Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 04.09.1973)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 4. September 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Berechnung des Schlechtwettergeldes für den Monat November 1971, das Arbeitern des Klägers zusteht.

Der Kläger unterhält einen Baubetrieb, in dem er auch Maschinisten und Kraftfahrer beschäftigt. Nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 31. März 1965 (BRTV Bau 1965) betrug die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Ruhepausen 8 Stunden, die wöchentliche in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober 42 Stunden, in der Zeit vom 1. November bis 31. März 40 Stunden (§ 3 Nr. 1.1 BRTV Bau 1965). Nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 1. April 1971 (BRTV Bau 1971), der – mit Ausnahme seines § 7 Nr. 11 – am 1. Mai 1971 in Kraft getreten ist (§ 21 BRTV Bau 1971), war die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Ruhepausen auf 8, die wöchentliche auf 40 Stunden festgelegt (§ 3 Nr. 1.1 BRTV Bau 1971). Nach beiden Tarifverträgen konnte die regelmäßige Arbeitszeit u. a. für das Maschinenpersonal und für Kraftfahrer verlängert werden, nach dem BRTV Bau 1965 für das Maschinenpersonal wöchentlich bis zu 5 Stunden, für Fahrer bis zu 10 Stunden. Der BRTV Bau 1971 sieht eine Verlängerung der Arbeitszeit für das Maschinenpersonal bis zu 4 Stunden wöchentlich, für Kraftwagenfahrer bis zu 8 Stunden vor.

Der Kläger vereinbarte in mündlich geschlossenen Arbeitsverträgen bei der Einstellung, daß die regelmäßige Arbeitszeit für das Maschinenpersonal wöchentlich 44 Stunden und für die Kraftfahrer wöchentlich 48 Stunden betrage. Demgemäß betrug die Arbeitszeit, wie das Landessozialgericht (LSG) festgestellt hat, im Betrieb des Klägers in den letzten drei Monaten vor dem ersten Ausfalltag für Kraftfahrer von Montag bis Donnerstag 10 Stunden, am Freitag 8 Stunden und für Maschinisten von Montag bis Donnerstag je 9 Stunden und am Freitag 8 Stunden. Diese Arbeitszeit wurde nach den Feststellungen des LSG auch im Durchschnitt des Jahres von diesen Arbeitnehmern erreicht.

Nach dem BRTV Bau 1965 waren mit Zuschlägen zu vergütende Überstunden nur diejenigen, die über die (ggf. verlängerte) regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet wurden, so daß also Maschinisten und Kraftfahrer auch bei einer Tätigkeit bis zu 47 Stunden bzw. 52 Stunden (im Sommer) keinen Anspruch auf Überstundenzuschläge hatten. Dagegen sieht der BRTV Bau 1971 (§ 3 Nr. 2.1) vor, daß Überstundenzuschläge für die über die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich hinausgehende Arbeitszeit zu zahlen sind. Bei den Kraftwagenfahrern sollte die über 40 Stunden hinausreichende Arbeitszeit jedoch zuschlagsfrei bleiben, soweit es sich um Vor- und Abschlußarbeiten handelt oder in die Arbeitszeit Arbeitsbereitschaft fällt.

Der Kläger zahlte bis Ende 1971 keine Zuschläge für die von den Maschinisten und Kraftfahrern über 40 Stunden bis zu 44 bzw. 48 Stunden wöchentlich geleistete Arbeitszeit. Danach gewährte er sowohl Maschinisten als auch Kraftfahrern Überstundenzuschläge für die 40 Stunden wöchentlich überschreitende Arbeitszeit, ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei den Kraftfahrern dabei um Vor- und Nacharbeit oder Arbeitsbereitschaft handelte.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 1971 bewilligte die Beklagte dem Kläger für seine Arbeiter antragsgemäß Schlechtwettergeld (SWG) für November 1971, berücksichtigte dabei aber die für Maschinisten und Kraftfahrer geltend gemachten Ausfallstunden nur bis zu einer Arbeitszeit von wöchentlich 40 Stunden. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1972).

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 27. Februar 1973 die Beklagte verurteilt, das SWG für die Ausfalltage nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 44 Stunden für die Maschinisten und 48 Stunden für die Kraftfahrer – soweit diese Wochenarbeitszeit betriebsüblich war – zu bemessen.

Das LSG hat die zugelassene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 4. September 1973 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt:

Seien für bestimmte Arbeitnehmer eines Betriebes besondere tarifliche wöchentliche Arbeitszeiten vorgesehen (z. B. bei Maschinisten, Kraftfahrern), so seien diese bei der Bemessung des SWG zu berücksichtigen. Regelmäßige Arbeitszeit und Überstunden unterschieden sich zunächst darin, daß der Arbeitnehmer zur Ableistung der regelmäßigen Arbeitszeit verpflichtet sei, während er Überstunden nur unter besonderen Umständen leisten müsse. Die Rechtsbegriffe regelmäßige Arbeitszeit und Überstunden dienten somit in erster Linie dem Ziel, die Arbeitspflicht zeitlich zu begrenzen. Würden Überstunden wie regelmäßige Arbeitsstunden bezahlt, so ändere dies nichts daran, daß sie für die Frage, ob der Arbeitnehmer zur Ableistung dieser Stunden verpflichtet sei, als Überstunden zu werten seien. Seien dagegen besonders kenntlich gemachte Stunden der regelmäßigen Arbeitszeit wie Überstunden zu entlohnen, so blieben sie doch für die Frage, ob der Arbeitnehmer zu ihrer Ableistung verpflichtet sei, Stunden der regelmäßigen Arbeitszeit. Es bestehe also insoweit eine uneingeschränkte Arbeitspflicht. Die für Kraftfahrer und Maschinisten zulässige verlängerte Arbeitszeit stelle keine Überstundenzeit im Sinne der Arbeitspflicht dar, sondern sei regelmäßig zu leisten. Dagegen seien diese Zeiten als Überstunden zu entlohnen. Für die Frage der „regelmäßigen betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit” im Sinne des § 69 AFG sei auf die Frage der Arbeitspflicht abzustellen. Nach dem Inhalt des BRTV Bau 1971 seien die von den Maschinisten und Kraftfahrern im Betrieb des Klägers geleisteten Arbeitsstunden von 44 bzw. 48 Stunden wöchentlich nicht als Überstunden anzusehen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 77, 68, 69 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 22.12.1969 und bringt hierzu insbesondere vor: Als regelmäßig sei die Arbeitszeit anzusehen, die im gesamten Betrieb und nicht nur für einzelne Gruppen von Arbeitnehmern üblich gewesen sei. Schon in § 123 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sei der Begriff der betriebsüblichen Arbeitszeit negativ dahin abgegrenzt gewesen, daß Zeiten, für die Mehrarbeitszuschlag zu zahlen war, keineswegs zur betriebsüblichen Arbeitszeit zu zählen waren. Der daraus erkennbare Gedanke, bei der Leistungsbemessung mit Zuschlägen vergütete Mehrarbeitszeiten außer Betracht zu lassen, sei in § 69 AFG übernommen worden.

Im übrigen hätten zumindest die Kraftfahrer im Betrieb des Klägers während der Schlechtwetterzeit 1971/72 auch an witterungsgünstigen Tagen nur unwesentlich und unregelmäßig mehr als 8 Stunden täglich gearbeitet. Das sei bei einer Überprüfung der Arbeitszeitnachweise im Betrieb des Klägers durch sie, die Beklagte, festgestellt worden. Gleiches dürfte nach der Einlassung des Klägers vor dem SG auch für die Maschinisten zutreffen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Hildesheim vom 27. Februar 1973 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor:

Das SWG bemesse sich nach einem Geldfaktor und einem Zeitfaktor. Der Zeitwert müsse einerseits betriebsüblich und über einen längeren Zeitraum hinweg die Regel gewesen sein, dürfe aber andererseits die tariflich zulässige Arbeitszeit nicht überschreiten. Die Beklagte vermenge diese beiden Qualifikationen jedoch mit dem Geldfaktor, wenn sie zur Auslegung des Begriffs „regelmäßig” gesetzliche oder tarifliche Zuschlagsregelungen heranziehe. Der Zeitfaktor „Ausfallstunden” sei schon nach dem Wortlaut des Gesetzes allein durch Zeitbegriffe bestimmt. Auch unter der Geltung des § 123 AVAVG habe man aber den Begriff der betrieblichen Arbeitszeit zeitlich verstanden, so daß auch die historische Entwicklung die Auslegung des LSG als richtig ausweise.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

Anzuwenden ist im vorliegenden Fall das AFG in der Fassung des 1. Änderungsgesetzes (Erstes Gesetz zur Änderung des AFG vom 22.12.1969, BGBl I, 2360). Nach §§ 74, 76 AFG stehen die Ansprüche auf SWG materiell den Arbeitnehmern zu, die durch Schlechtwetter einen Lohnausfall erlitten haben; doch macht der Arbeitgeber die Rechte der Arbeitnehmer im eigenen Namen geltend. Er hat dem Arbeitsamt den Arbeitsausfall anzuzeigen (§§ 79 Abs. 1 Satz 1, 75 Abs. 1 Nr. 3 AFG). Seine Aufgabe ist es auch, den Antrag auf SWG innerhalb der Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Ende der Schlechtwetterzeit zu stellen (§ 79 Abs. 2 Satz 1 AFG); ihm gegenüber ergeht der Bescheid des Arbeitsamtes (Kranz, Schlechtwettergeld und Förderung der Bautätigkeit im Winter, Erl. 23 zu § 88). Dem Kläger steht daher auch das Recht zu, die Ansprüche seiner Arbeitnehmer auf SWG gerichtlich geltend zu machen (BSG SozR Nr. 1 zu AVAVG § 188). Der Kläger handelt in Prozeßstandschaft, während die Arbeitnehmer selbst keine eigene gerichtliche Durchsetzungsbefugnis haben (BSGE 33, 64, 67). Die Beiladung der Betriebsvertretung, die nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stets zu erfolgen hat (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr. 1), kommt hier nicht in Betracht, da im Betrieb des Klägers keine Betriebsvertretung besteht.

Da die Beklagte den Arbeitern des Klägers über den Kläger SWG gezahlt hat, und da in beiden Vorinstanzen wie auch in der Revisionsinstanz die Frage, ob die allgemeinen Voraussetzungen der Schlechtwettergeldzahlung vorliegen, zwischen den Beteiligten nicht streitig war und ist, bedarf es insoweit keiner Prüfung. Die Beteiligten streiten nur darum, wie das SWG zu berechnen ist.

Nach §§ 77, 68 Abs. 1 Satz 2 AFG bemißt sich das SWG nach dem Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in der Arbeitsstunde erzielt hätte und nach der Zahl der Arbeitsstunden, die der Arbeitnehmer am Ausfalltag innerhalb der Arbeitszeit geleistet hätte. Der Kläger bezweifelt nicht, daß die Beklagte das durchschnittliche Entgelt richtig berechnet hat, er ist jedoch der Auffassung, daß die von den Maschinisten und Kraftwagenfahrern über 40 Stunden hinaus geleistete Arbeit bei der Berechnung des SWG berücksichtigt werden muß. Maschinisten und Kraftfahrer haben im Betrieb des Klägers, wie das LSG festgestellt hat, jeweils mehr als 40 Stunden wöchentlich gearbeitet, während die Beklagte ihnen das SWG nur auf der Grundlage einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden berechnet hat. Die Beklagte hat zwar im Revisionsverfahren vorgebracht, die Maschinisten und Kraftfahrer hätten auch an witterungsgünstigen Tagen im Winter 1971/72 nicht mehr als 40 Stunden gearbeitet. Dieses Vorbringen stellt sich als die Rüge einer Verletzung der §§ 103 und 128 SGG durch das LSG dar. Sie greift jedoch schon deshalb nicht durch, weil sie nicht substantiiert ist. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Vorbringen nur um eine andere, von der des LSG abweichende Beweiswürdigung, ohne durch Angabe von Tatsachen und Beweismitteln darzutun, wieso das Berufungsgericht zwingend einen anderen als den von ihm gefolgerten Schluß hätte ziehen müssen. Gleichermaßen ist nicht ersichtlich, inwieweit das LSG bei seiner Feststellung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) nicht nachgekommen ist.

Daß die Stunden, die den Maschinisten und Kraftfahrern an den Schlechtwettertagen ausgefallen sind, nur bis zu 40 Stunden wöchentlich zu berücksichtigen sind, wird von der Beklagten insbesondere damit begründet, daß die darüber hinausgehende Zeit nicht „innerhalb der Arbeitszeit” (§§ 68 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 69 AFG) gelegen habe. Diese Auffassung geht fehl. Arbeitszeit in diesem Sinne ist die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit, soweit sie die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit nicht überschreitet (§ 69 AFG). Üblich war es im Betrieb des Klägers, daß die Maschinisten 44, die Kraftfahrer 48 und die übrigen Arbeiter 40 Stunden wöchentlich arbeiteten. Für die Frage der Betriebsüblichkeit ist nicht etwa von der durchschnittlichen oder von der Zahl der Stunden auszugehen, die die Mehrheit der Arbeitnehmer zu erbringen hat. Was betriebsüblich ist, ist individuell für die betroffenen Arbeitnehmer zu ermitteln. Maßgebend ist die Arbeitszeit, die nach der Übung im Betriebe die Gruppe zu leisten hat, der derjenige Arbeitnehmer angehört, dessen Anspruch geltend gemacht wird. Ob darüber hinaus die persönliche Arbeitszeit eines einzelnen Arbeitnehmers Maßstab sein kann, der üblicherweise in dem Betrieb kürzer oder länger als andere Arbeitnehmer arbeitet (so z.B. DA Nr. 53.8 der BA zu § 86, Rd.Erl 346/72.4; Beilage zu Nr. 9 der ANBA 72) kann hier dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall hat eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern des Klägers, nämlich die der Maschinisten und der Kraftwagenfahrer „betriebsüblich” wöchentlich 44 bzw. 48 Stunden gearbeitet. Diese Arbeitszeit war auch „regelmäßig” betriebsüblich.

Regelmäßig ist eine betriebsübliche Arbeitszeitregelung dann, wenn sie für eine gewisse Zeit gilt und geübt wird, also nicht nur den Charakter des Vorübergehenden trägt und damit zur Regel im Betrieb wird. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Zahl der zu leistenden Arbeitsstunden durch Einzelarbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag für die Gegenwart und eine unbestimmte zukünftige Zeit vereinbart ist und im Betrieb diese Vereinbarungen eingehalten werden. Im Betrieb des Klägers ist dies nach den bindenden Feststellungen des LSG der Fall. Weder die Regelmäßigkeit noch die Üblichkeit werden dadurch ausgeschlossen, daß für Stunden, die über eine bestimmte Zeit hinausgehen, Überstundenzuschläge gezahlt werden. Wie der Kläger zu Recht ausgeführt hat, müssen bei der Errechnung des SWG der Lohn- und der Zeitfaktor („betriebsüblich, regelmäßig”) voneinander getrennt betrachtet werden. Wieviel Stunden „regelmäßig” gearbeitet werden, kann nur unter dem Gesichtswinkel einer über eine gewisse Seit ununterbrochenen Übung gesehen werden, also aufgrund eines tatsächlichen Verhaltens, das als regelmäßig, d.h., der Regel gemäß empfunden wird. Auch der Begriff der „Üblichkeit” enthält den Hinweis auf das tatsächliche Verhalten. Üblich ist, was tatsächlich geübt und was daher als normal angesehen wird. Der Charakter der Regelmäßigkeit und der Üblichkeit geht nicht dadurch verloren, daß für einzelne Stunden Überstundenzuschläge gezahlt werden (so allerdings ohne Begründung Kranz, Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft, Erl. 16 zu § 86 AFG).

Die 44 Stunden, die die Maschinisten wöchentlich gearbeitet haben und die 48-stündige Arbeitszeit der Kraftfahrer überschreiten nicht die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit i. S. des § 69 AFG. Tariflich ist zunächst die Arbeitszeit, die durch einen Tarifvertrag vereinbart worden ist. Nach dem BRTV Bau 1971 (§ 3 Nr. 1.1) beträgt sie werktäglich 8 und wöchentlich 40 Stunden. Tariflich ist aber auch die Arbeitszeit, die durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag festgelegt worden ist, wenn ein Tarifvertrag den Abschluß von Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträgen ausdrücklich vorsieht und sich die Betriebsvereinbarung oder der Einzelvertrag in dem vom Tarifvertrag bestimmten Rahmen hält (vgl. Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 69 Anm. 14). Nach § 3 Nr. 1.2 des BRTV Bau 1971 darf die regelmäßige Arbeitszeit für das Maschinenpersonal wöchentlich bis zu 4 Stunden, für Kraftwagenfahrer und Beifahrer bis zu 8 Stunden über die 40 Stunden hinaus verlängert werden. Da sich die Einzelarbeitsverträge des Klägers an diese Regelung im Tarifvertrag halten, sind sie durch den Tarif gedeckt. Ob auch dann eine durch Einzelvertrag oder Betriebsvereinbarung vereinbarte Arbeitszeit als „tariflich” angesehen werden könnte, wenn der Tarifvertrag lediglich solche abweichenden Verträge gestattet, sie aber nicht zeitlich begrenzt, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall sieht der BRTV Bau 1971 ausdrücklich vor, bis zu welcher Zeit die durch den Tarifvertrag bestimmte Arbeitszeit verlängert werden kann.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der BRTV Bau 1971 zwar die Verlängerung der Arbeitszeit gestattet, jedoch, außerdem vorschreibt, daß die Arbeitszeit, die über 40 Stunden hinausgeht (zum Teil), als Überstunden zu vergüten sind. Der Tarifvertrag spricht davon, daß die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden betrage, bezeichnet aber die Arbeitszeit für das Maschinenpersonal und für Kraftwagenfahrer und Beifahrer von 44 bzw. 48 Stunden ebenfalls als „regelmäßige Arbeitszeit” (§ 3 Nr. 1.1 und Nr. 1.2 BRTV Bau 1971). Diese begriffliche Einordnung beider Arbeitszeiten als „regelmäßige” Arbeitszeit zeigt, daß die Tarifpartner auch die über 40 Wochenstunden von den Maschinisten und Kraftwagenfahrern bei entsprechenden Vereinbarungen zu leistende Arbeitszeit noch als tarifliche Arbeitszeit angesehen haben. Die tarifliche Vereinbarung, daß diese längere Arbeitszeit (teilweise) mit einem Zuschlag in Form der Überstundenvergütung abgegolten werden soll, ändert im vorliegenden Fall nichts daran, daß jene längere Arbeitszeit „tarifliche Arbeitszeit” i. S. des § 69 AFG bleibt. Nach der Begriffsbestimmung des Tarifvertrages stehen sich die beiden Begriffe „regelmäßige Arbeitszeit” und „Überstunden” nicht als sich gegenseitig ausschließend gegenüber. Wenn das LSG den Schluß gezogen hat, daß der Begriff „Überstunden” nach dem Tarifvertrag nur die Funktion habe, die Stunden zu bezeichnen, die mit einem Zuschlag bezahlt werden müssen, nicht aber die Zeit, die über die tarifliche Arbeitszeit hinausgeht, so ist dies nicht zu beanstanden.

Aus der geschichtlichen Entwicklung des heutigen § 69 AFG läßt sich nicht herleiten, daß Stunden, für die Zuschläge zu zahlen sind, stets der Berechnung des SWG nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Die Vorschriften über die Zahlung von SWG wurden durch das Zweite Änderungsgesetz vom 7. Dezember 1959 in das AVAVG eingefügt (BGBl I 705). Damals enthielt § 143 g AVAVG, der die Höhe des SWG regelte, folgenden Satz (§ 143 g Abs. 1 Satz 2): „Arbeitsstunden, für die Mehrarbeitszuschläge zu zahlen wären, sind nicht zu berücksichtigen”. Da § 143 g AVAVG schon wie die spätere Regelung des AFG von der „regelmäßigen betrieblichen” Arbeitszeit ausging, soweit sie sich im Rahmen der „tariflichen” hielt, waren mit Mehrarbeitszuschlägen nicht etwa nur die Zuschläge für Stunden gemeint, die über die Arbeitszeit der Arbeitszeit Verordnung hinausgingen, sondern alle Zuschläge für Stunden, die die regelmäßige Arbeitszeit überschritten. Das deckte sich mit den Begriffen des BRTV Bau 1965, der Überstunden und Mehrarbeit als gleichbedeutend behandelte (§ 3 B 1, C 1). § 123 AVAVG bestimmte für das Kurzarbeitergeld, daß betriebsübliche Arbeitszeit die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit sei, soweit sie die gesetzlich zulässige Arbeitszeit nicht überschreite, für die kein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen ist. § 123 AVAVG hatte, da die gesetzlich zulässige (also Verweisung auf die Arbeitszeitordnung – AZO –) Arbeitszeit als regelmäßig zugrunde gelegt wurde, demnach einen … Begriff der Mehrarbeit im Sinne der nicht völlig mit dem des § 143 g Abs. 1 Satz 2 AVAVG identisch war.

Wäre also im AFG in der Fassung, wie sie auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, ein dem damaligen § 143 g Abs. 1 Satz 2 AVAVG entsprechender Satz eingefügt worden, so wäre auch geklärt, daß die über 40 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Maschinisten, die nach dem BRTV Bau 1971 mit Zuschlägen zu vergüten ist, nicht der Berechnung des SWG zugrunde gelegt werden dürfte.

