Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.02.1980) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Februar 1980 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen der Folgen eines Unfalles, den er am 22. Dezember 1974 erlitten hat, aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen ist.
Der 1902 geborene Kläger war bis Juli 1974 als Angestellter im Außendienst der v. B. & Co KG beschäftigt. In diesem Unternehmen war es nach dessen Angaben üblich, die im Außendienst beschäftigten Angestellten zum Saisonende auf Kosten des Unternehmens zu einer Abschlußbesprechung mit feierlicher Verabschiedung inzwischen aus Altersgründen ausgeschiedener Unternehmensangehöriger einzuladen. Einer solchen Einladung folgte der Kläger am 21. Dezember 1974, nachdem ihn die Unternehmensleitung einige Tage vorher inoffiziell verabschiedet hatte; dabei war erörtert worden, ihn mit Sonderaufgaben zu betrauen, ohne daß Abschließendes geregelt worden war. Am 22. Dezember 1974 stürzte der Kläger gegen 13.00 Uhr auf der Treppe des Hotels K., in dem er vom 21. auf 22. Dezember 1974 übernachtet hatte, als er die Heimfahrt von der Jahresabschlußfeier antreten wollte. Er zog sich eine Kniegelenksprellung zu.
Der Kläger bezieht eine Versorgungsamtsrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vH nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Beklagte lehnte es ab, die mit einer MdE von 20 vH geschätzten Unfallfolgen zu entschädigen, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt kein Betriebsangehöriger gewesen sei (Bescheid vom 26. Januar 1976).
Das Sozialgericht (SG) Konstanz und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg haben das Begehren auf Entschädigung für gerechtfertigt erklärt (Urteile vom 21. August 1978 und vom 28. Februar 1980).
Mit der zugelassenen Revision rügt die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) sinngemäß eine Verletzung der §§ 539 Abs. 1 Nr. 1, 548 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie verneint eine Betriebszugehörigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt und beanstandet die Beweiswürdigung des LSG. Außerdem hält sie die Sachaufklärung des LSG zum Verabschiedungsbrauch, zum Einladungsdatum, zur besonderen Ehrung und zu den näheren Einzelheiten des Unfallherganges für unzureichend.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen in der Vorinstanz, insbesondere im Ergebnis auf Klageabweisung zu erkennen,
hilfsweise,
die Zurückverweisung in die Vorinstanz.
Der Kläger beantragt,
die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Die Feststellungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung, ob der Kläger im Zeitpunkt des Unfalles versichert war, nicht aus.
Mit Recht hat das LSG im Kern darauf abgehoben, ob der Kläger, der sich wegen seiner Verabschiedung im Rahmen der Jahresabschlußbesprechung der Außendienstangestellten der v. E. & Co. KG, G./R., möglicherweise auf einer Dienst- oder Betriebsreise befunden hat (§ 548 Abs. 1 Satz 1 RVO), hierbei nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO als abhängig Beschäftigter versichert war. Die in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorausgesetzte Beschäftigung definiert § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB 4) als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Als sich der Unfall am 22. Dezember 1974 ereignete, war das Arbeitsverhältnis des Klägers mit seinem Arbeitgeber, wie dies auch das Berufungsgericht nicht verkennt, zum 23. Juli 1974 und damit längst beendete Zwar kennt das Arbeitsrecht bei dem stark personenbezogenen Arbeitsverhältnis aufgrund der den Arbeitgeber treffenden Fürsorge- und Treuepflicht auch noch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nachwirkende Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem ehemaligen Arbeitnehmer, zB die Zeugnispflicht (§ 630 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–) oder die Auskunftspflicht des Arbeitgeber gegenüber dem ehemaligen Arbeitnehmer über seine Betriebsrente und deren Berechnung sowie eine Auskunftspflicht gegenüber Dritten bei schutzwürdigem Interesse des ehemaligen Arbeitnehmers (vgl. zB Bobrowski/Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb von der Einstellung bis zur Entlassung, Bd. II, 7, Aufl 1979, L III 11 bis 14; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 2. Bd, Besonderer Teil, 12. Aufl 1981, S 275 ff; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 3 Aufl 1977, §§ 146 II 4, 147, 4, 24 II 3). Zu den nachwirkenden Arbeitgeberpflichten gehört es trotz der personenbezogenen Bindungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer entgegen der Auffassung des LSG aber nicht, einen ehemaligen Arbeitnehmer offiziell im Rahmen einer Betriebsveranstaltung zu verabschieden. Ein solches Handeln liegt außerhalb des Arbeitsrechts.
