Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßvergleich. Wirksamkeit. Verfahrensfortgang

 

Orientierungssatz

Die Entscheidung, ob ein Prozeßvergleich wirksam ist, steht ausschließlich dem Gericht zu, vor welchem der Prozeßvergleich abgeschlossen worden ist; das alte Verfahren ist fortzusetzen, eine neue Klage ist unzulässig (vgl BSG 1958-06-27 4 RJ 7/57 = BSGE 7, 279).

 

Normenkette

SGG §§ 101, 143

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.10.1965)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Oktober 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger und der Beklagte haben in einem früheren Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Konstanz Az.: S 7 V 179/59 am 27. Januar 1960 folgenden Vergleich geschlossen:

1.) Der Kläger verpflichtet sich, sich einer fachärztlichen Untersuchung bei Dr. F, Medizinische Universitätsklinik F., ohne Cystoskopie zu der Frage, ob eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen eingetreten ist, zur Verfügung zu stellen.

2.) Der Beklagte erklärt, daß der Bescheid über die Rentenentziehung vom 21.1.1959 aufgehoben wird.

3.) Der Beklagte hebt den Bescheid des Versorgungsamts R vom 20.1.1959 auf und verpflichtet sich, auf den Rentenerhöhungsantrag des Klägers vom 17.3.1958 in eine neue Prüfung einzutreten.

4.) Der Kläger nimmt die Klage zurück.

5.) Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Der Beklagte erließ daraufhin am 12. Februar 1960 einen Ausführungsbescheid, mit welchem die Rentenzahlung rückwirkend ab 1. März 1959 wieder aufgenommen wurde. Nach Erstattung eines Gutachtens durch Prof. Dr. K/Dr. K erließ der Beklagte am 5. September 1960 einen auf § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestützten Bescheid, mit welchem der seither anerkannt gewesene allgemeine Erschöpfungszustand als nicht mehr vorhanden bezeichnet und nur noch Restzustand nach Nierenbeckenentzündung rechts als Schädigungsfolge anerkannt sowie die Rente mit Ende Oktober 1960 entzogen wurde. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das SG hob nach Anhörung der Ärzte des Städtischen Krankenhauses V mit Urteil vom 4. November 1964 den Entziehungs- und den Widerspruchsbescheid auf. Nach dem im Vorprozeß abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich habe sich der Kläger mit einer nochmaligen ärztlichen Untersuchung nur einverstanden erklärt, um die Frage prüfen zu lassen, ob eine Verschlimmerung eingetreten sei. Wenn der Beklagte den Vergleich in dieser Form geschlossen habe, so habe er damit auf eine Untersuchung, ob eine wesentliche Besserung eingetreten sei, verzichtet. Der nach Abschluß des Vergleichs ergangene Ausführungsbescheid vom 12. Februar 1960 stelle eine Feststellung der Rente im Sinne von § 62 Abs. 2 BVG dar; eine Neufeststellung und Rentenentziehung sei aber nicht vor Ablauf der 2jährigen Schutzfrist zulässig. Außerdem sei die Grundrente auch aus sachlichen Gründen weiter zu bewilligen. Das Gericht folge insoweit dem Villinger Gutachten. Das Landessozialgericht (LSG) hob nach Anhörung des damaligen Sitzungsvertreters des Beklagten, des jetzigen Sozialgerichtsrats B, mit Urteil vom 27. Oktober 1965 das SG-Urteil auf und wies die Klage ab. Das SG habe den Vergleich richtig ausgelegt, damals sei es nur um die Frage einer Erhöhung der Rente gegangen; demnach habe die Rente vor Ablauf der 2jährigen Schonfrist des § 62 Abs. 2 BVG nach der Vereinbarung vom 27. Januar 1960, die wirksam sei, nicht zu Ungunsten des Klägers geändert werden dürfen. Der Beklagte habe den Vergleich aber gemäß § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angefochten. Der Zeuge B habe den Vergleich so aufgefaßt, wie der Beklagte ihn auslege, sonach habe er sich über den Inhalt seiner Willenserklärung vom 27. Januar 1960 in einem Irrtum befunden; bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles hätte er diese Erklärung nicht abgegeben. Die Anfechtung sei auch ohne schuldhaftes Zögern erklärt worden; denn solange gestritten werde, wie der Vergleich auszulegen sei, könne die Anfechtung nicht als verspätet angesehen werden. Nach Wegfall des Vergleichs erweise sich die Rentenentziehung als gerechtfertigt.

Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG hätte statt des Sachurteils ein Prozeßurteil erlassen müssen. Es habe den Prozeßvergleich zu Unrecht als nach § 142 BGB wirksam angefochten und damit rückwirkend beseitigt angesehen. Dieser sei nur nach prozessualen Vorschriften widerruflich. Mit der Anfechtung sei überdies der gesamte Prozeßvergleich entfallen, d. h. einschließlich der vom Kläger im Vergleich erklärten Klagerücknahme. Sonach sei die ursprüngliche Klage noch anhängig, so daß der alte Prozeß vor dem SG fortgesetzt werden müßte. Der Entscheidung des Berufungsgerichts habe der Einwand der Rechtshängigkeit entgegengestanden. Wäre die Ansicht des LSG, daß eine wirksame Anfechtung vorliege, richtig, so hätte es sonach die Berufung als unzulässig verwerfen müssen. Wenn es trotzdem durch Sachurteil entschieden habe, leide sein Verfahren an einem wesentlichen Mangel. Mit der Lossage vom Vergleich sei auch die Verpflichtung des Klägers, sich einer Untersuchung zu unterziehen, entfallen; deren Ergebnis dürfe daher prozessual nicht verwertet werden. Da aber diese Tatbestände rückwirkend kaum noch ungeschehen gemacht werden könnten, sehe die Rechtsprechung des Reichsgerichts den Prozeßvergleich als unanfechtbar und allenfalls widerruflich an. Auch in diesem Falle wäre diese Frage vor dem ursprünglich mit der Sache befaßten Gericht auszutragen und daher das LSG sachlich unzuständig gewesen. Das LSG habe ferner dadurch gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen, daß es ohne Klärung, wann, wo und wie die Anfechtungserklärung abgegeben wurde, von einer wirksamen Anfechtung ausgegangen sei; es habe auch nicht geprüft, ob diese Erklärung dem Kläger überhaupt zugegangen sei. Das LSG hätte ein neues Gutachten über die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einholen müssen, da es das aufgrund eines unwirksamen Vergleichs zustande gekommene Untersuchungsergebnis nach § 242 BGB nicht habe verwerten dürfen; das für den Kläger günstige Gutachten der 1. Instanz habe das LSG abgelehnt. Unter Verstoß gegen § 128 SGG habe das LSG schließlich die Aussage des Zeugen B über den bei ihm entstandenen Irrtum kurzerhand als richtig unterstellt und dabei praktisch jede Beweiswürdigung unterlassen; es habe nicht einmal erwähnt, daß der Zeuge als damaliger Prozeßvertreter des Beklagten auch heute noch Interesse am Ausgang des Rechtsstreits zugunsten des Beklagten haben müsse, wobei die Fülle der in der Zwischenzeit bearbeiteten Sachen hätte berücksichtigt werden müssen. Der Kläger beantragt, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Berufungsinstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164, 166 SGG).