§ 143 g Abs. 1 Satz 2 AVAVG entfiel aufgrund des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 28. Oktober 1960 (BGBl I 833 – Drittes Änderungsgesetz zum AVAVG –). Zur Begründung führte die Bundesregierung aus (BT-Drucks. III 2044 S. 3): „An der bisherigen Bemessungsmethode wird grundsätzlich festgehalten. Die Vorschrift, daß Arbeitsstunden, für die Mehrarbeitszuschläge zu zahlen wären, nicht zu berücksichtigen sind, wird gestrichen, weil der in diesem Satz ausgedrückte Gedanke bereits in § 143 g Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz mit enthalten ist”. Mit § 143 g Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz war § 143 g Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz AVAVG der neuen Fassung gemeint, der dem § 143 g Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz AVAVG der bis dahin geltenden Fassung entsprach; denn § 143 g Abs. 2 AVAVG in dem bisherigen Wortlaut entfiel durch das Dritte Änderungsgesetz. Die Bundesregierung ging also davon aus, daß mit dem Begriff der „regelmäßigen betrieblichen” Arbeitszeit, die sich innerhalb der „tariflichen” halte, schon gewährleistet sei, daß Arbeitszeiten nicht berücksichtigt würden, für die Überstundenzuschlag gezahlt wurde. Das traf damals auch zu. Der Tarifvertrag von 1965, der die Begriffe „regelmäßige Arbeitszeit” und „Überstundenzeit” als einander ausschließend ansah, war auch zu dieser Zeit noch maßgeblich, so daß also Überstundenzuschläge ohnehin nur gezahlt wurden für Arbeitszeiten, die über die regelmäßige hinausgingen (BRTV Bau 1965, § 3 B 1 und A 1-3). Durch das AFG wurde die Regelung des § 143 g AVAVG praktisch unverändert übernommen. Lediglich der Inhalt des § 123 AVAVG (Berechnung des Kurzarbeitergeldes) kam in neuer Fassung in das AFG. § 69 AFG stellte es nunmehr auch für das Kurzarbeitergeld auf die „regelmäßige betriebsübliche” Arbeitszeit innerhalb der „tariflichen” ab, wie schon vorher beim SWG. Dadurch konnte hinsichtlich der Berechnung des SWG auf die Bestimmungen des Kurzarbeitergeldes verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AFG). Da somit nichts weiter geschah, als daß die Bemessung des Kurzarbeitergeldes an die schon bisher geltende des SWG angeglichen wurde, ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber gegenüber der bisher schon geltenden Regelung des § 143 g AVAVG eine Änderung herbeiführen wollte. Tatsächlich änderte sich auch nichts bis zum Jahre 1971. Der BRTV Bau 1965 galt zunächst weiter, und weiterhin standen sich regelmäßige Arbeitszeit und Überstundenzeit als sich gegenseitig ausschließende Begriffe gegenüber, so daß, wie schon vor dem Dritten Änderungsgesetz zum AVAVG (1960) zum SWG ausdrücklich normiert (§ 143 g Abs. 1 Satz 2 AVAVG), solche Stunden bei der Berechnung des SWG nicht berücksichtigt werden durften, für die Überstundenzuschläge gezahlt wurden. Eine Änderung trat erst durch den BRTV Bau 1971 ein, der in § 3 Nr. 2.1 Überstunden so bestimmte, daß unter diesen Begriff auch mit Überstundenzuschlag zu vergütende Arbeitszeit fiel, die der Tarifvertrag nach seiner eigenen Begriffsbestimmung als regelmäßig bezeichnete. Nach § 3 Nr. 2.2 des BRTV Bau 1971 sind nämlich Überstunden (Mehrarbeit) die über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit der Nr. 1.1 hinaus geleisteten Arbeitsstunden im Gegensatz zu dem BRTV Bau 1965, der nur die Stunden als Überstunden bezeichnet, die über die in Nr. 1.1 bis Nr. 1.3 genannten Arbeitszeiten hinausgingen. Das bedeutet, daß die Maschinisten und Kraftfahrer zwar regelmäßig mehr Arbeitsstunden als 40 pro Woche leisten müssen, wenn einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung entsprechendes vereinbart ist, daß aber diese Zeit dennoch wie Überstunden im Sinne des § 3 Nr. 2.1 BRTV Bau 1971 mit Zuschlägen vergütet werden müssen. Die Begriffe „Überstunde” und „regelmäßige” Arbeitszeit schließen sich nach diesem Tarifvertrag also nicht mehr aus, sondern überschneiden einander. Seit Inkrafttreten des BRTV Bau 1971 trifft es also nicht mehr zu, daß, wie die Bundesregierung es in ihrer Begründung zum Dritten Änderungsgesetz ausgeführt hat, allein schon durch die Begriffe „regelmäßige betriebsübliche” Arbeitszeit innerhalb der „tariflichen” die Berücksichtigung der mit Zuschlägen vergüteten Stunden bei der Berechnung des SWG ausgeschlossen sei. Ist dem aber so, so kann durch Auslegung des § 69 AFG nicht dem Inhalt des BRTV Bau 1971 zur Erreichung des von der Beklagten erwünschten Erfolges Gewalt angetan werden. Der bei den Beratungen zum Ausdruck gekommene Wille von Gesetzgebungsorganen muß, um durch Auslegung berücksichtigt werden zu können, im Gesetz selbst Ausdruck gefunden haben. Wenn die Fassung eines Gesetzes durch die veränderte Rechtswirklichkeit nicht mehr die Folgen herbeiführt, die nach dem Gesetz zur Zeit seines Inkrafttretens beabsichtigt waren, so ist es nicht eine Sache der Auslegung, das Gesetz entsprechend umzudeuten. Vielmehr muß der Gesetzgeber selbst entscheiden, ob die Folgen, die das Gesetz nunmehr hat, noch seinem Willen entsprechen.

Das Urteil des LSG gelangt somit zu dem richtigen Ergebnis. Die Revision ist zurückzuweisen.

Durchgreifende Bedenken bestehen auch nicht gegen die Fassung des erstinstanzlichen Urteils, das durch die Zurückweisung von Berufung und Revision rechtskräftig wird. Wohl ist die Beklagte nach dieser Entscheidung lediglich zur Leistung verurteilt, „soweit diese Wochenarbeitszeit (44 bzw. 48 Stunden) betriebsüblich” war. Diese Fassung ist nicht korrekt, weil ein Urteilsspruch nicht unter einer Bedingung ergehen darf, die zu prüfen gerade Aufgabe des Gerichts und Voraussetzung seiner zusprechenden Entscheidung ist. Die Gründe des Urteils des SG ergeben indessen, daß dieser Einschränkung keine inhaltliche Bedeutung zukommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926501

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