Leitsatz (amtlich)
Die Fiktion der Mitgliedschaft in der gesetzlichen KV nach RVO § 315a gilt nicht für Personen, für die nur der Sozialhilfeträger nach RVO § 1538 erfolglos Rente beantragt hat.
Normenkette
RVO § 315a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21, § 1538 Abs. 1 Fassung: 1925-07-14
Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 14.11.1978; Aktenzeichen S 9 K 7/78) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. November 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die klagende Stadt verlangt von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), ihr die Krankenhilfekosten zu ersetzen, die sie für den Hilfeempfänger Sch. in der Zeit vom 21. Dezember 1976 bis 17. Januar 1977 aufgewendet hat.
Am 21. Dezember 1976 beantragte die Klägerin bei dem ihr selbst zugeordneten Versicherungsamt für Sch. gemäß § 1538 Reichsversicherungsordnung (RVO) Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auf Zeit, was die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz durch Bescheid vom 31. August 1977 wegen fehlender Mitwirkung ablehnte: Sch. habe nicht ärztlich untersucht werden können, weil sein Aufenthalt nicht bekannt sei; für Sch. sei kein einziger Beitrag entrichtet worden. Die Klägerin meint, Sch. sei in der Zeit zwischen Rentenantrag und Rentenablehnung Formalmitglied (§ 315a RVO) der Beklagten und deshalb leistungsberechtigt gewesen. Die Beklagte lehnte es ab, Krankenhilfekosten zu ersetzen, weil die Klägerin für einen Hilfsbedürftigen keinen wirksamen Rentenantrag stellen könne. Die Ermächtigung des § 1538 RVO gehe nicht so weit (Bescheid vom 31. Oktober 1977, Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1977).
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die auf Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide und Zahlung von 4.281,28 DM gerichtete Klage abgewiesen. Eine Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO könne nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht in Anspruch genommen werden, weil schon bei der Antragstellung klar gewesen sei, daß keine Beiträge zur Rentenversicherung geleistet worden seien. Im übrigen könne ein gemäß § 1538 RVO gestellter Rentenantrag nicht zu der den Hilfeempfänger auch belastenden - beitragspflichtigen - Versicherung in der Krankenversicherung führen (Urteil vom 14. November 1978).
Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die von dem SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 315a, 1538 RVO.
Sie beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 14. November 1978 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 4.281,28 DM an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach der Fassung des Antrags der Klägerin sind zwei Klagen anhängig: Eine Anfechtungsklage und eine Leistungsklage. Der geltend gemachte Anspruch ist aber allein durch die Leistungsklage erfaßt, so daß nur hierüber zu entscheiden ist (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Mit der Anfechtungsklage könnte sich die Klägerin gegen die Bescheide wenden, mit denen die Beklagte Versicherungsansprüche des Sch. abgelehnt hat. Ihr Anfechtungsrecht könnte sich aus § 1538 RVO herleiten, wonach die Träger der Sozialhilfe das Recht haben, Ansprüche der Versicherten geltend zu machen und Rechtsmittel einzulegen. In Ergänzung der Anfechtungsklage müßte zur Vervollständigung dieses Klagebegehrens eine Verpflichtungsklage erhoben werden. Diese müßte darauf gerichtet sein, die Beklagte zum Erlaß eines die Leistung an Sch. bewilligenden Bescheids zu verurteilen (kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, § 54 Abs 1 SGG). Anstelle der Verpflichtungsklage kommt eine Leistungsklage hier nicht in Betracht (§ 54 Abs 1 und 4 SGG), weil aufgrund des § 1538 RVO nur die Leistung an den Versicherten begehrt werden könnte. Dies würde in Widerspruch mit der Klage auf Leistung an die Klägerin stehen.
Nach ihrem Vortrag begehrt die Klägerin indessen nur die Leistung an sich nach § 1531 RVO und nicht die Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber Sch. nach § 1538 RVO. Das Vorgehen nach § 1538 RVO war nur in bezug auf die Rente geboten, die dem angeblich Versicherten bewilligt werden sollte, weil der Zugriff auf die Rente nach § 1531 RVO voraussetzt, daß sie in einem förmlichen Verfahren bewilligt ist (vgl §§ 1630 ff RVO). Die förmliche Bewilligung der Krankenversicherungsleistungen ist indessen weder Voraussetzung für eine Sachleistung (§ 1551 RVO) noch für eine Ersatzleistung (§ 1531 RVO). Im übrigen könnte über eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage noch nicht sachlich entschieden werden, weil der angeblich Versicherte nicht beigeladen worden ist. Seine Beiladung wäre aber notwendig gewesen, weil über seinen Krankenversicherungsanspruch, den die Klägerin in Prozeßstandschaft geltend macht, entschieden werden müßte (vgl BSGE 11, 295, 296, vgl auch BSGE 7, 195 zu dem die Prozeßstandschaft der Krankenversicherungsträger regelnden § 1511 RVO; dazu auch Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Band IV, 3. Aufl, Stand: März 1979, § 1511 Anm 3d cc mit weiteren Nachweisen; aA Baierl, WZS 1964, 163).