Anders ist es hingegen im Unfallversicherungsrecht. Es berücksichtigt auch mehr den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zuzurechnende Geschehnisse wie Gemeinschaftsveranstaltungen und die Ehrung eines Altersjubilares unter bestimmten Voraussetzungen als noch zur Beschäftigung gehörig. Hierbei wird der Arbeitnehmer in einer gleichsam fiktiven Beschäftigung als versichert angesehen. Dies hat bereits der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem – übrigens auch von dem LSG angeführten – Urteil vom 31. Oktober 1969 – 2 RU 161/67 – (SozR, Nr. 13 zu § 548 RVO = Breith. 1970, 200) aus gesprochen: In jenem Fall hatte eine Betriebsdelegation einen Arbeitsjubilar, wie dies zwischen dem Unternehmer und dem Betriebsrat allgemein vereinbart worden war, in dessen Wohnung aufgesucht, ihm dort gratuliert und Urkunden und Geschenke überreicht; als der Jubilar die Delegation, die seiner Einladung zum gemeinsamen häuslichen Mittagessen gefolgt war, danach zur Haustür begleitete, stürzte und verletzte er sich. Der 2. Senat des BSG hat diese Jubilar-Ehrung als „noch durchaus betriebsbezogen” der betrieblichen und nicht der persönlichen Sphäre des Jubilars zugeordnet, so daß dieser zur Zeit des Unfalls versichert war. Dazu hat er sich insbesondere auf die Anschauungen des heutigen Arbeitslebens berufen.
Dieser vom 2. Senat des BSG entwickelte Grundsatz könnte hier bei dem erheblichen zeitlichen Abstand von rund fünf Monaten zwischen dem Ende des Arbeitsverhältnisses und der Verabschiedung des Klägers als langjähriger Mitarbeiter jedoch nur dann angewendet werden, wenn sich eindeutig feststellen ließe, daß die von dem ehemaligen Arbeitgeber angegebene betriebliche Übung, während des Jahres aus geschiedene Außendienstangestellte würden anläßlich der jährlichen Besprechung der Außendienstmitarbeiter offiziell verabschiedet, auch tatsächlich bestanden hat. Da das LSG – anders als in dem vom 2. Senat des BSG entschiedenen Fall – als Grundlage der Ehrung für aus geschiedene Mitarbeiter keine Betriebsvereinbarung festgestellt hat, durfte es nicht ohne weiteres aufgrund der bündigen Angaben des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers die Übung einer offiziellen Verabschiedung eines Außendienstangestellten im Rahmen der jährlichen Besprechung der Außendienstmitarbeiter als hinreichend sicher festgestellt ansehen. Vielmehr hätte es in dieser Hinsicht gründliche und ins einzelne gehende Feststellungen treffen müssen. Dazu hätte es sich um so eher gedrängt fühlen müssen, weil wenige Tage vor dem Unfall, nämlich am 17. Dezember 1974, der Kläger bereits inoffiziell verabschiedet und erst aus diesem Anlaß zu der Jahresabschlußbesprechung eingeladen worden war. Dabei hätte das LSG dem zumindest gewisse Zweifel erweckenden Umstand Beachtung schenken müssen, warum es überhaupt einer solchen Einladung zur Jahresabschlußbesprechung bedurfte, wenn es ohnehin üblich war, ausgeschiedene Außendienstmitarbeiter im Rahmen dieser Veranstaltung offiziell zu verabschieden. Das LSG hätte sein Augenmerk auch darauf richten müssen, ob die behauptete Übung überhaupt bestand, ob also auch in früheren Jahren offizielle Verabschiedungen von ausgeschiedenen Außendienstangestellten im Rahmen der Jahresabschlußbesprechung stattgefunden hatten, wie diese im einzelnen abgelaufen waren und ob die Veranstaltung vom 21. Dezember 1974 diesen früheren Vorgängen im wesentlichen geglichen hat, wie die offizielle Verabschiedung vorgenommen wurde und warum der Kläger das Hotel erst am folgenden Tag, dem 22. Dezember 1974, um 13.00 Uhr verließ. Gerade das letztere hätte das Berufungsgericht zur genauen Feststellung darüber veranlassen müssen, wielange sich der Kläger an der Jahresabschlußbesprechung beteiligt hatte, ob er etwa dabei in erheblichem Umfang dem Alkohol zugesprochen, hatte und welche zwingenden Gründe für ihn bestanden hatten, das Hotel erst um 13.00 Uhr des 22. Dezember 1974 zu verlassen. Was die Teilnahme des Klägers an der Jahresabschlußbesprechung anlangt, wäre es denkbar, daß der Kläger dort über seine Erfahrungen vor der Versammlung berichtet hat, was – sollte sich dies feststellen lassen – neben seiner Verabschiedung besonders für die Betriebsbezogenheit seiner Teilnahme sprechen könnte.
Das LSG wird die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben. Dazu bietet sich zunächst eine eingehende Anhörung des Klägers an. Sodann wird es zur weiteren Sachaufklärung vornehmlich den Unternehmer, den Betriebsleiter, früher geehrte Mitarbeiter und Teilnehmer an der Jahresabschlußversammlung vom 21. Dezember 1974 als Zeugen zu vernehmen haben.
Sollten die nachzuholenden Feststellungen es rechtfertigen, den Kläger im Unfallzeitpunkt als versichert anzusehen, wird es schließlich Aufgabe des LSG sein, über die Rentenberechtigung des Klägers zu entscheiden, da die medizinischen Sachverständigen die MdE des Klägers zumindest für einige Zeit in rentenberechtigendem Grade geschätzt haben und dem Kläger auch eine Stützrente (§ 581 Abs. 1 und 3 RVO) zustehen könnte.
Die Kostenentscheidung – auch hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens – bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen