 1 Nr 2a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) und des § 28 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 1. Juli 1980 aufzuheben und die Berufung der
Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart
vom 3. Mai 1979 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Das LSG hat das angefochtene Urteil des SG zu Recht aufgehoben und die Klage gegen den streitigen Bescheid abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger zutreffend für die Zeit vom 1. März 1977 bis 31. März 1978 kein Kindergeld für seine vier in Jugoslawien lebenden ehelichen Kinder gewährt.
Das BKGG in der hier maßgeblichen, seit dem 1. Januar 1975 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1975 (BGBl I 412, 413) folgt in zweifacher Hinsicht dem Territorialitätsgrundsatz.
Nach § 1 Nr 1 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder, der im Geltungsbereich des BKGG einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG, der unverändert weiter gilt, werden jedoch Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG haben. Beide Voraussetzungen erfüllte der Kläger in der streitigen Zeit nicht. Er hatte seinen Wohnsitz allenfalls bei seiner Familie in Jugoslawien, wo auch seine Kinder lebten und seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf der Auslandsbaustelle seines Beschäftigungsunternehmens in Libyen, jedenfalls nicht in der Bundesrepublik Deutschland, wo er sich seit Juli 1976 auch nach seinem eigenen Vorbringen allenfalls vorübergehend aufgehalten hat. Der Territorialitätsgrundsatz ist jedoch sowohl im BKGG als auch mit dem hier in Betracht kommenden Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) - Abkommen - mehrfach durchbrochen, nämlich ua durch § 1 Nr 2a, § 2 Abs 5 BKGG und Art 28 des Abkommens. Daraus ergibt sich aber kein Kindergeldanspruch für den Kläger.
Nach § 1 Nr 2a BKGG erhält auch derjenige Kindergeld, der ohne einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland von seinem im Geltungsbereich des BKGG ansässigen Arbeitgeber oder Dienstherrn zur vorübergehenden Dienstleistung in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt, abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist. Hier ist für das Kindergeldrecht, worauf noch näher einzugehen sein wird, bereits seit dem 1. Januar 1975 der von der Rechtsprechung für die einzelnen Zweige der Sozialversicherung entwickelte Grundsatz der Ausstrahlung (jetzt seit dem 1. Juli 1977 § 4 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften - SGB 4) gesetzlich verankert.
Soweit in § 2 Abs 5 Satz 2 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1978 geltenden Fassung (Art 1 und 4 des 8. Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 14. November 1978 - BGBl I 1757) Ausnahmen von dem Territorialitätsgrundsatz in bezug auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder gemacht sind, erfüllt der Kläger diese Voraussetzungen nicht. Denn er hatte nicht insgesamt mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG (Nr 1a), war nicht Deutscher (Nr 1b) und hatte keine Ansprüche nach dem Bundesvertriebenengesetz (Nr 1c). Er hatte auch seine Kinder nicht in seinen Haushalt an einem Entsendungsort aufgenommen (Satz 2 Nr 2).
Die allgemeine Gleichstellung deutscher und jugoslawischer Staatsangehörige bei der Anwendung der Rechtsvorschriften der beiden Staaten nach Art 3 Abs 1 und die Anwendung des Territorialitätsgrundsatzes gegenüber den Angehörigen des jeweils anderen Staates nach Art 3 Abs 2 des Abkommens begründen keinen Kindergeldanspruch des Klägers. Denn auch ein Deutscher hätte unter den gleichen Umständen für seine in Jugoslawien lebenden Kinder nach dem BKGG keinen Kindergeldanspruch (§ 2 Abs 5 BKGG).
Art 28 des Abkommens erweitert jedoch den Kreis der zu berücksichtigenden Kinder, indem er Kinder, die sich gewöhnlich in dem anderen Vertragsstaat aufhalten, denen gleichstellt, die sich gewöhnlich im ersten Vertragsstaat aufhalten. Kinder eines in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Jugoslawen werden also so angesehen, als lebten sie ebenfalls hier. Diese Gleichstellung der Kinder tritt aber nur ein, wenn der Angehörige des anderen Vertragsstaates im Gebiet des ersten Vertragsstaates beschäftigt ist und dessen Rechtsvorschriften unterliegt (Art 28 Abs 1 Satz 1 Erster Satzteil des Abkommens). Hiermit ist der Territorialitätsgrundsatz des § 1 Nr 1 BKGG eingeschränkt. Es genügt nicht der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt als Anspruchsvoraussetzung. Hinzukommen muß vielmehr eine Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger während der streitigen Zeit ebenfalls nicht.
Schließlich ergibt sich auch aus dem Grundsatz der Ausstrahlung kein Kindergeldanspruch für den Kläger. Die Rechtsprechung hat für eine Ausstrahlung von jeher eine Entsendung vom Inland in das Ausland gefordert. Eine Einstellung im Ausland bei einem im Inland ansässigen Unternehmen für eine Beschäftigung im Ausland bezieht daher den Arbeitnehmer weder in den Schutz der deutschen Sozialversicherung ein noch entsteht dadurch ein Kindergeldanspruch (SozR 2200 § 625 Nr 3; vgl auch Brackmann, BG 1977, 173). Deutlich kommt dieser Grundsatz jetzt in § 4 SGB 4 zum Ausdruck: "... Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, ...". Wenn der Kläger daher, wie das LSG angenommen hat, von dem Beschäftigungsunternehmen in Jugoslawien für die Auslandsbaustelle in Libyen eingestellt worden ist und wenn er unmittelbar von dort nach Libyen gegangen ist, wäre er nicht "entsandt" iS von § 1 Nr 2a BKGG gewesen. Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Sie entspricht dem Ausnahmecharakter der Ausstrahlungstatbestände gegenüber dem Territorialitätsgrundsatz, wie er jetzt seit dem 1. Januar 1976 ausdrücklich für alle von dem Sozialgesetzbuch erfaßten Rechtsgebiete gilt (§ 30 SGB 1), wozu auch das Kindergeldrecht gehört.
Auch wenn der Kläger, wie er behauptet, vor Antritt seiner Beschäftigung in Libyen in der Bundesrepublik gewesen sein sollte und hier auch erneut eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, begründet das seinem Anspruch nicht. Wenn er nur in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sein mag, um notwendige Formalien seines Beschäftigungsverhältnisses und seiner Einreise nach Libyen in Ordnung zu bringen, wäre das rechtlich unerheblich gewesen. Dadurch wäre an dem Sachverhalt einer Einstellung im Ausland für eine Beschäftigung im Ausland nichts geändert worden. Aber auch wenn er zunächst aus Jugoslawien zurückgekehrt wäre, sich berechtigt in der Bundesrepublik aufgehalten hätte und erst dann für eine Beschäftigung in Libyen eingestellt worden wäre, läge darin keine rechtserhebliche Entsendung iS von § 1 Nr 2a BKGG. Zwar wird es für eine Entsendung iS von § 4 SGB 4 für ausreichend erachtet, wenn jemand im Inland nur zum Zweck einer vorübergehenden Beschäftigung im Ausland eingestellt wird (vgl Brackmann, aaO; Krause/von Maydell/Merten/Meydam, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, § 4 RdNr 14 unter Berufung auf die Begründung zum Regierungsentwurf zu § 4 - BT-Drucks 7/4122, S 30 -). Das kann aber nur gelten, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt die Voraussetzung für die Einbeziehung in das deutsche Sozialversicherungssystem ist. Nur in diesen Fällen ist die Erstreckung auch auf vorübergehende Beschäftigungen im Ausland gerechtfertigt, weil der Schwerpunkt der Rechtsbeziehungen im Inland verbleibt. Ist der Anknüpfungspunkt an die deutsche Sozialversicherung und an das deutsche Kindergeldrecht aber ein Beschäftigungsverhältnis im Inland, bestehen also ohne eine solche Beschäftigung keine derartigen Rechtsbeziehungen, fehlt jeder Grund, die einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften auf Beschäftigungsverhältnisse im Ausland zu erstrecken. Bestand also vor der Entsendung kein Beschäftigungsverhältnis und lagen keine anderen Sachverhalte vor, durch die Ansprüche begründet wurden - hier nach Art 28 Abs 1 des Abkommens -, können solche Ansprüche nicht durch eine Entsendung begründet werden. Der Kläger war vor dem 27. März 1977 seit Juli 1976 weder in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt noch bezog er Leistungen der Krankenversicherung oder der Arbeitslosenversicherung. Er besaß nicht einmal eine Arbeitserlaubnis; sie hätte ihm auch nicht erteilt werden müssen (§ 19 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- iVm § 2 Abs 1 Nr 1 und Abs 4 der Arbeitserlaubnisverordnung vom 2. März 1971 - BGBl I S 152). Er hätte daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht beschäftigt werden dürfen (§ 19 Abs 1 Satz 4 AFG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1656805 |
Breith. 1982, 623 |