Zutreffend rügt die Revision, daß das LSG nicht über die Wirksamkeit des im Verfahren vor dem SG Konstanz 7 V 179/59 geschlossenen Prozeßvergleichs hätte entscheiden dürfen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 27. Juni 1958 ausgesprochen (vgl. BSG 7, 279), daß die Entscheidung, ob ein Prozeßvergleich wirksam ist, ausschließlich dem Gericht zusteht, vor welchem der Prozeßvergleich abgeschlossen worden ist; das alte Verfahren ist fortzusetzen, eine neue Klage ist unzulässig. Der erkennende Senat tritt dieser Entscheidung bei. Die im vorliegenden Verfahren wesentliche Frage der Wirksamkeit des Prozeßvergleichs konnte daher nicht im anhängigen Verfahren, sondern nur im alten Verfahren entschieden werden (BSG 7, 281). Das LSG hat die Rechtsprechung des BSG zur Frage der Anfechtung eines Prozeßvergleichs zwar nicht übersehen, es glaubte jedoch, hier aus prozeßökonomischen Gründen anders verfahren zu können. Diese Auffassung verkennt aber, daß bei Anfechtung eines Vergleichs der ganze Vergleich einschließlich der in ihm erklärten Rücknahme der Klage unwirksam wird. Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich der Vergleich wenigstens zum Teil als außergerichtlicher Vergleich aufrechterhalten läßt. Ob dies hier der Fall ist, konnte unerörtert bleiben; denn in jedem Fall entbehrt der Vergleich der prozeßbeendenden Wirkung (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 631). Wird sonach bei einer Unwirksamkeit des Vergleichs auch die darin erklärte Klagerücknahme - wie im vorliegenden Fall - hinfällig, so muß schon aus diesem Grunde der alte Prozeß fortgesetzt werden. Dies gilt um so mehr, als hier im früheren Verfahren ein anderer Sachverhalt, nämlich die Frage, ob die Rente nach § 63 BVG mit Bescheid vom 21. Januar 1959 entzogen werden durfte, streitig war und dem im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Ausführungsbescheid vom 12. Februar 1960 nun die rechtliche Grundlage entzogen worden ist. Das LSG hätte somit sein Verfahren aussetzen und veranlassen müssen, daß dem alten Verfahren Fortgang gegeben wird. Dem vorliegenden Verfahren steht, soweit es auf die Wirksamkeit des früheren Prozeßvergleichs ankommt, die Einrede der Rechtshängigkeit aus dem durch den Vergleich vielleicht beendeten Prozeß entgegen (vgl. Rosenberg aaO). Da das frühere Klageverfahren nicht in die Berufungsinstanz gelangt ist, weil eine der Berufung zugängliche erstinstanzliche Entscheidung nicht getroffen wurde, konnte das LSG auch nicht etwa gemäß § 113 SGG den früheren Rechtsstreit mit dem jetzigen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbinden.

Das LSG hat dadurch, daß es den Prozeßvergleich als unwirksam erklärte, obwohl in diesem Fall noch das alte Verfahren rechtshängig war, das insoweit dem bei ihm anhängigen Verfahren entgegenstand (BSG 7, 281), gegen die §§ 101 und 143 SGG verstoßen. Der darin liegende wesentliche Verfahrensmangel macht die Revision bereits statthaft, weshalb nicht mehr geprüft zu werden brauchte, ob auch noch weitere Verfahrensmängel vorliegen. Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, da über die Frage der Wirksamkeit des Prozeßvergleichs vom 27. Januar 1960 zunächst das SG Konstanz entscheiden und das LSG sein Verfahren solange aussetzen muß.

Das SG wird dabei auch die Vorfrage zu prüfen haben, ob der Beklagte den Prozeßvergleich überhaupt gemäß § 119 BGB und wenn ja, ob er ihn ohne schuldhaftes Zögern angefochten hat (§ 121 BGB). Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 8. Juni 1961 an das SG noch ausdrücklich auf den Vergleich vom 27. Januar 1960 bezogen. Das SG wird ferner zu erwägen haben, ob der objektive Inhalt des Vergleichs eindeutig war und die Beteiligten etwa nur über die rechtlichen Folgen des Vergleichs eine unterschiedliche Auffassung hatten. Aus den LSG-Akten ist im übrigen eine Anfechtung nicht eindeutig zu entnehmen. Im Schriftsatz vom 18. März 1965 hat der Beklagte nur erklärt, wolle man den Vergleich so auslegen, wie es das SG tue, "wäre der Vergleich nicht zustande gekommen, weil er in dieser Form eindeutig rechtswidrig gewesen wäre und vom Richter schon hätte gar nicht vorgeschlagen werden dürfen". Diese Ausführungen richten sich im wesentlichen gegen die vom SG vorgenommene Auslegung des Vergleichs.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347485

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