Das SG hat zutreffend entschieden, daß der klagenden Stadt der geltend gemachte Ersatzanspruch gemäß § 1531 iVm § 1532 RVO gegen die beklagte Krankenkasse nicht zusteht. Nach § 1531 RVO steht dem Sozialhilfeträger ein Ersatzanspruch zu, wenn der Hilfeempfänger für die Zeit, in der er Hilfe bezog, einen Anspruch nach der RVO hat oder hatte. Nach § 1532 RVO kann der Sozialhilfeträger von der Krankenkasse Ersatz verlangen, wenn die Hilfeleistung wegen einer Krankheit gewährt worden ist, auf die sich der Anspruch des Hilfeempfängers gegen die Krankenkasse gründet. In Betracht kommt ein Anspruch des Sch. gegen die Beklagte auf Krankenpflege nach § 184 RVO. Sch. stand aber ein solcher Anspruch nicht zu, weil er nicht krankenversichert war.
Entgegen der Meinung der Klägerin ist er auch nicht nach § 315a RVO wie ein Versicherter zu behandeln. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Nach § 315a RVO in der hier - bis zum Inkrafttreten des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) - maßgebenden Fassung (Gesetz vom 21. Dezember 1967, BGBl I 1259) galten alle Personen als Mitglieder der Krankenversicherung, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten beantragt hatten, ohne die Voraussetzungen für den Bezug der Rente zu erfüllen. Sch. hat keinen Antrag auf Rente gestellt, und zwar weder persönlich noch durch einen Vertreter.
Der nicht durch Sch., sondern für ihn nach § 1538 RVO durch die Klägerin gestellte Antrag würde nur dann ausreichen, wenn § 315a RVO erweiternd ausgelegt werden könnte. Dafür besteht aber nach dem Sinn dieser Vorschrift keine Möglichkeit. Die fingierte Mitgliedschaft nach § 315a RVO soll denjenigen zugute kommen, die im Zusammenhang mit ihrem Rentenantrag aus ihrem bisherigen Arbeitsleben ausscheiden und damit auch ihren bisherigen Krankenschutz verlieren (vgl insbesondere § 311 Nr 1 RVO). In der Zeit der Ungewißheit darüber, ob die Voraussetzungen des Rentenbezugs vom Rentenantrag an erfüllt sind und damit eine - echte - Mitgliedschaft nach § 306 Abs 2 RVO iVm § 165 Abs 1 Nr 3 RVO besteht soll ein unbedingter voller Krankenschutz gewährt werden.
In den Fällen, in denen der Rentenantrag von dem Sozialhilfeträger für eine Person gestellt wird, wird dieser sozialpolitische Zweck offenkundig nicht erreicht. Gewiß kann nicht in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dieser Zweck auf tatsächlich erreicht wird. Das würde den Interessen der Massenverwaltung in der Sozialversicherung widersprechen, die auch bei Auslegung des § 315a RVO grundsätzlich zu beachten sind (vgl BSGE 41, 85, 88). Die Voraussetzungen des § 315a RVO sind auch dann erfüllt, wenn die Versicherung nach dieser Vorschrift - wegen der vollen Beitragspflicht des Versicherten - dem Rentenantragsteller, der seinen bisherigen Krankenschutz auch in der Zeit des Rentenbewilligungsverfahrens behält, praktisch nur Nachteile bringt (vgl BSG, aaO und BSG SozR 2200 § 315a Nrn 3 und 5). Beantragt aber der Sozialhilfeträger die Rente ohne Mitwirkung des Betroffenen im eigenen Namen (§ 1538 RVO), steht ohne weitere Prüfung fest, daß der Zweck des § 315a RVO nicht erreicht werden kann. Die grundsätzlich dem Krankenschutz des einzelnen dienende Vorschrift würde entgegen ihrem Sinn dazu verwendet, die Verpflichtung eines Sozialleistungsträgers, hier der Sozialhilfe, zeitweise auf einen anderen Sozialleistungsträger - hier der Krankenkasse - zu verlagern. Ein solches Ergebnis kann auch nicht etwa deshalb sinnvoll sein, weil die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers grundsätzlich zurücktritt, wenn andere Sozialleistungsträger für die Leistung zuständig sind. Denn die Krankenkassen sind nur für ihre Mitglieder zuständig. Bei Personen, die Rente beantragt haben, die Voraussetzungen eines Rentenanspruches aber nicht erfüllen und deshalb nicht Mitglieder werden können, wird die Mitgliedschaft fingiert. Auf dieser Fiktion beruht nicht nur die Leistungspflicht der Kasse, sondern auch die Beitragsverpflichtung des Antragstellers. Auch diese Verpflichtung ist beschränkt auf "Personen, die einen Rentenantrag gestellt haben" (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Es ist nicht gerechtfertigt, die Mitgliedschaftsfiktion auf Personen auszudehnen, die, ohne selbst einen Rentenantrag gestellt zu haben, durch den Sozialhilfeträger in die Rolle eines Rentenbewerbers gedrängt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1653447 |
Breith. 1980, 547 |